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mail von Dr. Frisch vom 28.11.2000 auf meine
Anmerkungen
(seine Ergänzungen im Text sind in blauer
Schrift, meine in rot.)
Danke für die Antwort und danke für
den Tip mit "Änderungen verfolgen".
Es wird wirklich "dialogisch", aber auch lang!
Bis bald
Hans Frisch
eMail mit Anlage vom 22.11.2000
Sehr geehrter Herr Dr. Frisch,
herzlichen Dank für Ihre ausführliche
Antwort auf meine Anmerkungen. Darf ich auch auf Ihren Brief in Form von
Anmerkungen antworten? Ich habe Ihr Worddokument mit meinen Anmerkungen
über das Menü Änderungen
verfolgen/Änderungen hervorheben versehen.
So wird unser eMail-Wechsel dialogisch und zu einem schriftlichen Gespräch.
So, jetzt ist es kurz vor ein Uhr nachts. Ich muß morgen früh
aufstehen, meine Brötchen verdienen.
Daher für heute Schluß und herzliche
Grüße
Regina Berlinghof
Dr. Hans Frisch
90491 Nürnberg
e-mail: hans.frisch@t-online.de
21. November 2000
Sehr geehrte Frau Berlinghof,
ihre Antwort auf meinen Radiobeitrag über ihr Buch habe ich von
Uwe Schütz erhalten.
Sehr gern würde ich mit ihnen darüber ins Gespräch kommen
- es dürfte aber schwierig werden (trotz E-Mail und Internet )
Einige verschiedene Ebenen sind sowohl in ihrem Buch als auch in meinem
Beitrag berührt und verquickt - klar denken und argumentieren läßt
sich aber immer nur in einer Ebene.
Erlauben Sie mir bitte einen ersten Versuch: Die Kraft und die Farbe,
mit der Sie die erotische Beziehung von Mann und Frau als religiöse
Erfahrung darstellen, haben mich stark berührt.
Der Ausweitung ins Spirituelle kann ich nicht folgen - doch verlangt
die Begegnung mit dem Heiligen nach Deutung, nach Begriffen zum Begreifen,
auch wenn die überkommenen Begriffe nicht mehr greifen. So verstehe
ich die Bereitschaft, sich auf alt-neue Deutungen einzulassen.
In meinem Beitrag habe ich angedeutet, daß aus dem (zeitgemäßen)
Fehlen der Erotik im Neuen Testament nicht auf die Leibfeindlichkeit des
Evangeliums geschlossen werden kann und daß die Verteufelung der
Sexualität ein dunkles Kapitel der Kirchengeschichte ist.
Ich glaube, auf dieser Ebene könnten wir uns bald verstehen.
Ja, selbstverständlich!
Können wir also für das Folgende
die Leibfeindlichkeit der Kirchengeschichte zuschieben und das Evangelium
davon lossprechen? (über einige Paulus Zitate und auch einige
Jesus Worte müßte speziell nachgedacht werden - ich sehe da
keinen wirklichen Widerspruch.)
Eine andere Ebene ist die der religiösen Erkenntnis. Darf ich
etwas weiter ausholen?
In allem religiösen Suchen der Menschen spüre ich eine Grundsehnsucht:
Der aus dem Paradies, aus dem Einssein mit dem Ganzen, in den Raum der
Freiheit ausgetretene Mensch sehnt sich nach Beziehung zum Ganzen - und
die Frage danach kommt erst zur Ruhe durch eine gültige Antwort.
Für mich ist das Entscheidende weniger
die Sehnsucht nach der Erfahrung des Einsseins mit dem Ganzen, sondern
die tatsächliche Erfahrung selbst. Hierin liegt der Grund jeder religiösen
Erkenntnis. Für mich symbolisiert die Geschichte von der verbotenen
Frucht den Zustand des Nichtwissens der Einheit in der tatsächlichen
göttlichen und paradiesischen Einheit. Nur im Zustand der Unbewußtheit
kann man vom "Sündenfall" und einem strafenden Gott sprechen. Dann
ist Gott nichts anderes als eine Projektion menschlicher Gefühle und
menschlichen Sozialverhaltens mit Geboten und Verboten. Im Zustand des
bewußten Einsseins gibt es keine Trennung mehr zwischen heilig und
sündig. Es gibt keine Sünde - nur die Erkenntnis, daß man
vorher unwissend war. Wie wenn einem Blinden zu ersten Mal die Augen geöffnet
würden..
Die Unbewußtheit Adams und Evas kommt
dadurch zum Ausdruck, daß sie sich wie Angeklagte vor einem Richter
verhalten und sich gegenseitig die "Schuld" zuschieben. Nur im Zustand
der Unbewußtheit gibt es "Gebote" und "Verbote". Im Zustand des Einsseins
sind solche Verhaltensmaßregeln völlig überflüssig.
Denn in der Liebe, die einen in diesem Moment zu allen Wesen erfüllt,
schrickt man vor jedem schädlichen Verhalten gegenüber anderen
zurück, als würde man sich selbst verletzen.
Darf ich einige meiner Begriffe klären?
"Sehnsucht" meint den inneren Antrieb, die
innere Notwendigkeit zur religiösen Erfahrungen zu kommen (so wie
Hunger und Durst, sexuelle Potenz zum Antrieb werden).
"Religiöse Erfahrung", das sind Ereignisse,
die Antwort auf die Sehnsucht geben - in denen die Trennung zwischen dem
Ich und dem Ganzen aufgehoben ist. (das kann die mythische Naturerfahrung
im Hochwald oder im Gebirge sein, die Erschütterungen bei der Neunten
von Beethoven, daß Einswerden in der Liebe von Mann und Frau und
unendlich vieles).
"Religiöse Erkenntnis" ist für mich
der Prozeß der begrifflichen Formung im Verlauf der Religionsgeschichte
- dem Finden von Mythen und Bildern, die eine gemeinsame und Gemeinschaft
bildende religiöse Erfahrung möglich machen. Das ist eine starke
Achse der Menschheitsgeschichte die durch Kultus und Kultur geht und auch
in ihrer säkularisierten Verlängerung noch erschreckend mächtig
ist (ich bin gespannt, wie sie nach dem Untergang der jüngsten Mythen
wieder in Erscheinung treten wird).
Die "paradiesische Einheit" sehe ich in der
noch intakten Instinktsteuerung des Urmenschen - der Verlust des Paradieses
ist nicht Strafe sondern unumgängliche Konsequenz der ergriffenen
Freiheit.
Der Begriff "Sündenfall" kommt in der
Schöpfungsgeschichte nicht vor - dort sagt Gott nach diesem Ereignis:
„Nun ist der Mensch geworden wie unser einer, er weiß was gut und
böse ist“. Also, das Schöpfungsziel aus dem ersten Schöpfungsbericht
ist erreicht. Träume, wie es doch gewesen wäre, wenn der Sündenfall
nicht geschehen wäre, halte ich für so unnütz wie den Gedanken,
wie schön es wäre, noch im Mutterleib zu sein.
Ich stimme völlig mit Ihnen überein:
im Zustand des Einsseins sind solche Verhaltensmaßregeln völlig
überflüssig denn dann schrickt man vor jedem schädlichen
Verhalten zurück.
Wer hat das nicht erlebt: Als die Trennung
sich löste in der Liebe, da wollte ich die ganze Welt umarmen. Nur,
der Moment ging vorüber - wir fanden uns jenseits von Eden. Ganz von
selbst sah jeder die Schuld beim anderen. Als wir schließlich reifer
wurden, entdeckten wir am Andern die ihm aufgeladene Schuld der Eltern,
der Lehrer, der Freunde, der Gesellschaft - und wir bekamen einen Blick
für das wuchernde Netz von Beziehungsstörung, in das auch wir
unsere Kinder und andere verstrickt haben.
Von Sünde und Sündenfall, von Verbot
und Strafe redet der biblische Bericht zunächst nicht. Erst als Kain
vor der Entscheidung steht, da hört er die Mahnung und die Aufforderung:
„Die Sünde lauert vor der Türe, du aber herrsche über sie!“
Und die Vertreibung aus dem Paradies ist nicht Strafe, die Verfluchung
des Ackers ist eher Konsequenz der menschlichen Freiheit als Fluch oder
Strafe. Es hat zu tun damit, daß der Tod ins Leben getreten ist.
Kein Tier sichert sein Leben aus Angst vor dem Tod.
Ist es nicht letztlich diese Angst, die zur
Lebensgier wird? Auf den Acker gewendet: Was bringt Menschen dazu, den
Regenwald für riesige Rinderfarmen zu opfern - ist es nicht, verflucht
noch mal, diese Gier?
Keine Geschichte bringt das besser zum Ausdruck, als die Erzählung
der Bibel. Eva überschreitet die Grenze der instinktiven Hemmung,
ergreift die verbotene Frucht und damit die menschliche Freiheit - und
nichts passiert. Der Instinkt war ein blinder Alarm.
Dieses Individuum und alle ihre Nachkommen werden nie mehr vor einer
Instinktgrenze zurückschrecken. Bis zur Atombombe und zur Genmanipulation.
Ganz am Anfang dieser Menschheitsgeschichte steht das Opfer - und der
Brudermord.
Auch hier muß ich widersprechen. Am
Anfang ist die Schöpfung: UND GOTT SAH, DASS ES GUT WAR! ALLES IST
GUT! Erst der unbewußte, kleingläubige Mensch unterscheidet
in gut und böse/schlecht. Aus der Sicht der Ganzheit ist alles gut!
Im spirituellen Erleben der Ganzheit (ob durch Meditation, erotische Liebe
oder sonst wie) ist der Mensch zum Brudermord nicht fähig. Das kommt
nur, wenn man Liebe rationiert erlebt. Der eine bekommt sie, der andere
nicht.
Einspruch! Beim Licht, dem Auftauchen der Kontinente,
beim Wachstum der Pflanzen, beim Sichtbarwerden von Sonne Mond und Sternen,
beim Auftauchen der Fische, bei der Schaffung der Tiere sieht Gott jedes
Mal: es ist gut. Nach der Schaffung des Menschen nicht - erst im Rückblick
auf die ganze Schöpfung steht das Urteil „sehr gut“.
Die Natur ist gut - der Mensch ist frei zu
Gut und Böse. Er soll gut bleiben oder gut werden.
Das Opfer - die religiöse Erkenntnis; ein Mittel, Beziehung
aufzunehmen zu dem, von dem ich getrennt bin.
Wieso braucht man den Gedanken des Opfers,
wenn man die Beziehung zur Ganzheit aufnehmen will? Hat im Christentum
Jesus nicht gesagt, wo seine Quelle der Erkenntnis und Religion liegt,
nämlich in der Liebe? Nicht im Opfer! Denn in der Liebe weitet sich
das Ego und fühlt sich dem anderen so nah wie man sich selbst. Die
Erkenntnis, daß der/die/das andere nur ein Ich in anderer Gestalt
ist (Schopenhauer: Ich noch einmal), hebt den Unterschied zwischen Ich
und Du auf. Der andere zählt so viel wie man selbst. Das ist für
mich der Urgrund jeder Religion.
Nur wenn man das Bewußtsein des Getrenntseins
(des Nichtganzen) nicht hat oder verloren hat, kommen Gedanken von Neid,
Rache, Strafe, Schuld usw. auf. Das Göttliche wird als Instanz außerhalb
seiner selbst erlebt. Man glaubt, es mit einem Opfer versöhnen zu
müssen. Das ist der große Irrtum. Nicht Gott muß versöhnt
werden, sondern der Mensch mit der Ganzheit! Der Wassertropfen muß
erfahren, daß er zum Meer gehört und ein Teil des Ganzen ist!
Das Opfer ist in der Menschheit von Anbeginn
der Weg, Beziehung zum Ganzen (zur Transzendenz, zu Gott) aufzubauen -
ob wir das akzeptieren oder nicht. Eben, weil das Getrenntsein erlebt wird
(in der Existenz des Menschen gegeben ist) wurde ein Weg gesucht und gefunden
im Opfer.
In frühen Phasen könnte der Gedanke,
die Gottheit durch Opfer zu versöhnen, im Vordergrund gestanden haben
(was ich bezweifele), spätestens im jüdischen Sündopfer
geht es genau um Ihr Anliegen: nicht Gott muß versöhnt werden,
sondern der Mensch.
„Ist einer schuldig geworden, vor dem Heiligen
Gesetz (dessen Zentrum und Zielpunkt die Liebe ist!) dann nehme er ein
Lamm (aus seiner großen Herde), trage es auf seiner Schulter zum
Heiligtum, lege sein Hand dem Tier auf den Kopf und schlachte es - das
stirbt durch ihn und für ihm - dann kommt der Priester aus dem Heiligtum
heraus, nimmt etwas von dem Blut des Opfers und streicht es an die Hörner
des Altars - und ihm wird vergeben“.
Da ist keine Rede von Bezahlung (große
Schuld - großes Opfer), da ist keine Drohung, keine Demütigung,
da ist ein Angebot, ein Weg für den Schuldigen in die Erfahrung der
Vergebung.
Als ich das unserer zwölfjährigen
Enkelin erzählte - sie interessierte sich für das Judentum -
sagte sie spontan: „Der tut das bestimmt nie wieder“.
Der Brudermord - die menschliche Erfahrung; eine Schuld, an der
Beziehung zerbricht.
Hier ist der Ursprung der Religion sichtbar gemacht. In der Entwicklung
wurde das Opfer im Kultus kultiviert, wurden von Einzelnen Bilder und Mythen
gefunden, die für viele die Antwort auf die religiösen Grundfragen
waren - so entstand heilige Gemeinschaft.
Das Heilige verlangte ein Heiligtum - der Kultus brauchte Priester.
Wenn Sie so argumentieren, gibt es schon die
Trennung zwischen heilig und unheilig. Das Heiligtum als das Besondere.
Etwas Abgegrenztes. Ist nicht die ganze Schöpfung durch Gott geheiligt?
Wie soll der Mensch also unterscheiden zwischen mehr oder weniger heilig?
Daß der Mensch sterblich, verletzlich
und begrenzt ist und nicht alle anderen Seinsformen verkraftet (Raubtiere,
Gift usw.) gibt ihm keinerlei Rechte, die ihm schädlichen Wesen und
Kräfte als unheilig zu verteufeln. Aber natürlich kann er sie
meiden. Vieles, was als unheilig eingestuft wird, erinnert mich an das
Empfinden eines Kindes, das sich an einem Tisch gestoßen hat und
nun böse auf den Tisch ist.
Das Heilige ist in der Menschheit von Anbeginn
im Zentrum der religiösen Erfahrung und des religiösen Erkennens
- ob wir es akzeptieren oder nicht. Es ist nicht abgegrenzt gegen das Unheilige
sondern es ist umgeben von einer Tabu-Grenze, weil es nicht eine Erscheinung
neben anderen Erscheinungen ist sondern der Einbruch, das Aufscheinen,
die Präsenz der Transzendenz, der Gottheit, des Ganzen inmitten in
der Erscheinungen.
Die Verteufelung von Erscheinungen -
optisch gedeutet - ist er der Schatten den ich im Licht des Heiligen in
die Welt werfe - und viele Priester in allen Zeiten haben es verstanden,
aus solchen Schattenbildern Dämonen zu machen - und damit Macht zu
erlangen.
Die Entfaltung der Welterkenntnis verlangte nach einer Entwicklung der
religiösen Erkenntnis - die schließlich wieder einem Einzelnen
zuteil wurde - von Stufe zu Stufe - bis zu Abraham, Echnaton, Mose, den
Propheten und zu Jesus - um die Linie zu verfolgen, die ins christliche
Abendland führte.
Das ist alles sehr hierarchisch und absolut.
Natürlich sind Abraham, Jesus, Buddha usw. große Erleuchtete.
Das bedeutet aber nicht, daß die übrige Menschheit nicht selber
spirituelle Erkenntnis erlangen kann. Wir alle können ein Liedchen
singen und uns an Musik erfreuen, ohne gleich Mozart, Bach oder Beethoven
gleichzukommen. Aber es wäre falsch, nur diesen Großen musikalische
Schöpfungskraft zuzusprechen.
Auch hier rede ich in von der Evolution des
Religiösen - und wie in der Evolution des Lebens von der Vermehrung
durch Teilung zur geschlechtlichen Vermehrung, von CO2 Atmung zur Sauerstoff
Atmung, vom Leben im Meer zum Leben am Land, von Tieren zu Menschen. punktuelle
Sprünge oder Grenzüberschreitungen erfolgten - so auch in der
geistigen (und geistlichen) Evolution.
Jeder Mensch hat seine Erfahrungen mit der
Schwerkraft gemacht - aber Newton hat eine neue Welt der Erkenntnis eröffnet;
jeder Mensch kann singen - aber Mozart hat Räume geöffnet, in
denen unserer Seele tanzen kann, Bach schenkt unserer Andacht und unserer
Anbetung Flügel - sowie jede Kunst uns Zugang schafft zur Mitte, zur
Transzendenz und zur Immanenz des Heiligen. Die Religion nach Abraham war
eine andere Evolutionsstufe als vorher, die Entdeckung des Monotheismus
durch Echnaton hatte die Kulturrevolution der Amarnakultur zur Folge -
zu früh oder zu revolutionär (im Gegensatz zu der Evolution bei
Abraham, Isaak und Jakob).
Ohne die (überhaupt nicht spektakuläre)
treue Arbeit Isaaks - der hier und da Brunnen grub im Land der Verheißung
- wäre die Entwicklung abgebrochen.
Ohne die spektakulärer Rolle des Mose,
nach dem er am brennenden Dornbusch seine Berufung erlebt hatte, wäre
die Geschichte nicht weiter gegangen - eine Geschichte in der Millionen
und aber Millionen Menschen zu religiöser Erfahrung, religiöser
Erkenntnis und religiös begründeter Opferbereitschaft fanden
- jeder einzelne so wie Abraham, Isaak und Mose, an seinem Ort.
Sicher sind auch andere solche Entwicklungslinien aufzufinden in der
Religionsgeschichte der Menschheit.
Auch auf dieser Ebene könnten wir uns wohl verständigen.
Bleibt die Ebene, in die er die Begriffe "Spirituelle Erleuchtung"
und "Guru-Jünger-Beziehung" ihren Platz haben.
Sicher ist es Ihnen erlaubt, die Thematik aus der eigenen gewählten
Perspektive zu betrachten und zu bearbeiten und die biblische Überlieferung
sehr frei und nach persönlicher Sicht zu gestalten - besonders, wenn
sie vor der möglichen Verletzung religiöser Gefühle warnen
(wahrscheinlich wissen Sie aber, daß eine solche Warnung bei vielen,
die in Fragen des Christentums Vorurteile haben, gerade das Interesse weckt).
Jesus war kein Guru, und spirituelle Erleuchtung war nicht seine Absicht,
sein Ziel oder seine Aufgabe. Als frommer Jude konnte er seine Berufung
nur verstehen aus dem Gesetz und den Propheten.
Nun ja. Wenn Jesus von sich spricht: Ich bin
das Licht der Welt, dann hat er das Gesetz und die Prophetie weit hinter
sich gelassen. Das brachte ja die Theologen seiner Zeit so zur Weißglut.
Ähnlich wurden andere Mystiker verfolgt und ermordet. Wie z.B. auch
der Muslim Halladsch, der sagte: Ich bin die Wahrheit - ich bin Gott. Wir
sind alle Teil des Göttlichen und darum selbst heilig. Nicht nur Jesus.
Als Gott den Menschen (Adam!) schuf, sagte er: Es ist gut!
Ich bin gekommen, das Gesetz zu erfüllen
sagt Jesus. Und als er nach dem Zentrum des Gesetzes gefragt wird, da fragt
er zurück (nach Lukas ): „Was liesest du?“
Es ist der Schriftgelehrte der das mosaische
Gesetz zitiert! Das wäre ein eigenes Thema
Das Gesetz, auf den Punkt gebracht lautet: Du sollst Gott über
alle Dinge lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. (Lukas 10.
Vers 27)
Ja (wenn man vom Sollen absieht. Liebe ist
etwas, das von selbst kommen muß. Man kann sie nicht erzwingen oder
befehlen.)
Ja, wenn die Liebe doch von selbst käme
und bliebe. „Ich bin gekommen ein Feuer anzuzünden - was wollte ich
lieber, denn es brennete schon“ sagt Jesus.
Die Zielrichtung der Propheten ist in Jeremia 31 Vers 31-34 fokussiert:
Ein neuer Bund durch Vergebung der Sünde.
Das, was uns von Gott oder dem göttlichen
Urgrund trennt, ist Unwissenheit: das Nichtwissen der Einheit mit dem Ganzen.
Die Erfahrung des Getrenntseins von Gott und dem Ganzen. Das Bewußtsein,
daß etwas fehlt bzw. daß die Welt "leer", sinnlos ist.
Das ist aber keine Sünde. Das ist auch
der Grund, weshalb wir Tiere als "unschuldig", sündelos einstufen:
sie wissen es nicht anders. In der Erfahrung der Ganzheit wird einem bewußt,
daß auch der Mensch nur so ist, wie er gerade ist. Daß man
nicht von ihm verlangen kann, anders zu sein. Einem begrenzten Wesen kann
man nicht vorwerfen, daß es als begrenztes Wesen gehandelt hat. Vor
Gott gibt es keine Schuld. Das ist auch der Sinn des Gleichnisses vom verlorenen
Sohn. Der Vater nimmt den Sohn in Liebe auf. In Liebe ist nichts zu vergeben.
Da wären einige Begriffe abzustimmen:
verstehe ich richtig: "Unwissenheit" und "Nichtwissen" als Gegenpol zu
"Wissen" und "Gewißheit" - dann sind wir ganz nah beieinander.
Dann ist Unwissenheit "Sünde" ein Zustand,
eine Störung der Beziehung (wie die Störung der Sohn-Vater-Beziehung
in dem Gleichnis).
Vor Gott gibt es keine Schuld, aber zwischen
Menschen - auch zwischen mir und dem der ich sein will und sein kann
(sein sollte).
In der Liebe ist nichts zu vergeben - aber
vergebene Schuld befreit zur Liebe - erlöst von Sünde.
Wie Jesus seine Prägung erfährt durch die religiös jungfräulich-geniale
Mutter, wie er die Berufung annimmt, wie er seine Botschaft formuliert
und verkündet, wie er zunehmend erkennen muß, daß auch
die Prophetenworte des Jesaja vom "leidenden Gottesknecht" zu dieser Berufung
gehören, wie er auch dieses auf sich nimmt, das ist in ihrem Buch
nicht zu finden.
Nein, denn in meinem Buch ist Mirjam die Hauptperson,
so vermessen das für Sie vielleicht klingen mag. Aber ich wollte deutlich
machen, daß nicht nur Jesus, sondern jeder Mensch die Anlage hat,
das Göttliche und die Ganzheit zu erfahren. Nicht nur die außergewöhnlichen
Begabten, sondern auch die Normalmenschen wie Mirjam haben die Möglichkeit,
die göttliche Ganzheit zu erfahren.
Warum geschieht denn die Passionsgeschichte
Jesu? Weil seine Mitmenschen, die Mittheologen die Erfahrung der Ganzheit
nicht haben und den verfolgen, der Liebe lehrt und lebt. Für sie ist
Jesus die wandelnde Blasphemie. Denn er zeigt ihnen den Gott der Liebe
- nicht der Sünde und nicht des Opferns. Haben Sie Wilhelm Reichs
Christusmord gelesen? Oder den Großinquisitor bei Dostojewski? Für
Menschen, die diese große Liebe nie erlebt haben, erscheint Jesu
Liebe und Lehre als Betrug. Buddha wurde verfolgt, Jesus, Muhammad, Meister
Eckehart und viele andere aus demselben Grund auch. Plato hat es schön
beschrieben: Wer Licht in eine Höhle bringt, erntet Unmut und Verfolgung,
weil die Höhleninsassen das Licht nicht gewohnt sind. Es blendet und
schmerzt sie. Alle Wunden werden lebendig. Alle Enttäuschungen, aller
Verrat, alle Lieblosigkeit. Soll man da noch der Liebe vertrauen können?
Wie viele wagen diesen Sprung in neues Vertrauen? Und glauben Sie mir:
die Verfolgung der Liebenden geschieht immer wieder! Nicht nur damals,
sondern auch heute.
Nicht vermessen erscheint es mir, aus er der
in den Evangelien skizzierten Mirjam aus Magdala die Hauptperson eines
Romans zu machen - eher tapfer. Um der Romangestalt willen, und ihrer religiösen
Erfahrung zum Dienst, die Hauptperson der Evangelien auch zur Romangestalt
umzuformen, das halte ich literarisch für bedenklich. Das Ergebnis
muß allemal schwächer ausfallen als die aus den Evangelienberichten
aufleuchtende Gestalt des Jesus von Nazareth.
Wer die Ganzheit erfahren hat - in der Erschütterungen
durch Mozarts oder Bachs Musik, in der mythischen Naturerfahrung, oder,
und besonders, in der Liebe von Mann und Frau - der hat einen solchen Versuch
nicht nötig - wer es nicht erfahren hat, dem ist damit wohl kaum zu
helfen.
Den Weg in die Passion begann Jesus mit der
Taufe, und zu Johannes sagt er dabei: „Es ziemt uns alle Gerechtigkeit
zu erfüllen“. Von Gott hörte er die Worte der Königs-Salbung:
„Mein Sohn“.
Jetzt wird es schwierig!
Jesus kannte Gott aus den Büchern der
Thora, aus den Propheten und den Psalmen - und wußte sich von diesem
Gott berufen zum Gesalbten, zum Messias. Unter dem Druck der Verhältnisse
wartete das Volk der Juden dringlich auf die Ankunft des verheißenen
Messias - auf die Errettung aus Schmach und Unterdrückung, auf den
Einbruch des Gottesreiches.
Voll Ungeduld sahen die frommen Pharisäer,
wie wenig sich das Volk auf den Einbruch dieses Gottesreiches vorbereitete
- deshalb reagieren sie so empfindlich auf die mangelnde Orthodoxie von
Jesus - wobei die Sabbat-Vergehen wohl am schwersten wogen.
Eine liberal-aufgeklärte Elite der Sadduzäer
sieht das nicht so eng.
Die (wohl korrupte) Priesterschaft hat sich
mit der römischen Besatzungsmacht arrangiert – „wir sorgen für
Ruhe an der religiösen Front - ihr stört nicht unsere Geschäfte“.
Da taucht einer auf, mit einem absoluten religiösen
Anspruch, mit Charisma, und findet großen Zulauf - besonders von
seinen Landsleuten, den aufsässigen Galiläern. In dieser Konstellation
ist zu erklären, daß der Weg Jesu schon nach zwei Jahren am
Kreuz endet - und er hat nichts getan dem zu entkommen, weil er es als
seinen Weg erkannt und angenommen hat.
Der Weg in die Passion, der Kampf in Gethsemane,
der Prozeß vor dem Synhedrium, das Ringen der Juden mit Pilatus,
die Kreuzigung und das Sterben mit den Worten des 22. Psalms, das ist von
einer Dramatik, für die ein Roman wohl kaum ausreichen würde.
Ich glaube schon. Kunst kann es. Denken Sie
nur an die Bachschen Passionen. Ob ich es kann, steht auf einem anderen
Blatt.
Der Weg in die Passion, der Kampf in Gethsemane, der Prozeß vor
dem Synhedrium, das Ringen der Juden mit Pilatus, die Kreuzigung und das
Sterben mit den Worten des 22. Psalms, das ist von einer Dramatik, für
die ein Roman wohl kaum ausreichen würde.
Ich glaube schon. Kunst kann es. Denken Sie
nur an die Bachschen Passionen. Ob ich es kann, steht auf einem anderen
Blatt.
Ich meine, sie würden auch auf dieser Ebene mit sich reden lassen.
Das weitere betrifft nicht eine neue Ebene, sondern eine neue Dimension:
Ist in den Entfaltung der Religionen, ist in der Botschaft der Bibel, ist
in dem Leben und Sterben Jesu - Gottes Offenbarung geschehen? Mit anderen
Worten: Ist Jesus für meine Schuld gestorben - wie Jesaja vom leidenden
Gottesknecht gesagt hatte?
Jesu Liebe war Gottes Offenbarung. Und die
Liebe war so groß, daß Jesus sich nicht gewehrt hat, als man
ihn verfolgte und kreuzigte. Ich habe in meinem Roman Jesus absichtlich
nicht am Kreuz sterben lassen. Es ist leicht zu erkennen, daß man
mit ihm einen Unschuldigen und Gott ans Kreuz geschlagen hat. Aber mit
jedem Menschen, der ans Kreuz geschlagen oder auf andere Weise hingerichtet
wird, wird Gott (die Ganzheit) hingerichtet.
"Was Ihr einem von Euch angetan habt, das
habt Ihr mir angetan." Damit versucht er doch gerade den Jüngern zu
erklären, daß in jedem Menschen Gott anwesend ist. Nicht nur
in ihm, dem geliebten und verehrten Rabbi.
Schauen Sie sich doch an, was passiert, wenn
ein Mensch zum Idol für andere wird (in der Religion, in einer Firma,
in der Politik, in der Popkultur): sie tanzen um ihn herum, Liebe, Verehrung
und Fürsorge sind grenzenlos ("Das kann der Führer nicht gewußt
haben"). Aber untereinander... oder im Verhältnis zu Außenstehenden
sieht es schnell ganz anders aus. Das versucht Jesus ihnen klarzumachen:
das Göttliche im Geringen, im Geringgeschätzten, ja sogar im
Feind zu sehen. "Wenn Ihr alle Menschen, alle Wesen mit derselben Liebe
betrachten könntet wie mich selbst..."
Mich juckt es in den Fingern, den Krimi zu
schreiben, an dessen Ende der ganz gerechte von dem höchsten geistlichen
Gericht völlig zu Recht zum Tode verurteilt wird - aber er ist ja
schon geschrieben.
Die Römer waren dabei notwendiges Werkzeug,
weil Pilatus, als Mann des Antisemiten Sejanus in Rom die Blutsgerichtsbarkeit
dem Synhedrium entzogen hatte.
Nein, ich versuche nicht, die faszinierende
Begegnung zwischen dem römischen Ritter und dem König der Juden
aus zu malen.
Auch den Weg nach Golgatha, den Kreuzestod,
die Grablegung nicht.
Gern würde ich hier aufhören, an
dem spannendsten Punkt der Weltgeschichte.
Jetzt liegt der im Grab, der als Opferlamm
für jede Schuld den Tod auf sich genommen hat, damit jeder Schuldige
erfahren kann: „Dir ist vergeben“. Jetzt steht die Frage in der Welt:
„Gott, wenn du bist, wenn der recht hatte, wenn er die Wahrheit, deine
Wahrheit ist - was sagst du dazu?“ Denn, wenn hier keine Antwort
kommt, wenn der sich geirrt hatte, dann braucht niemand mehr nach der Wahrheit
Gottes zu fragen.
Die Jünger haben zu Ostern eine Antwort
erlebt, die sie überzeugte - und seitdem viele viele Menschen. Auch
ich - aber das ist eine längere Geschichte, die in eine neue Dimension
führt.
Diese Dimension trifft auf die Ebene unsers Fragens und Erkennens senkrecht
- deshalb ist sie nur wahrzunehmen für den der sich ihr stellt. Auch
die Jünger haben sie erst wahrgenommen zu Ostern.
Weil alles Reden von Jesus, das am Kreuz vorbei führt, die Begegnung
mit dieser Dimension behindert, deshalb beunruhigt es mich - es sei theologisch,
philosophisch oder literarisch.
Ob sie mir da begegnen können?
Ich habe Jesus am Kreuz vorbeigeführt:
aber Jehuda (Judas) starb am Kreuz. Noch wichtiger, als Jesus als Gottes
zu erkennen, ist für mich, daß auch Judas (oder irgendein anderer
Mensch) Gottes Sohn ist, der ans Kreuz geschlagen wurde.
Wenn Ihr Weg sie in die Ganzheit der göttlichen
Liebe führt und sie aus den Verstrickungen und Verquickungen der Sünde,
der Beziehungsstörungen, wirklich erlöst - dann brauchen sie
Jesus nicht als ihren Erlöser - denn er ist nicht zu den Gesunden
gekommen sondern zu den Kranken. Sollte Ihr Weg sie nicht mehr tragen,
dann seien Sie gewiß, daß er auch auf sie wartet, weil er auch
für sie gestorben ist.
So oder so - seien Sie herzlich gegrüßt
Ich grüße Sie ebenso herzlich zurück
und freue mich auf Ihre Antwort!
Regina Berlinghof
von
Hans Frisch
(den "feministischen Missionseifer" nehme ich zurück - geschrieben
sieht es auch viel schlimmer aus als es sich in der Sendung so hin spricht.)
Danke! Aber es würde mich auch interessieren, warum Sie meinen Roman
nicht ernstnehmen können!
Warum ich damals ihren Roman nicht ernstnehmen
konnte? Ich hatte ihn (unter Zeitdruck) vor der Sendung gelesen - und von
dem, was mich beim Hinschauen auf Jesus erschüttert, nichts in an
den vielen Seiten gefunden. Ihr Anliegen konnte ich nicht so spüren,
wie jetzt aus Ihrer Antwort.
Wenn ich jetzt alles zusammen ansehe, dann
entsteht mir da Eindruck, der alte Konflikt zwischen christlicher Deutung
Jesu und dem Glaubensbild der Gnostik wird hier lebendig - aber das ist
mehr ein Gefühl als eine Erkenntnis.
Uff! Das ist lang geworden. Und dabei wäre
es gerade der schüchterne Einstieg in ein Gespräch.
Ob Sie antworten?
Mit guten Wünschen für die kommende
festliche Zeit
Ihr
Hans Frisch
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