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BRIEF AN DIE FAZ (der angebotene Artikel wurde nicht abgedruckt. Ich habe ihn dann  im Internet veröffentlicht.)
 

11. Januar 2000 
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Redaktion Leserbriefe

Einige Anmerkungen zu Kardinal Ratzingers Artikel in der FAZ vom 8.1.2000: 
Der angezweifelte Wahrheitsanspruch. 
Die Krise des Christentums am Beginn des dritten Jahrtausends 

Sehr geehrte Damen und Herren,

"Der christliche Glaube beruht also nicht auf Poesie und Politik, diesen beiden großen Quellen der Religion; er beruht auf Erkenntnis. Er verehrt jenes Sein, das allem Existierenden zu Grunde liegt, den "wirklichen Gott". Als ich diesen Satz las, dachte ich, der Mann hat recht. Jesus sprach aus unmittelbar eigener Erkenntnis des Göttlichen. Und wären seine Jünger dabei geblieben, und hätten sie ebenfalls aus eigener Erkenntnis des Göttlichen gesprochen und gelebt, gäbe es heute keine Krise des Christentums. Doch leider haben seine Anhänger das, was Jesus erkannt hat und wie er es erkannt hat, nicht aufgegriffen und nicht fortgeführt. Sie lehren nicht die eigene Erkenntnis, sondern den Glauben an Lehren und Dogmen. Das Christentum bezieht sich nach dem großen Kirchenvater Augustinus - so Kardinal Ratzinger - auf das Göttliche, das die vernünftige Analyse der Wirklichkeit wahrnehmen kann." Aus eigener Erkenntnis wird also vernünftige Analyse, und das Göttliche wird in das Korsett der "Vernunft" gezwängt!

Genau in dieser Vermengung von subjektiver Innenschau bzw. intuitiver Erkenntnis (Quelle der Religion) mit dem, was wir objektiv (und damit vernünftig) von der Welt wissen und beweiskräftig aussagen können (Grundlage der Philosophie) liegt die Wurzel der Krise des Christentums. Das Kernproblem aller Religion ist, daß sie eine rein subjektive Angelegenheit ist, wenn es um Erkenntnis geht. Der Weg zum Göttlichen geht durchs eigene Innere, und wem der "lebendige Gott" oder das "lebendige Göttliche" begegnet ist, weiß, daß Worte und Taten nicht ausreichen, um dieses Erlebnis und diese Erkenntnis auszudrücken. Das Problem aller Religionsstifter und Mystiker ist, daß sie ihre Erkenntnis und ihr Glück anderen nicht mitteilen können. Jedenfalls nicht auf dem normalsprachlichen Weg. Sprache kann das Unendliche nur umschreiben, gleichnishaft darstellen, aber niemals direkt wiedergeben. Ähnlich gelangen Liebende oft an die Grenzen der Sprache, wenn sie wieder und wieder gefragt werden: "Liebst du mich auch wirklich?" Wie oft soll man es noch sagen und wie beweisen? Und ein anderes Beispiel: wer die Schrecken eines Krieges, das Grauen von KZs und erlitten hat, steht vor derselben Sprachlosigkeit. Oft hört man dann: "Das kann nur verstehen, wer es selbst mitgemacht hat." 

Das Christentum, vor allem in seiner katholischen Variante, hat die Vermittlung der inneren religiösen Erkenntnis fallengelassen und statt dessen den äußeren Glauben gepredigt und Gleichnisse, Glaubensinhalte in den Rang von absoluten, objektiven Wahrheiten erhoben. Immer wieder war die Kirche im Lauf der Jahrhunderte gezwungen, die falschen Wahrheiten zurückzunehmen. Denn der Geltungsbereich von endlichen Gleichnissen kann auch nur endlich und begrenzt sein. 

Die Vermittlung religiöser Erkenntnis ist nicht nur ein emotionales sprachliches Problem. Sie ist das größte Problem für den menschlichen Verstand überhaupt, da die religiöse Erkenntnis mit den Kategorien von Vernunft und Logik nicht zu fassen ist. Religiöse Erkenntnis ist irrational oder arational - nicht im Sinne von unvernünftig, unlogisch oder dumpfer Unwissenheit, sondern analog den irrationalen Wurzelzahlen oder den imaginären Zahlen in der Mathematik mit den Möglichkeiten der "Normalzahlen" nicht wiederzugeben. Ebenso kann die Zahl ¥ für "Unendlich" durch keine andere Zahl ausgedrückt oder beschrieben werden. Jede andere Zahl ließe sich durch 1 erhöhen und wäre damit selbst nicht mehr unendlich. Die religiöse Erfahrung ist aber nichts anderes als die unmittelbare Erkenntnis der Unendlichkeit. Nicht als Gedankenspiel, sondern als lebendige Wirklichkeit, die alles Sein umfaßt und übersteigt. Jede Beschreibung, jeder Vergleich reduziert das Unendliche schon auf begrenzte Begriffe oder Dinge und gibt damit das Eigentliche preis. Alles, was unsere Sinne sehen und wahrnehmen, die ganze Natur, ist Teil des Göttlichen. Aber das Göttliche erschöpft sich nicht in der Natur, und noch weniger wird es durch Worte erschöpfend beschrieben. 

Ähnlich, aber mit einer entscheidenden Einschränkung schreibt Kardinal Ratzinger: "dass der Gott, dem die Christen glauben, und den sie verehren, im Unterschied zu den mythischen und politischen Göttern wirklich natura deus ist....Aber gleichzeitig gilt nun: nicht alles, was Natur ist, ist Gott. Gott ist seiner Natur nach Gott, aber nicht die Natur als solche ist Gott. Es geschieht eine Trennung zwischen der allumfassenden Natur und dem sie begründenden, ihr Ursprung gebenden Sein. So erst treten nun Physik und Metaphysik auseinander. Nur der wirkliche Gott, den wir denkend in der Natur erkennen können, wird angebetet." 

Mit dem kleinen Wörtchen "Nicht alles, was Natur ist, ist Gott" zieht Kardinal Ratzinger die Trennlinie und spricht damit der Natur die Göttlichkeit ab. Als ob es einen Platz, einen Punkt, ein Atom gäbe, wo nicht Gott ist. Als ob es ein einziges Geschöpf, ein einziges Werk Gottes gäbe, das nicht heilig ist! Ich sage (auf Grund meiner eigenen Erkenntnis) : alles, was Natur ist, ist Gott, aber nicht die Natur als solche ist Gott. Gott geht über die Natur hinaus: so wie das Unendliche immer das Endliche übersteigt. Es sind diese Trennungen zwischen heilig und nicht-heilig, rein und unrein, Geist und Fleisch, die das Christentum immer weg vom Urgrund und in die Mißachtung der Natur und in die Verabsolutierung von endlichen Sätzen und Lehren geführt hat - mit all den bekannten Folgen. Der Spott, den die Christen über die heidnischen Götzenanbeter ausschütteten, kehrt zu seinen Urhebern zurück. Denn in der Verabsolutierung der Schrift, in der Verabsolutierung von Geboten und Dogmen wird Endliches vergötzt und das Christentum als Religion unglaubwürdig.

Die Begrenzung des Göttlichen auf Endliches wird ganz offenbar in Kardinal Ratzingers Satz: "Nur der wirkliche Gott, den wir denkend in der Natur erkennen können, wird angebetet." Vielleicht kann Kardinal Ratzinger Gott im Denken erkennen, quasi als geistiger Bruder Descartes, "Ich denke, also bin ich". Aber so wird die nicht denkende Natur erneut abgewertet. In dieser Ausschließlichkeit werden dann auch alle Gotteserkenntnisse beiseite geschoben, die im Zustand gedanken-losen, reinen Bewußtseins (Meditation u.ä.) geschehen. Die Erkenntnis, die aus einer solchen Schau folgt, heißt: "Ich bin, also denke ich." Gott wird in allen Seinsformen hindurch erkannt und verehrt. Das Denken und die Offenbarung durch den Logos erweisen sich dabei nur als Spielarten des Seins, aber sie sind nicht die einzige göttliche und nicht die einzig wahre. 

Kardinal Ratzinger spricht vom Sieg des Christentums als der religio vera über die heidnischen Religionen. Aber solange das Christentum noch in Kategorien von Sieg und Niederlagen denkt, wenn es um Religion geht, hat es nur einen Pyrrhussieg errungen, weil es das Wesentliche verkennt. Die "Bescheidenheit" des Buddhismus, Hinduismus usw., was Aussagen über ihre religiöse Wahrheit betrifft, die Selbstbeschränkung auf Symbole, sind dem gegenüber kein Zeichen von Schwäche oder von taktierendem Sichfügen, sondern die einzig angemessene Haltung aufgrund eigener Gotteserkenntnis: nämlich daß alle Figuren, Zahlen, Bilder, Plastiken und Worte "Gott" oder das "Göttliche" nicht annähernd wiedergeben können. Ihre Bescheidenheit kommt aus der Bescheidenheit gegenüber dem unendlichen Urgrund und nicht aus einer philosophisch und politisch begründeten äußeren Gleichmacherei der verschiedenen Religionsformen. Das Christentum kann davon nur lernen. Der Feind des Christentums ist nicht die Rationalität und Skepsis der Aufklärung, sondern das Christentum selbst: weil es religiöse innere Wahrheiten und Aussagen einzelner Menschen objektiviert und verabsolutiert und in falscher Anmaßung als gültig für alle Menschen erklärt. Wie wahrhaft demutsvoll spricht dagegen Meister Eckehart, der wirklich aus eigener Erkenntnis lehrte und von seiner Kirche dafür als Ketzer verurteilt wurde: "Wer da glaubt, daß er Gott erkannt habe, und dabei noch irgend etwas erkennen würde, der erkennte Gott nicht." (Quint, Pred.10, S.196). Und weiter Meister Eckehart, Augustinus zitierend: "Das Schönste, was der Mensch über Gott auszusagen vermag, besteht darin, daß er aus der Weisheit des inneren Reichtums schweigen könne." (Pred. 42, S. 353)

(Die Unterstreichung und Hervorhebungen in fetter Schreibweise sind von mir)

Mit freundlichen Grüßen
Regina Berlinghof
 

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