Viel Wind um die nackte Hüfte von Maria Magdalena "Mirjam"-Cover echauffierte orthodoxe Christen / In Gottes Namen das Buch aus dem Schaufenster genommen Von Mike Szymanski Vor vier Wochen wollte Eva K. etwas "frischen Wind ins Schaufenster bringen". Sie gestaltete ein Fenster zum Thema "Frauen und Theologie" und suchte sich unter anderem ausgerechnet einen Titel aus, der seit 1995 eher unter den Ladenhütern rangierte. Mit dem Roman "Mirjam. Maria Magdalena und Jesus" hatte sich die Autorin Regina Berlinghof eines Themas angenommen, das so originell auch wieder nicht ist. Sie macht aus dem Gottessohn und der Ex-Hure ein Liebespaar, das auf völlig unspektakuläre, herkömmliche Weise ein Kind zeugt. "Keine Tatsache, nur ein Roman", betont die Buchhändlerin immer wieder. Und ein schwer verkäuflicher dazu. "Aber für die Kirche natürlich nicht angenehm". Eva K. mag das Buch dennoch. "Es ist erotisch geschrieben, feinfühlig und voller Liebe." Entsprechend feinfühlig gestaltet ist auch das Buchcover: Jesus und Maria Magdalena sind nur durch feine Pinselstriche angedeutet. Er legt seine Hand an ihre nackte Hüfte. Nicht mehr und nicht weniger. Bis zum Inhalt sind die Kritiker noch nicht einmal vorgedrungen. Allein der Anblick - in Verbindung mit dem Titel - genügte, um "orthodoxe Christen", wie Geschäftsführer Michael Lemling diese Kundengruppe nennt, auf die Palme zu bringen. "Fast hysterisch" hätten sie nach ihm verlangt und sich beschwert: Das Cover sei pornographisch, und sie fühlten sich in ihrem religiösen Ehrgefühl verletzt. Das Buch habe zu verschwinden. Sonst wolle man eine Kampagne starten und den Bischof anrufen. Die Autorin Regina Berlinghof setzte sich inzwischen mittels Pressemitteilung zur Wehr. Sie finde es "schlimm", wenn "religiöser Fundamentalismus um sich greift und es zu einer geistigen und religiösen Zensur kommt". Dennoch: Zwei ihrer Bücher wurden in den vergangenen vier Wochen verkauft. "Das ist viel für so einen Roman", sagt Eva K., die jede Absicht von sich weist. "Ich wollte nicht, daß es so einen Trubel darum gibt." Der Carolus-Geschäftsführer Lemling sah's gelassen. Anfangs versuchte er es mit popular-theologischen Argumenten: Jesus dürfe nicht vergöttert werden, er stehe nicht fern jeder körperlichen Liebe. Irgendwann, so Lemling, wurde er müde, "mit wildgewordenen Orthodoxen zu streiten". "Wir haben noch andere Arbeiten zu erledigen." Die Buchhändlerin sieht's genauso. "In Gottes Namen, wir haben das Buch aus dem Schaufenster genommen". [ dokument info ] Copyright © Frankfurter Rundschau 1999 Dokument erstellt am 22.07.1999 um 20.45 Uhr Erscheinungsdatum 23.07.1999 Ein paar Anmerkungen von mir zum "Ladenhüter" und zum Inhalt. Aus meinem Fax an Herrn Szymanski vom 25.7.99:
Sehr geehrter Herr Szymanski, herzlichen Dank, daß Sie sich der fundamentalistischen Attacke auf das Cover meiner Mirjam angenommen haben. ... Leider gingen diese Anrufe auch tagsüber ins Leere, weil ich als freiberufliche PC-Trainerin am Donnerstag für den ganzen Tag gebucht war. Ich hätte Ihre Fragen gerne per eMail oder telefonisch abends beantwortet und hätte dabei z.B. einiges zum Inhalt und zum Verkauf des Romans klarstellen können: "Mirjam" sollte zwar 1995 als "Die Liebe der Maria Magdalena" im FF-Verlag, edition ebersbach in Dortmund erscheinen. Wegen Differenzen bei der Lektorierung und Gestaltung des Buches und vertragswidriger Eigenmächtigkeiten seitens des Verlages trennte ich mich kurz vor Drucklegung vom Verlag. Meinen Leserbrief an die FAZ zu dieser mittlerweile wohl gängigen Verlagspraxis füge ich als Anlage bei. Der Brief wurde am 4.12.97 abgedruckt. Ich habe den Roman daraufhin im Herbst 1995 ins Internet gesetzt und fand auf diese Weise positive Leserreaktionen und schließlich auch zu einem Verlag. Mirjam erschien als Buchausgabe im April 1997 in einer kleinen Auflage bei dem Verlag Dietmar Klotz in Eschborn. Bereits Ende 1998 konnte der Verlag die im Layout leicht veränderte zweite Auflage herausbringen. Angesichts der beschränkten Werbemittel des Verlages, noch dazu für das dickleibige Werk einer völlig unbekannten Autorin ist das nicht gerade ein Zeichen für einen "Ladenhüter". Einige Rezensionen, zuletzt in der Frankfurter Rundschau am 22.5.99, und begeisterte Leserbriefe (auch noch eine Anlage!) sprechen eine andere Sprache. Leider sind auch Sie bei der reduzierten Inhaltsangabe auf die gängigen Schlagworte zu Maria Magdalena hereingefallen. In meinem Roman ist sie gerade keine Hure, wenn auch eine sehr sinnliche und intelligente Frau. Es geht mir in dem Roman auch nicht so sehr darum, die Leser mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß Jesus eine Frau (oder einen Mann?) körperlich geliebt haben könnte. Das haben in diesem Jahrhundert schon viele andere (z.B. Kazantzakis: Die letzte Versuchung) getan und treibt nur noch verpappte Christen auf die Barrikaden. (siehe orthodoxe Christen vor der Carolus-Buchhandlung) Mir geht es darum zu zeigen, daß Liebe und Sexualität eine geistige, ja religiöse Dimension haben, die wegen der Leibfeindlichkeit unseres Kulturkreises seit zweitausend Jahren zusammen mit der Sexualität ausgeblendet war. Selbst die modernen Aufklärungsbücher schweigen sich darüber aus. Nur vereinzelt finden sich Hinweise in Schriften und Büchern auf diese kosmische Weitung und Einswerdung im Großen wie im Kleinen (Universum und Sandkorn/Atom). In Platons Gastmahl, im Briefwechsel von Abaelard und Heloise, in Schlegels Lucinde, Wilhelm Reich: Christusmord (!). Alles Bücher, die zum Skandalon wurden, weil sie von einer Liebe künden, die alle kulturell und gesellschaftlich normierten Grenzen sprengt und selbst die Begrenzung des Körpers aufhebt. In neuerer Zeit hat sich Alan Watts in Nature, man and woman. damit auseinandergesetzt. Die Inder kennen seit langem den tantrischen Weg zur Erkenntnis, wobei leider oft nur noch mechanistische Anleitungen für diverse Stellungsspiele zu uns gekommen sind. Mein Roman beruht auf einer eigenen sexuellen Liebeserfahrung, in der körperliche Lust, seelische Verbundenheit und angstloses, liebendes Vertrauen in einem Moment so gebündelt wurden, daß sie wie in einem ungeheuren Energieschub zu einer Bewußtseinserweiterung führten, in der ich mich selbst und alle Formen des Seins wie als zusammengefügte Puzzlesteine eines großen Ganzen erkannte. Jedenfalls verstand ich danach auf einmal, wovon Jesus, Buddha, Laotse und all die anderen Mystiker auf einmal sprachen. Denn mystisch ist die Rede nur solange, als man/frau eine solch grenzüberschreitende Erfahrung noch nicht gemacht hat. Ob man sie erlangt durch Yoga, Meditation oder in einer liebenden sexuellen Begegnung bleibt sich vom Ergebnis her gleich. Aber der Weg über die Liebe ist vielleicht der naheliegendste, menschlichste und schönste. Auf diesen Weg wollte ich mit meinem Buch aufmerksam machen. Und darum habe ich ihn im Kernmythos unserer Kultur angesiedelt und als liebendes Paar Maria Magdalena und Jesus gewählt. Ich denke, man muß von der Wurzel her die zweitausendjährige Aufspaltung von Körper, Geist und Liebe aufheben. Vor allem eröffnet die eigene Erkenntnis, die eigene Erfahrung einen unmittelbaren Zugang zu unserer Verankerung in dieser Welt, ohne daß es dazu alleinwahrheitsbesitzender Priester, Gurus oder heiliger Bücher bedarf. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie diesen Gedanken nachträglich in der Rundschau Raum geben würden. Und für Rückfragen (leider hauptsächlich abends) stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen Regina Berlinghof
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Ein paar Anmerkungen von mir zum"Ladenhüter" und zum Inhalt. Aus meinem Fax an Herrn Szymanski vom 25.7.99:
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