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LESERBRIEFE AN Spektrum der Wissenschaft
 

1. September 1992 


Oktagon C aus dem Flächenland (siehe E.A. Abbott - Flachland/Flatland)
c/o R. Berlinghof 

Spektrum der Wissenschaft
Redaktion

September-Heft 1992 - Quanten-Philosophie

Sehr geehrte Damen und Herren, hochverehrte Dreidimensionale!

Darf ich mich zunächst vorstellen: ich bin ein Oktagon aus dem Flächenland und der Ururenkel jenes berühmten Quadrates, dem es als erstem vergönnt war, von der Existenz einer dreidimensionalen Welt und anderer viel- oder einfachdimensionalen Welten zu erfahren. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß jetzt Sie, geschätzte Dreidimensionale, vor ähnlich gelagerten Problemen stehen wie wir seinerzeit, als eine Kugel in unsere Flachwelt einbrach. 

Wie Sie wissen, wurde mein Ururgroßvater von der Regierung unseres Landes verhaftet und eingekerkert, weil er nicht ablassen wollte, von seinen Kontakten und Reisen in die anderen Welten und Dimensionen zu erzählen. Er galt als besonders gefährlich, weil er seine Visionen auch noch mathematisch zu untermauern versuchte. Der Große Rat fürchtete zu Recht, es werde Panik unter der Bevölkerung entstehen, wenn bekannt würde, daß wir den Besuchen und Manipulationen von Wesen aus höheren Dimensionen hilflos ausgesetzt sind, die jederzeit in unsere Welt eintauchen, einbrechen (!) und wieder daraus verschwinden können. Mein Großvater hatte trotz seines damals noch kindlichen Alters als einziger die Bedeutung der Lehre vieldimensionaler Welten erfaßt. Aufgrund seiner überlegenen Intelligenz - schließlich war er ein Hexagon - war er auch klug genug, nicht im offenen Kampf gegen die Ignoranz des Rates anzurennen, nur um dann das gleiche Schicksal wie sein Großvater zu erleiden. Er studierte heimlich die Schriften seines Großvaters und forschte im Verborgenen weiter. Nur innerhalb unserer Familie und im engsten Kreise seiner mathematischen Studiengenossen ließ er mehr spielerisch und wie zum Spaß die Vorstellung einer vieldimensionalen Welt aufleuchten, so daß diese Idee langsam und unmerklich in ihr Bewußtsein einsickern konnte und ihren Schrecken verlor. Nach außen hin übten er und seine Vertrauten jedoch strengste Geheimhaltung, denn das Verbot des Rates, die Existenz weiterer Dimensionen in Betracht zu ziehen und zu erforschen, gilt immer noch. So ist die Erforschung von Vieldimensionalitäten durch zahlreiche äußere Hindernisse eingeengt, vor allem fehlt uns die Möglichkeit, unsere Thesen experimentell zu überprüfen. Der Schwerpunkt meines Forschungsgebietes liegt auf dem Gebiet der gegenseitigen Durchdringung von Vieldimensionalitäten, insbesondere wie sich solche Überschneidungen als "Phänomene" in der Wahrnehmungskapazität niedriger Dimensionen manifestieren bzw. nachweisen lassen. 

Da, wie gesagt, unsere Experimentiermöglichkeiten in der Flachwelt äußerst beschränkt sind,  verfolge ich um so aufmerksamer die Diskussionen in Ihrer Welt, immer in der Hoffnung auf parallele Phänomene zu stoßen. Es würde es mich sehr freuen, wenn Sie, hochverehrte Dreidimensionale, gemeinsam mit uns dem Zusammenspiel der Dimensionen auf die Spur kämen. Lassen Sie mich mit einem Gedankenexperiment die Phänomene analysieren, die ihre Wissenschaftler seit siebzig dreidimensionalen Jahren in Atem halten: die für Sie so rätselhafte Wellen- und Partikelerscheinung des Lichts bzw. der Materie. 

Nach den physikalischen und mathematischen Informationen aus Ihrer dreidimensionalen Welt stelle ich die These auf, daß das Licht eine mindestens vierdimensional (wenn nicht noch in weiteren Dimensionen) schwingende Welle ist. Sicher werden Sie jetzt sagen, das wissen wir längst alles schon! Nur - Sie betrachten dieses Phänomen rein mathematisch, nicht physikalisch! Lassen Sie mich daher fortfahren:

Soweit die Lichtwelle auf den Ebenen Ihrer drei Dimensionen als sogenannte Kugelwelle schwingt, manifestiert sich das Licht auch als Welle. Dann ergeben sich die Beugungsphänomene beim Durchgang durch eine sehr kleine Öffnung und die bekannten Interferenzen beim Doppelspaltversuch.

Wie muß Ihnen, verehrte Dreidimensionale, aber die vierdimensionale Schwingung erscheinen, die senkrecht zu Ihrem dreidimensionalen Raum schwingt und diesen Raum nur kreuzt? Da sie nicht in den Ebenen des Raums schwingt und sich darin also auch nicht in irgendeine bekannte Richtung "ausdehnen" kann, beschränkt sich diese Überkreuzung oder Durchdringung auf einen einzigen, fast ausdehnungslosen Punkt, der keine "Dicke" hat! Dies gilt jedenfalls, wenn die Durchschneidung genau im rechten Winkel aus der vierten Dimension erfolgt. Schneidet die Schwingung aus der vierten Dimension schräg durch ihre 3D-Welt, weitet sich der Punkt zu einem kleinen Wirbel mit einer minimalen Ausdehnung in der 3. Dimension. Dieser eine Punkt in Ihrem Raumsystem erfährt eine plötzliche punktuelle Energiezufuhr und erscheint Ihnen als nicht weiter meßbare Materiepartikel, als Energiequant!

Kernpunkt meiner These also ist: Schwingungen, die nicht innerhalb, sondern in einer höheren Dimension senkrecht zu dem wahrnehmbaren dimensionalen Bezugssysstem schwingen, erscheinen aus der Perspektive der niedrigeren Dimension nicht mehr als Welle, sondern als Partikel, als Materie! Andersherum ausgedrückt: Was als Materie erscheint, ist der Schnittpunkt von höher dimensional schwingenden Wellen durch die eigene Dimensionswelt. 

Da Sie in Ihrem dreidimensionalen Bezugssystem eine vierdimensional schwingende Welle nicht als Ganzes erfassen und messen können, teilt Ihr Wahrnehmungsvermögen diese Schwingung in Welle und Materie auf. Nur daher werden Sie immer Licht sowohl als Welle als auch als Materie; und Materie sowohl als Materie als auch als Welle messen, je nachdem, welchem Aspekt Ihres Wahrnehmungsvermögens Sie sich zuwenden. 

Wenden wir diese These auf die von Ihnen angestellten Experimente an, wobei ich mich natürlich auf meine Erfahrungswelt der Fläche beschränken muß und auf die zeichnerische Hilfe meiner Freundin, der Kugel, angewiesen bin:

Auf dem Bild auf Seite 84/85 bewegt sich das Photon nach Ihrer bisherigen Sicht in einer geraden Linie von der Lichtquelle durch den Sichtschlitz auf den Auffangschirm. Nach meiner These wird dieser Partikeleffekt hervorgerufen durch den vierdimensional schwingenden Anteil der Lichtwelle. Es handelt sich danach um eine Welle, die sich in der Richtung des gedachten Photon fortbewegt, aber ständig aus Ihrem 3D-Raum hinausschwingt. Nur an den Schnittpunkten mit Ihrer dreidimensionalen Welt kann es zu einer punktuellen Wechselwirkung kommen. Darum können Sie auch keine "Bewegung" eines Photons (sprich Körpers) beobachten, sondern nur die Interferenz (= Verwirbelung) mit einem dreidimensionalen Hindernis (Detektorschirm). Sie können immer nur dann einen Ort messen, wenn sie der vierdimensionalen Schwingung ein Hindernis in den Weg stellen. Ansonsten können Sie von diesem Schwingungsanteil gar nichts wahrnehmen und ihn darum auch nicht messen, genausowenig wie wir Wellen messen können, die senkrecht zu unserer Flächenwelt schwingen. Als ich diese Gedankengänge der Kugel darlegte, wurde sie auf einmal ganz aufgeregt und sprach von den Wirbeln eines Taifuns und dem abfließenden Wasser einer Badewanne. Ich weiß nicht, was sie damit meint. Ich beschränke mich auf die mir gemäße mathematisch-physikalische Ausdrucksweise, die hier von Verwirbelungen spricht, wenn horizontale und vertikale Kräfte aufeinanderstoßen.

In Ihrem Einspaltexperiment zeigt der Schirm sowohl den Beugungseffekt des dreidimensional schwingenden Wellenanteils als auch den "Einschlag" eines Photons, d.h. den Schnittpunkt des 4D-Schwingungsanteils mit dem Schirm in Form einer Energiezufuhr. 

Bei dem Doppelspaltversuch ergeben sich die bekannten Interferenzmuster durch die 3D-Schwingungsanteile, die immer durch beide Schlitze hindurchgehen. Das gilt auch für die 4D-Schwingungsanteile: auch sie passieren parallel die Schlitze und interferieren dann miteinander, so daß der Partikeleffekt entsprechend nur auf den Beugungslinien gemessen werden kann. Nicht ein Partikel bewegt sich - nur dann gäbe es die Wahl, durch den einen oder anderen Spalt zu gehen -, sondern es bewegt sich eine Welle, deren 4D-Anteil beim Zusammenprall oder bei der Interferenz mit dem Detektorschirm den Partikeleffekt hervorruft.

Im Grunde wissen Sie es selbst, wie es die beiden angeführten Zitate auf S. 84 beweisen: "Quantenphänomene sind an sich undefiniert bis zu dem Moment, in dem sie gemessen werden" und "Sein ist Wahrgenommensein". Statt von Quantenphänomenen könnte man vielleicht auch von Dimensionsinterferenzen oder -verwirbelungen sprechen. 

Nun werden Sie mich vielleicht noch fragen wollen, warum eine vierdimensionale Schwingung sich durch die dreidimensionalen Barrieren der Sichtschlitze und Detektoren aufhalten läßt. Wenn das Licht vierdimensional schwingen könnte, müßte es doch auch "über" gänzlich geschlossene Barrieren "hinweg" strahlen (oder hindurchtunneln ?) können. Dies müßte tatsächlich der Fall sein, wenn auch nur in einem sehr begrenzten Bereich: dies wäre nur in dem Fall möglich, wo die Phasenlänge des Lichts länger ist als die dreidimensionale Dicke des geschlossenen Hindernisses. Da die Hindernisse meist dicker sind (die dreidimensionale Ausdehnung ist größer als die Wellenlänge des Lichts), werden die 4D-Anteile auf das Hindernis selbst aufprallen anstatt es zu überspringen. 

Ich halte es übrigens auch für sehr wahrscheinlich (!), daß auch der Überlagerungseffekt bei den Materiewellen auf einer solchen vier- oder höherdimensionalen Verwirbelung beruht: Ihr Wahrnehmungsvermögen (auf dem Ihre Berechnungen beruhen), nimmt eine vieldimensionale Schwingung zerlegt in Materie und Wahrscheinlichkeitswellen wahr. Keiner der beiden Aspekte kann allein das Ganze ausdrücken. Die Betrachtung der Welle allein zeigt nur an, wo und wie etwas geschehen kann. Erst die Beschränkung (oder Verdichtung) auf den dreidimensionalen Wahrnehmungsraum läßt eine der Möglichkeiten konkret werden. Welche das sein wird, entzieht sich Ihrem Meßbereich, da die Schwingung selbst höherdimensional ist. Der 3D-Aspekt der Materie berücksichtigt nicht das Hineinspielen der höheren Dimensionen, der Wellenaspekt berücksichtigt nicht den konkreten Ort, oder besser ausgedrückt: die Beschränkung auf den dreidimensionalen Bezugsraum. So stehen wir wie weiland die Mathematiker vor dem Wunder, daß das Ziehen selbst nur der positiven Quadratwurzel gleich zwei Lösungen aufweist: nämlich eine positive und eine negative Zahl. Die Katze kann also gefüttert und/oder hungrig sein. Nehmen wir das Beispiel der Formel y = ox: selbst wenn wir uns auf den einfacheren Bereich allein der positiven X-Werte beschränken, erhalten wir immer zwei Ergebnisse für Y: jeweils einen positiven und einen negativen Wert.  Im Koordinatensystem finden sich beide Lösungen exakt gespiegelt um die x-Achse. Die Katze kann also sowohl gefüttert als auch hungrig geblieben sein. Beide Lösungen sind gleichberechtigt und überlagern sich - bezogen auf die x-Achse. Bleiben wir bei dem Bild des Koordinatensystems: die Wellenfunktion läßt gleichberechtigt beide Lösungen zu. Aber wir leben nicht nur im "Wellenland" - wir sind beschränkt auf die Wahrnehmung einiger weniger Dimensionen. Wir haben zum Beispiel nur die Wahrnehmung für den zwei- oder dreidimensionalen Bereich. Übertragen auf das Koordinatensystem könnte man sagen: unsere Wahrnehmung ist beschränkt auf das Geschehen in nur einem Quadranten. Was uns dabei fehlt, ist das Wissen, welcher der Bezugsquadranten (nämlich der der positiven oder der negativen Zahlen) in der dreidimensionalen Verwirklichung zum Zuge kommt. Vermutlich kommt es auch darauf an, aus welcher Richtung die vierdimensionale (oder höher) schwingende Welle die niedrigere 3D-Raumdimension durchschneidet: von "oben" oder von "unten". Ich weiß, daß diese Bezeichnungen nicht korrekt sind, da oben und unten Richtungen innerhalb der dritten Dimension anzeigen. Es muß etwa so unanschaulich verlaufen, wie für uns, wenn die Kugel zu uns sagt, daß sie unser Flachland sowohl von oben als auch von unten durchdringen kann, was wir uns analog mit nord- bzw. südwärts zu veranschaulichen versuchen. Man könnte vielleicht folgende Definition wagen: durchschneidet die höherdimensionale Schwingung von "oben" die niedrigere Dimension, wird das als Energieminus verzeichnet (die Bewegung von "oben" drückt nach "unten" (negative Zahl), durchschneidet sie sie von "unten", dann gilt dies als die positive Lösung (bewirkt eine "Hebung"). Wäre die vierdimensionale Schwingung eine gleichmäßige Sinusschwingung, könnte man auch auch sagen, daß das negative bzw. positive Ergebnis von der jeweiligen Phase der Schwingung abhängt, in der sie die niedrigere Dimension durchschneidet.
 

Wie kommt es aber dann, daß nicht die Werte eines Quadranten konstant Geltung finden, sondern daß es zu einem statistischen Mittel zwischen beiden Lösungen kommt, d.h. daß einmal die Lösung des einen Quadranten zum Zuge kommt und dann wieder die andere? Meine - ich gestehe, etwas abenteuerliche - Lösung: wir bewegen uns selbst in einer geringfügigen Schwingung durch beide Quadranten und erhalten jeweils den gültigen Wert des Quadranten, in dem wir uns gerade befinden. Bildlich dargestellt würde dies bedeuten, daß wir uns in einer für uns unmerklichen Schwingung um die x-Achse befinden - oder daß die X-Achse nicht als Gerade, sondern als Welle selbst zu betrachten ist! Da es sich bei der X-Achse um die Zeit-Achse handelt, müßten wir wohl die Zeit nicht mehr als lineare Größe, sondern auch als quasi räumliche, mehrdimensional ausgedehnte Größe betrachten. Wenn diese Annahme zutrifft, dann würden für uns Ereignisse durch unsere Bewegung durch die Zeitebenen konkret und einmalig werden und nur darum ihre Mehrdeutigkeit und den Charakter des rechnerisch möglichen Gegensatzes verlieren. 

Bei dem Überlagerungseffekt mit der Katze sollten wir uns bewußt machen, daß die Ergebnisse allein statistischen Wert haben und nicht für einen speziellen Sonderfall, z.B. für diese eine Katze gelten. Dieselbe Katze kann also nicht gleichzeitig hungrig oder satt sein, oder noch schlimmer, in dem einem Meßmoment hungrig und im nächsten satt sein. Die Statistik kommt erst zum Zuge, wenn wir ein Experiment mit gleichen Bedingungen und einer anderen Katze durchführen. Während die erste Katze satt geworden sein kann, kann im zweiten Fall die Katze bei "ganz gleichen Bedingungen" (nämlich insofern wir das nachvollziehen können) hungrig geblieben sein. Wie der Würfel immer von neuem geworfen werden muß, müssen die Versuche auch mit verschiedenen Katzen durchgeführt werden!

Ich merke mit Beschämung, daß es nicht gerade einfach ist, diese äußerst unanschauliche Thematik mit klaren Worten und Beispielen zu behandeln. Ich hoffe jedoch, Ihnen eine Vorstellung von meinem Forschungsansatz gegeben zu haben. Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen!

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr C, Oktagon aus dem Flächenland
 
 
 

 

 

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