Regina Berlinghof 

Interview mit  Martina Weber, Newsletter-Redakteurin der Literaturzeitschrift "Federwelt"

Federwelt Newsletter Nr. 32, Oktober 2002

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"Gefühl und Herz entwickeln, ohne Verstand und Vernunft preiszugeben."

Interview mit der Schriftstellerin Regina Berlinghof über einen
spirituellen Schreibanlaß, der sie zum Schreiben und zu ihren Themen
brachte, über Verlagssuche, bremsende Denkmechanismen in Verlagen und
die Bedeutung des Internets.

Regina Berlinghof wurde 1947 in Freiburg im Breisgau geboren, heute
lebt sie als freie Schriftstellerin in Kelkheim im Taunus. Ihre
Brötchen verdient sie halbtags in der EDV. 1995 veröffentlichte sie
ihren ersten Roman "Mirjam. Maria Magdalena und Jesus" im Internet,
1997 erschien er als Hardcoverausgabe im Verlag Dietmar Klotz. 1999
gründete Regina Berlinghof den YinYang Media Verlag. Dort erschien
1999 ihr Erzählband "Wüste, Liebe und Computer". Regina Berlinghof
schreibt außer Prosa auch Lyrik und Satiren, die sie auf ihrer
Homepage und auf Lesungen veröffentlicht. Ihr neuer Roman
(Arbeitstitel "Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der
Welt) sucht noch einen Verlag.
Ihre Homepage:
http://www.regina.berlinghof.de

Veröffentlichungen von Regina Berlinghof:

1. "Kundry". Erzählung in: Sommerfest, dtv, München 1993, S. 163ff

2. "Mirjam. Maria Magdalena und Jesus". Roman.
Als erster deutschsprachiger Roman vollständig seit 8.10.1995 im
Internet
veröffentlicht unter
http://www.literatur.de, inzwischen unter
http://www.regina-berlinghof.de
Hardcoverausgabe: Verlag Dietmar Klotz, Eschborn 1997

3. "Wüste, Liebe und Computer". Geschichten. YinYang Media Verlag,
Kelkheim 1999 (in Zusammenarbeit mit Libri Books on Demand)

4. Übersetzungen aus dem Amerikanischen (u.a. mehrere Garfield-Bände)

5. Gedichte in: "Märchenschlösser und Dichterresidenzen. Literarische
Streifzüge durch den Taunus" und "Zeitreisen im Taunus" Kleine
Kulturgeschichte der Region zwischen Rhein, Main und Lahn. Beide Bände
von Olivia Kroth, Societätsverlag, Frankfurt am Main, 2001 bzw. 2002

Die Fragen stellte Martina Weber.

FEDERWELT: Im Fragebogen für den Eintrag in der Datenbank
Schriftstellerinnen in Deutschland 1945ff (zu lesen auf Ihrer
Homepage) schreiben Sie, eine spirituelle Erfahrung habe Sie zum
Schreiben gebracht. Was für ein Erlebnis war das?

REGINA BERLINGHOF: So, auch wenn das Kommende nicht nach
Jedermanns/fraus Geschmack ist und intellektuellen Ohren vielleicht
schwülstig klingt: Im Nachhinein würde ich es als spontane
Bewußtseinserweiterung bezeichnen. Spontan, weil ich sie nicht durch
Meditation, Yoga oder Drogen erlangt habe. Es passierte in Kairo 1977,
als ich meinen Freund liebte und mich in diesem Augenblick unendlich
geliebt wußte.
Es steigerte die normale sexuelle Erregung weit  über Vagina und
Unterleib hinaus. Der ganze Körper wurde zum Instrument der Liebe. Er
strömte, pulsierte, hob und senkte sich nach seinem eigenen Rhythmus,
und ich ließ es geschehen, griff nicht ein. Es war, als ob eine große
Welle mich vorwärtstreiben und tragen würde, ja daß ich zur Welle
selbst wurde.

Es war nicht das erste Mal, daß  ich mit meinem Freund geschlafen
hatte und nicht das letzte Mal. Er war auch nicht der erste oder der
letzte Mann in meinem Leben. Aber es geschah in dieser Weise nur
dieses eine Mal - leider (! ;-)).

In diesem Moment erfuhr ich mich als Teil der großen Natur, als ein
geliebter Teil des großen Ganzen. Durch die Liebe meines Freundes
hatte ich plötzlich zu meiner eigenen Natur, zu dem innersten Kern von
mir gefunden. Und dabei gleichzeitig entdeckt, daß  dies der Kern von
uns allen und von allem überhaupt ist. Die Liebe als Energie, die
alles trägt, die alles bildet, alles schafft. Vom kleinsten bis zum Größten.
Nicht nur uns Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen, die sogenannte
"unbelebte" Materie. In diesem Moment hatte ich den Zugang zum Kern
der Materie (bis in die Körperzellen und Atomteilchen). Im Innersten
der Form gab und gibt es keine Form - nur freie Energie. Eine Energie, die
aber Form und Gestaltung liebt und darum aufbaut. Sie ist und
durchdringt alles, was ist. Manche Religionen nennen es Gott und
grenzen dann aber sehr schnell die Welt ein, wo Gott ist oder wo
nicht. Was er (!) will oder nicht. Dann kommen die Drohungen mit
Strafen. Meist scheiden Religionen auch zwischen dem "göttlichen"
Geist und der profanen, leblosen und wertlosen Materie, dem
vergänglichen Fleisch, den sterblichen Geschöpfen. Das Christentum hat die Sexualität
verteufelt. Fundamentalisten der aller Religionen tun es noch immer
(sie brauchen immer Himmel und Hölle, um die Schäfchen
einzuschüchtern).

Ich habe meine Erfahrung ähnlich in tantrischen Texten gefunden. Der
Weg zur Erleuchtung  über liebende sexuelle Vereinigung. Oft hat sich
dieser Weg auf bestimmte technische Rituale und Praktiken verengt. Von
Liebe ist dort kaum mehr die Rede.

Im Ergebnis wird die Erkenntnis der Einheit und Heiligkeit allen Seins
in den Schriften der Mystiker aller Religionen beschrieben. Bei den
persischen Liebesmystikern wie Hafis, Omar Khayyam u.a. umfaßt die
Liebe alle Ebenen, auch die physische Liebe.

FEDERWELT: Vermutlich hat Sie dieses Erlebnis auch zu Ihren
bevorzugten literarischen Themen gebracht.

REGINA BERLINGHOF: Es war genau diese Erfahrung, auf deren Möglichkeit
ich aufmerksam machen wollte, ohne als Guru aufzutreten. Es geht mir
nicht um Glaube, Religion und Anhängerschaft, sondern um die eigene Erkenntnis. Und um
die Bereitschaft, eine solche Erfahrung überhaupt zuzulassen.

Ich habe Deutschland als Kühlschrankkultur erlebt und bin erst durch
die Menschen in Ägypten "aufgetaut". Ohne ihre Herzlichkeit,
ihren Humor, ohne ihr Zulassen von Gefühlen und Vertrauen hätte ich
die Erfahrung vermutlich nie gemacht. Für mich sind dies Eigenschaften
, die in unserer Kultur "unterentwickelt" sind. Verstand, Technik und
wirtschaftliche Leistungskraft und bloße sexuelle Freizügigkeit sind
nicht alles. Wir brauchen dazu auch Herz und Gefühl.

Das ist der Grund meines Schreibens. Auch das Motto meines Verlages
("Literatur, Spiritualität, freier Geist").

Das ist auch das Thema beim neuen Roman, der aber noch in die Welt der
Quantenphysik führt.
Um mögliche Einwände vorwegzunehmen, hier ein Zitat:
(Ulrich:)
"Also die beiden lieben sich und lieben sich. Sie haben Sex ohne Ende.
Und dann kommt es zum Höhepunkt, sie erlangen Erleuchtung wie weiland
Schiwa und Schakti bei den Indern. [...]  Ich frage mich nur eines:
Wieso werden wir nicht erleuchtet? Wieso werden Hunderttausende
und Millionen Menschen nicht erleuchtet, wenn sie miteinander
schlafen? Es wäre doch so schön und so einfach!"
(Katharina): "Das dachte ich auch. Aber du und deine Millionen von
Menschen schlafen eben nur miteinander. Isolde und Tristan und Schiwa
und Schakti liebten sich. Das ist der kleine Unterschied. Und wir beide, wir
hatten Sex miteinander, mehr nicht. Wir haben miteinander geschlafen.
Du machst ja sogar die Augen zu und siehst mich nicht einmal an. Wir
haben uns nicht geliebt. Oder würdest du das als Liebe bezeichnen?"
(Ulrich) "Nein."

FEDERWELT: Was möchten Sie bei Ihren Leserinnen und Lesern bewirken?

REGINA BERLINGHOF: Gefühl und Herz entwickeln, ohne Verstand und
Vernunft preiszugeben. Kein Sacrificium Intellectus (Opferung des
Verstandes). Aber Erkennen, daß auch der Verstand nur ein begrenztes
Sinneswerkzeug ist. Er gilt nicht für alle Bereiche. Er gibt dem Menschen
keinen Sinn. Wohl aber Liebe und intuitive Erkenntnis.

FEDERWELT: Sie haben nicht nur zwei juristische Staatsexamina, sondern
noch Neu- und Althebräisch sowie Arabisch studiert und ein
Bibliothekarisches Staatsexamen gemacht. Was Sie interessiert, packen
Sie offensichtlich gründlich an. Wie sind Sie das Projekt Schreiben
angegangen?

REGINA BERLINGHOF: Das war alles nicht sonderlich geplant, aber es
rundete sich später in einem  überraschenden Zusammenspiel.
Ich habe im sechsten Semester gemerkt, da ich mit der Juristerei nicht
glücklich würde.

Früher wollte ich Schauspielerin werden - traute mir das aber nicht
zu. Und Lehrerin wollte ich nicht mehr werden (nicht nur Schule, Uni
(= wieder Schule) und zurück zur Schule). Ich habe damals keine
tragfähige Alternative gesehen und habe bis zu den Examina
durchgehalten. Nach dem ersten Examen stürzte ich mich für ein halbes
Jahr nach Israel ins Kibbuz und in die Wüste. Dort konnte ich dann die
letzten drei Monate an einem Hebräischkurs für Neueinwanderer
teilnehmen. Das Referendariat zog ich lustlos durch - lernte
statt dessen lieber Hebräisch weiter und fing auch mit Arabisch an.
Ich wollte mich mit den Menschen dort unterhalten können.
Ich hatte mich zwar an der Uni eingeschrieben und Kurse besucht, aber
nie mit einem Abschluß  als Ziel. Immerhin kam ich so nach dem 2.
Staatsexamen durch ein DAAD-Stipendium nach Ägypten. Ich muß gestehen,
ich habe dort mehr gelebt als studiert und gearbeitet, allerdings
Arabisch weitergelernt.

Die bibliothekarische Zusatzausbildung begann ich nach meiner
Rückkehr, als ich einen Brötchenjob suchte, der mir genug Ruhe und
Muße zum Schreiben ließ. Bücher habe ich immer geliebt.

Das "Projekt Schreiben" begann damit, daß  ich schreiben wollte, aber
nicht wußte, wie. Ich hatte kein großes Selbstvertrauen, was mein
Schreiben betraf. Ich hatte zwar in Deutsch immer "gut"
(damals hatte bei uns niemand eine eins), eine befreundete Malerin im
Kibbuz schrieb mir, daß meine Briefe sehr lebendig seien. Aber ich
habe zwölf Jahre gebraucht, um das Thema so darstellen zu können, daß
es mir angemessen erschien.

Ich versuchte es zuerst mit wissenschaftlichen Aufsätzen, dann mit der
Form der Essays und Aphorismen (alles für die Schublade). Dann machte
ich Umwege, schrieb Märchen, einen Kinderbuchroman (wieder für die
Schreibtischschublade). Als ich voll Verzweiflung einen Krimi anfing
("jetzt schreib ich mal was Gängiges"), kam mir nach einer
Wiederholung von "Ben Hur" im Fernsehen die Idee: ich gieße mein Thema
in die Form des Romans, nehme Jesus und Maria Magdalena als Liebespaar
und lasse sie BEIDE in der Liebesvereinigung Erleuchtung erfahren.
Damit würde ich den zweitausend Jahre alten abendländischen Zwiespalt
zwischen Körper, Geist und Seele sozusagen an der Wurzel aufheben.
Ich wollte den möglichen Weg über Liebe und Sexualität zeigen und
damit auch wegführen von dem Gurubild, wo immer nur ein einzelner,
allwissender Mensch den Zugang zu den Quellen der Erkenntnis hat
(noch dazu fast immer nur Männer!)

FEDERWELT: Was war für Ihre Entwicklung als Autorin besonders wichtig?

REGINA BERLINGHOF: Menschliche Erfahrungen, seien sie glücklich oder
unglücklich. Wenn frau nichts erlebt, nichts erfährt, worüber soll sie
dann schreiben? Damit meine ich nicht, das eigene Leben
fotografisch-literarisch abzubilden. Aber man muß erst eine
Erlebniswelt durch eigene Erfahrungen aufgebaut haben, um darin zu
spielen.

Nur von außen beobachten, das ist für mich der wissenschaftliche
Blick, der seziert und tötet. Wer Geschichten und Romane schreibt,
sollte ein breites Gefühlsspektrum haben, um allen seinen
Protagonisten gerecht zu werden. Beim Schreiben habe ich immer das
Gefühl, daß ich doch Schauspielerin geworden bin: nur "spiele" ich
beim Schreiben alle Rollen des Stücks und nicht bloß eine.

Natürlich sollte sich ein Autor auch um die handwerklichen Fähigkeiten
kümmern: Wortschatz, Grammatik, Wesentliches von Unwesentlichen
unterscheiden, wie baut sich Spannung auf usw. Es ist gut, daß es
Workshops von Literaturbüros, Volkshochschulen und anderen Stellen
gibt.

Kurse in "creative writing" sollten schon an der Schule angeboten
werden. Dort hat man mir im Deutschunterricht für Jahre erst einmal
die Lust am Schreiben ausgetrieben.

FEDERWELT: Welche Bedeutung hatten oder haben literarische
Anleitungsbücher (Bücher  über Schreibtechniken etc,), also das
technische Handwerkszeug, für Sie?

REGINA BERLINGHOF: Ich habe einige gelesen (Reiners Stilfibel u.a.) -
alles gut zu bedenken und kritisch umzusetzen.
Diese Bücher warnen zu Recht vor schablonenhaftem Schreiben. Nur: wenn
man sie gehorsam befolgt, gerät man unweigerlich ins nächste Schablonenraster.
Das gilt auch für Kurse, Workshops. Auch für das Redigieren durch
Lektoren und Verleger.
Man kann alle Ratschläge und Kritiken immer nur als Vorschläge nehmen.
Die Autoren sollten immer das letzte Wort behalten und behaupten. Auch
Lektoren und Verleger sind fehlbar.

FEDERWELT: Haben / hatten Sie literarische Vorbilder? Wenn ja, was
genau ist Ihnen an den genannten Personen oder ihren Texten wichtig?

REGINA BERLINGHOF: Ich habe von Kindheit an sehr viel und völlig
querbeet gelesen. Von Klassikern bis zu Schundheftchen. Märchen,
biblische Geschichten im Religionsbuch meiner älteren Schwester,
erst später die Bibel, Romane, Gedichte, Sachbücher, wissenschaftliche
Werke. Ernstes, Satirisches und Blödelulk. Literarische Qualitäten
entdeckte ich bewußt zum ersten Mal, als ich Jane Austens "
Pride and Prejudice" im Original las. Eine unglaublich elegante,
einfühlsame und heiter ironische Sprache.

Ich glaube, daß  Wege in und durch fremde Sprachen und Kulturen
zweierlei bewirken: neue eigene Seh- und Denkweisen und ein vertieftes
Bewußtsein für die eigene Sprache und Kultur.
Vorbilder im eigentlichen Sinn habe ich nicht. Die Form entwickelt
sich meist aus dem Thema und dem Charakter der Figuren.

FEDERWELT: Sie haben nun zwei Romane geschrieben. War Ihr Vorgehen bei
beiden gleich?

REGINA BERLINGHOF: Es verlief bei beiden ziemlich ähnlich: eine lange
Vorlaufzeit, Herumprobieren, neu Anfangen. Dann plötzlich der
Einstieg - und dann liefen sie. (Selbst längere Unterbrechungen wirkten
sich dann nicht mehr störend aus.) Die Detailrecherchen verliefen parallel.
Bei beiden Romanen hatte ich das Material schon parat, weil ich mich lange und
intensiv mit den Themen beschäftigt hatte bzw. die Umwelt durch eigene
Erfahrung kannte.

FEDERWELT: Ist Ihnen der erste oder der zweite leichter gefallen?

REGINA BERLINGHOF: Es hat bei beiden Phasen gegeben, wo alles
"flutschte" und Phasen, wo es stockte. Wenn es nicht richtig
weiterging, wenn es auf einmal "papiern" wurde, hatte ich mich meist
zu sehr vom Intellekt leiten lassen. Er schießt dann wie ein
durchgehendes Pferd immer geradeaus, verfehlt die Kurve und verläuft
sich im Ungefähren. Wenn ich aus dem Bauch und aus den Gefühlen der
Protagonisten schreibe, bleibe ich viel näher am Zentrum. Dann bleibt
auch der Roman "rund".

FEDERWELT: Ab wann haben Sie versucht, Texte zu veröffentlichen, wie
sind Sie dabei vorgegangen?

REGINA BERLINGHOF: Einen längeren Märchenroman hatte ich vor Jahren
Verlagen angeboten, war aber noch zu sehr im Grimmschen Stil.
Ernsthaft habe ich es erst mit "Mirjam" versucht: mit ersten
Verlagskontakten auf der Buchmesse.
Gespräch und Beschreibung des Inhalts. Später Versenden von Exposé und
Textproben an die Lektoren. Es gab interessierte Lektoren und Verlage.
Zum Schluß scheuten sie das dicke und möglicherweise blasphemische
Buch einer unbekannten Autorin. Einem linken Verlag war der Roman
nicht blasphemisch und schamlos genug. Die Lektorin eines christlichen
Verlages: "Das ist sehr interessant, aber das kann ich meinen
Lesern nicht zumuten. Wenn der Roman woanders erschienen ist, lassen
Sie es mich bitte wissen. Ich möchte ihn auf jeden Fall lesen."

FEDERWELT: Am 24.8.2002 haben Sie auf dem Mainuferfest in Frankfurt
aus Ihrem neuen Roman mit dem Arbeitstitel "Schrödingers Katharina
oder Liebe am anderen Ende der Welt" gelesen. Die Protagonistin will
nur eines, in Ruhe und ohne Geldsorgen als Autorin leben. Eine
Überlegungen ist die, ihre Texte nackt im Gras liegend zu schreiben,
um die Vermarktung des Buches voranzutreiben. Unterstellt man, daß die
Protagonistin damit auch einiges Ihrer eigenen Denkweise
transportiert, so scheinen Ihre Erfahrungen mit Verlagen nicht gerade
positiv zu sein.

REGINA BERLINGHOF: Diese Textstelle stammt aus dem Tagebuch des
entführten Verlegers, der seiner Entführerin, der Schriftstellerin
Katharina Jukulli, höhnisch den Rat gibt, sich so zu vermarkten. Sie
antwortet ihm später: "Übrigens wird der Roman nicht viel von Liebe
handeln. Sondern von Sex und Crime. Das ist es doch, was ankommt,
oder? Ich habe meine Lektion begriffen. Liebe zählt nicht. Macht und
Gewalt sind alles. Sei freundlich zu den Leuten, und sie nehmen dich
nicht ernst. Tritt Ihnen vors Schienbein, und auf einmal respektieren
sie dich. Handke beschimpfte das Publikum, und sie lagen ihm zu Füßen.
Rainald Götz schnitt sich vor laufender Kamera die Stirn auf. Das Blut
tropfte auf sein Manuskript, während er las. Das gefiel der Jury in
Klagenfurt. Damit beeindruckt man die Leute. Ich entführe einen
Verleger. Das wird doch der Hit! Ich biete Ihnen an, den Roman in
Ihrem Verlag herauszubringen. Das wird Sie für alle finanziellen
Nachteile entschädigen."

Der eigentliche Grund für die Entführung liegt aber ganz woanders.
Katharina ist unglücklich in diesen Verleger verliebt und dadurch
blockiert. Sie entführt ihn und verstellt sich zunächst. Ihr Buch (und
meines) handelt tatsächlich von Liebe und Quantenphysik. Die
Entführung dient nicht nur einem spannenden Plot - sie baut die
emotionale Spannung zwischen Opfer und Täterin erst richtig auf.

FEDERWELT: Wie haben Sie den Verlag für Ihren ersten Roman "Mirjam.
Maria Magdalena und Jesus" gefunden?

REGINA BERLINGHOF: Durch die Publikation im Internet. Nachdem die
Veröffentlichung in der edition ebersbach nach langen Querelen kurz
vor Drucklegung geplatzt war, habe ich den Roman als Notlösung im WEB
veröffentlicht. Durch einen glücklichen Zufall gab mir GermanyNet dazu
kostenlos die Möglichkeit. 1995/6 war das Internet ja noch brandneu,
jedenfalls für die breitere Öffentlichkeit. Bei einer
Podiumsdiskussion 1996 über Literatur im Internet nahm ich teil; die
Lokalpresse berichtete darüber. Danach kam der Anruf des Verlegers
Dietmar Klotz.

FEDERWELT: War die Gründung Ihres eigenen Verlages, des YingYang Media
Verlages, eine Konsequenz aus den Schwierigkeiten, einen Verlag für
Ihren ersten Erzählungsband zu finden?

REGINA BERLINGHOF: Ja, die Lust, wieder einen Verlag zu suchen, war
nicht sonderlich groß. Ich habe meine Energie lieber in die eigene
Sache gesteckt, statt lange zu suchen und vielleicht vergebens zu
warten. Der Verlag der Mirjam ist eigentlich ein Fachbuchverlag für
Psychologie. Wegen des persönlichen Interesses des Verlegers an der
religiösen Thematik kam es bei Mirjam zum Vertrag. Aber meine
Geschichten gehen teilweise über diesen Rahmen hinaus und paßten nicht
mehr ins Programm. Da las ich einen Zeitungsartikel über die neue
Publikationsform bei Libri, Books on demand, und gründete den eigenen
Verlag. Wenn ich jetzt für "Schrödingers Katharina" wieder bei fremden
Verlagen anfrage, dann doch im Bewußtsein, daß  ich den Roman wieder
im WEB oder im eigenen Verlag herausbringen könnte.

FEDERWELT: Ist Ihr Verlag ein reiner Selbstverlag oder publizieren Sie
auch Bücher anderer AutorInnen? Falls ja, wie ist das Verlagsprogramm?

REGINA BERLINGHOF: Ich wollte von vornherein nicht nur eigene Sachen
herausbringen. Ich hatte mich 1998 wieder intensiv mit dem persischen
Dichter Hafis beschäftigt, in der Frankfurter Unibibliothek die Gesamtausgabe
seines Diwan gefunden. Ich wollte diese Ausgabe, die Goethe zu seinem
Westöstlichen Divan inspirierte, im Goethejahr zu einem
erschwinglichen Preis wieder herausbringen. In dieser Publikationsform
war es mir finanziell möglich.

Für mein Verlagsprogramm suche ich Literatur von Dichtern und
Schriftstellern mit ähnlichen Bewußtseinserfahrungen, ohne daß sie
einer esoterischen Dogmatik verfallen sind. Ich liebe die freisinnigen
persischen und arabischen Liebesmystiker, die aus der ganzheitlichen
Liebeserfahrung Glück und Unglück bejahen können. Ebenso die alten
Inder und Chinesen wie Lao Tse, Dschuang Dsi, und den kaum noch
christlichen Meister Eckehart. Alle jene Mystiker, die die Regeln
ihrer Religion sprengen - und oft genug von den Fundamentalisten als
Ketzer angefeindet wurden und werden. Es gibt viele Verlage, die die
eigentlich religiösen Texte herausbringen. Mich interessiert das
lyrische und belletristische Umfeld.

FEDERWELT: Sie haben zwei juristische Staatsexamina, scheinen aber,
studiert man den Fragebogen zu Ihren biographischen Angaben, mit dem
Juristischen gebrochen zu haben. Hat Ihnen die Ausbildung zur Juristin
für Ihr Schreiben etwas gebracht?

REGINA BERLINGHOF: Zum ersten: einen zweiten halbjährigen Aufenthalt
in Israel; während des Referendariats verbrachte ich die
Rechtsanwaltsstation in Jerusalem - mit weiteren Hebräisch- und
Arabischstudien. Zum zweiten das Stipendium des DAAD in Ägypten.
Zum dritten: Wissenschaftliches Arbeiten. Außerdem: juristisches
Denken schadet nie: man lernt, sich in die Position des Gegners zu
versetzen. Auch als Schriftstellerin muß ich Positionen vertreten
können, die nicht die meinen sind - aber die der Figur.

FEDERWELT: Wie sieht es mit dem Sprachstudium aus? Spüren Sie von hier
aus Einflüsse auf Ihre Texte?

REGINA BERLINGHOF: Ja, vor allem bei Mirjam. Ich habe ja nicht nur die
biblischen Geschichten wie Grimms Märchen eingesaugt. Als ich vom
Kibbuz zurückkehrte, gab es an der Frankfurter Uni keine Möglichkeit,
Neuhebräisch weiterzulernen. Also stieg ich ins Althebräisch ein,
übersetzte teilweise die Bücher Mose und las im Seminar Texte aus der
Mischna. Eine Stelle habe ich direkt in den Roman übernommen: "Wenn
einer einen Menschen tötet, so ist es, als ob er eine ganze Welt
tötet. Wenn einer einen Menschen rettet, so ist es, als ob er eine
ganze Welt rettet." (Sanhedrin) Erst letztes Jahr, nach den Anschlägen auf die
Twin Towers, erfuhr ich, daß es eine fast gleichlautende Stelle im
Koran gibt.

Durch die Mischna lernte ich intensiv das jüdische Denken und Fühlen
um die Zeitenwende kennen. Die Angst, von Gott verworfen zu werden -
selbst in der ewigen Welt. Es gab die Vorstellung der Auferstehung am
Ende aller Tage. Aber dies galt nicht für Gotteslästerer. Sie sind
verflucht für alle Zeiten. Sicher flossen auch Stil und Pathos in den
Roman, vor allem beim fundamentalistischen Erzähler Yoram.
Traditionell geprägte Araber haben auch eine andere, sehr viel zeremoniellere
Sprechweise als wir. Sie entspricht sehr viel mehr der
damaligen Ausdrucksweise. Auch davon floß einiges in den Roman.

FEDERWELT: Sie waren, sicherlich auch angeregt durch Ihre Arbeit als
PC-Beraterin, bei den ersten AutorInnen, die das Internet für sich
nutzten und eigene Homepages einrichteten. Welche Bedeutung hat das
Internet für Sie?

REGINA BERLINGHOF: Es gibt mir die Unabhängigkeit und Freiheit, mich in
der Öffentlichkeit zu äußern und z.B. meinen Roman, Geschichten,
Leserbriefe usw. ohne Zensur zu veröffentlichen. Ich bin nicht mehr
auf Verlage und Verleger angewiesen wie früher, wo allein der Kostenfaktor
eigenes Publizieren verbot. Außerdem ist es
schön, unmittelbare Reaktionen von Lesern zu bekommen. Per email geht
das alles viel leichter. Wie dieses Interview.

FEDERWELT: Arbeiten Sie mit anderen AutorInnen und Autoren zusammen?
Wenn ja, wie?

REGINA BERLINGHOF: Nicht beim Schreiben. Eine Zeitlang in der
Frankfurter Autorengruppe Flattersatz, die ich 1996 nach einem
Literaturworkshop gründete. Wir besprachen unsere Texte, machten
sozusagen eigene Lektoratsarbeit. Das setzte sich in der Lektorenwerkstatt
in Langen fort.

Ich lese gerne mit anderen Autoren. Ich denke, es ist auch angenehmer
fürs Publikum, zwischendurch eine andere Stimme und eine andere Denk-
und Schreibweise zu hören. Das ist der gleiche Grund, weshalb ich
Musik bei Lesungen mag.

In Kelkheim haben wir die Lesereihe "Literarische Begegnungen auf dem
Ostwestsofa". Es sind Lesungen mit jeweils einem/r Autoren aus den
alten und neuen Bundesländern. Ein innerdeutscher Dialog. Ich hoffe,
er weitet sich zum Dialog mit Schriftstellern fernerer Kulturen.

FEDERWELT: Welchen Rat können Sie angehenden Autorinnen und Autoren
geben?

REGINA BERLINGHOF: Es kommt drauf an, was man will. Hauptsächlich
Erfolg? Dann muß  man sich nach dem Geschmack des Publikums oder des
Literaturbetriebs richten. Schreiben, was man selbst will? Dann nur zu
und den eigenen Impulsen folgen, auch wenn der Erfolg nicht sicher
ist.
 
 
 

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