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LESERBRIEF AN DIE FAZ, nicht abgedruckt
21. April 2000
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Redaktion Leserbriefe
Falsche Vorstellungen über Pontius
Pilatus - Max Küchlers Rezension zu Alexander Demandts "Hände
in Unschuld. Pontius Pilatus in der Geschichte" FAZ v. 20.4.2000
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Titel "Procurator" wurde den römischen
Statthaltern von Judäa erst ab 44 n. Chr. verliehen. Vorher bekleideten
die Statthalter Judäas nur den Rang eines (Ritters) Präfekten.
Pontius Pilatus, der dieses Amt von 26-36 n. Chr. innehatte, war also niemals
Prokurator. Da die biblischen Berichte erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts
geschrieben wurden und die Verfasser (allesamt Nichthistoriker) die Ereignisse
um Jesu Leben und Sterben nur aus dem Rückblick schilderten, ist es
leicht erklärlich, daß sie den zuletzt gültigen Titel der
römischen Statthalter auch Pontius Pilatus zuschrieben. Verständlich
auch, daß dieser Titel in der christlichen Tradierung beibehalten
wurde. Es wundert mich aber, daß in einem neueren wissenschaftlichen
Buch über Pontius Pilatus unreflektiert am Prokuratortitel festgehalten
wird.
Ebenso zweifelhaft erscheint mir die "Reinwaschung"
des Machtpolitikers Pontius Pilatus, wenn auch verständlich aus der
christlichen Heilssicht: Pontius Pilatus hatte Jesu Unschuld erkannt, also
konnte er nicht so "böse" gewesen sein.
Nicht nur Philo von Alexandrien, sondern auch
Josephus Flavius erwähnt Pontius Pilatus mehrfach in seinen Büchern:
sowohl im Jüdischen Krieg als auch in den Jüdischen Altertümern.
Während die drei Statthalter vor Pontius Pilatus die römischen
Feldzeichen, die mit einem Brustbild des jeweils herrschenden Caesaren
verziert waren, ohne diese Verzierung vor sich hertragen ließen,
unterließ Pontius Pilatus bei Antritt seiner Herrschaft diese Rücksichtnahme
gegen das jüdische Bilderverbot und ließ die Caesarenbilder
heimlich nach Jerusalem bringen und dort öffentlich aufstellen. Eine
reine Machtdemonstration, denn (so Josephus Flavius in seinen Altertümern):
"Sobald das Volk dies erfuhr, zog es in hellen Haufen nach Caesarea und
bestürmte den Pilatus viele Tage lang mit Bitten, er möge die
Bilder doch irgendwo anders hinbringen lassen. Das gab aber Pilatus nicht
zu, weil darin eine Beleidigung des Caesars liege." Die Juden, die seinen
Palast in Caesarea umzingelten wankten und wichen nicht und wollten sich
lieber töten lassen, als die Verletzung des ersten Gebots hinzunehmen.
Erst diese Standhaftigkeit ließ Pontius Pilatus einlenken.
Für damalige und heutige Machtpolitiker
mag die Aufregung für die Verwendung des Tempelschatzes zum Bau einer
Wasserleitung und der Verbesserung der hygienischen Verhältnisse in
Jerusalem übertrieben erscheinen. Man stelle sich aber einmal vor,
ein englischer Kolonialbeamter hätte es gewagt, die heiligen Kühe
Indiens zu schlachten, um dem Volk zu essen zu geben. Oder die Israelis
würden das Gold von der Kuppel der Omarmoschee abkratzen lassen, um
den Palästinensern Straßen und Schulen zu bauen.
Man muß Pontius Pilatus als einen Machtmenschen
sehen, der - überzeugt von der Überlegenheit der römisch-hellenischen
Zivilisation - seine Vorstellungen und Werte dem beherrschten Volk glaubte
aufzwingen zu dürfen und damit die gleiche Wut und Empörung der
"beglückten Opfer" erntete, wie alle, die ihrem Gegenüber sagen:
"Ich weiß besser als Du, was gut für Dich ist."
Nicht nur die Juden beschwerten sich über
Pontius Pilatus in Rom. Als sich auch die Samaritaner gegen die Übergriffe
des Pontius Pilatus wehrten und viele in einem Aufstand grausam niedergemetzelt
wurden, führte ihre Beschwerde bei seinem Vorgesetzen, dem Statthalter
von Syrien, dazu, daß Pilatus abgesetzt und nach Rom vor Gericht
beordert wurde. Das weitere Schicksal des Pontius Pilatus ist ungewiß.
Es heißt, er wurde nach Vienna in Gallien verbannt. Eine andere Quelle
besagt, daß er 39 n. Chr. Selbstmord begangen habe.
Meine Quellen: Chaim Hillel Ben-Sasson: Die Geschichte
des jüdischen Volkes (erschienen 1992 bei Beck), Der Kleine Pauly,
Lexikon der Antike (dtv), Werner Keller: Und wurden zerstreut unter alle
Völker (Verbannung nach Vienna), Josephus Flavius: Die jüdischen
Altertümer XVIII, 4. Kapitel, Josephus Flavius: Der jüdische
Krieg, Buch II, 9. Kapitel
Mit freundlichen Grüßen
Regina Berlinghof
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