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NICHT ABGDRUCKTER LESERBRIEF AN DIE
FAZ
8. November 1997
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Redaktion Leserbriefe zu Heinz-Joachim Fischers Leitartikel: "Man hat die Wahl" vom 8.11.1997 Sehr geehrte Damen und Herren, in Sachen Religion ist es immer noch üblich, den religiös Interessierten die lebenden oder toten Glaubensrichtungen zu präsentieren, wie es Heinz-Joachim Fischer in seinem Leitartikel vom 8.11.1997 getan hat. „Man hat die Wahl“ zwischen den Buchreligionen Christentum, Judentum, Islam oder den heidnischen Religionen oder dem Goldenen Kalb. So hat Herr Fischer die Wahl auf die religiösen „Fertigprodukte“, nämlich die kollektiven Konfessionen mit vorgegebenen Glaubensinhalten, begrenzt. Aber diese Gattung Religion ist für den abendländisch-aufgeklärten Menschen immer weniger interessant. Die Geschichte des Christentums hat gerade gezeigt, daß man auch Jesus und die Bibel zu Götzen machen kann. Der „unsichtbare Gott“ aber, der uns vor jeglicher Götzendienerei bewahren kann, ist nicht allein ein Vermächtnis des Judentums, sondern lebendige Erkenntnis der Mystiker aller Zeiten und Religionen, ob es sich dabei um Größen wie Buddha, Sokrates oder Meister Eckehart handelt oder um die vielen Namenlosen, die wegen ihrer eigenen Gottesschau als Ketzer hingerichtet, als Hexen verbrannt wurden, oder die als Normalbürger ihrer alltäglichen Arbeit nachgehen. „Erkenne selbst“ - das ist der schwierigere, aber
viel aufregendere und befriedigendere Weg zur Welt- und Selbsterkenntnis.
Der Wahlspruch aller Aufklärer lautete: „Habe Mut, Dich Deines eigenen
Verstandes zu bedienen!“. Die unmittelbare eigene religiöse Erkenntnis
geht über das rein rationale Denken hinaus, ohne dem Verstand irgendetwas
vorzuschreiben oder die Regeln der Logik außer Kraft zu setzen. Die
wahren Paradoxa der Religion entspringen der Erfahrung, daß der Intellekt
die Tiefen und die Vieldimensionalität des Seins niemals ausloten
kann. Es wäre so lächerlich, als wollte man mit einem Sieb das
Meer ausschöpfen. Dafür machen einen solche Erfahrungen ziemlich
immun gegen die Massenideologien mit ihren Schnell- und Fertiglösungen,
die immer auf Kosten des Individuums gehen.
Mit freundlichen Grüßen
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