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NICHT ABGDRUCKTER LESERBRIEF AN DIE
FAZ
5. Mai 1998
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Redaktion Leserbriefe
Ihre Glosse: Wunderkind des digitalen Zeitalters (Bill Gates)
vom 30.4.1998
Sehr geehrte Damen und Herren,
Nehmen wir doch einmal an, die Geschichte des motorisierten Verkehrs
wäre eine Spur anders verlaufen als in Wirklichkeit:
Nehmen wir an, ein junger Geschäftsmann namens Willi Zollgeld,
Besitzer einer kleinen Firma namens Mikroservice, hätte schon im vorigen
Jahrhundert die geniale Idee gehabt, alle Straßen der Welt mit einem
geteerten Überzug zu versehen, damit die Automobile der Firmen Daimler,
Maybach und Benz leichter darüberrollen könnten. Mikroservice
ließ sich diese Idee nicht nur patentieren, sondern verschaffte sich
auch die Lizenz, das ganze Verkehrsnetz in Deutschland und weltweit mit
diesem Teerbezug gegen eine kleine Mautgebühr aller motorisierter
Benutzer zu modernisieren. Jeder Auto-, Motorrad- und Lkwhersteller muß
seitdem für die Nutzung der Straßen eine Gebühr an die
Firma Mikroservice zahlen.
Willi Zollgeld und Mikroservice gaben sich bald nicht mehr damit zufrieden,
die vorhandenen Straßen mit dem Teerbelag zu überziehen. Mikroservice
baute auch neue Straßen und Verbindungswege. Außerdem erweiterte
die Firma ihren Geschäftsbereich und bot als Spediteur ihre Dienste
an. Das gefiel den Spediteuren am Markt überhaupt nicht. Nicht nur,
daß ihnen neue Konkurrenz ins Haus stand: sie mußten für
die Benutzung der Straßen eine Gebühr ausgerechnet an diesen
neuen Mitbewerber zahlen. Bei jedem Transportauftrag, den sie ergatterten,
verdiente ihr Konkurrent zwangsläufig mit! Immer häufiger geschah
es dann, daß die Autos und Lkws von Mikroservice schneller und pünktlicher
am Ziel waren als die Wagen der übrigen Spediteure. Diese beschuldigten
Willi Zollgeld und Mikroservice, der eigenen Speditionsabteilung vorab
Insiderinformationen über Planung und Bau neuer Straßen zu geben
und den Wettbewerbern wichtige Informationen vorzuenthalten. Beim Bau neuer
Verbindungsstraßen könnten die Autos von Mikroservice außerdem
bereits vor Freigabe an die Allgemeinheit nachts im Schutze der Dunkelheit
die neuen gänzlich leeren Straßen benutzen. Da Mikroservice
die neuen Straßen unter strenger Geheimhaltung baute, ließen
sich diese Vorwürfe nicht beweisen.
Tatsache jedoch war, daß Mikroservice der Reihe nach einen Konkurrenten
im Speditionsgeschäft nach dem anderen ausschaltete: erst die 123Spedition,
die ihren Maschinenpark nicht in dem Tempo wie Mikroservice austauschen
und erneuern konnte, dann Transportbase, das im Schwergutbereich Marktführer
war, aber mit seinen GroßraumLkws die neu gebauten schmalen Straßen
nicht mehr durchfahren konnte und immer öfter außen vor bleiben
mußte.
Als Mikroservice auch die alleinigen Rechte für Serviceleistungen
im Luftraum erlangte, nämlich Bau und Wartung der Flughäfen,
Lotsendienste usw., stürzten die Frachtflugzeuge der Mikroservicekonkurrenten
leider öfters ab. Außerdem gab es unerklärliche Verzögerungen
bei Starts und Landungen. Der letzte große Mitbewerber von Mikroservice
im Bereich der Massengutversendung, SpeditionPerfect, verlor auf diese
Weise das Vertrauen der Kunden und fliegt seitdem nur noch am Rande mit.
Inzwischen zahlt jeder, der ein Paket versendet, jeder der selbst ein
Auto oder sonst eine Ware kauft, eine Lizenzgebühr an Mikroservice,
auch wenn dies den meisten Menschen gar nicht bewußt ist. Jeder Spediteur
muß an Mikroservice Lizenzgebühren abführen, damit seine
Autos überhaupt die Straßen und Wege zu den Kunden benutzen
dürfen. Bei jedem Transport, bei jeder Autofahrt verdient also Mikroservice
- unabhängig davon, ob der eigene Speditionsfuhrpark beteiligt ist
oder nicht. Nur auf den freien Weltmeeren und in der Binnenschiffahrt gibt
es noch andere Service- und Transportunternehmen, hauptsächlich im
Großcontainerverkehr. Und es gibt noch den freien Raum im Cyberspace,
wo eine kleine kluge Firma namens Netzkap alle Serviceleistungen zur großen
Zufriedenheit ihrer Kunden anbietet.
Willi Zollgeld belächelte diese Spielwiese des Cyberspace, wachte
dann aber sehr schnell auf, als er merkte, daß sich selbst im abgehobenen
Weltraum Geschäfte abwickeln ließen. Damit diese in Zukunft
durch die Schleusen seiner Firma liefen, bot er seine neuen Straßenserviceleistungen
als Komplettpaket inclusive seines Cyberspaceservice an. Da Mikroservice
aufgrund der Lizenzeinkünfte im Straßen- und Luftverkehr dies
gegenüber seinen Großkunden sehr viel billiger anbieten kann
als Netzkap, ist das Ende dieser Firma abzusehen.
Sie meinen, eine solche Entwicklung hätten die Kartellbehörden
in Wirklichkeit niemals zugelassen? Sie meinen, in Wirklichkeit hätte
es einen Aufschrei der Öffentlichkeit und aller verantwortlichen Politiker
und Wirtschaftsführer gegeben? Vielleicht, wenn es wirklich um die
Geschichte des Straßenverkehrs gegangen wäre. Aber solange Journalisten
und Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft nicht zwischen einem
Betriebssystem und einem Anwendungsprogramm unterscheiden können,
weil sie sich weigern, in die Niederungen des Computerwesen hinunterzusteigen
und dies lieber ihren Sekretärinnen und Assistenten überlassen,
solange können Bill Gates und Microsoft die Mär von bösen
Konkurrenten und Neidern verbreiten, um das einzigartige Monopol dieser
Firma zu wahren. Als PC-Benutzerin seit zwölf Jahren und beruflich
im EDV-Sektor tätig, habe ich erlebt, wie Microsoft über seine
Marktmacht als Beinahemonopolist im Bereich Betriebssysteme (DOS und Windows)
seine Mitbewerber im Bereich der Anwendungssoftware an die Wand drückte.
Das führende Datenbankprogramm dBase wurde von Microsoft Access verdrängt,
das ebenso führende Lotus123 im Bereich der Tabellenkalkulation von
Microsoft Excel, das benutzerfreundliche Textprogramm WordPerfect von Microsoft
WinWord. Jetzt kämpft der Webbrowser Netscape gegen das Imperium Microsoft,
das seinen Internetexplorer "kostenlos" in sein Windowsbetriebssystem einbindet.
Als nächstes dürfte der Netzwerkmarktführer Novell ins Visier
der Verdrängungsstrategien von Microsoft geraten, denn Microsoft pusht
mit seiner ganzen geballten Finanz- und Marktmacht seine Netzwerksoftware
NT in die Firmenetagen.
Kein Märchen – blanke Wirklichkeit!
Mit freundlichen Grüßen,
Regina Berlinghof

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