Um Kopf und Kragen schreiben
Vom Lehren komischer Texte und vom Scheitern eines durchhaltenden Dozenten
Bereits am ersten Abend dachte der Dozent, jetzt werde er ihn sagen, den
Satz, den entscheidenden und einzig richtigen, den wichtigen, unerlässlichen
Satz: "Es gibt zu viele Leute, die schreiben." Allein, besann er sich,
damit wäre zwar einiges gerettet, er selbst wäre gerettet, aber
der größte Batzen des Honorars wäre verloren. Also hielt
er durch, zweieinhalb Tage.
In einer trivialen deutschen Stadt war er gelandet, und lehren sollte
er, was zu beherrschen jahrelanges Üben erfordert: das Verfassen komischer
Literatur. Das Leichte ist das Schwere, erklärte der Dozent den Teilnehmern
des Seminars "Satire, Glosse, Sprachwitz" einleitend, doch sie hörten
nicht; sie vernahmen nicht die vorsichtige Mahnung, das eigene Wort nicht
ab ovo für ein geoffenbartes Wort und die eigene Person nicht für
ein schriftstellerndes Genie, ein Schriftstellergenie zu halten. Sie wollten
nichts vernehmen.
Darob versuchte es der Dozent aus einer anderen Perspektive. Er legte
dar, dass es kein Lehrbuch über das Erstellen heller, schneller, pointierter,
lustiger Texte gebe, dass es gar vorderhand ein nicht ganz einfaches Unterfangen
sei, Gattungen und Tonfälle des uneigentlichen Redens zu scheiden.
Angeraten sei es, fuhr der engagierte Dozent fort, den Kanon zu erkunden,
bevor man beschließe, ein Satiriker zu werden. Daran bestand indes
nicht das verbreitetste Interesse.
Das erkannte der Dozent zu spät. Er ließ eine Glosse des
Karl Kraus, ein Gedicht Bernsteins, eine Polemik Henscheids erörtern,
und die Frage war bald wesentlich bloß, wann die Gruppe dieser "Kreativen
Schreibwerkstatt" die eingereichten Beiträge, die höchsteigenen
Poeme und Geschichten diskutiere.
Der Dozent "hatte sich entschlossen, bis zum Schluss populär zu
sein" (Dostojewski, "Eine dumme Geschichte"), und kam dem Ansinnen nach.
Augenblicklich entstand ein fiebriger Disput, der rasch eher einem Austausch
nicht recht garer und klarer Ansichten glich. Nun, die Wahrheit sei eben,
deutete der Dozent das zusehends wildere Geschmarre: Auf sechs Kluge treffen
vierundzwanzig Esel. "Überhaupt hatte er schon aufgehört zu denken."
(Dostojewski)
Der Dozent lauschte den "umfassendsten Räsonnaden" (Dostojewski)
darüber, was komisch sei, und bemerkte bisweilen, das alles sei durchaus
insgesamt nicht sehr komisch. "Los, führen Sie uns ein Wortspiel vor!",
warf deshalb einer der eitlen Gecken ein, und ein zweiter frech ignoranter
Narr wünschte, eine Regel "zum Lachen" formuliert zu bekommen.
"Anleitung zum Lachen, da kann man nichts machen", resignierte der Dozent
und empfand etwas Mitleid mit den autistisch bemühten Autoren, die
ja vielfach, so beteuerten sie, etliche "Romane, Novellen und Erzählungsbände"
vorzuweisen hatten. Gleichwohl, in dieses Gewäsch in diesen zweieinhalb
Tagen in dieser nicht maßgeblichen deutschen Stadt einen Gedanken
hineinzubringen, das schien dem Dozenten, in grantige Gedanken "oder eigentlich
in eine Rotation der Gedanken" (Dostojewski) versunken, jenseits des schlechthin
Denkbaren.
Das Beruhigende ist, überlegte der völlig erledigte Dozent
am Ende seiner Lehrtätigkeit, dass sie auch künftig vor lauter
Schreiben nichts lesen werden. Darauf schwor er Kopf und Kragen. Und tippte
sich daheim um Stein und Bein. Die Pointe stand zuerst: "Habe durchgehalten!"
JÜRGEN ROTH
taz Nr. 6403 vom 22.3.2001, Seite 20, 112 Kommentar, JÜRGEN
ROTH, in taz-Ffm: S.28 * in taz-Bremen, -Hamburg: S.24 * Glosse
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LeserInnen-Kommentare
7 Beiträge
Jürgen
Roths Artikel vom 22.3.01 - Um Kopf und Kragen schreiben (Regina Berlinghof
26.03.01 18:11)
Jürgen
Roth (barbara Ludwig 24.03.01 15:28)
Glosse
"Um Kopf und Kragen schreiben" von Jürgen Roth (Regina Schreiner
24.03.01 09:10)
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