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Grand Canyon - Monument Valley, Arizona/Utah

Dienstag, 20. Juni 2000, Monument Valley, Navajo Campground, 18.45 (19.45 Navajozeit)

Ich habe es geschafft. Ich bin wieder in Monument Valley! Ich kam zu spät, um noch einen der beiden Zeltplätze direkt vor den "Mittens" zu ergattern. So habe ich mich diesmal für die Seite mit Blick nach Westen, in die flachere Gegend, wo nur Felsberge am Horizont die Sicht begrenzen, entschieden. Zum Sonnenuntergang aber bin ich den Kamm hinaufgestiegen, der den Blick nach Westen und Osten freigibt und wo ich in Stille sitzen kann. Hinten die untergehende Sonne, vorne die aufragenden Felsen, das Handschuhpaar und Merrick Butte die in einem immer tieferen Rot glänzen. Die Temperaturen sind mild. Auch während der Fahrt vom Grand Canyon hierher waren die Temperaturen erstaunlich erträglich. Nachmittags um zwei konnte ich die Klimaanlage im Auto ausstellen. Zwischendurch habe ich oft gehalten, die Verkaufsstände der Navajos besucht. Einige schöne Ketten habe ich gefunden. 

Ich hoffe, diese Nacht wird trotz der kühleren Temperaturen nicht zu kalt. Die letzte Nacht bin ich im ersten Morgengrauen gegen halb vier vor Kälte zitternd aufgewacht. Eigentlich soll der Schlafsack bis zu Temperaturen von sieben Grad isolieren. Aber der Wind zog eisekalt herein. Müde und verfroren stand ich auf, wuchtete Schlafsack und Isomatte ins Auto und knäulte mich auf den Rücksitz. Jemand, der größer als meine Einmeterfünfundfünzig ist, hätte wirklich Schwierigkeiten. Die moderne Autotechnik machte die Sache auch nicht einfacher. Statt die Fenster einfach ein Stück herunterkurbeln zu können, mußte ich die Zündung starten, um die elektronisch gesteuerten Fenster in Bewegung zu setzen. Beim Fahren sehr praktisch, weil man von Fahrersitz alle Fenster nach Belieben öffnen und schließen kann, aber lästig, wenn der Motor abgestellt ist. Im windgeschützten Auto entfaltetete der Schlafsack wieder seine schützende Wärme. Halb fünf wachte ich wieder auf. Ein richtig heller Saum am Horizont. Ohne Waschen, ohne Frühstück fuhr ich los. Zwischendurch nur ein Stop auf dem Plumpsklo und an der Zahlstelle. Ein schöner Pinienwald-Campground. Noch vor dem Village biege ich auf die östliche Sightseeingstraße ab, die man noch mit Pkws befahren kann. Es gibt aber auch hier schon einen Shuttlebus-Service, der für die westliche Strecke obligatorisch ist. Wie immer, wenn man sich unter Zeitdruck setzt (Sonnenaufgang!) erscheint mir die Strecke endlos, bis ein erster Aussichtspunkt kommt. Nein, der erste ist zu voll. Also weiter. Am Grandview Point halte ich, steige ein paar Felsstufen hinunter und setze mich dorthin. Es ist richtig kalt. Selbst in langen Jeans ist es mir kühl. Ich habe den Pullover an, die Jacke drüber und noch die Windjacke übergezogen! Die Sonne kommt über die Felswände im Osten, die ersten Strahlen fallen in die Tiefe des Canyons. Oben am Aussichtspunkt kommen Leute, dampfende Kaffeebecher in der Hand. Auch sie steigen die Stufen hinab. Ein Weg führt nach unten in den Canyon. Ab und zu kehren Wanderer von unten zurück nach oben. In dieser frühen Morgenstunde - halb sechs, sechs - ist man die meiste Zeit noch allein mit der Landschaft. Die Felswände des Canyons sind großenteils noch dunkel, schwarz bis grau. In der Tiefe, wo man in einigen wenigen Windungen den Fluß erkennen kann, decken die Grautöne noch die Farben der Felsen zu. Ich versuche, gar nichts zu denken, einfach die Stille und Größe der Landschaft auf mich wirken zu lassen. Dies ist eine Landschaft ist nicht für den Menschen gemacht, die Größe nicht und nicht die Schönheit. Ein Fluß hat im Lauf von Jahrmillionen die Erdschichten durchschnitten, hat sich durch Sand und Fels gegraben. Wir Menschen betrachten das Ergebnis und sind ergriffen von seiner Schönheit, von seiner schieren Unermeßlichkeit. Und weil wir eine Schönheit sehen, die nicht für uns "gemacht" war, rührt uns diese Schönheit mehr, als wenn ein Künstler sie stolz vorzeigte und sagte: "Sehr her, hab ich das nicht schön gemacht?" Eine Schönheit, die nicht aufreizt, die nicht kokettiert. Sie ist einfach da. 

Irgendwann stehe ich auf, gehe zum Auto, fülle meine Schale mit Müsli und die kleine Thermoskanne mit Wasser, gehe zurück zum Felsen, frühstücke, meditiere, fotografiere. Ein Stück gehe ich den Serpentinenweg zum Canyongrund hinunter. An einer Kehre sticht ein krummer Wacholder bizarr in den Himmel. Es wird wärmer. Ich gehe zurück zum Parkplatz, entdecke Toiletten. Moderne Chemietoiletten. Dort kann ich die Wäsche und Kleidung wechseln, mich notdürftig mit Feuchttüchern waschen und ein wenig zurechtmachen. Und dann plumpsen mir die Sonnengläser zum Aufstecken auf die Brille in die Kloschüssel, es klirrt metallisch - die Fassung ist gebrochen und auch ein Glas. Fahren ohne Sonnenbrille in dieser sonnengleißenden Gegend? Gibt es hier solche Aufstecker zu kaufen? Ich bezweifle es. Aber irgendeine Lösung wird es geben. Ich fahre weiter die Straße nach Osten, besuche die anderen Aussichtspunkte, die ich um diese frühe Zeit noch nie gesehen habe. Gegen acht Uhr habe ich den letzten erreicht. Der Aussichtsturm ist schon von weitem zu sehen. Der erste Weg führt wieder zu den Toiletten - hier gibt es fließend Wasser. Für das Geschäft und zum Waschen von Gesicht und Händen. Der Buchladen am Eingang ist noch geschlossen. Aber der Souvenirshop am Fuß des Turmes hat schon geöffnet. Ich gehe hindurch, zahle den Obolus an der Schranke, steige die Wendeltreppen hinauf. Ich suche die bessere Aussicht, will besser fotografieren können. Und dann ist oben alles verglast. Das hatte ich vergessen. Ich kehre bald wieder um. Eine jetzt geöffnete Tür führt aber weiter unten auf eine Dachterrasse. Der Blick geht weit - bis zu den Vermillion Cliffs, den Bergen zu deren Füßen eine Brücke über den Colorado führt. 

Unten im Shop entdecke ich eine wunderschöne leichte und flauschige Decke: auf der einen Seite hellgrau, auf der anderen dunkelgrau - Muster von Indianerzeichnungen an Felswänden hineingezeichnet. Sehr teuer. Aber Schlafen in Motels wäre noch teurer. Ich kaufe sie, noch dazu Ansichtskarten, zwei Musikkassetten als Mitbringsel, Schlüsselanhänger und ein Buch über die Entdeckungsgeschichte des Grand Canyon. Die Summe ist stattlich. Die Verkäuferin schaut mich an und rät mir, alles weitere im Shop im Village zu kaufen. Dort seien die Preise niedriger! Ich bin überrascht und dankbar. Wundere mich auch ein bißchen über ihre Illoyalität dem Shopbesitzer (wer auch immer) gegenüber. Aber ich fahre zurück. Ich muß eine Lösung für die kaputte Sonnenbrillenaufstecker finden. Außerdem möchte ich Travellerchecks einlösen, und ich will zur Post, brauche Briefmarken. Im großen Shop gibt es eine Menge Sonnenbrillen, aber keine Aufstecker. Und dann kommt mir die Idee: warum nicht eine große Sonnenbrille als Aufstecker nehmen? Ich probiere es aus, setze Sonnenbrillen über meine Brille und finde tatsächlich eine, die mit ihren ebenfalls runden Gläsern meine überdeckt, noch Platz auf der Nase hat und an den Ohren nicht kneift! Vermutlich sieht es für die Umwelt etwas merkwürdig aus, wenn man näher hinguckt - aber die Hauptsache, meine Augen sind geschützt. Noch etwas merke ich: meine ganze Stirn ist mit roten Flecken bedeckt: völlig zerstochen. Und Stiche und geschwollene, rote Stellen auch auf den Wangen und am Hals! Ich sehe aus wie eine verpickelte Teenie! Und ich habe nichts gemerkt! Im 10-Ex Campground waren mir keine Stechmücken aufgefallen. Ob das Spuren von der Nacht davor am Fool's Hollow Lake sind? Wieso hatte ich gestern nichts gesehen und gemerkt? Ich kratze mir wider besseres Wissen die geschwollenen Stichflecken auf, drücke sie aus. Jetzt jucken sie auch. Gut, daß die Hutkrempe viel verdeckt. 

Auch hier gibt es eine Unmenge von Decken. Ich entdecke eine leuchtend rote, grob gewebte Decke mit Fransen, auch sie mit Indianermuster. Ich nehme sie noch dazu. Sie ist so schön, daß ich nicht widerstehen kann. Und mit 20 $ ist sie auch erschwinglich. Sie paßt farblich wunderbar zu der hellgrauen Decke. Ich werde sie übereinander legen. Die nächste Nacht werde ich vermutlich draußen nicht mehr frieren. Obwohl Monument Valley ebenfalls hoch liegt! Das ist das Tagesziel. Und das Ziel für die nächsten Tage. 

Am Aussichtsturm mache ich ein zweites Mal Halt. Es ist fast Mittag. Ich hole mir ein Softeis, stelle mich dabei am falschen Ende der Schlange an, werde nach hinten geschickt. Als ich meinen Chocolate Double Cone (eine riesige Schraube aus Softeis in einem kleinen Waffelbecher bekomme, kommt von der Seite eine Frau, bestellt etwas. Ich mache ihr Platz - da fällt mein Cone, der sich kaum in der leichten Waffel hält, um und zerbricht. Ich bitte den Eismann um eine neue Waffel. Ich denke, er gibt mir nur eine neue Waffel. Nein, er füllt auch wieder Eis hinein und wirft die alte weg. Das Eis und eine Riesencola sind mein Mittagessen. Sehr gesund! ;-))

Dann die Fahrt nach Monument Valley - mit Halt am Little Colorado Canyon. Ich laufe vor zum Aussichtspunkt. Über gewachsenen Fels. Es geht nicht so tief und ist mit seinen Felsschluchten auch beeindruckend. Es gibt viel weniger Touristen. Die Shops der Navajos wurden umplaziert: man muß jetzt an ihnen vorbei, um zum Aussichtspunkt zu gelangen. Eine Kette finde ich, die mir gefällt, und kaufe sie. 

Wieder eine Strecke gefahren, wieder ein Navajoshop - und ein Aussichtspunkt. Nur eine felsige Schotterpiste führt hin. Ich stelle das Auto ab, laufe hin - ein Blick, tief in einen Canyon. Hier ist kein Mensch. Wo man laufen muß, ist man allein. 

Ich weiß nicht, wie oft ich noch halte auf dem Weg zur State 89, die ich ein Stück entlangfahren werde, bis ich nach Tuba abbiege. Der Blick geht weit nach Norden zu den Vermillion Cliffs, die rot in der Ferne leuchten. Ich fotografiere sie, obwohl ich weiß, daß sie auf dem Foto gar nicht zur Wirkung kommen, weil sie viel zu klein im Hintergrund erscheinen werden. Dann Cameron, der Tradepost, die 89 - und nicht lange danach die 62 nach Tuba City und Kayenta. Von weitem schon leuchten schon die Berge in braun, weiß und rot. Kurz nach der Kreuzung habe ich sie erreicht. Die Straße windet sich in Kurven durch die nicht sehr hohen Berge oder Hügel. Aber was für Hügel: "The painted desert"



ist der Name dieser Landschaft - und in allen Farben leuchten die Berge. Wie die Schichten einer riesigen Torte liegen die Farben braun, rot, weiß in langen Bändern übereinander. Rot ist nicht gleich rot. Es gibt das satte Braunrot des dunklen Sandsteins, dann das helle, zarte, fröhliche Rot des Navajosandsteins.

Aller Erinnerungen kommen wieder: nach den Bergen die weite Ebene, dann schon nahe vor Kayenta, die Schienengleise für die Kohletransporte aus dem Hopireservat, die kreisrunde Schienenschleife am Ende und das riesige Förderband, das aus den Bergen zur Endstation mit einer Schüttstelle führt. Der Abzweig zum Navajo Nationaldenkmal Betatakin, die Verengung zum Red Rock Canyon. Vor vier Jahren habe ich hier zum ersten Mal bewußt den Navajosandstein gesehen: die runden, versteinerten Sanddünen in weiß über rosa bis rot. Mit den Wulsten, Faltungen und Löchern im Stein sehen sie aus wie ein verquirlter schwerer Hefeteig, der beim Aufgehen Risse und Blasen wirft. In den Stein haben sich kleine Bäumchen gezwängt. Irgendwie, irgendwo scheinen ihre Wurzeln Halt zu finden oder eine kleine Erdkuhle gefunden zu haben. Kleine grüne Sprenkel in den hellen Felsen. Bei Kayenta weitet sich wieder die Schlucht. Die Felsen rücken zu einem hohen Massiv beiseite. Wieder sieht man die Streifen, die Faltungen, die Schichten. Ich mache kurz Rast in Kayenta, tanke. Schon bald nach dem Ort ragt unübersehbar das Wahrzeichen der Gegend aus der Ferne empor: El Capitan oder Agathla Peak. Ein Felsen vulkanischen Ursprungs, wie der Bug eines Schiffes, steil nach oben. Dunkler Stein. Kein Sandstein. Die Straße führt in sanft nach oben. Dann die Kuppe - und man hat die Sicht frei über das ganze Tal, an dessen Ende auf der rechten Seite El Capitan den Horizont begreznt, ihm gegenüber auf der linken Straßenseite zwei kleinere Felsen. Wie Wächter säumen sie links und rechts die Straße, die mitten zwischen ihnen hindurchführt. Ein grandioses Bild.

Hat die Straße die Höhe zwischen den beiden Felswächtern erreicht, und will man die Größe des El Capitan bestaunen, öffnet sich die Landschaft zum nächsten Bild der nun unablässig folgenden Panoramaschau: von weiten sieht man die roten Felsen von Monument Valley. Erst noch ein großer Tafelberg, eine Mesa (eine Tischplatte) aus leuchtend rotem Fels - ein richtiger Königsberg. Wie eine Festung, ein Camelot, von der Natur errichtet. Wieder eine Straßenbiegung: dann die einzelnen Felsklötze und Zinnen von Monument Valley. Noch sehr klein, noch sehr in der Ferne - aber wie eine Verheißung am Horizont. Wie immer steige ich alle naslang aus und fotografiere. Jeden Tag, jede Stunde ist die Beleuchtung anders. Ich bin gespannt auf die Ausbeute von diesem Jahr. So dauert es einige Zeit, bis die Kreuzung kommt, die nach rechts zum Monument Valley Navajo Nationalpark führt und nach links nach Oljeto und zum Campground und Lodge von Gouldings. Dort hatte ich die beiden letzten Male in einem Indianer Tipi übernachtet. Später dann auch im Campground der Navajos, nur im Schlafsack vor den Felsen. Dorthin zieht es mich auch diesmal. Ich biege also rechts ab, fahre die zwei Meilen zum Campground, der vor dem VisitorCenter liegt. Die beiden schönen Plätze, direkt vor den Felsen sind natürlich schon belegt. Ich nehme einen Platz nach Westen, ziehe aber mit Abendbrot, Karten und Schreibsachen hoch zum schmalen Kamm, der den Blick nach Ost und West - zu den Felsen im Tal unten, die die untergehende Sonne anstrahlt - und mit Blick zur untergehenden Sonne im fernen Westen selbst. 

Von links, vom Visitor Center kommen auf einmal Trommelschläge. Dum dumdumdum, Dum dumdumdum, Dum dumdumdum. Erst leise, dann lauter und schneller werdend, immer lauter, immer schneller sich steigernd - bis zum Höhepunkt, dann abbrechend und nach einer Weile wieder leise beginnend. Eine Stunde lang schlägt die Trommel. Irgendwann fallen auch Stimmen ein. Heyoka heyka. Die Sonne sinkt immer tiefer. Die Schatten der Felsen im Tal kriechen über die Ebene, schieben sich über die niedrigeren Felsen, wandern die Felsen hinauf. Hinter mir verfärbt sich die Sonne in goldgelb, orange, rot, tiefrot. Die Wolken am Himmel wandeln sich von Rosa ins Violette. Diese Landschaft ist ein Traum - und viel mehr als eine Traumlandschaft. 

Nach dem Sonnenuntergang, kehre ich zum Auto zurück, schnappe mir Handtuch, Nachthemd und Kulturbeutel und wandere zur Dusche. Schon vorher habe ich die Quarters, die 25cent Stücke, gehortet. Vier Stück muß man einwerfen. Manchmal bleibt einer stecken. Die Dusche tut gut.

Zurück am Auto brauche ich nur noch die Isomatte und den Schlafsack ausbreiten und hineinkriechen. Diese Nacht schlafe ich gut.
 
 

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