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2. Dezember 2000
Sehr geehrter. Herr Dr. Frisch,
hier also meine neuen Anmerkungen auf unseren Mischbrief. . Leider hat die Überarbeitungsfunktion bei mir nicht immer funktioniert. Beim Ändern und Umstellen von Worten/Sätzen wurden die Worte auf einmal in blauer Schrift als IHRE Einfügungen dargestellt. So habe ich die Funktion ausgeschaltet und meine neuen Einträge wieder rot gekennzeichnet, allerdings ohne Unterstreichung, so daß Sie auch die neuen Anmerkungen gleich erkennen.

(Anmerkung hier: Die neuesten Anmerkungen sind  in fetter Schrift, die früheren im normalen Modus.)

mail von Dr. Frisch vom 28.11.2000 auf meine Anmerkungen
(seine Ergänzungen im Text sind in blauer Schrift, meine in rot.)

Danke für die Antwort und danke für den Tip mit "Änderungen verfolgen".
Es wird wirklich "dialogisch", aber auch lang!
Bis bald
Hans Frisch

eMail mit Anlage vom 22.11.2000
Sehr geehrter Herr Dr. Frisch,
herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort auf meine Anmerkungen. Darf ich auch auf Ihren Brief in Form von Anmerkungen antworten? Ich habe Ihr Worddokument mit meinen Anmerkungen über das Menü Änderungen
verfolgen/Änderungen hervorheben versehen. So wird unser eMail-Wechsel dialogisch und zu einem schriftlichen Gespräch. So, jetzt ist es kurz vor ein Uhr nachts. Ich muß morgen früh aufstehen, meine Brötchen verdienen.
Daher für heute Schluß und herzliche Grüße
Regina Berlinghof

Dr. Hans Frisch
90491 Nürnberg
e-mail: hans.frisch@t-online.de

21. November 2000
Sehr geehrte Frau Berlinghof,
ihre Antwort auf meinen Radiobeitrag über ihr Buch habe ich von Uwe Schütz erhalten. 
Sehr gern würde ich mit ihnen darüber ins Gespräch kommen - es dürfte aber schwierig werden (trotz E-Mail und Internet ) 
Einige verschiedene Ebenen sind sowohl in ihrem Buch als auch in meinem Beitrag berührt und verquickt - klar denken und argumentieren läßt sich aber immer nur in einer Ebene. 
Erlauben Sie mir bitte einen ersten Versuch: Die Kraft und die Farbe, mit der Sie die erotische Beziehung von Mann und Frau als religiöse Erfahrung darstellen, haben mich stark berührt. 
Der Ausweitung ins Spirituelle kann ich nicht folgen - doch verlangt die Begegnung mit dem Heiligen nach Deutung, nach Begriffen zum Begreifen, auch wenn die überkommenen Begriffe nicht mehr greifen. So verstehe ich die Bereitschaft, sich auf alt-neue Deutungen einzulassen. 
In meinem Beitrag habe ich angedeutet, daß aus dem (zeitgemäßen) Fehlen der Erotik im Neuen Testament nicht auf die Leibfeindlichkeit des Evangeliums geschlossen werden kann und daß die Verteufelung der Sexualität ein dunkles Kapitel der Kirchengeschichte ist. 
Ich glaube, auf dieser Ebene könnten wir uns bald verstehen. 
Ja, selbstverständlich!
Können wir also für das Folgende die Leibfeindlichkeit der Kirchengeschichte zuschieben und das Evangelium davon lossprechen? (über einige Paulus Zitate und auch einige  Jesus Worte müßte speziell nachgedacht werden - ich sehe da keinen wirklichen Widerspruch.) 

Ich glaube, dem Jesus im Evangelium ging es ebensowenig um Erotik und Leibfreundlichkeit wie um Macht, Ansehen oder Reichtum. Er war nicht "von dieser Welt" und lebte auf den Jüngsten Tag hin, wie auch die Jünger im Frühchristentum. "Das Himmelreich ist nahe". Alles andere erschien ihm im Vergleich dazu als völlig nebensächlich. Der Jeschua in meinem Roman dagegen erfährt eine Erweiterung hin zum Konkreten, auch zum Nicht-Ewigen, der vergänglichen Form, die er durch die Liebesbegegnung mit Mirjam als ebenso kostbar erfährt.
Bitte erlauben Sie dazu eine allgemeine persönliche Vorbemerkung: ich habe das alte und neue Testament zwar mehrfach gelesen, aber ich bin keine Theologin. Es geht mir in meinem Roman Mirjam und auch persönlich nicht um die Gültigkeit der Evangelien, sondern um die eigene unmittelbare spirituelle Erfahrung. Ich hatte schon als Studentin längst die Kirche und auch das Christentum verlassen, weil ich mich weigerte, etwas zu "glauben" und für mich verbindlich zu erklären, was mir nur als anmaßende metaphysische Spekulation erschien. Als ich mit Ende zwanzig völlig überraschend mein eigenes religiöses Erlebnis hatte, begriff ich, wovon Jesus gesprochen hatte. Aber gleichermaßen verstand ich auch Buddha und die Zen-Meister, LaoTse, Meister Eckehart und überhaupt die Mystiker aller Religionen, die ich dann mit großen Interesse verschlang. Die Evangelien - fast hundert Jahre nach Jesu Tod von Menschen verfaßt, die ihn nicht einmal gekannt hatten - haben für mich nur eine ganz sekundäre Bedeutung.

Eine andere Ebene ist die der religiösen Erkenntnis. Darf ich etwas weiter ausholen? 
In allem religiösen Suchen der Menschen spüre ich eine Grundsehnsucht: Der aus dem Paradies, aus dem Einssein mit dem Ganzen, in den Raum der Freiheit ausgetretene Mensch sehnt sich nach Beziehung zum Ganzen - und die Frage danach kommt erst zur Ruhe durch eine gültige Antwort. 
Für mich ist das Entscheidende weniger die Sehnsucht nach der Erfahrung des Einsseins mit dem Ganzen, sondern die tatsächliche Erfahrung selbst. Hierin liegt der Grund jeder religiösen Erkenntnis. Für mich symbolisiert die Geschichte von der verbotenen Frucht den Zustand des Nichtwissens der Einheit in der tatsächlichen göttlichen und paradiesischen Einheit. Nur im Zustand der Unbewußtheit kann man vom "Sündenfall" und einem strafenden Gott sprechen. Dann ist Gott nichts anderes als eine Projektion menschlicher Gefühle und menschlichen Sozialverhaltens mit Geboten und Verboten. Im Zustand des bewußten Einsseins gibt es keine Trennung mehr zwischen heilig und sündig. Es gibt keine Sünde - nur die Erkenntnis, daß man vorher unwissend war. Wie wenn einem Blinden zu ersten Mal die Augen geöffnet würden..
Die Unbewußtheit Adams und Evas kommt dadurch zum Ausdruck, daß sie sich wie Angeklagte vor einem Richter verhalten und sich gegenseitig die "Schuld" zuschieben. Nur im Zustand der Unbewußtheit gibt es "Gebote" und "Verbote". Im Zustand des Einsseins sind solche Verhaltensmaßregeln völlig überflüssig. Denn in der Liebe, die einen in diesem Moment zu allen Wesen erfüllt, schrickt man vor jedem schädlichen Verhalten gegenüber anderen zurück, als würde man sich selbst verletzen.

Darf ich einige meiner Begriffe klären? 
"Sehnsucht" meint den inneren Antrieb, die innere Notwendigkeit zur religiösen Erfahrungen zu kommen (so wie Hunger und Durst, sexuelle Potenz zum Antrieb werden). 
"Religiöse Erfahrung", das sind Ereignisse, die Antwort auf die Sehnsucht geben - in denen die Trennung zwischen dem Ich und dem Ganzen aufgehoben ist. (das kann die mythische Naturerfahrung im Hochwald oder im Gebirge sein, die Erschütterungen bei der Neunten von Beethoven, daß Einswerden in der Liebe von Mann und Frau und unendlich vieles). 

Ja, da stimme ich Ihnen weitgehend zu. Aber es ist doch auch ein Unterschied, ob jemand aus der Sehnsucht nach der religiösen Erfahrung spricht oder aus der Erfahrung selbst. Wir machen doch auch einen Unterschied zwischen denjenigen, die ein Land, einen Kontinent nur vom Hörensagen beschreiben und denjenigen, die selbst dort waren. Daß dies mit der Kunstfertigkeit der Rede nicht übereinstimmen muß, steht auf einem anderen Blatt. Wagners Tristan ist aus Sehnsucht nach Liebe entstanden, nicht aber aus der Erfahrung der Liebe. Das merkt man seiner inneren Philosophie an - auch wenn der Tristan eines der größten und bewegendsten Kunstwerke ist.

"Religiöse Erkenntnis" ist für mich der Prozeß der begrifflichen Formung im Verlauf der Religionsgeschichte - dem Finden von Mythen und Bildern, die eine gemeinsame und Gemeinschaft bildende religiöse Erfahrung möglich machen. 

Ich glaube, in dieser Beziehung sprechen wir zueinander von verschiedenen Inseln aus. Ich verstehe unter religiöser Erkenntnis ein unmittelbares eigenes Erkennen und Sehen. Nicht vermittelt durch andere. Es ist eine Art Bewußtseinserweiterung - und zwar ohne Drogen! Als würde man plötzlich dreidimensional im Raum sehen, was vorher nur flächig aneinandergereiht war. Es ist die Erfahrung der Mitte, der Verwurzelung des eigenen Selbst im Kosmos: im größten und im kleinsten. Man könnte auch sagen: eine neue Tiefendimension tut sich auf: denn alles, was ist, hat seinen gemeinsamen Ursprung in einer gemeinsamen Mitte. Als wären Sie bisher nur auf einer Kreislinie Punkt für Punkt nacheinander gewandert - und nähmen auf einmal die ganze Fläche und den Kreismittelpunkt im innersten Kern wahr. Die Alltagssprache und selbst die Sprache der Theologie haben dafür keine Begriffe. Alles, was Sie über das Absolute sagen können, kann nur ein Gleichnis sein und ist damit schon eine Verfälschung, wenn man das Gleichnis wörtlich nimmt. Deshalb sprach Jesus nicht theologisch, sondern in Bildern. Und deshalb habe ich zum Mittel des Romans gegriffen, um nicht wieder zu einer "neuen Theologie" zu verführen.

Das ist eine starke Achse der Menschheitsgeschichte die durch Kultus und Kultur geht und auch in ihrer säkularisierten Verlängerung noch erschreckend mächtig ist (ich bin gespannt, wie sie nach dem Untergang der jüngsten Mythen wieder in Erscheinung treten wird). 
Die "paradiesische Einheit" sehe ich in der noch intakten Instinktsteuerung des Urmenschen - der Verlust des Paradieses ist nicht Strafe sondern unumgängliche Konsequenz der ergriffenen Freiheit.

Ich weiß nicht, ob ich ein Relikt eines instinktgesteuerten Urmenschen bin, aber die Einheitserfahrung ist  in diesem Augenblick nichts anderes als die Wiedergewinnung des Paradieses - es ist dieselbe Welt, in der man vorher gelebt hat. Aber man sieht sie mit anderen, mit neuen Augen. Wollte nicht auch Jesus "neue Menschen" aus seinen Jüngern machen? Er wollte sie zur Erkenntnis des Göttlichen führen. Denn das ist eine wahre Neugeburt - eine Neugeburt im Geiste. Und dem Körper fließen ebenfalls neue Energien zu. Wir wissen doch, daß Stress, Streit, Ohnmacht, Leiden nicht nur den Geist, sondern auch den Körper krank machen. In der Einheitserfahrung, in der Liebeserfahrung werden Geist, Seele und Körper dagegen wie in einem Gesundheitsbad erneuert.

Der Begriff "Sündenfall" kommt in der Schöpfungsgeschichte nicht vor - dort sagt Gott nach diesem Ereignis: „Nun ist der Mensch geworden wie unser einer, er weiß was gut und böse ist“. Also, das Schöpfungsziel aus dem ersten Schöpfungsbericht ist erreicht. Träume, wie es doch gewesen wäre, wenn der Sündenfall nicht geschehen wäre, halte ich für so unnütz wie den Gedanken, wie schön es wäre, noch im Mutterleib zu sein.

Ich meine als Paradies nicht die Vorstellung vom Schlaraffenland, wo einem die Früchte von selbst in den Mund fallen, wo es keinen Streit gibt, keine Feindschaft, keine Mühsal oder Arbeit.. Oder wo Löwe und Lamm zusammenliegen. Andererseits ist aber das ganze Christentum auf das Endziel Paradies eingerichtet. Jesus am Kreuz: "Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein." Für mich ist das Paradies der Moment (nicht der Ort), wo die Trennung in abgegrenzte Individuen und Wesen durchscheinend, ja aufgehoben wird. Vielleicht waren Jesus, Buddha, Lao Tse und andere Große solche Erleuchtete, die immer in diesem Zustand blieben. Wem einmal die Augen aufgingen, strebt danach, sie wieder zu öffnen. Aber diese erweiterte Art der Wahrnehmung ist nicht "machbar", "verfügbar" - sie ist ein Geschenk und hat auch nichts mit den eigenen Verdiensten zu tun.  Als meine Augen sich so öffneten, empfand ich das als Gnade. Und zum ersten Mal hatte dieser Begriff für mich eine innere Bedeutung. 

Ich stimme völlig mit Ihnen überein: im Zustand des Einsseins sind solche Verhaltensmaßregeln völlig überflüssig denn dann schrickt man vor jedem schädlichen Verhalten zurück.
Wer hat das nicht erlebt: Als die Trennung sich löste in der Liebe, da wollte ich die ganze Welt umarmen. Nur, der Moment ging vorüber - wir fanden uns jenseits von Eden. Ganz von selbst sah jeder die Schuld beim anderen. Als wir schließlich reifer wurden, entdeckten wir am Andern die ihm aufgeladene Schuld der Eltern, der Lehrer, der Freunde, der Gesellschaft - und wir bekamen einen Blick für das wuchernde Netz von Beziehungsstörung, in das auch wir unsere Kinder und andere verstrickt haben. 
Von Sünde und Sündenfall, von Verbot und Strafe redet der biblische Bericht zunächst nicht. Erst als Kain vor der Entscheidung steht, da hört er die Mahnung und die Aufforderung: „Die Sünde lauert vor der Türe, du aber herrsche über sie!“ Und die Vertreibung aus dem Paradies ist nicht Strafe, die Verfluchung  des Ackers ist eher Konsequenz der menschlichen Freiheit als Fluch oder Strafe. Es hat zu tun damit, daß der Tod ins Leben getreten ist. Kein Tier sichert sein Leben aus Angst vor dem Tod. 
Ist es nicht letztlich diese Angst, die zur Lebensgier wird? Auf den Acker gewendet: Was bringt Menschen dazu, den Regenwald für riesige Rinderfarmen zu opfern - ist es nicht, verflucht noch mal, diese Gier?

Nein, nicht die Angst vor dem Tod macht uns gierig. Sondern der empfundene Mangel an Liebe. In der Liebe verliert man die Angst vor dem Tod. Und mehr noch: man erkennt, daß der Tod zum Leben gehört wie der negative elektrische Pol zum positiven. Ohne Tod kein Leben, ohne Leben keinen Tod. Kain tötete aus Liebesmangel. Und Bill Gates und andere Reiche scheffeln ihre Millionen meiner Meinung nach nicht aus Angst vor dem Tod, sondern weil sie Liebe suchen und sie nicht finden bzw. erkennen. 
Die Tiere spüren ihren Tod durchaus und verkriechen sich. Eine Tiermutter trägt ihre Jungen in eine andere Höhle oder Versteck, wenn räuberische Tiere zu nahe kommen. Die Tiere wissen durchaus um Tod und Gefahr. Aber sie reagieren nicht philosophisch, nicht grundsätzlich darauf. Sondern ganz konkret - immer den Erfordernissen der aktuellen Situation gerecht werdend. 
Erst wir mit unserem denkenden Überbau sehen Gefahren, wo oft gar keine sind. 

Keine Geschichte bringt das besser zum Ausdruck, als die Erzählung der Bibel. Eva überschreitet die Grenze der instinktiven Hemmung, ergreift die verbotene Frucht und damit die menschliche Freiheit - und nichts passiert. Der Instinkt war ein blinder Alarm. 
Dieses Individuum und alle ihre Nachkommen werden nie mehr vor einer Instinktgrenze zurückschrecken. Bis zur Atombombe und zur Genmanipulation. 
Ganz am Anfang dieser Menschheitsgeschichte steht das Opfer - und der Brudermord. 
Auch hier muß ich widersprechen. Am Anfang ist die Schöpfung: UND GOTT SAH, DASS ES GUT WAR! ALLES IST GUT! Erst der unbewußte, kleingläubige Mensch unterscheidet in gut und böse/schlecht. Aus der Sicht der Ganzheit ist alles gut! Im spirituellen Erleben der Ganzheit (ob durch Meditation, erotische Liebe oder sonst wie) ist der Mensch zum Brudermord nicht fähig. Das kommt nur, wenn man Liebe rationiert erlebt. Der eine bekommt sie, der andere nicht. 

Einspruch! Beim Licht, dem Auftauchen der Kontinente, beim Wachstum der Pflanzen, beim Sichtbarwerden von Sonne Mond und Sternen, beim Auftauchen der Fische, bei der Schaffung der Tiere sieht Gott jedes Mal: es ist gut. Nach der Schaffung des Menschen nicht - erst im Rückblick auf die ganze Schöpfung steht das Urteil „sehr gut“. 

Ja, das ist es doch! Sogar SEHR GUT! Einschließlich der Möglichkeit, daß der Mensch von seiner Freiheit nicht immer sinnvollen Gebrauch macht!

Die Natur ist gut - der Mensch ist frei zu Gut und Böse. Er soll gut bleiben oder gut werden. 
 

Das Opfer - die religiöse Erkenntnis; ein Mittel, Beziehung aufzunehmen zu dem, von dem ich getrennt bin. 
Wieso braucht man den Gedanken des Opfers, wenn man die Beziehung zur Ganzheit aufnehmen will? Hat im Christentum Jesus nicht gesagt, wo seine Quelle der Erkenntnis und Religion liegt, nämlich in der Liebe? Nicht im Opfer! Denn in der Liebe weitet sich das Ego und fühlt sich dem anderen so nah wie man sich selbst. Die Erkenntnis, daß der/die/das andere nur ein Ich in anderer Gestalt ist (Schopenhauer: Ich noch einmal), hebt den Unterschied zwischen Ich und Du auf. Der andere zählt so viel wie man selbst. Das ist für mich der Urgrund jeder Religion. 
Nur wenn man das Bewußtsein des Getrenntseins (des Nichtganzen) nicht hat oder verloren hat, kommen Gedanken von Neid, Rache, Strafe, Schuld usw. auf. Das Göttliche wird als Instanz außerhalb seiner selbst erlebt. Man glaubt, es mit einem Opfer versöhnen zu müssen. Das ist der große Irrtum. Nicht Gott muß versöhnt werden, sondern der Mensch mit der Ganzheit! Der Wassertropfen muß erfahren, daß er zum Meer gehört und ein Teil des Ganzen ist!

Das Opfer ist in der Menschheit von Anbeginn der Weg, Beziehung zum Ganzen (zur Transzendenz, zu Gott) aufzubauen - ob wir das akzeptieren oder nicht. Eben, weil das Getrenntsein erlebt wird (in der Existenz des Menschen gegeben ist) wurde ein Weg gesucht und gefunden im Opfer. 

Das ist für mich eine Behauptung, die durch nichts begründet und gerechtfertigt wird. Mein Weg zum Göttlichen geschah durch Liebe und nichts anderes. Ich habe nichts geopfert. Und so weit ich weiß, spricht Jesus in den Evangelien nicht vom Opfern sondern vom Lieben.

In frühen Phasen könnte der Gedanke, die Gottheit durch Opfer zu versöhnen, im Vordergrund gestanden haben (was ich bezweifele), spätestens im jüdischen Sündopfer geht es genau um Ihr Anliegen: nicht Gott muß versöhnt werden, sondern der Mensch. 
„Ist einer schuldig geworden, vor dem Heiligen Gesetz (dessen Zentrum und Zielpunkt die Liebe ist!) dann nehme er ein Lamm (aus seiner großen Herde), trage es auf seiner Schulter zum Heiligtum, lege sein Hand dem Tier auf den Kopf und schlachte es - das stirbt durch ihn und für ihm - dann kommt der Priester aus dem Heiligtum heraus, nimmt etwas von dem Blut des Opfers und streicht es an die Hörner des Altars - und ihm wird vergeben“. 

Dazu kann ich nur sagen, daß Gott selbst auf solche Opfer verzichtete: schon bei Abraham und Isaak! Und ich frage Sie ernstlich: Wo ist schon einer Gott und der Einheit näher gekommen, wenn für ihn ein Tier, ein Lamm z.B. gestorben ist? Das ist für mich - entschuldigen Sie den krassen Ausdruck - reinster Aberglaube. Und mir tut nur das Tier leid.

Da ist keine Rede von Bezahlung (große Schuld - großes Opfer), da ist keine Drohung, keine Demütigung, da ist ein Angebot, ein Weg für den Schuldigen in die Erfahrung der Vergebung. 
Als ich das unserer zwölfjährigen Enkelin erzählte - sie interessierte sich für das Judentum - sagte sie spontan: „Der tut das bestimmt nie wieder“. 

Glauben Sie also ernsthaft, daß dies ein Weg ist, der heute noch gangbar ist? Wieviel schöner der Brauch im Hinduismus (von Kali abgesehen), wo die Altäre mit Blumen geschmückt werden. Zum Lob und Preis der Götter! Nicht aus geduckter Angst vor Strafe und Rache.
Deshalb ist für mich auch der Tod am Kreuz so sinnwidrig. Ich wüßte nicht, wie ich Gott näher kommen könnte, nur weil ein anderer für mich gestorben sein soll. Jesus hat Liebe und Leben gepredigt. Aber nicht die Versöhnung durch "Opferung und Tötung!"
 

Der Brudermord - die menschliche Erfahrung; eine Schuld, an der Beziehung zerbricht. 
Hier ist der Ursprung der Religion sichtbar gemacht.

Dann ist für Sie (wie ja für viele) der Ursprung der Religion der Mangel und die Überwindung des Mangels. Also nur die Sehnsucht nach der Einheit. Jesus, Buddha und all die anderen bezeugen aber gerade das Gegenteil: Religion aus der Erfahrung der Ganzheit!

In der Entwicklung wurde das Opfer im Kultus kultiviert, wurden von Einzelnen Bilder und Mythen gefunden, die für viele die Antwort auf die religiösen Grundfragen waren - so entstand heilige Gemeinschaft. 
Das Heilige verlangte ein Heiligtum - der Kultus brauchte Priester. 
Wenn Sie so argumentieren, gibt es schon die Trennung zwischen heilig und unheilig. Das Heiligtum als das Besondere. Etwas Abgegrenztes. Ist nicht die ganze Schöpfung durch Gott geheiligt? Wie soll der Mensch also unterscheiden zwischen mehr oder weniger heilig? 
Daß der Mensch sterblich, verletzlich und begrenzt ist und nicht alle anderen Seinsformen verkraftet (Raubtiere, Gift usw.) gibt ihm keinerlei Rechte, die ihm schädlichen Wesen und Kräfte als unheilig zu verteufeln. Aber natürlich kann er sie meiden. Vieles, was als unheilig eingestuft wird, erinnert mich an das Empfinden eines Kindes, das sich an einem Tisch gestoßen hat und nun böse auf den Tisch ist.

Das Heilige ist in der Menschheit von Anbeginn im Zentrum der religiösen Erfahrung und des religiösen Erkennens - ob wir es akzeptieren oder nicht. Es ist nicht abgegrenzt gegen das Unheilige sondern es ist umgeben von einer Tabu-Grenze, weil es nicht eine Erscheinung neben anderen Erscheinungen ist sondern der Einbruch, das Aufscheinen, die Präsenz der Transzendenz, der Gottheit, des Ganzen inmitten in der Erscheinungen. 

Ja. das ist es.

Die Verteufelung von Erscheinungen -  optisch gedeutet - ist er der Schatten den ich im Licht des Heiligen in die Welt werfe - und viele Priester in allen Zeiten haben es verstanden, aus solchen Schattenbildern Dämonen zu machen - und damit Macht zu erlangen. 

Nicht die Erscheinungen sind des Teufels, sondern unser Blick, der die göttliche Dimension darin nicht immer erkennen kann, ist zu eng oder zu flach. Die Verteufelung der Erscheinungen ist nicht anderes als die immer noch geübte Praxis, der Frau die Schuld zu geben und sie in schwarze Gewänder zu hüllen, weil sie die Männer verführen könnte.

Die Entfaltung der Welterkenntnis verlangte nach einer Entwicklung der religiösen Erkenntnis - die schließlich wieder einem Einzelnen zuteil wurde - von Stufe zu Stufe - bis zu Abraham, Echnaton, Mose, den Propheten und zu Jesus - um die Linie zu verfolgen, die ins christliche Abendland führte. 
Das ist alles sehr hierarchisch und absolut. Natürlich sind Abraham, Jesus, Buddha usw. große Erleuchtete. Das bedeutet aber nicht, daß die übrige Menschheit nicht selber spirituelle Erkenntnis erlangen kann. Wir alle können ein Liedchen singen und uns an Musik erfreuen, ohne gleich Mozart, Bach oder Beethoven gleichzukommen. Aber es wäre falsch, nur diesen Großen musikalische Schöpfungskraft zuzusprechen. 

Auch hier rede ich in von der Evolution des Religiösen - und wie in der Evolution des Lebens von der Vermehrung durch Teilung zur geschlechtlichen Vermehrung, von CO2 Atmung zur Sauerstoff Atmung, vom Leben im Meer zum Leben am Land, von Tieren zu Menschen. punktuelle Sprünge oder Grenzüberschreitungen erfolgten - so auch in der geistigen (und geistlichen) Evolution. 
Jeder Mensch hat seine Erfahrungen mit der Schwerkraft gemacht - aber Newton hat eine neue Welt der Erkenntnis eröffnet; jeder Mensch kann singen - aber Mozart hat Räume geöffnet, in denen unserer Seele tanzen kann, Bach schenkt unserer Andacht und unserer Anbetung Flügel - sowie jede Kunst uns Zugang schafft zur Mitte, zur Transzendenz und zur Immanenz des Heiligen. Die Religion nach Abraham war eine andere Evolutionsstufe als vorher, die Entdeckung des Monotheismus durch Echnaton hatte die Kulturrevolution der Amarnakultur zur Folge - zu früh oder zu revolutionär (im Gegensatz zu der Evolution bei Abraham, Isaak und Jakob). 
Ohne die (überhaupt nicht spektakuläre) treue Arbeit Isaaks - der hier und da Brunnen grub im Land der Verheißung - wäre die Entwicklung abgebrochen. 
Ohne die spektakulärer Rolle des Mose, nach dem er am brennenden Dornbusch seine Berufung erlebt hatte, wäre die Geschichte nicht weiter gegangen - eine Geschichte in der Millionen und aber Millionen Menschen zu religiöser Erfahrung, religiöser Erkenntnis und religiös begründeter Opferbereitschaft fanden - jeder einzelne so wie Abraham, Isaak und Mose, an seinem Ort. 

Ich glaube, die evolutionäre Entwicklung ist nur ein Beiprodukt, ein Nebeneffekt. Natürlich drückt jeder seine Erfahrung mit den Mitteln seiner Zeit und seiner Kultur aus. Warum also die religiöse Erfahrung mit Jesus am Kreuz festnageln? Warum soll zweitausend Jahre nach seinem Tod sein Lehren und Denken noch immer verbindlich sein? Warum nicht jedem Menschen seine religiöse Erfahrung zugestehen - auf seine ureigenste Weise? Ich denke auch an das wunderbare Buch von William James: Die Mannigfaltigkeit religiöser Erfahrung. Das Christentum, die Kirche, versucht seit zweitausend Jahren, die religiöse Erfahrung in das Prokrustesbett vorgegebener Dogmen zu pressen. Die Priester und Theologen sind so rabiat damit verfahren, daß die Menschen im Abendland seit zweihundert Jahren mit Kirche zunehmend überhaupt nichts mehr damit zu tun haben wollen (Aufklärung). Und mit der Kirche, mit dem Christentum wurde die ganze Religion und Religiosität wie das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. 

Sicher sind auch andere solche Entwicklungslinien aufzufinden in der Religionsgeschichte der Menschheit. 
Auch auf dieser Ebene könnten wir uns wohl verständigen. 
Bleibt die Ebene, in die er die Begriffe "Spirituelle Erleuchtung" und "Guru-Jünger-Beziehung" ihren Platz haben. 
Sicher ist es Ihnen erlaubt, die Thematik aus der eigenen gewählten Perspektive zu betrachten und zu bearbeiten und die biblische Überlieferung sehr frei und nach persönlicher Sicht zu gestalten - besonders, wenn sie vor der möglichen Verletzung religiöser Gefühle warnen (wahrscheinlich wissen Sie aber, daß eine solche Warnung bei vielen, die in Fragen des Christentums Vorurteile haben, gerade das Interesse weckt). 
Jesus war kein Guru, und spirituelle Erleuchtung war nicht seine Absicht, sein Ziel oder seine Aufgabe. Als frommer Jude konnte er seine Berufung nur verstehen aus dem Gesetz und den Propheten. 
Nun ja. Wenn Jesus von sich spricht: Ich bin das Licht der Welt, dann hat er das Gesetz und die Prophetie weit hinter sich gelassen. Das brachte ja die Theologen seiner Zeit so zur Weißglut. Ähnlich wurden andere Mystiker verfolgt und ermordet. Wie z.B. auch der Muslim Halladsch, der sagte: Ich bin die Wahrheit - ich bin Gott. Wir sind alle Teil des Göttlichen und darum selbst heilig. Nicht nur Jesus. Als Gott den Menschen (Adam!) schuf, sagte er: Es ist gut!

Ich bin gekommen, das Gesetz zu erfüllen sagt Jesus. Und als er nach dem Zentrum des Gesetzes gefragt wird, da fragt er zurück (nach Lukas ): „Was liesest du?“
Es ist der Schriftgelehrte der das mosaische Gesetz zitiert! Das wäre ein eigenes Thema.

Ja, sicher. Aber wie gesagt: der Jesus der Evangelien ist für mich nicht verbindlich. Er hat in Paradoxa gesprochen und auch vieles gesagt, was ich unakzeptabel finde. (Allein die Stellen über das Gericht, sein Thronen neben Gott, das Scheiden zwischen Schafen und Böcken usw.) Deshalb will ich mich auch nicht in Deutungen und Interpretationen der Evangelien verlieren.

Das Gesetz, auf den Punkt gebracht lautet: Du sollst Gott über alle Dinge lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. (Lukas 10. Vers 27)
Ja (wenn man vom Sollen absieht. Liebe ist etwas, das von selbst kommen muß. Man kann sie nicht erzwingen oder befehlen.)

Ja, wenn die Liebe doch von selbst käme und bliebe. „Ich bin gekommen ein Feuer anzuzünden - was wollte ich lieber, denn es brennete schon“ sagt Jesus. 

Die Zielrichtung der Propheten ist in Jeremia 31 Vers 31-34 fokussiert: Ein neuer Bund durch Vergebung der Sünde. 
Das, was uns von Gott oder dem göttlichen Urgrund trennt, ist Unwissenheit: das Nichtwissen der Einheit mit dem Ganzen. Die Erfahrung des Getrenntseins von Gott und dem Ganzen. Das Bewußtsein, daß etwas fehlt bzw. daß die Welt "leer", sinnlos ist. 
Das ist aber keine Sünde. Das ist auch der Grund, weshalb wir Tiere als "unschuldig", sündelos einstufen: sie wissen es nicht anders. In der Erfahrung der Ganzheit wird einem bewußt, daß auch der Mensch nur so ist, wie er gerade ist. Daß man nicht von ihm verlangen kann, anders zu sein. Einem begrenzten Wesen kann man nicht vorwerfen, daß es als begrenztes Wesen gehandelt hat. Vor Gott gibt es keine Schuld. Das ist auch der Sinn des Gleichnisses vom verlorenen Sohn. Der Vater nimmt den Sohn in Liebe auf. In Liebe ist nichts zu vergeben.

Da wären einige Begriffe abzustimmen: verstehe ich richtig: "Unwissenheit" und "Nichtwissen" als Gegenpol zu "Wissen" und "Gewißheit" - dann sind wir ganz nah beieinander. 
Dann ist Unwissenheit "Sünde" ein Zustand, eine Störung der Beziehung (wie die Störung der Sohn-Vater-Beziehung in dem Gleichnis). 
Vor Gott gibt es keine Schuld, aber zwischen Menschen - auch zwischen mir und dem der ich sein will und sein kann  (sein sollte).
In der Liebe ist nichts zu vergeben - aber vergebene Schuld befreit zur Liebe - erlöst von Sünde. 
 

Wie Jesus seine Prägung erfährt durch die religiös jungfräulich-geniale Mutter, wie er die Berufung annimmt, wie er seine Botschaft formuliert und verkündet, wie er zunehmend erkennen muß, daß auch die Prophetenworte des Jesaja vom "leidenden Gottesknecht" zu dieser Berufung gehören, wie er auch dieses auf sich nimmt, das ist in ihrem Buch nicht zu finden. 
Nein, denn in meinem Buch ist Mirjam die Hauptperson, so vermessen das für Sie vielleicht klingen mag. Aber ich wollte deutlich machen, daß nicht nur Jesus, sondern jeder Mensch die Anlage hat, das Göttliche und die Ganzheit zu erfahren. Nicht nur die außergewöhnlichen Begabten, sondern auch die Normalmenschen wie Mirjam haben die Möglichkeit, die göttliche Ganzheit zu erfahren.
Warum geschieht denn die Passionsgeschichte Jesu? Weil seine Mitmenschen, die Mittheologen die Erfahrung der Ganzheit nicht haben und den verfolgen, der Liebe lehrt und lebt. Für sie ist Jesus die wandelnde Blasphemie. Denn er zeigt ihnen den Gott der Liebe - nicht der Sünde und nicht des Opferns. Haben Sie Wilhelm Reichs Christusmord gelesen? Oder den Großinquisitor bei Dostojewski? Für Menschen, die diese große Liebe nie erlebt haben, erscheint Jesu Liebe und Lehre als Betrug. Buddha wurde verfolgt, Jesus, Muhammad, Meister Eckehart und viele andere aus demselben Grund auch. Plato hat es schön beschrieben: Wer Licht in eine Höhle bringt, erntet Unmut und Verfolgung, weil die Höhleninsassen das Licht nicht gewohnt sind. Es blendet und schmerzt sie. Alle Wunden werden lebendig. Alle Enttäuschungen, aller Verrat, alle Lieblosigkeit. Soll man da noch der Liebe vertrauen können? Wie viele wagen diesen Sprung in neues Vertrauen? Und glauben Sie mir: die Verfolgung der Liebenden geschieht immer wieder! Nicht nur damals, sondern auch heute.

Nicht vermessen erscheint es mir, aus er der in den Evangelien skizzierten Mirjam aus Magdala die Hauptperson eines Romans zu machen - eher tapfer. Um der Romangestalt willen, und ihrer religiösen Erfahrung zum Dienst, die Hauptperson der Evangelien auch zur Romangestalt umzuformen, das halte ich literarisch für bedenklich. Das Ergebnis muß allemal schwächer ausfallen als die aus den Evangelienberichten aufleuchtende Gestalt des Jesus von Nazareth. 
Wer die Ganzheit erfahren hat - in der Erschütterungen durch Mozarts oder Bachs Musik, in der mythischen Naturerfahrung, oder, und besonders, in der Liebe von Mann und Frau - der hat einen solchen Versuch nicht nötig - wer es nicht erfahren hat, dem ist damit wohl kaum zu helfen. 
Den Weg in die Passion begann Jesus mit der Taufe, und zu Johannes sagt er dabei: „Es ziemt uns alle Gerechtigkeit zu erfüllen“. Von Gott hörte er die Worte der Königs-Salbung: „Mein Sohn“. 

Und wieviele Frauen haben schon die inneren Worte gehört: "Meine Tochter" und "Du bist gesegnet" - aber wurden (ähnlich wie Jesus) verlacht und nicht ernstgenommen?

Jetzt wird es schwierig! 
Jesus kannte Gott aus den Büchern der Thora, aus den Propheten und den Psalmen 

Ich glaube, er kannte Gott aus seinem Innersten. Thora, Neviim und Schirim waren die Sprache, in der er sich ausdrückte. Aber er sprach und lehrte aus eigener Erfahrung.

- und wußte sich von diesem Gott berufen zum Gesalbten, zum Messias. Unter dem Druck der  Verhältnisse wartete das Volk der Juden dringlich auf die Ankunft des verheißenen Messias - auf die Errettung aus Schmach und Unterdrückung, auf den Einbruch des Gottesreiches. 
Voll Ungeduld sahen die frommen Pharisäer, wie wenig sich das Volk auf den Einbruch dieses Gottesreiches vorbereitete - deshalb reagieren sie so empfindlich auf die mangelnde Orthodoxie von Jesus - wobei die Sabbat-Vergehen wohl am schwersten wogen. 
Eine liberal-aufgeklärte Elite der Sadduzäer sieht das nicht so eng. 
Die (wohl korrupte) Priesterschaft hat sich mit der römischen Besatzungsmacht arrangiert – „wir sorgen für Ruhe an der religiösen Front - ihr stört nicht unsere Geschäfte“. 
Da taucht einer auf, mit einem absoluten religiösen Anspruch, mit Charisma, und findet großen Zulauf - besonders von seinen Landsleuten, den aufsässigen Galiläern. In dieser Konstellation ist zu erklären, daß der Weg Jesu schon nach zwei Jahren am Kreuz endet - und er hat nichts getan dem zu entkommen, weil er es als seinen Weg erkannt und angenommen hat. 

Ja, er hat sich nicht verteidigt. Nicht Gewalt gegen Gewalt gerichtet. Aber daraus zu machen: er ist für unsere Sünden gestorben???

Der Weg in die Passion, der Kampf in Gethsemane, der Prozeß vor dem Synhedrium, das Ringen der Juden mit Pilatus, die Kreuzigung und das Sterben mit den Worten des 22. Psalms, das ist von einer Dramatik, für die ein Roman wohl kaum ausreichen würde. 

Ich glaube schon. Kunst kann es. Denken Sie nur an die Bachschen Passionen. Ob ich es kann, steht auf einem anderen Blatt.

Ich meine, sie würden auch auf dieser Ebene mit sich reden lassen. 
Das weitere betrifft nicht eine neue Ebene, sondern eine neue Dimension: Ist in den Entfaltung der Religionen, ist in der Botschaft der Bibel, ist in dem Leben und Sterben Jesu - Gottes Offenbarung geschehen? Mit anderen Worten: Ist Jesus für meine Schuld gestorben - wie Jesaja vom leidenden Gottesknecht gesagt hatte? 
Jesu Liebe war Gottes Offenbarung. Und die Liebe war so groß, daß Jesus sich nicht gewehrt hat, als man ihn verfolgte und kreuzigte. Ich habe in meinem Roman Jesus absichtlich nicht am Kreuz sterben lassen. Es ist leicht zu erkennen, daß man mit ihm einen Unschuldigen und Gott ans Kreuz geschlagen hat. Aber mit jedem Menschen, der ans Kreuz geschlagen oder auf andere Weise hingerichtet wird, wird Gott (die Ganzheit) hingerichtet.
"Was Ihr einem von Euch angetan habt, das habt Ihr mir angetan." Damit versucht er doch gerade den Jüngern zu erklären, daß in jedem Menschen Gott anwesend ist. Nicht nur in ihm, dem geliebten und verehrten Rabbi. 
Schauen Sie sich doch an, was passiert, wenn ein Mensch zum Idol für andere wird (in der Religion, in einer Firma, in der Politik, in der Popkultur): sie tanzen um ihn herum, Liebe, Verehrung und Fürsorge sind grenzenlos ("Das kann der Führer nicht gewußt haben"). Aber untereinander... oder im Verhältnis zu Außenstehenden sieht es schnell ganz anders aus. Das versucht Jesus ihnen klarzumachen: das Göttliche im Geringen, im Geringgeschätzten, ja sogar im Feind zu sehen. "Wenn Ihr alle Menschen, alle Wesen mit derselben Liebe betrachten könntet wie mich selbst..."

Mich juckt es in den Fingern, den Krimi zu schreiben, an dessen Ende der ganz gerechte von dem höchsten geistlichen Gericht völlig zu Recht zum Tode verurteilt wird - aber er ist ja schon geschrieben. 
Die Römer waren dabei notwendiges Werkzeug, weil Pilatus, als Mann des Antisemiten Sejanus in Rom die Blutsgerichtsbarkeit dem Synhedrium entzogen hatte. 
Nein, ich versuche nicht, die faszinierende Begegnung zwischen dem römischen Ritter und dem König der Juden aus zu malen. 
Auch den Weg nach Golgatha, den Kreuzestod, die Grablegung nicht. 
Gern würde ich hier aufhören, an dem spannendsten Punkt der Weltgeschichte. 
Jetzt liegt der im Grab, der als Opferlamm für jede Schuld den Tod auf sich genommen hat, damit jeder Schuldige erfahren kann: „Dir ist vergeben“. 

Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Wir waren uns schon einig, daß es vor Gott keine Schuld gibt. Weil die göttliche Liebe so groß ist, daß jeder Mensch angenommen ist. Welche Schuld nimmt also Jesus auf sich? Doch keine Schuld vor Gott! Also die Schuld derjenigen, die ihn gekreuzigt haben? Er sagte am Kreuz: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das ist es immer: Wer "schuldig" wird, tut es aus spirituellem Nichtwissen. Vor Gott war ihnen von je vergeben. Ebenso den Jüngern. 

In meinem Roman rettet Mirjam Jesus vor dem Kreuz. Hätte sie das also nicht tun dürfen? Ihr (und mir) war das Leben wichtig - und die Liebe. Glauben Sie denn Gottes Liebe erst, wenn ein Unschuldiger für sie gestorben ist? Wenn Sie auf dem Kreuzestod als spiritueller Notwendigkeit bestehen, schlagen Sie dann Jesus nicht noch heute ans Kreuz? Wo bleibt denn die Liebe für Jesus? Im Evangelium standen die Frauen beim Kreuz und sein Lieblingsjünger. Die anderen blieben fern, warteten ab - warteten auf Beweise. Wer Jesus geliebt hätte, hätte versucht, ihn vom Kreuz zu befreien! So wie eine Mutter ihr Kind zu retten versucht oder Liebende den Geliebten. Wagners Parsifal endet mit "Erlösung dem Erlöser" ! Wann werden die Christen genug Liebe selbst empfinden, um ihren Erlöser vom fortwährenden Kreuztod zu erlösen? Sehen Sie nicht, daß sie ihn zum leidenden Amfortas gemacht haben, der sich noch immer seinen Jüngern und Gralsrittern opfert - weil sie nach dem Opfer schreien? "Du mußt, du mußt". Ist das nicht das ganze Elend des Christentums? Jesus hat wahrlich geliebt. Aber wo bleibt die Liebe seiner Jünger?
Im Abendmahl versuchte Jesus (in meiner Deutung) seinen Jüngern klarzumachen, daß er immer bei ihnen ist. Daß Gottes Liebe immer bei ihnen ist. Daß es keine Trennung im Fleisch gibt. Daß er und das Brot und der Wein eines sind? Aber auch die Jünger sind Brot und Wein. 

Jetzt steht die Frage in der  Welt: „Gott, wenn du bist, wenn der recht hatte, wenn er die Wahrheit, deine Wahrheit ist - was sagst du dazu?“  Denn, wenn hier keine Antwort kommt, wenn der sich geirrt hatte, dann braucht niemand mehr nach der Wahrheit Gottes zu fragen. 
Die Jünger haben zu Ostern eine Antwort erlebt, die sie überzeugte - und seitdem viele viele Menschen. Auch ich - aber das ist eine längere Geschichte, die in eine neue Dimension führt.

Nein, ich verstehe nicht. Jesus hat Wunder gewirkt. Er hat Tausende gespeist, Tote ins Leben zurückgeholt. Und dies sollte nicht reichen, um Gottes Liebe zu bezeugen? Und als er am Kreuz starb - was hat es denn bewirkt? Daß nun in seinem Namen und seiner Liebe Heiden und Juden abgeschlachtet werden, Kreuzzüge geführt und Hexen verbrannt werden? 
Vor wem soll denn Jesus Ihre Schuld auf sich genommen haben. Vor dem, gegenüber dem Sie schuldig geworden sind, oder vor Gott? Gott sieht Sie nicht als Schuldigen. Und was ist mit dem Menschen, dem Sie geschadet haben? Wird dadurch die Tat ausgelöscht? Ist es nicht besser, zu versuchen etwas wieder gutzumachen, als sich in Reue zu zerknirschen und quälen?

Diese Dimension trifft auf die Ebene unsers Fragens und Erkennens senkrecht - deshalb ist sie nur wahrzunehmen für den der sich ihr stellt. Auch die Jünger haben sie erst wahrgenommen zu Ostern. 
Weil alles Reden von Jesus, das am Kreuz vorbei führt, die Begegnung mit dieser Dimension behindert, deshalb beunruhigt es mich - es sei theologisch, philosophisch oder literarisch.
Ob sie mir da begegnen können? 
Ich habe Jesus am Kreuz vorbeigeführt: aber Jehuda (Judas) starb am Kreuz. Noch wichtiger, als Jesus als Gottes zu erkennen, ist für mich, daß auch Judas (oder irgendein anderer Mensch) Gottes Sohn ist, der ans Kreuz geschlagen wurde.

Wenn Ihr Weg sie in die Ganzheit der göttlichen Liebe führt und sie aus den Verstrickungen und Verquickungen der Sünde, der Beziehungsstörungen, wirklich erlöst - dann brauchen sie Jesus nicht als ihren Erlöser - denn er ist nicht zu den Gesunden gekommen sondern zu den Kranken.  Sollte Ihr Weg sie nicht mehr tragen, dann seien Sie gewiß, daß er auch auf sie wartet, weil er auch für sie gestorben ist. 

Dazu kann ich nur sagen: ich würde mich freuen, wenn er für mich GELEBT hätte! Kennen Sie die Sage vom Armen Heinrich (Hartmann von Aue), der vom Aussatz gerettet werden könnte, wenn sich ein Mädchen für ihn opfert? Das Mädchen findet sich - aber erst, als er auf das Opfer vezichtet, gesundet er!

So oder so - seien Sie herzlich gegrüßt
Ich grüße Sie ebenso herzlich zurück und freue mich auf Ihre Antwort!
Regina Berlinghof
von 
Hans Frisch
(den "feministischen Missionseifer" nehme ich zurück - geschrieben sieht es auch viel schlimmer aus als es sich in der Sendung so hin spricht.)Danke! Aber es würde mich auch interessieren, warum Sie meinen Roman nicht ernstnehmen können!
Warum ich damals ihren Roman nicht ernstnehmen konnte? Ich hatte ihn (unter Zeitdruck) vor der Sendung gelesen - und von dem, was mich beim Hinschauen auf Jesus erschüttert, nichts in an den vielen Seiten gefunden. Ihr Anliegen konnte ich nicht so spüren, wie jetzt aus Ihrer Antwort. 
Wenn ich jetzt alles zusammen ansehe, dann entsteht mir da Eindruck, der alte Konflikt zwischen christlicher Deutung Jesu und dem Glaubensbild der Gnostik wird hier lebendig - aber das ist mehr ein Gefühl als eine Erkenntnis.

Uff! Das ist lang geworden. Und dabei wäre es gerade der schüchterne Einstieg in ein Gespräch.

Ob Sie antworten?

Mit guten Wünschen für die kommende festliche Zeit 

Ihr

Hans Frisch
Herzlichen Dank! Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie einen schönen Adventsbeginn! 
Alles Gute für Sie,
Regina Berlinghof
Mail vom 3.12.2000
Sehr geehrter Herr Dr. Frisch,

ich hatte Ihnen gestern die ergänzte Briefdatei zurückgesandt. Einen
Punkt habe ich aber vergessen anzumerken. Ich hatte Sie ja gefragt, warum Sie meinen Roman nicht ernstnehmen konnten und bekam nun folgende Antwort:

> Warum ich damals ihren Roman nicht ernstnehmen konnte? Ich hatte ihn (unter Zeitdruck) vor der
>Sendung gelesen - und von dem, was mich beim Hinschauen auf Jesus erschüttert, nichts in an den
>vielen Seiten gefunden. Ihr Anliegen konnte ich nicht so spüren, wie jetzt aus Ihrer Antwort.  Wenn ich jetzt alles >zusammen ansehe, dann entsteht mir da Eindruck, der alte Konflikt zwischen christlicher Deutung Jesu und dem >Glaubensbild der Gnostik wird hier lebendig - aber das ist mehr ein Gefühl als eine Erkenntnis.

Sie haben in meinem Roman nach Jesus gesucht und offensichtlich nur nach dem, was sie kannten - ich habe einen Roman über Mirjam geschrieben und eine eigene Sicht auf Jesus dargestellt. Haben Sie das 16. Kapitel, das
Höhlenkapitel tatsächlich gelesen? Sie haben unter Zeitdruck Ihre Rezension vorbereitet - ich habe
zweieinhalb Jahre an dem Roman geschrieben, ein weiteres Jahr Korrektur gelesen und korrigiert. So kann man auf die Schnelle auch ein Werk, das aus und in Liebe geschrieben wurde, fertigmachen und kreuzigen.

Sie haben als Theologe und Jünger Jesu geschrieben - ein bißchen mehr Liebe und Aufmerksamkeit beim Lesen wäre mir lieber gewesen.
Viele Grüße
Regina Berlinghof
 
 

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