zurück zur Homepage
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

zurück zur Homepage

zurück
 

LESERBRIEF AN DIE FAZ,  nicht  abgedruckt 
 

6. September 2002


Zu : „Exil als Metapher des Behagens. Wie man große Vorbilder verfehlt: Die Autobiographien von Edward Said und Terry Eagleton“ – FAZ Geisteswissenschaften, 4.9.2002
 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

auch ein Rezensent kann sein Thema verfehlen. Joao Cezar de Castro Rochas Kritik würde besser unter die Überschrift passen: „Bücher, nicht als Wirklichkeit, sondern als Vorstellung des Kritikers rezensiert“. Denn Rocha schert sich wenig um die besprochenen Bücher. Ihn interessieren weder die konkreten Inhalte noch die Gestaltung durch die Autoren,  weder ihre Schwerpunkte und noch weniger ihr inneres Anliegen. Weil die Verfasser Literaturwissenschaftler sind, stopft er sie in die Kategorie der „Gelehrtenautobiographie“, deren höchste Maßstäbe in seinen Augen Hume, Vergil und Vico gesetzt haben. Ein höchst akademisch gebautes Prokrustesbett.  Was nicht hineinpaßt, wird nicht wahrgenommen. Was anders erzählt, anders gewichtet und beleuchtet wird, wird nicht in seiner individuellen Eigenart begriffen, sondern als Mangel gerügt. Zwei Drittel des Textes  werden zur Darstellung der vom Rezensenten gewählten historischen Vorbilder verwendet. Der ganze Mittelteil schildert den Aufbau der Vico’schen Autobiographie – nur um dann lapidar festzustellen, daß keines der beiden besprochenen Bücher diesem Aufbau gleichkommt. Über das äußerliche Merkmal des Berufsstandes wird eine Gleichheit und Vergleichbarkeit der Autobiographien unterstellt, die in nichts zu vergleichen sind. 

Auch das zweite äußere Merkmal der „Exiliertheit“ der Verfasser soll Vergleichbarkeit herstellen. Auch hier hat das klassische Vorbild die Nase vorn. Denn Vergil war tatsächlich ein Verstoßener, den es  in eine unwirtliche und kulturell öde Fremde verschlug, während die heutigen Verfasser – so Rocha –, ganz zu Unrecht über ihre Exiliertheit lamentierten – habe ihnen doch dieses Exil erst den Boden für ihre akademische Laufbahn und Berühmtheit geebnet und die Breitenwirkung ihrer Werke gesichert: „ein Exil mit institutioneller und offizieller Rückendeckung.“

Ich kann hier nur für die Autobiographie Edward Saids sprechen, die ich kürzlich im Original entdeckt und gelesen habe. Leider kenne ich Eagletons Werk nicht. Der Originaltitel von Saids „Out of place“  wurde bei der deutschen Ausgabe mit „Am falschen Ort“ übersetzt. Zutreffender wäre „Fehl am Platz“. So macht schon der Titel klar, daß es nicht um die Darstellung eines Lebens im politischen Exil geht, also nicht um die Mühsal dessen, der aus dem Eigenen herausgerissen und in die Fremde geworfen wurde. Edward Said beschreibt den Zustand dessen, der von Anfang niemals etwas „eigenes“ gehabt hatte. Einer, der nie und nirgendwo dazugehörte, der nie den richtigen Stallgeruch hatte. Weder im „fremden“ noch im eigenen Land. Rocha zitiert richtig, deutet aber falsch, wenn Said schreibt: „Ich habe nie gewußt, welche Sprache ich zuerst gesprochen habe, Arabisch oder Englisch, oder welche davon zweifellos die meinige war.“ Said braucht nicht mit der fremden Sprache zu kämpfen, ebenso wenig mit der fremden Kultur: er wuchs in ihnen beiden parallel auf, ohne eine von ihnen als „seine“ anzunehmen. Said lebte von Kindheit an in zwei Kulturen, ja mehreren Kulturen – keine ließ ihn verwurzeln. Diesen Zwiespalt schildert er. Ovid erlebte die Verbannung als Eingriff des Schicksals von außen. Bei Said ist der Zwiespalt im Innern des Verfassers von Kindheit an vorhanden. Das Schicksal eines Kindes, das von den Eltern und den Kulturen für sich beansprucht wird – aber von keinem Menschen und in keiner Kultur die Liebe findet, die ihm sein eigenes Wesen läßt, so daß er sich daher nirgends heimisch fühlt. Said beschreibt faszinierend den inneren sprachlichen und kulturellen Zwiespalt zwischen arabischer Herkunft und Familie und frühester „moderner“ englisch-amerikanischer Sozialisation noch während seiner Schul-  und Studienzeit in Kairo. Darum nehmen Kindheit und Jugend auch den größten Raum seiner Autobiographie ein. Said und wohl auch Eagleton haben in ihrer Kindheit und Jugend innerlich jene Fremdheits- und Entfremdungserfahrungen durchgemacht, die Vergil erst im Erwachsenenalter durch die Verbannung aufgezwungen wurden. 
Said ergreift keine Partei. Er kennt die Vorzüge und Schwächen der orientalischen und westlichen Kulturen in sich selbst. Sein klarer Blick, gänzlich ohne Schuldzuweisungen, macht seine Autobiographie zu einer spannenden Lektüre. Ein äußerst lesenswerter Einblick in die öst-westlichen Empfindlichkeiten und ihre Wurzeln. Zum Schluß herzliche Gratulation zum verdienten Prinz-von-Asturien-Preis, den er mit Daniel Barenboim gewonnen hat: Für die Gründung des Westöstlichen Jugendorchesters, das sich aus Israelis und Palästinensern zusammensetzt. 
 

Mit freundlichen Grüßen
Regina Berlinghof
 

zurück
(c) Copyright Regina Berlinghof, eMail: mail@regina-berlinghof.de zurück