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LESERBRIEF AN DIE FAZ, nichtabgedruckt
 

13. Juni 2004


Eine christliche Verfassung für Europa?
Heinz-Joachim Fischers Leitartikel vom 9.6.2004 und Kardinal Ratzingers Europa-Rede, FAZ vom 11.6.2004

Sehr geehrte Damen und Herren,
 
eigentlich habe ich nichts gegen die Berufung auf Gott bzw. auf eine transzendentale Veranke­rung in der europäischen Verfassung. Der Bezug zum Transzendentalen setzt Maßstäbe, die über das reine Zweck- und Nutzendenken des Menschen hinausweisen. Nur sollten sich dann Men­schen unabhängig von ihrer Religions­zugehörigkeit mit dieser Verfassung identifizieren können. Nicht nur Christen, sondern auch Juden, Muslime, Atheisten, Buddhisten, Hinduisten und alle anderen.
Darum habe ich etwas dagegen, wenn Europa mit dem Christentum gleichgesetzt wird, womit die ganze „heidnische Antike“ mit ihren Philosophen, Wissenschaftlern, Künstlern und Denkern ausgeblendet wird, der das heutige Europa so viel zu verdanken hat: vor allem Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden, Freiheit des Denkens, Forschens und Handelns, ethische Selbstverantwortung.
Und vor allem habe ich etwas dagegen, wenn die Berufung auf das Christentum als Bollwerk gegen den „gottlosen Atheismus“ oder gegen den Islam und andere Religionen mißbraucht wird. Der FAZ-Vatikan-Hofbericht­erstatter Heinz-Joachim Fischer und Kardinal Ratzinger erinnern an den Wolf, der Kreide gefressen hat und vor der Tür steht, um die Geiß-/Schäflein in die leeren Kirchen zurückzurufen. Die Herren reden von Gott und vom Christentum und meinen die katholische Kirche. Läge den Herren ein mitmenschliches Christentum am Herzen, hätten sie kaum an anderer Stelle die gemeinsame Feier des Abendmahls mit evangelischen Christen gerügt.
Nicht die katholische Kirche steht für Aufklärung und Menschenrechte –  die Aufklärung rang der Kirche die politischen Menschenrechte ab. Leider noch nicht innerhalb der Kirche selbst, in der Frauen immer noch als Menschen zweiter Klasse gelten, ungeeignet für das Amt des Priestertums. Bischöfe, die Frauen zu Priesterinnen weihen, werden „christlich“ exkommuniziert, die Frauenpriesterinnen ebenso. Dafür wird der Gründer des Geheimdienst- und Spitzelordens Opus Dei selig (oder sogar heilig?)gesprochen.
Die eigene Führungselite (Priester, Theologen, Mönche) muß heute noch wie im finstersten Mittelalter oder in einer modernen Sekte ihr eigenes Denken und ihren Geist kastrieren lassen und sich in absolutem Gehorsam ihren Oberen unterwerfen. Nicht zuletzt dem unfehlbaren Papst. Alles abgesegnet und geregelt im Corpus iuris canonici, das aufgrund des Reichskonkor­dates mit Hitler hierzulande noch immer Gültigkeit hat.
Wenn Kardinal Ratzinger und Herr Fischer also die Angst vor dem totalitären und vorvernünf­tigen Islam an die Wand werfen, sollten sie erst einmal die totalitären Strukturen ihrer Kirche entrümpeln. Ich möchte den Herren vorschlagen, den Gedanken der Aufklärung, der Toleranz, der Menschenrechte, der Vernunft und des individuellen Gewissens erst innerhalb der eigenen Kirche in die Tat umzusetzen. Dies würde ihren hehren Worten eine gewisse Glaubwürdigkeit verleihen!
Mit freundlichen Grüßen,
Regina Berlinghof



 

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