Regina Berlinghof

Antwort auf die dritte eMail zu meinem Gedicht: Gottes Lästerer:

Mit Erlaubnis des Verfassers Khalil AbdelKrim

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To: kabdelkr@ix.urz.uni-heidelberg.de
From:mail@regina-berlinghof.de
Date: Mon, 15 Jun 1998 1:28 +0200 (METDST)
Subject: = Gottes Lästerer

Hallo Khalil,

> In ihrer letzen email haben Sie geschrieben, daß Widersprüche
> in den Religionen wie in der Welt angelegt sind. Dies
> ist nicht so natürlich, wie Sie es darstellen. Die Nacht stellt
> für uns vielleicht den Widerspruch zum Tag dar, aber wissenschaftlich
> gesehen ist dies eher eine Bestätigung der Erdrotation sowie
> überhaupt der physikalischen Naturgesetze. In diesen Gesetzen
> existieren gar keine Widersprüche, dies ist auch mathematisch
> belegbar.

Ja, aber wir haben noch nicht für alles Erklärungen. Und oft genug müssen auch die Naturgesetze angepaßt und erweitert werden. Z.B. von Newton zu Einstein, von Ptolemäus zu Kopernikus usw.

> Wenn ich sage daß 1+1=2 ist, dann ist es ein Widerspruch,
> wenn ich meine daß 1 und 3 die Zahl 2 ergeben.

Selbst in der Mathematik gibt es immer wieder Neues. Als Riemann letztes Jahrhundert nicht-euklidische Formen zu berechnen begann, empfand man diese Berechnungen als ungeheuerlich. Außerdem hängt es vom gewählten System ab, welche Einheiten ich zugrundelege, ob 2+2 =4 ergibt oder 5. Wenn ich z.B. die Endpunkte eines Stabes als Einheiten nehme und lege zwei Stäbe (also vier Punkte) kreuzweise übereinander, bekomme ich einen fünften Punkt: den Schnittpunkt. Lege ich die Stäbe in der Länge aneinander, könnten die beiden Berühungspunkte verschmelzen und verschwinden, so daß 2+2 =2 ergibt. Man könnte Farben zu Einheiten nehmen, Schwingungen usw.

> Nirgendwo in der
> von Gott geschaffenen Natur finden sich Widersprüche, und tritt einer
> auf, dann wird er von selbst korrigiert (Beispielsweise wird bei der
> DNA-Synthese nach der Transkription eine Korrektur vorgenommen um
> die fehlerhaften Gene herauszufiltern. Ist das Produkt zu wider-
> sprüchlich gegenüber dem Original, erfüllt es seine Aufgabe schlecht
> oder gar nicht).

Und was ist mit den Erbkrankheiten? Ganz so idealisch ist unsere Welt nicht.

> Die heutigen Gesetze der Physik wurden von Generationen von Wissen-
> schaftlern niedergeschrieben, welche diese nur durch Experimente
> und Schlussfolgerungen erfuhren, das heisst sie waren schon da, aber
> unentdeckt.

Ja natürlich. Und so könnte man auch in der Religion von Annäherungen an das Göttliche sprechen. Es ist immer schon da. Aber wie gesagt: das Unendliche läßt sich endlich nicht ausdrücken. Intuitiv erfassen, ja. Sehen, erkennen - ja. In der Geometrie wird dies sehr schön durch den Kreis ausgedrückt: im Spannungsverhältnis von Mittelpunkt und Kreislinie, die endlos laufen kann, aber dennoch begrenzt ist. Die Zahl der Kreise oder Kugeln (oder Formen in höheren Dimensionen) ist wiederum selbst unendlich.

> Was aber die heutigen Gesetze des sozialen Zusammenlebens der Menschen
> angeht, so finden sich darin sehr oft Widersprüche, eben weil diese Art
> von Gesetzen von Menschen gemacht wurden, die selber nicht unfehlbar
> sind.

Ja, weil die Menschen, die sie befolgen sollen, keine Maschinen sind, die gleichförmig funktionieren, sondern oft chaotische, spontane und unvorhersehbare Wesen. Das ist ja gerade das Schöne, daß Neues noch passieren kann und daß wir keine Marionetten sind.

> Nun sind Religionen aber von Elementen durchflossen, welche nicht
> durch eine einfache wissenschaftliche Analyse zu erklären sind.

Ja, weil sich Religion immer um das Unendliche dreht.Unendlich oder Null oder der Punkt - die beiden gehören zusammen. Der Punkt und die Null sind die Schnittpunkte aller möglichen (unendliche Anzahl!) Geraden. Also unendliche Vielfalt!

> Viele Religionen sind durche einfache Legenden erstanden, welche
> dem menschlichen Geist selbst entsprungen sind, worin sie auto-
> matisch fehlerhaft sind, sofern sie Widersprüche zulassen
> (zB: Naturreligionen vieler Kleinvölker),

Das sehe ich nicht ganz so. Am Anfang gab es immer ein spirituelles Erlebnis der Ganzheit. Wenn man versucht, das in Worten auszudrücken, kommen automatisch Beschränkungen (und damit die Fehlerhaftigkeit) und Legendenbildungen hinein, wenn diese Worte oder Erklärungen von Leuten überliefert werden, die selbst solch eine Erkenntnis nie gehabt haben.

> oder aus gottgesandten
> Botschaften sind Religionen entstanden, welche aber in ihren Original-
> lehren von Menschen manipuliert wurden (zB: Christentum; die vielen Verbote
> und Gebote in der jüdischen Religion, von denen Moses nie gesprochen hat).

Ich sehe es nicht unbedingt als Manipulation, obwohl es sich de facto so entwickelt. Die meisten Menschen wollen Sicherheit und feste Erklärungen und Begründungen. Die institutionalisierten Religionen bedienen diesen Wunsch. Dann haben die Schäflein Sicherheit und die Priester/Theologen einen Posten, eine Aufgabe und mehr oder weniger Macht (je nach persönlicher Veranlagung).

> Von Gott selbst also ist kein Widerspruch gesandt worden, wie auch,
> schließlich ist er der Schöpfer und hat auch die Naturgesetze erschaffen.
> Und daß ein Sünder, dessen Sünden seine guten Taten überwiegen, dafür
> bestraft wird, ist wohl auch logisch klar (natürlich muss man auch
> Gottes Barmherzigkeit mit dazurechnen, doch dürfte dies als Beispiel
> so stehenbleiben können).

Ich sagte schon: Das Göttliche hat überhaupt keinen Wunsch nach Vergeltung oder Strafe. Das ist ein sehr menschliches und leider weitverbreitetes Verhalten. Aber nicht einmal notgedrungen das: ich erinnere mich an eine Szene, als ich 1973 ein paar Tage bei den Beduinen von Wadi Ram in Jordanien zu Gast war. Ein kleiner Junge von etwa 5 Jahren ging aus irgendeinem Grund voller Zorn auf seinen Vater los, schlug mit seinen Fäusten auf ihn ein - und der Vater bestrafte ihn nicht dafür, sondern hielt ihn nur liebevoll fest und ließ den Kleinen schlagen, prügeln. Es brauchte eine halbe Stunde, bis der Kleine sich beruhigt hatte.

Mein Vater hätte mir wohl in derselben Situation eine Tracht Prügel verpaßt (und viele andere Väter und Mütter in Deutschland hätten auch so gehandelt und würden es immer noch tun). Aber meine Freundin und ich, die das voller Staunen gesehen hatten, waren sehr beeindruckt. Ich glaube, das Kind lernte dadurch, daß es seine Wut ungehindert äußern durfte und trotzdem nicht die Liebe des Vaters verlor. Der Vater wurde nicht wütend. Er fühlte sich nicht gekränkt oder beleidigt. Er verstand den Kleinen - seine Wut, seinen Schmerz, wie ihn gerade kleine Kinder so schnell und heftig haben. Und ich halte es für wichtig, daß Erwachsene nicht mit gleicher Wut und Strafe antworten, sondern mit Liebe und Verständnis. Ich glaube, daß dieser Junge, der heute vermutlich selbst Kinder haben wird, seine Kinder nicht schlagen, sondern mit ähnlicher Liebe behandeln wird.

Viele Menschen erfahren jedoch, daß man "nicht ungestraft" wütend auf seine Eltern ist. Daß die Mächtigen zurückschlagen und strafen. Und so wird dann auch Gott und das Göttliche gesehen. Das hat aber mit Liebe, Verstehen und Barmherzigkeit überhaupt nichts zu tun

> Es gibt keine Menschen die so einfach Zugang zur göttlichen Wirklichkeit
> finden können und daraus mehr herausleiten als es möglich ist.

Das habe ich auch gedacht und "geglaubt", bis es mir selbst passiert ist! ;-) Und solange es nicht einem selbst geschieht, ist es auch nicht vorstellbar. Ich verlange auch nicht, daß Sie mir Glauben schenken. Aber als Wissenschaftler von vornherein etwas allgemeingültig auszuschließen, für das man keine Erklärung hat, ist vielleicht etwas vorschnell!

> Seit den Propheten ist jemand, der "Gott gefunden hat" oder den Zugang
> zur göttlichen Wirklichkeit nur jemand, dem sein eigener Verstand
> sagt, daß es so wie bisher nicht mehr weitergeht und daß Gottes Existenz
> einen notwendige Variable in der Ordnung aller Dinge ist, und zwar die
> Existenz des Einen Gottes, wie ihn der absolute Monotheismus im
> Islam vorschreibt.

Nein, die Erfahrung des Göttlichen schließt die Ebene des Verstandes zwar nicht aus, überschreitet sie aber. Man merkt sehr schnell den Unterschied zwischen Leuten, die sich Gott nur "gedacht" oder selbst "erfahren" haben. Denken ist nur ein Weiterspinnen und Entwickeln des Bekannten. Das Göttliche ist so unvorhersehbar wie ein plötzlich einschlagender Blitz. Es ist, als hätte man vier Dimensionen wahrgenommen und müßte nun alles in der normalen Dreidimensionalität wiedergeben.

> Sie können sagen, daß Sie Jura studiert haben und geschult darin sind in
> einem Satz nach Widersprüchen zu suchen, doch erstens sind Sie trotzdem
> immer noch ein Mensch, und der menschliche Verstand hat auch beim
> höchsten IQ Grenzen und wenn Sie in einer mathematischen Regel, welche
> ohne Zahlen geschrieben ist, nach Widersprüchen suchen, werden Sie ebenso
> keine finden, wie wenn Sie dieselbe Regel mathematisch darzustellen
> versuchen.

Klar, so vermessen bin ich nicht. Aber die Naturwissenschaftler haben es eben noch nicht geschafft, alle Phänomene mathematisch auszudrücken. Und selbst wenn dies geschehen sollte: Sie können niemals das Zeichen für Unendlich durch die normalen Zahlen ausdrücken! Das zeigt gerade die Mathematik!

> >Jeder Naturwissenschaftler wird einräumen, daß die uns bekannten
> >Naturgesetze jederzeit revidierbar und erweiterbar sind.
>
> Erweiterbar ja, aber so ohne weiteres nicht revidierbar.

Ich meine damit, daß die Menschen (Wissenschaftler) oft ihre eigenen Theorien umstoßen und revidieren müssen. Die Naturgesetze selber sind davon natürlich nicht betroffen.

> Sie sagen, daß Menschen wie Hitler und Stalin in Gottes Augen unwissend
> sind wie Kinder. Nun, die Menschen im Dritten Reich (diejenigen jedenfalls
> welche am Drücker waren) hatten genug Ahnung von der Menschheitsgeschichte,
> welche bis dahin enorm weitergeschritten ist, und wussten, was sie taten.
> Vielleicht sind Menschen unwissend, aber nicht genug unwissend und schon
> gar nicht unzurechnungsfähig, daß dies als Entschuldigung gilt.

Es kommt auf den Standpunkt an. Auf der menschlichen, gesellschaftlichen und sozialen Ebene werden Verbrecher zur Rechenschaft gezogen. Und Hitler und Stalin wußten sehr wohl, was sie taten: Morden. Aber in ihrer Sicht war es berechtigt, Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Klassenfeinde und politische Feinde "um der Sache" willen zu töten. Diese Leute waren in ihren Augen keine "Menschen" - weil für sie "Menschen" entweder nur "normale" Deutsche oder Proletarier waren. Ihr Wissen und ihr Verständnis von dem, was Menschsein bedeutet, war sehr reduziert. Und in dieser Beziehung waren sie unwissend und von einem höheren oder liebenderen Standpunkt aus unzurechnungsfähig.

> Allah hat uns alles gesandt, was wir wissen müssen und oft genug
> dargestellt, was passieren kann, wenn man seinem Wort nicht folgt.
> Was also kann ein Mensch sagen wenn er vor Gericht steht,
> er kann sich doch nicht damit entschuldigen, daß er zwar alles wusste,
> aber nicht daran glaubte, jemals angeklagt zu werden, weil dieser
> Fall nie passiert ist, daß doch alles so ausgeht, wie es ihm vorher
> klar gemacht wurde?

Das Problem ist, daß der Verstand zwar mehr oder weniger gelernt hat, was Recht und Unrecht ist (ist aber auch hier lernfähig - im Guten wie im Bösen), aber daß die Gefühle nicht immer auf den Verstand hören. Vor allem wird ein haßerfüllter Mensch seinen Verstand dazu gebrauchen, seinen Haß zu rechtfertigen! Intelligenz macht Menschen nicht zwangläufig zu "guten" und gut handelnden Menschen. Alle Religionen lehren Friedlichkeit und Harmonie. Nur können Sie damit nicht Menschen kommen, die immer nur geschlagen, mißhandelt und benachteiligt wurden (oder sich so behandelt fühlen). Menschen (und auch Tiere) handeln erst dann "freundlich", wenn sie freundlich behandelt werden. Worte allein reichen nicht.

> Allah läßt Gotteslästerer nicht ihre Meinung sagen, denn diese Meinung
> verführt viele zu falschem Denken und beleidigt Allah selbst, und welcher
> Mensch steht Allah gleich, um Ihn beleidigen zu dürfen.

Wissen Sie, am Donnerstag bin ich in eine Fernsehsendung über Religion in den USA geraten. Eingangssatz:"Zwischen dem Ernst der Religion und grenzenloser Freiheit". Ich sehe es gerade nicht als Gegensatz: Religion ist grenzenlose Freiheit. Gott oder das Göttliche ist dasjenige, das nicht angetastet, nicht beleidigt und nicht eingeschränkt werden kann. Das Unzerstörbare. Die Grundenergie des Seins. Und als Teil von diesem Göttlichen, von diesem Sein, sind wir auch nicht zerstörbar. Und im Grunde nicht beleidigungsfähig. Etwas davon (ich glaube aus Kantschen Gedankengängen) steckt sogar in unserem Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das gilt nicht nur für den Menschen. Es gilt für Gott oder das Göttliche. Es gilt ebenso für die Tiere und für alles, was ist.

> Menschen die durch die Welt gehen und ihre Meinungen veröffentlichen,
> sind gleich einem Lehrer, denn es wird vieles zur Kenntnis genommen
> und ohne nachzudenken angenommen, besonders wenn man nicht das
> Gegenteil gehört hat. Und kann man heute in der Schule einen Lehrer
> zulassen, der Schülern das beibringt, was er für richtig hält und
> aufgrund seiner intellektuellen Überlegenheit die Schüler überzeugen
> kann, was er sie lehrt? Warum glauben Sie, sind im Dritten Reich so
> viele Kinder in die HJ gegangen, oder warum konnte die Sowjetunion
> unter kommunistischer Herrschaft so lange bestehen; man kann jemanden
> mit Gewalt zwingen etwas zu tun, oder wenn man will, daß er es auch
> weiterhin macht, versucht man ihn logisch zu überzeugen, gerade wenn
> dieser nicht gescheit genug oder selbst nicht viel in jenem bestimmten
> Themenbereich weiss, um entgegnen zu können. Vor allem hat diese
> Art von Manipulation Erfolg, wenn keine anderen widersprüchlichen
> Elemente hinzukommen, und heutzutage wird nicht alles vom
> Islam dargestellt, von den quotengierigen Medien erst recht nicht.

Ich fürchte, viele Lehrer im 3. Reich und im Kommunismus haben selbst geglaubt, was sie gelehrt haben. Ein Denken, genährt von Kleinmut, Neid (auf die Reichen und die oft erfolgreichen Juden) und Verachtung gegenüber Schwächeren (um sich selbst größer und besser zu fühlen).

Der Islam ist eine große Religion, die viel Toleranz gegenüber Andersgläubigen geübt hat. (Jedenfalls nach der Eroberung). So habe ich ihn in Israel/Palästina, Jordanien und Ägypten kennengelernt. Die Praktiken Chomeinis, die Rigidität der Wahhabiten in Saudi Arabien, die Gewalttätigkeit der FIS in Algerien sind in meinen Augen keine guten Beispiele für den Islam. So wie die Kreuzzüge, die Hexenverfolgungen und die Inquisition keine guten Beispiele für das Christentum sind.

> Was die Vorurteile angeht, so kann man diese sehr wohl ausrotten,
> wenn man genug Aufklärungsarbeit macht, um die Wahrheit darzustellen.
> In meiner Kindheit dachten meine Klassenkameraden auch, daß ich
> Schwarzafrikaner und damit ein "Neger" sei. Für diese wohnten
> Marokkaner im afrikanischen Busch mit Affen zusammen in einer
> Lebensweise, wie sie heute nur noch in Tarzanfilmen vorkommt.

Und selbst wenn Sie wie Tarzan mit Affen im Dschungel gehaust hätten und Analphabet wären, gebührte Ihnen der gleiche Respekt wie jedermann/jederfrau! Die Verachtung von Schwarzen zeugt mehr von der Dummheit und Unwissenheit Ihrer Klassenkameraden, als daß es etwas über die Afrikaner sagte. - Ich hatte in der Volksschule eine Lehrerin, die unsere adligen Mitschüler hofierte und bevorzugte. Die Verachtung für die einen ist so dumm wie die Ehrfurcht vor den anderen.

Ich weiß nicht, ob der oben erwähnte Beduinenvater lesen und schreiben konnte. Aber ich schätze ihn mehr als manchen Akademiker oder "Kulturschaffenden", den ich im Lauf meines Lebens kennengelernt habe.

> Daß ich eigentlich Araber bin und einem anderen Kulturkreis
> entstamme, wollten sie gar nicht wissen, später allerdings bekamen sie
> durch Schule und bewusst gesehener Umwelt ein ganz anderes Bild
> von mir.

Gottseidank! Auf der anderen Seite kann man sein Leben nicht immer danach ausrichten, daß die anderen "das richtige Bild" von einem haben. Da hätte man viel zu tun. Und man würde sich total abhängig machen. Bis ins vorige Jahrhundert brauchte ein Mann einen anderen oder dessen Frau nur schief anzuschauen, und schon mußte man zum Duell antreten.

> Leistet man genug Aufklärungsarbeit, wirkt man damit gut gegen
> Vorurteile, aber diese Arbeit muss man sich nicht durch Lügen
> von Nasrin und Rushdie zerstören lassen. Das ist es einfach nicht
> wert!

Die Frage ist: Was ist Ihnen wichtiger - das ideale abstrakte Bild vom guten, schönen Islam oder die konkrete Freiheit der Menschen, insbesondere die Freiheit der Frauen, selbst zu bestimmen und zu glauben, was für sie richtig ist.

> >Die Frau hat viel Mut!
> Mut ist eine Sache, aber Stolz und Trotz eine andere.

Nein, es geht um den Respekt vor dem Willen der Frauen. Denn auch er ist göttlich! Sie wollen mit den Regeln des Koran, die vor 1300 Jahren niedergeschrieben wurden, die Frauen vor den eventuellen Übergriffen der Männer schützen. Solche Schutzbestimmungen können zum Übergriff und Gefängnis werden, wenn die Verhältnisse sich geändert haben und die Frauen selbst über ihr Risiko ob mit oder ohne Tschador entscheiden wollen. Ich bin immer für die Freiheit und für den Respekt vor der Entscheidung eines erwachsenen Menschen. Und dafür kämpft auch Taslima Nasrin.

> Als die Geschwister Scholl im Kampf gegen das Naziregime den
> Tod fanden, war ihnen das vorher auch bewusst. Aber dennoch bestand
> für sie eine Chance weiterzumachen. Aber Allah ist nicht mit
> irgendeiner Regierung in dieser Welt zu vergleichen, man kann
> vielleicht die Regierung in Bangla Desh stürzen, doch sind die
> dortigen Gesetze aus dem Koran entnommen und kommen damit direkt
> von Allah, und wer hat die Macht Allah von Seiner Herrschaft zu
> stürzen? Satan vieleicht? Wer kann sich einer Macht widersetzen
> die einfach Alles einschließlich Mann oder Frau selber erschaffen hat?

Nein, niemand. Da sind wir ganz einig. Aber Allah läßt ja offensichtlich Raum für die Entscheidung gegen seine Gesetze. Die Frauen, die ohne Hedschab auf die Straße gehen, fallen jedenfalls nicht tot um. Allah legt nicht Hand an sie. Er läßt auch Taslima Nasrin öffentlich reden und friedlich im Ausland leben. Wenn einer erwachsenen Frau ihre Freiheit wichtiger ist als die eingemummte Sicherheit im Hedschab, sollte man diese Entscheidung respektieren.

Wir wissen alle, daß Rauchen im höchsten Maß ungesund ist. Ich habe das manchen rauchenden Kollegen auch deutlich gesagt und mich gegen den Zwang zum "Mitrauchen" gewehrt. Trotzdem habe ich noch keinem Raucher den Glimmstengel aus der Hand gerissen. Es ist die Entscheidung jedes einzelnen, was er/sie mit seinem/ihrem Leben anfängt.

> Was könnte Taslima Nasrin wohl Allah antworten, wenn Er sie nach
> ihrem Tod anklagt; Ihm sagen, daß ihr das Kopftuch unmodern war?

Ich meine, daß er sie überhaupt nicht anklagen wird. Glauben Sie im Ernst, daß Gott so kleinlich die Einhaltung jedes seiner Gebote einklagen wird? Noch dazu Gebote, die angeblich zum Schutz der Frauen ausgesprochen waren! Halten Sie etwa alle Gebote immer genau und streng ein? Außerdem: Was geht Sie ein etwaiges Vergehen der Nasrin an? Das ist eine Sache zwischen ihr selbst und Allah. Da hat sich niemand anderes einzumischen.

> Solange ein Mensch lebt, lässt Allah ihn physisch und psyschich tun
> was er will, haben Sie sich aber gefragt was aus all den toten
> Denkern geworden ist, Marx, Nietzsche und Kant sind ebenso tot
> wie alle Menschen es sein werden, und dann kommt es auf andere Dinge
> an. Das Risiko ist mir jedenfalls zu groß, um bei Allah in Ungnade
> zu fallen wegen einer Beleidigung an ihn, denn die Ewigkeit
> zählt mehr als das Diesseits (und dies ist wohl logisch klar!).

Sie haben ein Verständnis von Ewigkeit, wie es der landläufigen Meinung entspricht: Ewigkeit als unendliche Verlängerung der Zeitachse, über den Tod hinaus. Dann stehen natürlich die kurze Zeitspanne des Lebens und die lange Zeit danach in keinem Verhältnis. Ein Zen-Meister würde Sie jetzt fragen: Und wo waren Sie vor Ihrer Geburt?

Ich sage etwas anderes: die Ewigkeit ist keine bloße Verlängerung der Zeit ins Unendliche - oder beginnt mit dem Jüngsten Tag. Die Ewigkeit steht (bildlich und geometrisch gesprochen) senkrecht zur Zeitachse - und auch senkrecht zum Raum. Es ist das Aufheben von Raum und Zeit oder besser noch: Raum und Zeit werden als Variable einer größeren Einheit erlebt. Es ist ein Querschnitt in einem einzigen Moment. Jeden Moment können oder könnten wir Ewigkeit erfahren, wenn wir nur offen genug wären. Es öffnet sich die Zeitgerade in eine unendliche Zeitfläche. Der Moment wird damit zum Moment unendlicher Fülle und der Unendlichkeit überhaupt. Und dann hat dieser Moment in der Ausdehnung in der Senkrechten soviel Gewicht und Wert wie alle Zeit nach dem Tod auf der normalen Zeitachse.

Wenn Sie das erfahren, gewinnen Unendlichkeit und Ewigkeit eine ganz andere Bedeutung für Sie. Die Frage nach Tod und Gericht stellt sich nicht mehr für Sie.

> >Vieleicht hat Gott Nasrin zum Schutz der Frauen gesandt....
> > Mohammed mußte wegen seiner Äußerungen von Mekka nach Medina
> >fliehen. Und Nasrin lebt auch im Exil. Haben Sie mal daran gedacht,
> >daß sich hier Parallelen finden?
>
> Nach dem Propheten Mohammed (Aleih Asalat ua Salam) wird Allah
> niemanden mehr senden. So steht es auch im Koran und dies ist absolut.

Es steht im Koran, niedergeschrieben von Muhammad, einem Menschen. Wenn Sie daran glauben, gut. Aber zwingen Sie bitte niemanden anders, dies zu glauben. Lassen sie jedem/jeder die Freiheit, selbst zu wählen und zu entscheiden. Es ist die Freiheit, die Allah seinen Wesen einräumt!

> Allah sagt im Koran mehrfalls daß der Prophet Mohammed der letzte
> aller Warner und Gesandten ist. Und als Zeichen hat er den Koran
> von Allah gesandt bekommen, denn die Botschaften der früheren Propheten
> sind alle in Vergessenheit geraten (manche Propheten sind nur zu einer
> kleinen Gruppe von Menschen gesandt worden), oder so verfälscht worden,
> daß sie nicht mehr die Wahrheit sind. Der Koran aber ist direkt von
> Allah wortwörtlich zu Gabriel gesagt worden und von Gabriel wortwörtlich
> zu Mohammed dem Propheten. Er ist also nicht vom Propheten durch
> göttliche Inspiration aufgezeichnet worden, wie Sie es meinen.

Auch auf die Gefahr hin, daß ich Ihre Gefühle vielleicht verletze: Dieser Satz, daß der Koran direkt von Allah wortwörtlich zu Gabriel gesagt worden und von Gabriel wortwörtlich zu Mohammed dem Propheten gesagt worden ist, ist ein Satz von Muhammad, der nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann. Insofern steht es jedem Menschen frei, den Satz zu glauben oder auch nicht zu glauben.

Seit Kant (Kritik der reinen Vernunft) wissen wir, daß wir nur Dinge und Vorgänge, die in Raum und Zeit wahrzunehmen sind, mit Hilfe der Logik beweisen oder widerlegen können. Alles, was die Ebene von Raum, Zeit und Kausalität verläßt - also Gott, das Göttliche, das Unendliche, kann mit den Mitteln des Beweises nicht erfaßt werden. Genausogut könnte man versuchen, Wasser mit einem Sieb zu schöpfen. Oder glauben, daß die vom Menschen festgelegten Längen- und Breitengrade die Realität und Vielfalt der Erdoberfläche wiedergeben könnten.

Beweisen können wir nur die sichtbaren Dinge des "Außen". Was sich in unserem Inneren abspielt, ist dem objektivierten Zugriff entzogen. Liebe, Schmerz, Religion, unsere Gefühle und Empfindungen. Auch göttliche Eingebungen. Sie gelten erst einmal nur für den Menschen, der sie erfährt. Wenn andere seinen Worten Glauben schenken, weil für sie das Göttliche darin selbst erkennbar wird - gut.

Aber andere Menschen hören und lesen vielleicht dieselben Worte und verstehen nur Bahnhof. Soll man sie zum Glauben zwingen?

Für Sie ist Muhammad der größte und letzte Prophet, so wie für die Christen Jesus der größte und letzte Prophet und Messias ist. Die Juden bleiben bei Moses und warten noch auf den Messias. Jede Religion sagt etwas anderes. Und jeder Mensch muß für sich entscheiden, aus welchem Zeugnis oder woher sonst das "Göttliche" für ihn lebendig wird.

Ich behaupte, daß es immer noch und zu jedem Menschen direkt sprechen kann. Für viele wird das Göttliche auch in der Natur erkennbar, für andere in der Kunst, in bestimmten Werken der Dichtung, der Malerei oder der Musik. Gott spricht mehr Sprachen, als wir uns träumen lassen.

> Es gibt eine schöne Passage im Buch "Geschichte der islamischen Theologie"
> von Tilman Nagel, erschienen 1994 in München, Verlag C.H.Beck, in welche
> vieles auf den Punkt gebracht wird.
> Seite 13:
> "Der Koran ist "schützende Zuflucht und bleibende Gnadengabe, treffliches
> Argument und schlagender Beweis, heilt die Bangigkeit des Herzens,
> entscheidet gerecht in allen Zweifelsfällen. Er ist luzide Rede, endgültiges
> Wort, nicht Scherz,eine Lampe, die nie verlischt...,ein Meer, dessen Tiefe
> nie ergründet wird. Seine Redekunst überwältigt den Verstand..., in ihm
> vereinen sich prägnante Kürze und unnachahmlicher Ausdruck." Dies ist ein
> kurzes Zitat aus der Einleitung einer beliebig herausgegriffenen islamischen
> Einführung in die Koranwissenschaft. Das höchste dem Menschen zugängliche
> Wissen enthält der Koran für den gläubigen Muslim, die letzte, endgültige
> Wahrheit, denn er ist Gottes eigenes Wort. Seine Verse zitieren heißt, das
> unumstößlich Wahre verkünden und in allen Anfechtungen getröstet werden.
> Niemals vermag der Verstand des Menschen die Gottesrede auszuloten, die
> in wunderbarer Weise durch Treffsicherheit und Schönheit der Wendungen
> ausgezeichnet ist.

> Ebendeshalb ist der Koran das Beglaubigungswunder des Propheten Muhammad.
> Seine Vorgänger - Adam, Noah, Abraham, Mose, Jesus - wurden ebenfalls mit
> Wundern begnadet, die ihre Prophetenschaft vor aller Augen unter Beweis
> stellten. Doch ist der Koran das überzeugendste aller Beglaubigungswunder,
> weil es auf den Verstand des Menschen zielt: daß die koranische Beredsamkeit
> nicht zu überbieten ist, läßt sich mit Hilfe der Gesetze der Rhetorik über-
> prüfen. Doch nicht allein der Zauber seiner Sprache kann mit Menschenwerk
> nicht übertroffen werden, auch sein Inhalt eröffnet dem, der sich redlich
> und reinen Herzens abmüht, immer wieder neue Einsichten. Es gibt kein
> Thema, das nicht erschöpfend im Koran behandelt wäre. So ist dieses
> Buch ein Wegweiser, der den Gläubigen niemals im Stich läßt: das Gottes-
> wort ist die unabänderliche Rechtleitung. Schon vor langer Zeit hat Gott
> es festgelegt, mehrfach haben es seine Gesandten der in Unglauben und
> Widerspenstigkeit verstrickten Menschheit überbracht. Juden und Christen
> haben es nicht rein bewahren können; dann kam Mohammed und übergab es,
> von Verfälschungen geläutert, seinem Volk, den Arabern, in klarer
> arabischer Sprache, und in dieser Form hüten es die Muslime bis auf
> den heutigen Tag."

Ich kann Ihre Liebe für die Sprache und Schönheit des Koran verstehen, leider nicht ganz teilen, weil dazu meine Arabischkenntnisse nicht reichen. Diese Liebe sollten Sie sich auch nie nehmen lassen. Es gibt zwei sich widersprechende Sprichworte im Deutschen: "Liebe macht blind" und "Liebe macht sehend". Ich bin für die zweite Variante. Sie haben die Schönheit des Koran erkannt - und die bleibt, auch wenn sonst niemand Ihnen folgen kann. Wenn Sie ein Mädchen lieben, erwarten Sie dann, daß jedermann es genauso wie Sie liebt? Vielleicht werden Freunde von Ihnen sagen: "Was er an der wohl findet. Liebe macht ihn blind." Im Gegenteil: Sie haben etwas entdeckt, das kein anderer gesehen oder bemerkt hat. Sie sind hellsichtig geworden. Etwas in Ihnen macht sie offen für dieses eine Mädchen. Ihre Freunde lieben andere Frauen. Und für jeden ist der geliebte Mensch einzig. (Fast) jede Mutter findet ihr Kind schön, auch wenn die Umwelt dies nicht immer nachvollziehen kann.

Sie sehen die Schönheit des Koran. Andere sehen die Schönheit der Bibel. Andere die Schönheit der Natur. Die Schönheit des Tadsch Mahal versetzt viele Menschen in höchstes Entzücken. Ebenso die Gärten und Moscheen von Granada. Oder die Werke Shakespeares oder Goethes.

Die Schönheit ist immer ein Stempel des Göttlichen in unserer Welt. Und für mich ist noch schöner die Schönheit, wenn sie den Verstand in Freiheit erhebt und nicht überwältigt. Warum sollen wir unseren Verstand überwältigen lassen? Wozu haben wir ihn?

Im Erlebnis des Schönen füllt uns das Wahrnehmen so sehr aus, daß kein Raum zum Nachdenken bleibt. Wir sind in solchen Momenten reines Bewußtsein. Und es ist unendliches Glück. In solchen Momenten erkennt man oft mehr, als man durch Nachdenken je erreichen kann. Aber Nach-Denken sollte deswegen trotzdem noch möglich sein. Und zwar ein Nachdenken, dessen Ergebnis nicht schon von vornherein feststeht, nur weil dies irgendjemand so gesagt hat. - Aber das muß jeder für sich entscheiden.

> Und in dieser Form existiert der Koran bis heute, weil Allah selbst
> den Koran so angelegt hat, daß die Veränderung eines Verses sich
> nicht einreihen läßt mit allen anderen Versen. Und weil der Koran
> von Gott selbst kommt, ist er für jede Zeit geschrieben und nicht
> nur für die damalige zu verstehen. Allahs Geist und Stil ist im
> Koran wiedergegeben, und da Allah allgegenwärtig ist, wird der Koran
> auch heute so verstanden, wie es richtig ist, denn kein Mensch vermag
> es, die Buchstaben im Koran auf diese Reihenfolge zu bringen. Der
> Prophet wurde in der Dschahilyja-Zeit beschuldigt den Koran selbst
> erdichtet zu haben und forderte deshalb den Stamm der Quraisch (die
> Herrscher in Mekka) auf selbst Verse auf arabisch zu dichten,
> die dem Koran an Eleganz, Schönheit und Ausdruck gleich kämen;
> die Quraisch hatten vortreffliche Dichter, welche Gedichte schrieben
> welche heute noch unerreicht sind, aber dennoch waren sie nur Menschen
> und hatten dem Koran nichts entgegenzusetzen.

Man sollte und darf solche göttliche Schöpfungen nicht gegeneinander ausspielen. Koran gegen Bibel, Kant gegen Koran (auch Kant ist schön und einzig!) oder Mathematik gegen Koran. Es ist Raum für alle.

Wenn Sie so voller Schwung und Beredsamkeit für den Koran schreiben, werden Sie mehr Menschen für den Islam interessieren, als wenn Sie kleinlich darauf achten, daß die Frauen den Hedschab tragen oder daß Rushdie und Nasrin den Koran verspotten. Lassen Sie Rushdie und Nasrin spotten und die Frauen, die es so wollen, unverschleiert gehen - und preisen Sie Ihren Glauben und den Koran. Damit tun Sie mehr für den Islam als auf die andere Weise!

> >Wenn Sie sicher sind in ihrem Glauben oder Wissen an Allah, was
> >interessiert Sie die Meinung anderer Leute über Allah, solange diese
> >sie in Ihrem Glauben nicht behindern?.....
>
> Ich denke Sie sind eine weltoffene Dame. Deshalb wird ihnen auch nicht
> entgangen sein, daß in französischen Schulen zum Beispiel es nicht immer
> erlaubt ist, daß muslimische Mädchen ein Kopftuch tragen dürfen, tun sie
> es doch werden aus der Schule geworfen.

Das gilt, soviel ich weiß, für alle religiösen Manifestationen. Erklärt sich aus der Geschichte: Krieg zwischen Katholiken und Protestanten. Bevor eine Seite die Flagge zu hoch hebt, müssen sie alle unten bleiben.

> Und diese Diskussion kam auch
> in Deutschland auf, glücklicherweise hat es sich nicht zu solch einem
> Maße gesteigert wie in Frankreich, was wenigstens zeigt daß es hier
> liberaler zugeht. Prozesse wie die um das Kruzifix in Bayerischen Schulen
> sind für mich auch sinnlos. Als ich noch zur Grundschule ging (in NRW),
> waren unsere Klassen auch damit bestückt und niemand hat es gestört
> (obwohl es in unserer Schule viele Türken gab, die regelmäßig zur
> Moschee gingen).

Ja, diesen Prozeß fand ich auch übertrieben. Ich finde es auch wichtig, daß man hier Moscheen, auch mit Minaretten, bauen läßt. Das gehört zur Religionsfreiheit und ist eine Bereicherung unserer Gesellschaft.

> Allerdings eskaliert so eine religionstolerante Gesell-
> schaft wenn jemand auftritt und einfach alle Angehörige einer Religion
> verteufelt, wenn nur jemand da ist der einem zuhört. Und wer gerade zuhört,
> den interessieren nicht die Fakten und Details. Als Khomeini den islamischen
> Gottesstaat im Iran ausrief, dachten auch viele daß dies ein Beispiel
> für den allgemeinen Islam ist. Wenn in den Medien heute die Frauen-
> beschneidung im Südsudan und der Umgebung dort gezeigt wird und daß
> es dort im Namen Allahs geschieht, spricht man auch von der Verteufelung
> der Sexualität und Lust bei Frauen im Islam. Aber wußte der Normalbürger/
> die Normalbürgerin, welche dies im Fernsehen sahen, die ganze Wahrheit,
> daß Khomeini Schiite ist und seine Auffassung des Islam nicht die
> der Sunniten (der islamischen Mehrheit) ist, oder daß die Frauen-
> beschneidung nur von einer islamischen Rechtschule zugelassen wird,
> von allen anderen aber scharf kritisiert wird und daß weder im Koran
> noch im Hadith sich auch nur eine Erwähnung davon findet?
> (In der Tat ist es eine pharaonische Tradition!)

Ja, da sind wir uns ganz einig.

> Nein, aber sie werden es erst recht nicht erfahren wenn andere dem
> noch eins zusetzen, einfach weil sie meinten 'sie kämpften für Gerechtigkeit
> und Gleichberechtigung'. Die Geschichte gibt genug Gegenbeweise,
> aber ebenso wie im heutigen Rassismus scheint das nicht immer zu
> interessieren, den es ist bequemer sich der Mehrheit anzuschließen.

Ja, leider.

> >Als ich studierte, war jeder, der nicht links war, "out".
>
> In jeder Phase der Menscheitsgeschichte gab es mal Gute die für Freiheit
> kämpften und Böse die Tyrannen waren. Die verschiedenen Auffassungen für
> einen Staat wurden entwickelt und erreichten mit der Zeit der Aufklärung
> einen Punkt, der bis in unsere Zeit dauert. Aber es gibt einen Unterschied
> zwischen einer Auffassung, die für kurze Zeit modern ist und einer
> die weder mit der Zeit noch mit etwas anderem zu verändern ist.
> Seit es Menschen gibt, gibt es Religionen, und seit es Religionen gibt,
> gibt es den Glauben an den Einen Gott, und die größten Veränderungen in
> der Menschheitsgeschichte wurden immer direkt durch diese Religionen
> hergeführt. Jesus Christus ist nur 32 oder 33 Jahre alt geworden, doch
> seine Hinterlassenschaft war enorm. Mohammed (Aleih Salat ua Salam)
> hat nur 23 Jahre den Islam gepredigt, und hat heute trotzdem noch
> viel zu sagen, doch von Karl Marx' Ideologie ist heute nicht viel geblieben,
> vor allem hat sie sich innerhalb kurzer Zeit als selbstzerstörerisch
> erwiesen (staatskontrollierte Wirtschaft wie in der ehemaligen Sowjetunion
> konnte es nicht mit der freien Marktwirtschaft anderer Staaten aufnehmen).

Das stimmt schon. Allerdings haben für mich die faktische Dauer einer Sache oder einer Religion noch keinen Aussagewert. Entweder sie sprechen mich an oder nicht. Die großen Buchreligionen haben große soziale Kulturen geschaffen. Aber für mich sind diese institutionalisierten Religionen zu eng. Gerade weil sie Glaubensinhalte vorgeben. Im Zen-Budhhismus gibt es den vielleicht verblüffenden Satz: "Triffst Du Buddha unterwegs, töte ihn." Das ist natürlich kein Aufruf zum Mord, sondern ein Aufruf, nur der eigenen Erfahrung zu trauen und keiner fremden Autorität. Selbst wenn man Buddha persönlich träfe: Man sollte sich nicht von ihm und seiner Lehre überwältigen lassen und sich selbst, seine eigenen Wahrnehmungen und sein eigenes Denkvermögen aufgeben.

> >Ich fürchte Sie sehen die Mißstände hier (die es zweifellos gibt)
> >sehr deutlich- und die Zustände in den fernen islamischen Staaten
> >nehmen Sie nur idealisiert wahr.
>
> Als ich früher mit Freunden zusammen oder in der Schule unterwegs war, fingen
> manche manchmal an, über vorbeigehende Mädchen in einer mir damals
> barbarisch vorkommenden Weise zu reden an. Ich habe mich immer gefragt,
> was der Grund sei, denn ich sah mit den gleichen Augen, bemühte
> mich aber klar zu denken. Heute (vor allem an heißen Tagen) höre ich
> meine Kommilitonen auch so reden wenn wir in einem Cafe sitzen und
> Mädchen und Frauen an uns vorübergehen.

Das weiß ich - und hat wohl weniger mit den vorrübergehenden Frauen zu tun, als vor den anderen Männern und Freunden groß dazustehen. Und noch etwas: Was meinen Sie, wie manche Frauen untereinander über die Männer sprechen! Mancher Mann würde mit hochroten Ohren hinauslaufen!

> Opfer. Jede Frau die vergewaltigt wird, ist zuviel. Diese Spalte des
> Verbrechens ist aber kulturorientiert und kommt im islamischen Ländern
> nicht in diesem Maße vor. Frauen die in Deutschland mit Kopftuch und langem
> Mantel rumlaufen, werden in diesem Kontext gar nicht beachtet.

Ja sicher. Und wenn die Frauen überhaupt nicht das Haus verließen, würde ihnen noch viel weniger passieren. Und wenn sie im Bett blieben noch weniger. Sie wollen die Frauen schützen, aber Sie behandeln sie auf diese Weise wie unmündige Kinder, wenn Sie den Willen der Frauen nicht respektieren, die das Risiko der Sicherheit vorziehen. Auch Männer werden (leider) überfallen und ausgeraubt. Jeder Schritt auf die Straße ist ein Risiko und muß von jedem einzelnen abgeschätzt und entschieden werden. Sie können nicht über andere Menschen verfügen. Aber das tun Sie, wenn Sie Frauen ins Heim und in den Hedschab zwängen.

> Und was die Mißhandlungen in islamischen Ländern angeht, so sind diese
> mir auch bewußt. Wenn ein Dieb in Marokko erwischt wird, dann hat er von
> der Polizei nicht viel Gnade zu erwarten. Es gibt viele Bestechungen
> und der Unterschied zwischen arm und reich ist viel krasser als hier
> was die meisten islamischen Staaten angeht, doch dies ist "nicht islamisch"!
> Allah sieht auf die Staatschefs, und diese haben bei Ihm am meisten
> zu fürchten. Wären die islamischen Ländern absolut nach dem Koran
> und dem Hadith regiert, so wäre vieles anders und vor allem wären
> viele Präsidenten gar nicht mehr an der Macht. Aber die Machtgier
> und die schnelle Verlockung des Diesseits arbeiten dagegen.
> Der Prophet hätte herrschen können, wie er es wollte, dennoch lebte
> er als normaler Mensch und nicht in einem Palast, ebenso wie die
> "Kulafa Ar'Raschidin", die rechtgeleiteten Kalifen nach ihm.
> Mich erfreut es gar nicht, wenn ich höre was in islamischen Ländern
> an Verbrechen geschehen.

Wäre es daher nicht viel sinnvoller, gegen die Korruption in diesen Ländern anzukämpfen, als die Frauen (die sowieso an letzter sozialer Position stehen) an die Kleiderregeln zu binden? Taslima Nasrin und Rushdie prangern übrigens auch genau diese Korruption an, weshalb sie so unbeliebt sind.

> Was den Schleier angeht, so ist dies eine arabische Tradition.
> Der Koran sagt "was notwendig ist" sollte bedeckt werden, und
> das Gesicht ist es definitiv nicht.

Chomeini und die Wahhabiten sahen/sehen das anders! Und deshalb bin und bleibe ich in diesem Fall für die Gleichberechtigung: entweder für beide Geschlechter die Verhüllung oder für beide nicht! ;-))

> Ich kann also das Gebet vernachlässigen, mich jeden Tag bis zur Fassungs-
> losigkeit betrinken, Glücksspiele machen, wetten, zu Prostituierten gehen
> und Allahs Gesetze gar nicht beachten, solange ich Ihn aber als Einzigen
> Herrn anerkenne, besteht die Chance zur Vergebung. Doch wenn ich jemanden
> auch nur einen Apfel stehle (und sei dieser jemand auch superreich und
> würde es im Diesseits gar nicht merken, so kann es trotzdem geschehen
> daß Allah mich deswegen bestraft, wenn der Bestohlene mir nicht vergibt.

Das ist Ihr Glaube und entspricht nicht meiner Erkenntnis. Wenn Sie das Göttliche und die göttliche Liebe erkennen und spüren, vergeben Sie in diesem Moment selbst allen Menschen - übrigens auch sich selbst!

> Also kein Widerspruch, Allah läßt jeden Menschen zu seinem Recht!
>
> >Wenn ich an Algerien denke, wo Männer, Frauen und Kinder im Namen
> >der Religion und Allahs überfallen, abgeschlachtet und zerstückelt
> >werden.
>

> Haben Sie jemals mit Algeriern gesprochen die direkt von dort sind.
> Normale Leute, keine besonderen FIS Anhänger oder Gegner?
> Meine Mutter kommt aus einer Stadt namens Ahfir, die nur eine Strassen-
> breite von Algerien entfernt ist. Dort habe ich viele Algerier getroffen,
> die geflohen sind. Ein normaler Mann mit Familie ist nur geflohen weil
> er einen Bart trägt und von der Polizei schikaniert wurde. Diese Leute
> glaubten lange nicht mehr daß die FIS die Dorfbewohner abschlachtet.
> Es wurden Mädchen getötet, die Kopftücher trugen und auf dem Weg zum
> Koranunterricht in die Moschee waren. Und das häufig, zu häufig!
> Es ist in Algerien bekannt daß längst nicht die GIA daran schuld
> ist, sondern Sonderkommandos der Regierung selbst die es in Namen
> der FIS machen.

Ich habe meine Kenntnisse aus dem Fernsehen und von Zeitungsberichten, FAZ und Zeit.

> Das alles wird gefördert von Staaten wie Frankreich
> die keinen islamischen Gottesstaat haben wollen, denn wenn Algerien
> rein islamisch regiert wird, dann dauert es nicht lange, und Tunesien
> folgt, sowie Marokko. Haben Sie sich nicht gefragt warum in Marokko
> immer noch ein König herrscht, trotz vieler ausländischer Kritiker?
> Wenn in Marokko ein politisches Chaos beginnt, dann ergreifen die
> Fundamentalisten dort ebenso die Macht, und dies wollen die westlichen
> Staaten nicht. Die Welt fällt schön herein an den Massaker in Algerien,
> vor allem weil alles was in den Medien gezeigt wird, von den wahren
> Herrschern dort, dem Militär, zensiert wird.
> Aber keine Menschenregierung währt ewig.
>
> Der Mensch stirbt irgendwann und zerfällt zu Staub. Doch Allah herrscht
> ewig, und wer kann es noch wagen Ihm zu trotzen.

Ich habe keine Angst vor ihm. Vor einem liebenden und erbarmenden Gott braucht man keinen Trotz und keine Angst.

> >Was wissen Sie von den Sufis? Haben Sie je von ein Buch von ihnen gelesen?
>
> Die Sufis beschreiten nicht den direkt den Pfad, den der Prophet Mohammed
> (Aleih Salat ua Salam) vorgegeben hat.

Allerdings. Es gibt wohl eine gewisse Sufitradition und Riten. Aber manche sind wohl auch in die "Begegnung mit Gott" hineingeplumpst wie ich.

> Viele Lehren der Sufis sind
> vieleicht nicht direkt falsch, aber nicht von Allah gefordert.
> Es gab auch im Mittelalter einige Konflikte zwischen Sufis und Gelehrten
> die nur nachh dem Koran lehrten. Der Koran und der Hadith zeigen mir
> als Muslim genug, ich muß nicht versuchen mich zu erleuchten, wie es
> manche Sufis von sich behaupten. Wenn Allah sagt, jeder Muslim muß
> mindestens fünfmal täglich beten, und jemand meint, es wäre besser,
> sechsmal als Pflicht zu lehren, so ist die Bid'a und falsch, und bei
> den Sufis gibt es viel Bid'a. Und selbst wenn nicht, die Sufis stellen
> ihren Weg als so wichtig dar, daß der Prophet es von Allah gesagt bekommen
> hätte, wäre es wirklich richtig gewesen.

Es ist viel schöner, die Sonne selbst zu sehen und in ihrem Licht zu leben, als nur in einer dunklen Höhle von ihr erzählen hören!

Früher glaubte man auch, die Menschen brauchten einen König und sollten ihm das Regieren allein überlassen. Als die Aufklärer die Forderung aufstellten, daß das ganze Volk an der Regierung beteiligt werden sollte, gab es einen Aufschrei bei den Royalisten. Das Volk sei zu dumm und ungebildet. Früher glaubte man auch, daß nur die Eltern bestimmen sollten, wen ihre Kinder heiraten. Daß die Kinder ihre Partner selbst auswählen könnten, war lange Zeit undenkbar.

Ich meine, daß es Zeit wird, daß nicht nur einige wenige wie Buddha, Jesus und Muhammad Kontakt zu Gott oder dem Göttlichen finden, sondern alle Menschen. Dabei können wir sicher viel von den sogenannten "primitiven Naturvölkern" lernen, die ihre Angehörigen allein in die Wüste oder in die Natur schicken, damit sie Gott in sich selbst erkennen. Aber das klingt vermutlich sehr ketzerisch in Ihren Ohren.

> Es gibt im Islam so viel Schönes und Richtiges, was leider nur
> deshalb nicht zum Ausdruck kommt, weil es nie richtig angesehen wird
> oder nicht verstanden wurde. Ich hoffe daß Sie die Schönheit des
> Islam in ihrer gesamten Klarheit sehen, sofern Sie selbst den
> Schritt tun, nicht von anderen alles gesagt zu bekommen, sondern
> auf eigener Faust danach forschen.

Ich glaube Ihnen diese Schönheit aufs Wort. Aber ich sehe sie selbst auch in vielem anderem. Ich fliege diese Woche zum zweiten Mal in die USA. In die Wüsten des Südwestens und ins Navajoland:

Einige Monate, nachdem ich meine zwei englischen Gedichte dort vor zwei Jahren geschrieben hatte (unter Vermischtes bei den Gedichten meiner Homepage): fand ich dieses Navajolied in einem Büchelchen,

In beauty, I walk
To the direction of the rising sun
In beauty, I walk
To the direction traveling with the sun
In beauty, I walk
To the direction of the setting sun
In beauty, I walk...
All around me my land is beauty
In beauty, I walk

Navajo (Yebechi) chant
aus: "Songs of the Earth"

> Da Sie eine Juristin sind habe ich jedenfalls Vertrauen darin
> daß Sie das Richtige vom Falschen unterscheiden können
.

Ich habe zwar beide Staatsexamina, aber die Juristerei etwa im 6. Semester innerlich für mich abgehakt. Weil Recht, Gerechtigkeit und Paragraphenauslegung zwar viel, aber nicht alles im Leben sind. Deshalb ging ich nach dem 1. Examen nach Israel ins Kibbuz. Weil ich in die Wüste wollte. Ich landete zwar mitten im grünen und blühenden Scharon, aber in die Wüste kam ich trotzdem...

> In Allah hua SCHADIDU I'KAB
> Die genaue Übersetzung bedeutet
> nicht 'Allah ist stark im Bestrafen'
> sondern 'Allah ist Ein strenger Bestrafer'.
>
> Aber Allah ist auch voller Güte und Weisheit,
> Erbarmen und Schöpfungskraft, wie wir es jeden Tag feststellenn.

Ja!


> Friede sei mit Ihnen, Regina

Und mit Ihnen, Khalil!

> Die Konversation mit ihnen ist ein Genuss, den ich seit langem vermisse.

Danke, ich unterhalte mich auch gerne mit Ihnen!

Herzliche Grüße,
Regina

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