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LESERBRIEF AN DIE FAZ, nicht abgedruckt

24. September 2001

Gegen die intellektuellen Beschwichtiger – Cynthia Ozicks Essay, FAZ vom 24.9.2001

Sehr geehrte Damen und Herren,

dies ist der Versuch einer Antwort auf Cynthia Ozicks Essay. Sie sollte von einem Juden und einem Nichtdeutschen geschrieben werden. Neue Wunden sollten alte Wunden nicht wieder aufreißen. Ich aber bin eine konfessionslose, nichtjüdische Deutsche. Trotzdem möchte ich diesen Versuch unternehmen, denn ich habe vor langen Jahren nicht nur zweimal ein halbes Jahr in Israel (Kibbuz und Rechtsanwaltsstation beim Jurareferendariat), sondern auch zwei Jahre auf der arabischen Seite in Äypten (DAAD Stipendium) verbracht. Ich habe Israel geliebt UND Ägypten. Ich bin durch durch das israelische Kernland und die besetzten Gebiete gefahren und gewandert. Ich habe Jordanien besucht und liebengelernt. Ich habe Hebräisch und Arabisch gelernt, um mich mit den Menschen verständigen zu können. Wer beide Seiten liebt, die miteinander im Konflikt stehen, gerät immer zwischen die Fronten. Das gilt bei verfeindeten Völkern und zerstrittenen Ehepaaren gleichermaßen. Bei den Israelis habe ich die Araber verteidigt und bei den Arabern die Israelis. Glücklicherweise gab es auf beiden Seiten immer wieder Gesprächspartner, die keine einseitige Parteinahme erwarteten. In dieser Hoffnung möchte ich diesen Brief auch an Frau Ozick verfassen.

Sehr geehrte Frau Ozick,

die Selbstmordattentate in Israel sind ebenso schrecklich wie die Attentate auf die amerikanische Bevölkerung, auch wenn sie in viel kleineren Dimensionen geschehen und die Zahl der Opfer – selbst über die letzten Jahre hin – weit unter der Opferzahl des Anschlags in Amerika bleibt. Aber ein Menschenleben gilt so viel wie jedes andere. Jeder Mensch ist eine ganze Welt. Im Anblick von Leid und Tod versagen alle Quantifizierungen. Warum also rufen also Selbstmordattentate palästinensischer Araber in Israel zwar Schrecken und Mitgefühl für die Opfer hervor, aber lange nicht jene Identifikationswelle, die jetzt den Amerikanern nach den Flugzeugattentaten entgegengebracht wird?

Ich sehe den Grund darin, daß die Israelis vergessen bzw. gerne verdrängen, daß sie auch Täter sind und Mitschuld gegenüber den Palästinensern tragen. Israel reagiert seit dem Sechstagekrieg 1967, also seit vierunddreißig Jahren, mit überaus harter Hand gegen Terroristen – und weit darüber hinaus. Ich streite Israel nicht das Recht ab, sich gegen Terroristen zu wehren und sie zu bestrafen. Aber die Strafe richtet sich nicht nur gegen den oder die Täter, sondern trifft nach dem Prinzip der Sippenhaft die ganze Familie: Das Haus des Terroristen wird in die Luft gesprengt, inzwischen sogar über Luftbombardements. Da Araber überwiegend noch immer in Großfamilien leben, führt die Sprengung auch zur Vernichtung des Heims von Eltern, Großeltern, Geschwistern, Frau und Kindern. Unschuldige Menschen verlieren Haus und Habe, stehen vor dem Nichts. Sie müssen bei Verwandten und Freunden Unterschlupf suchen. Berichte von amnesty international und Filmdokumentationen beweisen, daß Israel im Kampf gegen den Terrorismus Menschenrechtsverletzungen in Kauf nimmt. In israelischen Gefängnissen wird gefoltert. 

Die besetzten arabischen Gebiete galten einst als Faustpfand für einen Friedenvertrag mit den Arabern und sollten für einen Frieden zurückgegeben werden. Inzwischen okkupieren die Israelis die Gebiete in immer neuen Besiedlungswellen für sich selbst. Die Militärregierung enteignet die arabischen Grundbesitzer, übergibt deren Land den Siedlern. Und wo die Palästinenser noch bleiben dürfen, untersagt man ihnen Neubauten, Umbauten, den Bau von Brunnen und Wasserleitungen. Die israelischen Siedlungen hingegen genießen alle Vorzüge einer modernen Infrastruktur – einschließlich einer Wasserversorgung aus Überlandleitungen oder Tiefbohrbrunnen, die das Grundwasser absenken, so daß in dem bergigen Gelände im Westjordanland die Felder der Palästinenser verdorren, während Israelis nur wenige Kilometer entfernt im Swimmingpool planschen. Den Arabern wird Zug um Zug das Land weggenommen und an jüdische Neuankömmlinge aus Europa und Amerika übergeben. 

Die Palästinsenser erdulden die Ungerechtigkeit und die Übergriffe der israelischen Regierung, die sich wie eine Kolonialmacht im alten Stil aufführt, in ohnmächtiger Wut. Die Friedensbekundungen der israelischen Regierung erscheinen vor den Handlungen der Staatsmacht wie blanker Hohn. Wie wenig Ariel Scharon am Frieden gelegen ist, zeigte sein martialisch-bewaffneter Gang über den Tempelberg und die fadenscheinige Verweigerung von Gesprächen mit Arafat. Der jetzige Regierungschef und ehemalige Truppenkommandeur agiert wie er es beim Militär gelernt und immer wieder praktiziert hat: mit brutaler Gewalt und Unterdrückung der arabischen Bevölkerung.

Wer Frieden will, muß im anderen einen Partner sehen, dessen Interessen ernst zu nehmen und mit Respekt zu begegnen sind. Man kann keine Hand zum Frieden ausstrecken und gleichzeitig Menschenrechte und Eigentumsrechte des Gegenübers mit Füßen treten. Die Regierungen Netanyahu und Scharon treiben seit Jahren immer mehr in die Enge eines jüdischen Fundamentalismus, der nur noch die eigenen Interessen, nicht aber die seiner Umwelt wahrnimmt. Es waren jüdische Terroristen, die Yitzchak Rabin ermordeten, dem man den echten Friedens- und Versöhnungswillen glauben konnte. Es war ein jüdischer Arzt, der betende Araber in der Moschee von Hebron niedermetzelte. Viel schlimmer aber sind der Terrorismus und die Unterdrückung, die von Staats wegen geschehen. 

Keiner der israelischen Übergriffe und Vergeltungsschläge rechtfertigt ein Selbstmordattentat. Aber auch kein Selbstmordattentat rechtfertigt die drakonischen Maßnahmen der Israelis gegen unschuldige Angehörige von Terroristen und die Enteignung von arabischem Land. 
Wenn Frau und Kinder nach jahrelanger Mißhandlung durch den Mann und Vater keinen Ausweg mehr sehen und ihn umbringen, ist dieser Akt der Selbstjustiz nach keinem Strafsystem zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Aber das Mitleid mit dem Opfer hält sich in diesem Fall in Grenzen. Der israelische Staat sieht sich als Opfer von arabischen Selbstmordattentaten, aber will seine auslösende Täterschaft nicht wahrhaben. 

Sie können mich jetzt als Israelfeindin und Antisemitin beschuldigen. Dann bin ich nur wieder in der gleichen Rolle wie vor vierunddreißig Jahren, als ich Israels Verteidigungsangriff 1967 gegen Araber und linke Studenten verteidigte. Und ich bin in der gleichen Situation wie in Ägypten 1975 bis 1977, als ich das Lebens- und Existenzrecht Israels verteidigte – also noch lange vor dem Handschlag zwischen Begin und Sadat. 

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß Menachem Begin selbst ein Terroristenführer war, an dessen Händen das Blut von vielen unschuldigen Menschen klebte. Es war seine Irgun, die das King-David-Hotel in die Luft sprengte, um die englische Mandatsherrschaft abzuschütteln. Bei dem Attentat kamen Engländer, Amerikaner, Araber, Kinder, Frauen, UNO-Mitarbeiter ums Leben. 
Es war die Größe Sadats, daß er die von Begin begangenen Verbrechen der Vergangenheit überließ und die Hand für eine Zukunft in Frieden ausstreckte. Es war die Größe Rabins, daß er die von Arafat begangenen Verbrechen der Vergangenheit überließ und die Hand für eine Zukunft in Frieden ausstreckte. Eine vergleichbare Großmut und Weitsicht ist bei den derzeitig regierenden israelischen Staatslenkern leider nicht zu erkennen.
 

Mit freundlichen Grüßen,
Regina Berlinghof

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