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  Regina Berlinghof:
   Iranreise 20.September - 11. Oktober 2008 - Kurzbericht
 
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Im ersten Programm ein Mullah, im zweiten Programm zwei westlich gekleidete Männer in ernster Unterhaltung – auf dem Tisch ein aufgeschlagener Koran. Im dritten Programm wieder ein Mullah, im vierten schweift die Kamera über eine betende Menge, das fünfte zeigt einen Herz-Schmerz-Spielfilm, die Frauen sittsam verhüllt, nur das Gesicht bleibt frei, gut abgeschirmt von allen Kopfhaaren. Das sechste zeigt überraschend die Deutsche Welle, dann folgen CNN und BBC World News. Die nächsten Kanalplätze belegen al-Dschazira, dann wieder Mullahs und auch Militärs, Aufnahmen vom achtjährigen Krieg gegen den Irak, der vor 20 Jahren zu Ende ging. Es ist Ramadan in Teheran. „Das guckt sich hier kein Mensch mehr an!“ schimpft unser Reiseleiter auf die Mullahs, „die bewirken genau das Gegenteil von dem, was sie wollen!“ Später erzählen mir Iraner, dass viele eine Satellitenschüssel in der Wohnung oder auf dem Dach verdeckt installiert haben, mit dem sie das iranische Exilprogramm aus Amerika empfangen können – oder auch das ZDF und RTL und viele andere freie und freizügige Auslandssender. Wird die Satellitenschüssel entdeckt, drohen dem Besitzer Gefängnisstrafen.
Es war völlig absurd. Tagsüber eingetaucht in die Ausgrabungen aus Zeiten von 3000 B.C. bis heute: Tonscherben, Felsreliefs, Säulen und Paläste des Kyros und Dareios, dann die goldenen und blau lasierten Kuppeln der Moscheen, Paläste und Basare, überall große Parkanlagen mit Blumenrabatten und Wasserläufen, die die Iraner sie ungeniert zum Hinlegen, Ausruhen und Picknicken nutzen – sogar zum Zelten während der Pilgermonate oder dem Neujahrsfest Nauruz. Das Wort Paradies kommt ja auch aus dem Persischen ...  – und abends im Hotel-TV eingebettet zwischen den alles dominierenden Mullahkanälen bei CNN und BBC-News die Nachrichten über die Bankenkrise und die Diskussionen zwischen Obama und McCain verfolgt. Die Deutsche Welle blieb übrigens standhaft beim angesagten Programm und strahlte seine hochaktuellen Berichte übers Oktoberfest in München und den deutschen Umweltschutz aus.

Meine Reise in das „Reich des Bösen“ bestand aus zwei Teilen: die ersten zwei Wochen eine Rundfahrt mit Studiosus ins südliche zentrale Hochland zu den Sehenswürdigkeiten des alten achämenidischen und sassanidischen Iran und der nachfolgenden muslimischen Epochen. Die dritte Woche – auf den Spuren Omar Khayyams und seiner Zeit – mit vielen emails über das Teheraner Reisebüro Arg-e-Djadid organisiert, führte mich nach Nishapour und Mashhad ganz im Osten und dann nach Qazvin und zur Assassinenfestung Alamut im Nordwesten. Die Preise für diese „low budget tour“ waren wirklich preisgünstig (Hotel zwischen 30 und 35 Euro, 700 km-Zugfahrt 1. Klasse mit Verpflegung 20 Euro, Rückflug nach Teheran 40 Euro) – dazu bekam ich einen persönlichen Guide für 20 Euro pro Tag. Als mir per email mitgeteilt wurde, dass mein Guide ein Herr Abbas S. sein würde, war ich doch überrascht. Ein männlicher Reiseführer für eine alleinreisende Frau? Und das im sittenstrengen Iran, wo Männlein und Weiblein sich nur im verheirateten Zustand zusammen in der Öffentlichkeit zeigen dürfen? Frau hat sich ja vorher in Reiseberichten und politischen Büchern über den Mullahstaat schlau gemacht und daher von vornherein auf eine Reise allein im Auto verzichtet (Zeitgründe spielten allerdings ebenfalls eine Rolle). Dürfen dort Frauen überhaupt alleine Auto fahren?
Wie sich an Ort und Stelle erweist, steuern in Teheran Frauen durchaus selbständig und allein ein Auto – in Saudi Arabien noch undenkbar! Mein persönlicher Reiseführer hat vierzehn Jahre in Deutschland gelebt und sprach daher ausgezeichnet deutsch. Wir sitzen also im Zug unverheiratet (!) nebeneinander, haben Zimmer im Hotel in Nishapour und später in Qazvin nebeneinander, besichtigen zusammen die Mausoleen und Moscheen, dazu eine Taxifahrt ins Umland von Nishapour, essen abends im Restaurant zusammen. Von der Religionspolizei keine Spur. Abbas selbst hat auch keinerlei Probleme damit, dass ich dann die Rechnung für uns beide öffentlich begleiche – für manchen Araber oder Türken, die länger schon im Westen leben, immer noch eine Peinlichkeit, weil sie dann fürchten, unmännlich zu erscheinen.
Abbas sorgt sich wie eine Glucke um mich. Wir tauschen unsere Handynummern aus. Das ist ja auch vernünftig, sollten wir uns irgendwo verlieren. Aber wenn ich nach dem „Programmteil“ allein losziehen und in den kleinen Geschäften der alten Karawanserei von Nishapour nach ein paar Souvenirs stöbern will, soll ich bei ihm vorher ans Zimmer klopfen und bei der Rückkunft im Hotel ebenso. Ich folge ihm brav – nur war er bei der Abmeldung selbst nicht da, was dann zu einiger Aufregung führte, als er zurückkam und das Mädchen vom Empfang ihm sagte, dass die Deutsche ausgeflogen sei. Er informierte mich zuvor auch, was die Taxifahrt höchstens kosten durfte – 30.000 Rials. Das sind beim Umrechnungskurs von einem Euro gleich 70.000 Rials noch nicht mal 50 Cent. In diesen Kategorien bewegen sich auch die Preise für Obst, Limonaden, Wasserflaschen – auch für die Mahlzeiten in den Restaurants. In den großen Souvenirshops und Basaren von Isfahan und Schiras lohnt sich das Handeln – in dem kleinen Laden in der Karawanserei hatte ich bei den Minipreisen nicht mehr den Nerv dazu. Bei den Taxifahrern brauchte ich nicht einmal zu handeln – sie verlangten die üblichen Preise. Einer war von meinen angelernten Persischbrocken so begeistert, dass er auf den Fahrpreis verzichtete, was ich – hoffentlich ebenso großzügig und nicht undankbar – verweigerte und mit einem extra Trinkgeld belohnte, das er dann auch annahm.

Wenn der Iran je ein von Touristen überlaufenes Land war, dann ist er es heute nicht mehr. Touristengruppen kommen sich selbst bei den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten nicht ins Gehege. Dafür sprechen Taxifahrer, Lebensmittelhändler, Polizisten, Passanten keine westlichen Fremdsprachen (mehr?), nur in ganz wenige Ausnahmen. Kein Deutsch, kein Englisch, kein Französisch. Ich war froh, mir im Selbststudium die allerersten Anfangsgründe des Persischen beigebracht zu haben – die Schrift kannte ich vom Arabischen. Jedesmal war ich erstaunt, wie viele arabische Begriffe (nicht nur religiöse aus dem Koran) Eingang in die persische Sprache gefunden haben. Aber im voraus wusste man nie, welche. Also half das kleine gelbe Wörterbuch. Dafür sprach und schrieb der Reiseleiter der deutschsprachigen Abteilung des Reisebüros perfekt deutsch. Er hatte Germanistik in Teheran studiert – und noch nie in Deutschland gelebt! Die Zulassung zum Studium ist im Iran begrenzt und an jährliche Aufnahmeprüfungen gebunden. Inzwischen studieren mehr Frauen als Männer – auch in den technischen und naturwissenschaftlichen Zweigen. Das große Problem der jungen Leute ist, anschließend Arbeit und bezahlbare Wohnungen zu finden. Der Stoßseufzer vieler Iraner: Hätte ich doch vor zehn Jahren ein Haus oder eine Wohnung gekauft, dann wäre ich jetzt Millionär! Aber ohne Arbeit und Wohnung gibt es keine Hochzeit. Vielleicht ist dies den Mullahs ganz recht – denn die Bevölkerung wächst und wächst. Inzwischen wird sogar die anfangs verteufelte Geburtenplanung (zwei Kinder sind genug!) propagiert. Zur Enttäuschung und zum Verdruß des Vatikan – von dort kam eine Protestnote.

Im Moment werden auch die Kleidungsvorschriften für Frauen nicht überstreng gehandhabt: Heute, rund 30 Jahre nach der islamischen Revolution gegen den Schah, haben sich die Frauen äußerlich ein wenig Freiheit zurückerobert. Es reicht ein Kopftuch oder ein Schal, die oft nur lose und weit hinten aufgesetzt, Kopf und Hals bedecken, aber viel Haar freilassen und manchmal auch den Ansatz eines Ausschnitts erkennen lassen. Der obligatorische „Mantel“, der die weiblichen Reize verhüllen soll, ist bei den jungen Mädchen und Frauen, die meist erstaunlich schlank und schön sind (übrigens auch die Männer), eng tailliert geschnitten und zeigt mehr Figur als manch strengem Mullah lieb sein kann. Einmal im Jahr soll es Razzias auf zu freizügige Kleidung geben – nach einer Woche setzt sich wieder die orientalische Unbekümmertheit und die Freiheitsliebe der Frauen durch. Als Touristin leidet frau natürlich unter dem Zwangsschal oder Kopftuch und den langen Ärmeln der Bluse, die als Mantel dient und beneidet bei mehr als 30 Grad Durchschnittstemperatur tagsüber (am Persischen Golf im alten Susa waren es schlappe 42 °!) heftig die Männer, die das Haar frei tragen und mit kurzen Ärmeln herumlaufen dürfen. Ich habe nach wenigen Tagen meine Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt, trug auch als „Mantel“ eine Bluse mit dreiviertel langen Ärmeln, was mir keine Schwierigkeiten einbrachte. Ich konnte auch allein durch die Straßen und Basare der Städte spazieren, ohne unangenehm bedrängt, angemacht oder gerügt zu werden. In Teheran sah ich oft genug auch junge Pärchen, die Hand in Hand durch die Straßen turtelten – ganz offensichtlich noch nicht im Stand der Ehe. Auch das wird nun toleriert.

Was nicht toleriert wird, bekommt der gemeine Tourist nur im Vorfeld (Frage im Visumantrag: „Waren Sie in Israel?“), im Land ansonsten kaum zu sehen oder zu spüren – weder in der Gruppe noch als Alleinreisende: Die Verfolgung der „ketzerischen“ Bahais, denen dazu eine Zusammenarbeit mit Israel vorgeworfen wird (einer ihrer Religionsgründer liegt seit fast hundert Jahren in Haifa, in Israel begraben – dort ist nun auch das Zentrum der Bahais). Studiosus hatte im Programm zwei Diskussionsstunden zur Religion im Iran vorgesehen: einmal mit einem Priester der Zoroastrier in Isfahan, dann mit einem Ayatollah in Ghom, der „heiligen Stadt“. Dort fragte ich unhöflicherweise nach der verhafteten Bahaiführung („Sicherheitsgründe“) und nach der Fatwa gegen Salman Rushdie („er hat eineinhalb Milliarden Muslime beleidigt!! – Aber der iranische Staat verfolgt die Fatwa nicht mehr.“) Kritik gegen die Gottes- sprich Mullahherrschaft ist nicht erlaubt, Kritiker werden nach wie vor verfolgt, ins Gefängnis geworfen, von Studium und qualifizierter Arbeit ausgeschlossen.
Die (Un-)Freiheit des Internet habe ich nur ganz marginal erfahren, nämlich als ich unterwegs meine Googlemails sichten wollte: Google.com war gesperrt – dafür google.de frei zugänglich, so dass es je nach Art der Verbindung mit den Mails klappte. In einem der großen Hotels hatten es ein paar junge Männer neben mir irgendwie geschafft, ein paar Webseiten aufzureißen, die ihnen höchste Freude bereiteten. Ein Blick auf deren Bildschirm: höchst spärlich bekleidete girls, und die Touristin tat, als ob sie nichts gesehen hätte und kicherte in sich hinein.

Nach der Reise las ich in der Septemberausgabe des New Statesman den Artikel „Inside Iran“, auf den mich eine Freundin aus London hingewiesen hatte. Ich mußte lachen, als der Autor die Kluft zwischen persönlicher Höflichkeit der Iraner beschrieb und ihrer mörderischen Fahrweise. Er hat hundertprozent Recht. Ich habe die Iraner als offen, freundlich, nie aufdringlich und immer hilfsbereit erlebt. Aber der Straßenverkehr ist für unsereins (und auch für Exiliraner!) der reine Horror. Es herrscht das Gesetz des Stärkeren – Darwin pur. Teheran mit seinen geschätzten 14-16 Mio Einwohnern erinnerte mich mit seinen Schnellstraßen (expressways) an Los Angeles, nur beachten die Iraner keinerlei Spurmarkierungen. Sie fahren nicht nur Stoßstange an Stoßstange, sondern auch längs im Zentimeterabstand, alles in atemberaubendem Tempo. Als ich zu Fuß die breiten und stark befahrenen Straßen überqueren wollte, hoffte ich auf grüne Ampeln vergeblich. Es gibt sie zwar, aber die Autos fahren unbeeindruckt weiter. Und dann kommen die Linksabbieger - dreispurig, und frau kämpft sich mühsam von Spur zu Spur durch. Einmal half glücklicherweise ein Passant und lotste mich zwischen den Autos zum sicheren Bürgersteig. Aber auch der ist nicht sicher, denn die Mopeds fahren immer und überall - auch auf den Gehwegen. Zebrastreifen sind schöne Muster, aber kein Grund zum Bremsen. Allein Bremshügel quer zur Fahrbahn bringen die Iraner zum Verlangsamen des Tempos, denn sie wollen die Achsen ihrer Autos schonen. Danach geht es mit Vollgas weiter. Auch ein Grund für den braunen Smog, der über Teheran liegt und der ebenfalls an L.A. erinnert - wie auch im Oktober die kahlen, braun gefärbten Berge ringsum.

Die Mullahs, die nicht sonderlich beliebt sind, haben immerhin für eine gute Infrastruktur gesorgt. Es gibt ausgezeichnete Autobahn- und Zugverbindungen, in den Großstädten werden U-Bahnen gebaut. Die "kleineren" Städte wie Hamadan, Schiras, Ahvaz, Isfahan, Yazd, Mashhad sind alles Millionenstädte (2-5 Mio!). Es gibt ärmere Viertel - aber Slums habe ich nirgendwo gesehen. Im letzten Dorf gibt es Elektrizität. Wenn ich nun davon berichte, komme ich mir nicht selten vor wie die Leute, die immer sagten, "aber Hitler hat doch auch die Autobahnen gebaut!"

Die Unbill, die man als Touristin erdulden muß – wie die verrückten Autofahrer oder die frauenfeindlichen Kleidervorschriften –, wird mehr als wettgemacht durch die Herzlichkeit und Offenheit der Menschen in der persönlichen Begegnung. Die Iraner, mit denen ich unterwegs oder im Flugzeug sprechen konnte, liebten weder das Mullahregime noch weinten sie dem Schah eine Träne nach. Ihren Präsidenten Ahmadinedschad nannten sie einen Irren. Aber das Recht auf eigene Atomkraft verteidigten sie alle. Zu oft, zu rücksichtslos und zu selbstsüchtig haben sich bis in die jüngste Zeit fremde Großmächte in die ureigensten Belange der Perser eingemischt. Das macht empfindlich. „Wenn Chatami bei den nächsten Wahlen wieder als Präsident kandidiert, wird er garantiert gewählt.“ Sollte also nächstes Jahr im Iran wie in den USA ein vernunftgesteuerter Präsident an die Macht kommen, könnte es doch noch Hoffnung auf einen gemeinsamen Dialog und ein friedliches Miteinander mit dem Iran geben.

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Stand: 1. Dezember 2008

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