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Premierenbericht von der Frankfurter Oper
25. Mai 2003
An den Tag verraten - Frankfurts neuer Tristan
Eine
schwarz umrahmte Guckkastenbühne auf hohem Podest öffnet sich
zu einem strahlend weißen Schiffsdeck, vorne die Reling. Auf einer
Bank hockt Isolde trüb und gekränkt. In unerreichbarer Ferne
Tristan am Schiffsbug. Die Matrosen lugen hinter drei Türen hervor,
stellen Brangäne gern ein Bein, um ihr und ihrer Herrin zu zeigen,
wer hier das Sagen hat. Zwei starke Frauen. Leider kommen die Spitzentöne
der Isolde (Frances Ginzer) etwas gequält und sehr kurz. In mittlerer
Lage fühlt sich ihre Stimme, die leicht zur Schärfe neigt, viel
wohler. Isolde brütet vor sich hin, Tristan brütet vor sich hin.
Kurwenal und Brangäne im Kostüm der 50-er Jahr mit Gesundheitstretern
sind dagegen Ausbunde an Lebendigkeit. Apropos Kostüme: auch Isolde
steckt im mittlerweile etablierten Frankfurter Häßlichlook.
"Putzfrauenklamotten" höre ich in der Pause eine treffende Beschreibung.
Vermutlich hat deshalb Tristan überhaupt keine Lust, Isolde zu besuchen
und anzusehen. Auch als es zur Liebesoffenbarung zwischen beiden kommt,
sitzen die mit abgewandten Gesichtern auf dem Bänkchen. Schließlich
greift Isolde ihm ans Jackett und zieht ihn zu sich. Sich angucken oder
gar küssen tun die beiden nicht.
Das
bleibt auch im 2. Akt so, der sich im weißen Schleiflackzimmer Markes
und Isoldes fortsetzt - das Licht bleibt stets gleißend hell. Totaler
Sieg des Tages über die Nacht. Lämpchen und Birnen glühen.
Die Leuchte, die als Zeichen für Tristan gelöscht werden soll,
ist das Nachttischlämpchen, das Isolde an langer Schnur mit sich herumträgt
und dabei Brangäne singend auffordert, das Licht auszulöschen.
Dabei könnte sie leicht die Nachttischlampe selbst ausknipsen. Zuvor
hat sich Marke ebenso ungereimt mit allen Mannen im Schlafzimmer! von seiner
neuen Gattin zu einer Jagdpartie verabschiedet. Die Mannen steigen durchs
Fenster hinaus, wo man sie Wache schieben sieht, nur Isolde in ihrem Liebeswahn
nicht. Auch Brangäne scheint Tomaten auf den Augen zu haben, denn
sie singt immer nur vom Hörnerschall, den sie noch hören kann.
Diese Jagdgesellschaft hat anderes im Sinn, als Wild zu jagen.
Immerhin
läßt Isolde irgendwann die Jalousien herunter, was ihr aber
nicht sonderlich hilft. Sie wartet auf Tristan und führt sich wie
ein Schulmädchen vor dem ersten Date auf: sie balanciert auf imaginären
Linien, sortiert die Blumen neu und liebkost die Flasche mit dem Liebestrank.
Ab und zu wälzt sie sich auf dem großen Bett. Mehr fällt
ihr vor einem Stelldichein mit dem Geliebten nicht ein. Dabei hat doch
der Regisseur Christoph Nel eigens eine szenische Beraterin beigezogen,
die von Haus aus Psychotherapeutin ist. Während Wagners Musik in Liebesstürmen
schwelgt, die projizierten Übertitel mit Liebe, Tod und dem Einssein
mit der Welt und dem Weltatem dahinrasen, sehen Regisseur und die psychologische
Szenenberaterin darin intrauterine Regressionsphantasien. An diese Liebe
glauben sie nicht. Die Nacht hat bei ihnen keine Chance. Ebensowenig Erotik,
nicht einmal Sex. Entsprechend blöd stapfen Tristan und Isolde im
Schlafzimmer umher, streuen weiße Lilien aufs Bett und auf den Boden,
kuscheln einmal kurz. Außerdem gespenstert Brangäne ständig
durch das Zimmer, anstatt draußen aufzupassen und ihre betörenden
Warnrufe ertönen zu lassen. Wunderbar gesungen von Louise Winter.
Schließlich platzt Melot in die Runde und macht dem Ringelpietz des
Liebespaares ein Ende und führt die beiden König Marke vor. Der
vermutet viel mehr action in seinem Schlafzimmer als geschehen ist und
klagt ergreifend seinen Schmerz (Gregory Frank). Schlimm, daß es
dem ehebrecherischen Liebespaar erst jetzt vor dem König einfällt,
sich heftig zu küssen. Was würde Freud wohl dazu sagen????
Dem
Regisseur und seiner szenischen Beraterin liegen kaputte Typen viel mehr,
weshalb der dritte Akt mit dem todkranken Tristan der gelungenste der Inszenierung
ist (abgesehen von Isoldes Biederstkostüm, in das man die Arme gesteckt
hat - man hat ihr ja nicht einmal einen Spiegel in dem weißen Schleiflackschlafzimmer
gegönnt!). - Tristans Heimatburg Kareol ist ganz in schwarz gehalten,
schwarze Wände, schwarze heruntergekommene Lesersessel und eine Couch
mit Essensresten zugemüllt. Durch die Decke regnet es herein. Männerwirtschaft.
Tristan hängt mit Decken zugemutzelt in einem Sessel und singt seine
Wahnsinnpartien mit einer unglaublichen Intensität. John Treleavens
Stimme ist nicht immer schön, und sein von der Regie versautes Spiel
im 1. und 2. Akt vergißt man besser. Aber im dritten Akt ist er wahrhaft
der leidende Tristan - mit ganz wenigen Mitteln, gefesselt an diesen Sessel.
Begleitet von einem spielerisch und stimmlich großartigen Kurwenal
(Gerd Grochowski).
Paolo
Carignani rettete Wagners Musikdrama, leider zu oft ließ er das Orchester
in voller Lautstärke gegen die Sänger anbranden. Kein Wunder,
daß junge Wagnersänger bald ihre Stimme verschrien haben und
im Mezzoforte und Piano keine runden Töne mehr zustande bringen.
Verdienter
großer Beifall für Sänger und Dirigent, viele Bravos. Ebenso
verdient viele Buhs für die Inszenierung Christoph Nels.
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