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22.3.2001


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Um Kopf und Kragen schreiben

Vom Lehren komischer Texte und vom Scheitern eines durchhaltenden Dozenten
Bereits am ersten Abend dachte der Dozent, jetzt werde er ihn sagen, den Satz, den entscheidenden und einzig richtigen, den wichtigen, unerlässlichen Satz: "Es gibt zu viele Leute, die schreiben." Allein, besann er sich, damit wäre zwar einiges gerettet, er selbst wäre gerettet, aber der größte Batzen des Honorars wäre verloren. Also hielt er durch, zweieinhalb Tage. 

In einer trivialen deutschen Stadt war er gelandet, und lehren sollte er, was zu beherrschen jahrelanges Üben erfordert: das Verfassen komischer Literatur. Das Leichte ist das Schwere, erklärte der Dozent den Teilnehmern des Seminars "Satire, Glosse, Sprachwitz" einleitend, doch sie hörten nicht; sie vernahmen nicht die vorsichtige Mahnung, das eigene Wort nicht ab ovo für ein geoffenbartes Wort und die eigene Person nicht für ein schriftstellerndes Genie, ein Schriftstellergenie zu halten. Sie wollten nichts vernehmen. 

Darob versuchte es der Dozent aus einer anderen Perspektive. Er legte dar, dass es kein Lehrbuch über das Erstellen heller, schneller, pointierter, lustiger Texte gebe, dass es gar vorderhand ein nicht ganz einfaches Unterfangen sei, Gattungen und Tonfälle des uneigentlichen Redens zu scheiden. Angeraten sei es, fuhr der engagierte Dozent fort, den Kanon zu erkunden, bevor man beschließe, ein Satiriker zu werden. Daran bestand indes nicht das verbreitetste Interesse.

Das erkannte der Dozent zu spät. Er ließ eine Glosse des Karl Kraus, ein Gedicht Bernsteins, eine Polemik Henscheids erörtern, und die Frage war bald wesentlich bloß, wann die Gruppe dieser "Kreativen Schreibwerkstatt" die eingereichten Beiträge, die höchsteigenen Poeme und Geschichten diskutiere. 

Der Dozent "hatte sich entschlossen, bis zum Schluss populär zu sein" (Dostojewski, "Eine dumme Geschichte"), und kam dem Ansinnen nach. Augenblicklich entstand ein fiebriger Disput, der rasch eher einem Austausch nicht recht garer und klarer Ansichten glich. Nun, die Wahrheit sei eben, deutete der Dozent das zusehends wildere Geschmarre: Auf sechs Kluge treffen vierundzwanzig Esel. "Überhaupt hatte er schon aufgehört zu denken." (Dostojewski) 

Der Dozent lauschte den "umfassendsten Räsonnaden" (Dostojewski) darüber, was komisch sei, und bemerkte bisweilen, das alles sei durchaus insgesamt nicht sehr komisch. "Los, führen Sie uns ein Wortspiel vor!", warf deshalb einer der eitlen Gecken ein, und ein zweiter frech ignoranter Narr wünschte, eine Regel "zum Lachen" formuliert zu bekommen. 

"Anleitung zum Lachen, da kann man nichts machen", resignierte der Dozent und empfand etwas Mitleid mit den autistisch bemühten Autoren, die ja vielfach, so beteuerten sie, etliche "Romane, Novellen und Erzählungsbände" vorzuweisen hatten. Gleichwohl, in dieses Gewäsch in diesen zweieinhalb Tagen in dieser nicht maßgeblichen deutschen Stadt einen Gedanken hineinzubringen, das schien dem Dozenten, in grantige Gedanken "oder eigentlich in eine Rotation der Gedanken" (Dostojewski) versunken, jenseits des schlechthin Denkbaren. 

Das Beruhigende ist, überlegte der völlig erledigte Dozent am Ende seiner Lehrtätigkeit, dass sie auch künftig vor lauter Schreiben nichts lesen werden. Darauf schwor er Kopf und Kragen. Und tippte sich daheim um Stein und Bein. Die Pointe stand zuerst: "Habe durchgehalten!" 

JÜRGEN ROTH

taz Nr. 6403 vom 22.3.2001, Seite 20, 112 Kommentar, JÜRGEN ROTH, in taz-Ffm: S.28 * in taz-Bremen, -Hamburg: S.24 * Glosse

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LeserInnen-Kommentare
7 Beiträge
Jürgen Roths Artikel vom 22.3.01 - Um Kopf und Kragen schreiben (Regina Berlinghof 26.03.01 18:11)
Jürgen Roth (barbara Ludwig 24.03.01 15:28)
Glosse "Um Kopf und Kragen schreiben" von Jürgen Roth (Regina Schreiner 24.03.01 09:10)

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