Interview mit der Schriftstellerin
Regina Berlinghof über einen
spirituellen Schreibanlaß,
der sie zum Schreiben und zu ihren Themen
brachte, über Verlagssuche,
bremsende Denkmechanismen in Verlagen und
die Bedeutung des Internets.
Regina Berlinghof wurde 1947 in Freiburg
im Breisgau geboren, heute
lebt sie als freie Schriftstellerin
in Kelkheim im Taunus. Ihre
Brötchen verdient sie halbtags
in der EDV. 1995 veröffentlichte sie
ihren ersten Roman "Mirjam. Maria
Magdalena und Jesus" im Internet,
1997 erschien er als Hardcoverausgabe
im Verlag Dietmar Klotz. 1999
gründete Regina Berlinghof
den YinYang Media Verlag. Dort erschien
1999 ihr Erzählband "Wüste,
Liebe und Computer". Regina Berlinghof
schreibt außer Prosa auch
Lyrik und Satiren, die sie auf ihrer
Homepage und auf Lesungen veröffentlicht.
Ihr neuer Roman
(Arbeitstitel "Schrödingers
Katharina oder Liebe am anderen Ende der
Welt) sucht noch einen Verlag.
Ihre Homepage:
http://www.regina.berlinghof.de
Veröffentlichungen von Regina Berlinghof:
1. "Kundry". Erzählung in: Sommerfest, dtv, München 1993, S. 163ff
2. "Mirjam. Maria Magdalena und Jesus".
Roman.
Als erster deutschsprachiger Roman
vollständig seit 8.10.1995 im
Internet
veröffentlicht unter
http://www.literatur.de, inzwischen
unter
http://www.regina-berlinghof.de
Hardcoverausgabe: Verlag Dietmar
Klotz, Eschborn 1997
3. "Wüste, Liebe und Computer".
Geschichten. YinYang Media Verlag,
Kelkheim 1999 (in Zusammenarbeit
mit Libri Books on Demand)
4. Übersetzungen aus dem Amerikanischen (u.a. mehrere Garfield-Bände)
5. Gedichte in: "Märchenschlösser
und Dichterresidenzen. Literarische
Streifzüge durch den Taunus"
und "Zeitreisen im Taunus" Kleine
Kulturgeschichte der Region zwischen
Rhein, Main und Lahn. Beide Bände
von Olivia Kroth, Societätsverlag,
Frankfurt am Main, 2001 bzw. 2002
Die Fragen stellte Martina Weber.
FEDERWELT: Im Fragebogen für
den Eintrag in der Datenbank
Schriftstellerinnen in Deutschland
1945ff (zu lesen auf Ihrer
Homepage) schreiben Sie, eine spirituelle
Erfahrung habe Sie zum
Schreiben gebracht. Was für
ein Erlebnis war das?
REGINA BERLINGHOF: So, auch wenn
das Kommende nicht nach
Jedermanns/fraus Geschmack ist und
intellektuellen Ohren vielleicht
schwülstig klingt: Im Nachhinein
würde ich es als spontane
Bewußtseinserweiterung bezeichnen.
Spontan, weil ich sie nicht durch
Meditation, Yoga oder Drogen erlangt
habe. Es passierte in Kairo 1977,
als ich meinen Freund liebte und
mich in diesem Augenblick unendlich
geliebt wußte.
Es steigerte die normale sexuelle
Erregung weit über Vagina und
Unterleib hinaus. Der ganze Körper
wurde zum Instrument der Liebe. Er
strömte, pulsierte, hob und
senkte sich nach seinem eigenen Rhythmus,
und ich ließ es geschehen,
griff nicht ein. Es war, als ob eine große
Welle mich vorwärtstreiben
und tragen würde, ja daß ich zur Welle
selbst wurde.
Es war nicht das erste Mal, daß
ich mit meinem Freund geschlafen
hatte und nicht das letzte Mal.
Er war auch nicht der erste oder der
letzte Mann in meinem Leben. Aber
es geschah in dieser Weise nur
dieses eine Mal - leider (! ;-)).
In diesem Moment erfuhr ich mich
als Teil der großen Natur, als ein
geliebter Teil des großen
Ganzen. Durch die Liebe meines Freundes
hatte ich plötzlich zu meiner
eigenen Natur, zu dem innersten Kern von
mir gefunden. Und dabei gleichzeitig
entdeckt, daß dies der Kern von
uns allen und von allem überhaupt
ist. Die Liebe als Energie, die
alles trägt, die alles bildet,
alles schafft. Vom kleinsten bis zum Größten.
Nicht nur uns Menschen, sondern
auch Tiere, Pflanzen, die sogenannte
"unbelebte" Materie. In diesem Moment
hatte ich den Zugang zum Kern
der Materie (bis in die Körperzellen
und Atomteilchen). Im Innersten
der Form gab und gibt es keine Form
- nur freie Energie. Eine Energie, die
aber Form und Gestaltung liebt und
darum aufbaut. Sie ist und
durchdringt alles, was ist. Manche
Religionen nennen es Gott und
grenzen dann aber sehr schnell die
Welt ein, wo Gott ist oder wo
nicht. Was er (!) will oder nicht.
Dann kommen die Drohungen mit
Strafen. Meist scheiden Religionen
auch zwischen dem "göttlichen"
Geist und der profanen, leblosen
und wertlosen Materie, dem
vergänglichen Fleisch, den
sterblichen Geschöpfen. Das Christentum hat die Sexualität
verteufelt. Fundamentalisten der
aller Religionen tun es noch immer
(sie brauchen immer Himmel und Hölle,
um die Schäfchen
einzuschüchtern).
Ich habe meine Erfahrung ähnlich
in tantrischen Texten gefunden. Der
Weg zur Erleuchtung über
liebende sexuelle Vereinigung. Oft hat sich
dieser Weg auf bestimmte technische
Rituale und Praktiken verengt. Von
Liebe ist dort kaum mehr die Rede.
Im Ergebnis wird die Erkenntnis der
Einheit und Heiligkeit allen Seins
in den Schriften der Mystiker aller
Religionen beschrieben. Bei den
persischen Liebesmystikern wie Hafis,
Omar Khayyam u.a. umfaßt die
Liebe alle Ebenen, auch die physische
Liebe.
FEDERWELT: Vermutlich hat Sie dieses
Erlebnis auch zu Ihren
bevorzugten literarischen Themen
gebracht.
REGINA BERLINGHOF: Es war genau diese
Erfahrung, auf deren Möglichkeit
ich aufmerksam machen wollte, ohne
als Guru aufzutreten. Es geht mir
nicht um Glaube, Religion und Anhängerschaft,
sondern um die eigene Erkenntnis. Und um
die Bereitschaft, eine solche Erfahrung
überhaupt zuzulassen.
Ich habe Deutschland als Kühlschrankkultur
erlebt und bin erst durch
die Menschen in Ägypten "aufgetaut".
Ohne ihre Herzlichkeit,
ihren Humor, ohne ihr Zulassen von
Gefühlen und Vertrauen hätte ich
die Erfahrung vermutlich nie gemacht.
Für mich sind dies Eigenschaften
, die in unserer Kultur "unterentwickelt"
sind. Verstand, Technik und
wirtschaftliche Leistungskraft und
bloße sexuelle Freizügigkeit sind
nicht alles. Wir brauchen dazu auch
Herz und Gefühl.
Das ist der Grund meines Schreibens.
Auch das Motto meines Verlages
("Literatur, Spiritualität,
freier Geist").
Das ist auch das Thema beim neuen
Roman, der aber noch in die Welt der
Quantenphysik führt.
Um mögliche Einwände vorwegzunehmen,
hier ein Zitat:
(Ulrich:)
"Also die beiden lieben sich und
lieben sich. Sie haben Sex ohne Ende.
Und dann kommt es zum Höhepunkt,
sie erlangen Erleuchtung wie weiland
Schiwa und Schakti bei den Indern.
[...] Ich frage mich nur eines:
Wieso werden wir nicht erleuchtet?
Wieso werden Hunderttausende
und Millionen Menschen nicht erleuchtet,
wenn sie miteinander
schlafen? Es wäre doch so schön
und so einfach!"
(Katharina): "Das dachte ich auch.
Aber du und deine Millionen von
Menschen schlafen eben nur miteinander.
Isolde und Tristan und Schiwa
und Schakti liebten sich. Das ist
der kleine Unterschied. Und wir beide, wir
hatten Sex miteinander, mehr nicht.
Wir haben miteinander geschlafen.
Du machst ja sogar die Augen zu
und siehst mich nicht einmal an. Wir
haben uns nicht geliebt. Oder würdest
du das als Liebe bezeichnen?"
(Ulrich) "Nein."
FEDERWELT: Was möchten Sie bei Ihren Leserinnen und Lesern bewirken?
REGINA BERLINGHOF: Gefühl und
Herz entwickeln, ohne Verstand und
Vernunft preiszugeben. Kein Sacrificium
Intellectus (Opferung des
Verstandes). Aber Erkennen, daß
auch der Verstand nur ein begrenztes
Sinneswerkzeug ist. Er gilt nicht
für alle Bereiche. Er gibt dem Menschen
keinen Sinn. Wohl aber Liebe und
intuitive Erkenntnis.
FEDERWELT: Sie haben nicht nur zwei
juristische Staatsexamina, sondern
noch Neu- und Althebräisch
sowie Arabisch studiert und ein
Bibliothekarisches Staatsexamen
gemacht. Was Sie interessiert, packen
Sie offensichtlich gründlich
an. Wie sind Sie das Projekt Schreiben
angegangen?
REGINA BERLINGHOF: Das war alles
nicht sonderlich geplant, aber es
rundete sich später in einem
überraschenden Zusammenspiel.
Ich habe im sechsten Semester gemerkt,
da ich mit der Juristerei nicht
glücklich würde.
Früher wollte ich Schauspielerin
werden - traute mir das aber nicht
zu. Und Lehrerin wollte ich nicht
mehr werden (nicht nur Schule, Uni
(= wieder Schule) und zurück
zur Schule). Ich habe damals keine
tragfähige Alternative gesehen
und habe bis zu den Examina
durchgehalten. Nach dem ersten Examen
stürzte ich mich für ein halbes
Jahr nach Israel ins Kibbuz und
in die Wüste. Dort konnte ich dann die
letzten drei Monate an einem Hebräischkurs
für Neueinwanderer
teilnehmen. Das Referendariat zog
ich lustlos durch - lernte
statt dessen lieber Hebräisch
weiter und fing auch mit Arabisch an.
Ich wollte mich mit den Menschen
dort unterhalten können.
Ich hatte mich zwar an der Uni eingeschrieben
und Kurse besucht, aber
nie mit einem Abschluß
als Ziel. Immerhin kam ich so nach dem 2.
Staatsexamen durch ein DAAD-Stipendium
nach Ägypten. Ich muß gestehen,
ich habe dort mehr gelebt als studiert
und gearbeitet, allerdings
Arabisch weitergelernt.
Die bibliothekarische Zusatzausbildung
begann ich nach meiner
Rückkehr, als ich einen Brötchenjob
suchte, der mir genug Ruhe und
Muße zum Schreiben ließ.
Bücher habe ich immer geliebt.
Das "Projekt Schreiben" begann damit,
daß ich schreiben wollte, aber
nicht wußte, wie. Ich hatte
kein großes Selbstvertrauen, was mein
Schreiben betraf. Ich hatte zwar
in Deutsch immer "gut"
(damals hatte bei uns niemand eine
eins), eine befreundete Malerin im
Kibbuz schrieb mir, daß meine
Briefe sehr lebendig seien. Aber ich
habe zwölf Jahre gebraucht,
um das Thema so darstellen zu können, daß
es mir angemessen erschien.
Ich versuchte es zuerst mit wissenschaftlichen
Aufsätzen, dann mit der
Form der Essays und Aphorismen (alles
für die Schublade). Dann machte
ich Umwege, schrieb Märchen,
einen Kinderbuchroman (wieder für die
Schreibtischschublade). Als ich
voll Verzweiflung einen Krimi anfing
("jetzt schreib ich mal was Gängiges"),
kam mir nach einer
Wiederholung von "Ben Hur" im Fernsehen
die Idee: ich gieße mein Thema
in die Form des Romans, nehme Jesus
und Maria Magdalena als Liebespaar
und lasse sie BEIDE in der Liebesvereinigung
Erleuchtung erfahren.
Damit würde ich den zweitausend
Jahre alten abendländischen Zwiespalt
zwischen Körper, Geist und
Seele sozusagen an der Wurzel aufheben.
Ich wollte den möglichen Weg
über Liebe und Sexualität zeigen und
damit auch wegführen von dem
Gurubild, wo immer nur ein einzelner,
allwissender Mensch den Zugang zu
den Quellen der Erkenntnis hat
(noch dazu fast immer nur Männer!)
FEDERWELT: Was war für Ihre Entwicklung als Autorin besonders wichtig?
REGINA BERLINGHOF: Menschliche Erfahrungen,
seien sie glücklich oder
unglücklich. Wenn frau nichts
erlebt, nichts erfährt, worüber soll sie
dann schreiben? Damit meine ich
nicht, das eigene Leben
fotografisch-literarisch abzubilden.
Aber man muß erst eine
Erlebniswelt durch eigene Erfahrungen
aufgebaut haben, um darin zu
spielen.
Nur von außen beobachten, das
ist für mich der wissenschaftliche
Blick, der seziert und tötet.
Wer Geschichten und Romane schreibt,
sollte ein breites Gefühlsspektrum
haben, um allen seinen
Protagonisten gerecht zu werden.
Beim Schreiben habe ich immer das
Gefühl, daß ich doch
Schauspielerin geworden bin: nur "spiele" ich
beim Schreiben alle Rollen des Stücks
und nicht bloß eine.
Natürlich sollte sich ein Autor
auch um die handwerklichen Fähigkeiten
kümmern: Wortschatz, Grammatik,
Wesentliches von Unwesentlichen
unterscheiden, wie baut sich Spannung
auf usw. Es ist gut, daß es
Workshops von Literaturbüros,
Volkshochschulen und anderen Stellen
gibt.
Kurse in "creative writing" sollten
schon an der Schule angeboten
werden. Dort hat man mir im Deutschunterricht
für Jahre erst einmal
die Lust am Schreiben ausgetrieben.
FEDERWELT: Welche Bedeutung hatten
oder haben literarische
Anleitungsbücher (Bücher
über Schreibtechniken etc,), also das
technische Handwerkszeug, für
Sie?
REGINA BERLINGHOF: Ich habe einige
gelesen (Reiners Stilfibel u.a.) -
alles gut zu bedenken und kritisch
umzusetzen.
Diese Bücher warnen zu Recht
vor schablonenhaftem Schreiben. Nur: wenn
man sie gehorsam befolgt, gerät
man unweigerlich ins nächste Schablonenraster.
Das gilt auch für Kurse, Workshops.
Auch für das Redigieren durch
Lektoren und Verleger.
Man kann alle Ratschläge und
Kritiken immer nur als Vorschläge nehmen.
Die Autoren sollten immer das letzte
Wort behalten und behaupten. Auch
Lektoren und Verleger sind fehlbar.
FEDERWELT: Haben / hatten Sie literarische
Vorbilder? Wenn ja, was
genau ist Ihnen an den genannten
Personen oder ihren Texten wichtig?
REGINA BERLINGHOF: Ich habe von Kindheit
an sehr viel und völlig
querbeet gelesen. Von Klassikern
bis zu Schundheftchen. Märchen,
biblische Geschichten im Religionsbuch
meiner älteren Schwester,
erst später die Bibel, Romane,
Gedichte, Sachbücher, wissenschaftliche
Werke. Ernstes, Satirisches und
Blödelulk. Literarische Qualitäten
entdeckte ich bewußt zum ersten
Mal, als ich Jane Austens "
Pride and Prejudice" im Original
las. Eine unglaublich elegante,
einfühlsame und heiter ironische
Sprache.
Ich glaube, daß Wege
in und durch fremde Sprachen und Kulturen
zweierlei bewirken: neue eigene
Seh- und Denkweisen und ein vertieftes
Bewußtsein für die eigene
Sprache und Kultur.
Vorbilder im eigentlichen Sinn habe
ich nicht. Die Form entwickelt
sich meist aus dem Thema und dem
Charakter der Figuren.
FEDERWELT: Sie haben nun zwei Romane
geschrieben.
War Ihr Vorgehen bei
beiden gleich?
REGINA BERLINGHOF: Es verlief bei
beiden ziemlich ähnlich: eine lange
Vorlaufzeit, Herumprobieren, neu
Anfangen. Dann plötzlich der
Einstieg - und dann liefen sie.
(Selbst längere Unterbrechungen wirkten
sich dann nicht mehr störend
aus.) Die Detailrecherchen verliefen parallel.
Bei beiden Romanen hatte ich das
Material schon parat, weil ich mich lange und
intensiv mit den Themen beschäftigt
hatte bzw. die Umwelt durch eigene
Erfahrung kannte.
FEDERWELT: Ist Ihnen der erste oder der zweite leichter gefallen?
REGINA BERLINGHOF: Es hat bei beiden
Phasen gegeben, wo alles
"flutschte" und Phasen, wo es stockte.
Wenn es nicht richtig
weiterging, wenn es auf einmal "papiern"
wurde, hatte ich mich meist
zu sehr vom Intellekt leiten lassen.
Er schießt dann wie ein
durchgehendes Pferd immer geradeaus,
verfehlt die Kurve und verläuft
sich im Ungefähren. Wenn ich
aus dem Bauch und aus den Gefühlen der
Protagonisten schreibe, bleibe ich
viel näher am Zentrum. Dann bleibt
auch der Roman "rund".
FEDERWELT: Ab wann haben Sie versucht,
Texte zu veröffentlichen, wie
sind Sie dabei vorgegangen?
REGINA BERLINGHOF: Einen längeren
Märchenroman hatte ich vor Jahren
Verlagen angeboten, war aber noch
zu sehr im Grimmschen Stil.
Ernsthaft habe ich es erst mit "Mirjam"
versucht: mit ersten
Verlagskontakten auf der Buchmesse.
Gespräch und Beschreibung des
Inhalts. Später Versenden von Exposé und
Textproben an die Lektoren. Es gab
interessierte Lektoren und Verlage.
Zum Schluß scheuten sie das
dicke und möglicherweise blasphemische
Buch einer unbekannten Autorin.
Einem linken Verlag war der Roman
nicht blasphemisch und schamlos
genug. Die Lektorin eines christlichen
Verlages: "Das ist sehr interessant,
aber das kann ich meinen
Lesern nicht zumuten. Wenn der Roman
woanders erschienen ist, lassen
Sie es mich bitte wissen. Ich möchte
ihn auf jeden Fall lesen."
FEDERWELT: Am 24.8.2002 haben Sie
auf dem Mainuferfest in Frankfurt
aus Ihrem neuen Roman mit dem Arbeitstitel
"Schrödingers Katharina
oder Liebe am anderen Ende der Welt"
gelesen. Die Protagonistin will
nur eines, in Ruhe und ohne Geldsorgen
als Autorin leben. Eine
Überlegungen ist die, ihre
Texte nackt im Gras liegend zu schreiben,
um die Vermarktung des Buches voranzutreiben.
Unterstellt man, daß die
Protagonistin damit auch einiges
Ihrer eigenen Denkweise
transportiert, so scheinen Ihre
Erfahrungen mit Verlagen nicht gerade
positiv zu sein.
REGINA BERLINGHOF: Diese Textstelle
stammt aus dem Tagebuch des
entführten Verlegers, der seiner
Entführerin, der Schriftstellerin
Katharina Jukulli, höhnisch
den Rat gibt, sich so zu vermarkten. Sie
antwortet ihm später: "Übrigens
wird der Roman nicht viel von Liebe
handeln. Sondern von Sex und Crime.
Das ist es doch, was ankommt,
oder? Ich habe meine Lektion begriffen.
Liebe zählt nicht. Macht und
Gewalt sind alles. Sei freundlich
zu den Leuten, und sie nehmen dich
nicht ernst. Tritt Ihnen vors Schienbein,
und auf einmal respektieren
sie dich. Handke beschimpfte das
Publikum, und sie lagen ihm zu Füßen.
Rainald Götz schnitt sich vor
laufender Kamera die Stirn auf. Das Blut
tropfte auf sein Manuskript, während
er las. Das gefiel der Jury in
Klagenfurt. Damit beeindruckt man
die Leute. Ich entführe einen
Verleger. Das wird doch der Hit!
Ich biete Ihnen an, den Roman in
Ihrem Verlag herauszubringen. Das
wird Sie für alle finanziellen
Nachteile entschädigen."
Der eigentliche Grund für die
Entführung liegt aber ganz woanders.
Katharina ist unglücklich in
diesen Verleger verliebt und dadurch
blockiert. Sie entführt ihn
und verstellt sich zunächst. Ihr Buch (und
meines) handelt tatsächlich
von Liebe und Quantenphysik. Die
Entführung dient nicht nur
einem spannenden Plot - sie baut die
emotionale Spannung zwischen Opfer
und Täterin erst richtig auf.
FEDERWELT: Wie haben Sie den Verlag
für Ihren ersten Roman "Mirjam.
Maria Magdalena und Jesus" gefunden?
REGINA BERLINGHOF: Durch die Publikation
im Internet. Nachdem die
Veröffentlichung in der edition
ebersbach nach langen Querelen kurz
vor Drucklegung geplatzt war, habe
ich den Roman als Notlösung im WEB
veröffentlicht. Durch einen
glücklichen Zufall gab mir GermanyNet dazu
kostenlos die Möglichkeit.
1995/6 war das Internet ja noch brandneu,
jedenfalls für die breitere
Öffentlichkeit. Bei einer
Podiumsdiskussion 1996 über
Literatur im Internet nahm ich teil; die
Lokalpresse berichtete darüber.
Danach kam der Anruf des Verlegers
Dietmar Klotz.
FEDERWELT: War die Gründung
Ihres eigenen Verlages, des YingYang Media
Verlages, eine Konsequenz aus den
Schwierigkeiten, einen Verlag für
Ihren ersten Erzählungsband
zu finden?
REGINA BERLINGHOF: Ja, die Lust,
wieder einen Verlag zu suchen, war
nicht sonderlich groß. Ich
habe meine Energie lieber in die eigene
Sache gesteckt, statt lange zu suchen
und vielleicht vergebens zu
warten. Der Verlag der Mirjam ist
eigentlich ein Fachbuchverlag für
Psychologie. Wegen des persönlichen
Interesses des Verlegers an der
religiösen Thematik kam es
bei Mirjam zum Vertrag. Aber meine
Geschichten gehen teilweise über
diesen Rahmen hinaus und paßten nicht
mehr ins Programm. Da las ich einen
Zeitungsartikel über die neue
Publikationsform bei Libri, Books
on demand, und gründete den eigenen
Verlag. Wenn ich jetzt für
"Schrödingers Katharina" wieder bei fremden
Verlagen anfrage, dann doch im Bewußtsein,
daß ich den Roman wieder
im WEB oder im eigenen Verlag herausbringen
könnte.
FEDERWELT: Ist Ihr Verlag ein reiner
Selbstverlag oder publizieren Sie
auch Bücher anderer AutorInnen?
Falls ja, wie ist das Verlagsprogramm?
REGINA BERLINGHOF: Ich wollte von
vornherein nicht nur eigene Sachen
herausbringen. Ich hatte mich 1998
wieder intensiv mit dem persischen
Dichter Hafis beschäftigt,
in der Frankfurter Unibibliothek die Gesamtausgabe
seines Diwan gefunden. Ich wollte
diese Ausgabe, die Goethe zu seinem
Westöstlichen Divan inspirierte,
im Goethejahr zu einem
erschwinglichen Preis wieder herausbringen.
In dieser Publikationsform
war es mir finanziell möglich.
Für mein Verlagsprogramm suche
ich Literatur von Dichtern und
Schriftstellern mit ähnlichen
Bewußtseinserfahrungen, ohne daß sie
einer esoterischen Dogmatik verfallen
sind. Ich liebe die freisinnigen
persischen und arabischen Liebesmystiker,
die aus der ganzheitlichen
Liebeserfahrung Glück und Unglück
bejahen können. Ebenso die alten
Inder und Chinesen wie Lao Tse,
Dschuang Dsi, und den kaum noch
christlichen Meister Eckehart. Alle
jene Mystiker, die die Regeln
ihrer Religion sprengen - und oft
genug von den Fundamentalisten als
Ketzer angefeindet wurden und werden.
Es gibt viele Verlage, die die
eigentlich religiösen Texte
herausbringen. Mich interessiert das
lyrische und belletristische Umfeld.
FEDERWELT: Sie haben zwei juristische
Staatsexamina, scheinen aber,
studiert man den Fragebogen zu Ihren
biographischen Angaben, mit dem
Juristischen gebrochen zu haben.
Hat Ihnen die Ausbildung zur Juristin
für Ihr Schreiben etwas gebracht?
REGINA BERLINGHOF: Zum ersten: einen
zweiten halbjährigen Aufenthalt
in Israel; während des Referendariats
verbrachte ich die
Rechtsanwaltsstation in Jerusalem
- mit weiteren Hebräisch- und
Arabischstudien. Zum zweiten das
Stipendium des DAAD in Ägypten.
Zum dritten: Wissenschaftliches
Arbeiten. Außerdem: juristisches
Denken schadet nie: man lernt, sich
in die Position des Gegners zu
versetzen. Auch als Schriftstellerin
muß ich Positionen vertreten
können, die nicht die meinen
sind - aber die der Figur.
FEDERWELT: Wie sieht es mit dem Sprachstudium
aus? Spüren Sie von hier
aus Einflüsse auf Ihre Texte?
REGINA BERLINGHOF: Ja, vor allem
bei Mirjam. Ich habe ja nicht nur die
biblischen Geschichten wie Grimms
Märchen eingesaugt. Als ich vom
Kibbuz zurückkehrte, gab es
an der Frankfurter Uni keine Möglichkeit,
Neuhebräisch weiterzulernen.
Also stieg ich ins Althebräisch ein,
übersetzte teilweise die Bücher
Mose und las im Seminar Texte aus der
Mischna. Eine Stelle habe ich direkt
in den Roman übernommen: "Wenn
einer einen Menschen tötet,
so ist es, als ob er eine ganze Welt
tötet. Wenn einer einen Menschen
rettet, so ist es, als ob er eine
ganze Welt rettet." (Sanhedrin)
Erst letztes Jahr, nach den Anschlägen auf die
Twin Towers, erfuhr ich, daß
es eine fast gleichlautende Stelle im
Koran gibt.
Durch die Mischna lernte ich intensiv
das jüdische Denken und Fühlen
um die Zeitenwende kennen. Die Angst,
von Gott verworfen zu werden -
selbst in der ewigen Welt. Es gab
die Vorstellung der Auferstehung am
Ende aller Tage. Aber dies galt
nicht für Gotteslästerer. Sie sind
verflucht für alle Zeiten.
Sicher flossen auch Stil und Pathos in den
Roman, vor allem beim fundamentalistischen
Erzähler Yoram.
Traditionell geprägte Araber
haben auch eine andere, sehr viel zeremoniellere
Sprechweise als wir. Sie entspricht
sehr viel mehr der
damaligen Ausdrucksweise. Auch davon
floß einiges in den Roman.
FEDERWELT: Sie waren, sicherlich
auch angeregt durch Ihre Arbeit als
PC-Beraterin, bei den ersten AutorInnen,
die das Internet für sich
nutzten und eigene Homepages einrichteten.
Welche Bedeutung hat das
Internet für Sie?
REGINA BERLINGHOF: Es gibt mir die
Unabhängigkeit und Freiheit, mich in
der Öffentlichkeit zu äußern
und z.B. meinen Roman, Geschichten,
Leserbriefe usw. ohne Zensur zu
veröffentlichen. Ich bin nicht mehr
auf Verlage und Verleger angewiesen
wie früher, wo allein der Kostenfaktor
eigenes Publizieren verbot. Außerdem
ist es
schön, unmittelbare Reaktionen
von Lesern zu bekommen. Per email geht
das alles viel leichter. Wie dieses
Interview.
FEDERWELT: Arbeiten Sie mit anderen
AutorInnen und Autoren zusammen?
Wenn ja, wie?
REGINA BERLINGHOF: Nicht beim Schreiben.
Eine Zeitlang in der
Frankfurter Autorengruppe Flattersatz,
die ich 1996 nach einem
Literaturworkshop gründete.
Wir besprachen unsere Texte, machten
sozusagen eigene Lektoratsarbeit.
Das setzte sich in der Lektorenwerkstatt
in Langen fort.
Ich lese gerne mit anderen Autoren.
Ich denke, es ist auch angenehmer
fürs Publikum, zwischendurch
eine andere Stimme und eine andere Denk-
und Schreibweise zu hören.
Das ist der gleiche Grund, weshalb ich
Musik bei Lesungen mag.
In Kelkheim haben wir die Lesereihe
"Literarische Begegnungen auf dem
Ostwestsofa". Es sind Lesungen mit
jeweils einem/r Autoren aus den
alten und neuen Bundesländern.
Ein innerdeutscher Dialog. Ich hoffe,
er weitet sich zum Dialog mit Schriftstellern
fernerer Kulturen.
FEDERWELT: Welchen Rat können
Sie angehenden Autorinnen und Autoren
geben?
REGINA BERLINGHOF: Es kommt drauf
an, was man will. Hauptsächlich
Erfolg? Dann muß man
sich nach dem Geschmack des Publikums oder des
Literaturbetriebs richten. Schreiben,
was man selbst will? Dann nur zu
und den eigenen Impulsen folgen,
auch wenn der Erfolg nicht sicher
ist.
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