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WEB-Tagebuch Regina Berlinghof

August 2003
31.8.2003
Zur Ermordung des Schiitenführers al-Hakim
Die Ermordung des Schiitenführers al-Hakim. Immer trifft es die Gemäßigten, die Vernünftigen, diejenigen, die einen Ausgleich suchen:
Jitzchak Rabin, Anwar al-Sadat, Martin Luther King, die Kennedybrüder. 
Wie schnell läßt sich schießen und töten. Wie lange braucht es, um aufzubauen, um zu pflegen und hegen. Mammutbäume können vier tausend Jahre lang wachsen und gedeihen – und sind an einem Tag gefällt.
Aber welche Lücke hinterlassen sie! Hitzköpfe schaffen nur verbrannte Erde.
30.8.2003
Freundfeinde - Zionismus und Gerechtigkeit
Wie kann man Israel kritisieren, ohne in der Ecke des Antisemitismus zu landen? Oder: wie kann man vermeiden, daß eine konstruktive wohlmeinende Kritik als Schmähschrift mißbraucht wird? Die FAZ thematisierte gestern dieses Thema vor dem Hintergrund der Überlegungen der Philosophin Judith Butler. Zionismus und Gerechtigkeit gegenüber den Palästinensern – wie vereinbart sich das? Die FAZ zitiert einen Brief von Arnold Zweig aus dem Jahr 1938, der sich kritisch mit der Haltung des Zionismus gegenüber den Arabern äußert. Die FAZ dazu „Einwanderung als Aggression – mit dieser Sicht stand Arnold Zweig damals in Palästina sicherlich allein.“ Nicht ganz allein. Es gab schon damals durchaus kritische Stimmen, gerade auch von deutschen Juden, Martin Buber, der für das Miteinander plädierte. Aber sie blieben einzelne.
Ein weiteres Beispiel findet sich in der Autobiographie des jüdischen Korrespondenten Leopold Weiß, der später zum Islam konvertierte und sich Asad nannte. Sein Onkel hatte den dreiundzwanzigjährigen 1922 nach Jerusalem eingeladen. 
Das folgende Zitat aus Asads Autobiographie: Der Weg nach Mekka (S. 114-119) schildert seine Bedenken und Gespräche mit Zionisten, darunter Dr. Chaim Weizmann:

Muhammad Asad (Leopold Weiß): DER WEG NACH MEKKA, Fischer Verlag 1955,  S. 114-119

"Was wußte der durchschnittliche Europäer in jenen Tagen von den Arabern? So gut wie gar nichts. Voller romantischer und irriger Auffassungen kam er nach dem Nahen Osten; und wenn er geistig ehrlich und unvoreingenommen war, mußte er sich bald gestehen, daß er in Wirklichkeit vom arabischen Leben keine Ahnung hatte. Mir war es ebenso, ergangen. Bevor ich nach Palästina kam, hatte ich nicht einmal gewußt, daß es ein arabisches Land war. Es war mir natürlich bekannt gewesen, daß auch Araber dort lebten, aber ich hatte sie mir immer nur als Nomaden und idyllische Oasenbewohner vorgestellt. Da alles, was ich früher über ,Palästina gelesen hatte, von Zionisten geschrieben war – die ja natürlich nur ihre eigenen Interessen und Probleme vor Augen hatten, war es mir nicht in den Sinn gekommen, daß auch die Städte voll von Arabern waren; daß tatsächlich im Jahre 1922 in Palästina fünf Araber auf einen Juden kamen und daß das Land somit weitaus mehr arabisch als jüdisch war.
Als ich dies einmal Herrn Ussyschkin gegenüber, dem damaligen Vorsitzenden des Zionistischen Aktionskomitees, zur Sprache brachte, gewann ich den Eindruck, daß die Zionisten die arabische Mehrheit der Bevölkerung keineswegs zu berücksichtigen geneigt waren, noch auch dem arabischen Widerstand gegen den Zionismus eine wesentliche Bedeutung beimaßen. Herrn Ussyschkins Antwort auf meine Frage zeigte nur seine Verrachtung alles Arabischen:
„Es gibt hier keine wirkliche arabische Opposition gegen den Zionismus – das heißt, keine Bewegung, die im Volk ihre Wurzeln hätte. Was Sie als eine Opposition betrachten, ist in Wirklichkeit nichts als das Geschrei einiger mißvergnügter Agitatoren. Und das wird in einigen Monaten, spätestens in ein paar Jahren, in sich zusammenbrechen.“
Dieses Argument gefiel mir nun gar nicht. Von allem Anfang an hatte ich die Empfindung, daß der Gedanke einer jüdischen Besiedlung Palästinas etwas Künstliches an sich hatte und den wahren Bedürfnissen des Judentums nicht entgegenkam; noch viel schlimmer jedoch war die Aussicht, daß das zionistische Unterfangen die ganze unlösbare Gesellschaftsproblematik Europas in ein Land verpflanzen würde, das ohne sie weitaus glücklicher wäre. Denn die Juden kamen ja nicht nach Palästina als ein Volk, das in sein Heimatland zurückkehrt: sie waren vielmehr entschlossen, es zu einem Heimatland zu machen - und zwar ein Heimatland nach europäischen Vorbildern und mit europäischen Zielen. Mit andern
Worten, sie kamen als Fremde, als Eindringlinge her. Ich empfand es deshalb als selbstverständlich, daß die Araber den Gedanken einer jüdischen Heimstätte in ihrer Mitte aufs bitterste bekämpften; sie waren ja in ihren wesentlichsten Belangen bedroht und mußten sich gegen eine solche Bedrohung zur Wehr setzen. 
In der sogenannten Balfour-Deklaration von 1917, die den Juden eine ‚nationale Heimstätte’ in Palästina versprach, sah ich ein grausames politisches Manöver nach dem alten Kolonialgrundsatz divide et impera. Im Falle Palästinas war dieser Grundsatz um so anstößiger, als die Engländer 1916 dem damaligen Herrscher Mekkas, Scharif Husayn, als Belohnung für seinen Aufstand gegen die Türken einen unabhängigen arabischen Staat versprochen hatten, der alle Länder zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf umschließen sollte. Sie brachen dieses Versprechen sofort: denn schon im nächsten Jahre trafen sie mit Frankreich, das, geheime Sykes-Picot-Abkommen, das den Franzosen die Herrschaft, über Syrien und den Libanon einräumte, und verfügten durch die Balfour-Deklaration auch über Palästina, das sie den Arabern zugesagt hatten.
Wenngleich ich selber jüdischer Abstammung war, so erschien mir doch der Zionismus äußerst anstößig. Ich sah es als unmoralisch an, daß fremde Einwanderer, von einer fremden Großmacht unterstützt, mit der unverhohlenen Absicht ins Land kamen, allmählich zur Mehrheit zu gelangen und auf diese Weise ein Volk, das dieses Land seit undenklichen Zeiten besessen hatte, zu enterben. Und so geschah es auch, daß, sooft die jüdisch-arabische Frage zur Sprache kam - und das ereignete sich natürlich sehr häufig -, ich fast unwillkürlich für die Araber eintrat. Meinen jüdischen Freunden war eine solche Haltung geradezu unbegreiflich, um so mehr; als sie selber die Araber als rückständige Barbaren ansahen - ungefähr so, wie die europäischen Kolonisten in Zentralafrika die Buschneger ansehen. Sie schenkten der großen kulturellen Vergangenheit des arabischen Volkes nicht die geringste Beachtung. Es interessierte sie nicht im mindesten zu erfahren, was diese Menschen eigentlich dachten und was für Vorstellungen sie vom Leben hatten; kaum einer von ihnen gab sich die Mühe, Arabisch zu lernen; und jeder nahm ohne weiteres an, daß Palästina das rechtmäßige Erbe der Juden wäre. 
Ich entsinne mich noch einer kurzen Unterhaltung, die ich über diese Frage mit Dr. Chaim Weizmann hatte, dem unbestrittenen Führer der zionistischen Bewegung. Er war gerade auf einem seiner häufigen zeitweiligen Besuche nach Palästina gekommen (sein ständiger Wohnsitz war damals, glaube ich, in London) und ich machte seine Bekanntschaft im Hause eines gemeinsamen jüdischen Freundes. Es war unmöglich, sich dem starken Eindruck zu entziehen, den die Energie dieses Mannes vermittelte – eine Energie, die sich sogar in seinen Körperbewegungen offenbarte, in dem langen, elastischen Schritt, mit welchem er rastlos im Zimmer auf und ab ging –, oder die bedeutende Geisteskraft zu verkennen, von welcher die breite Stirn, und der durchdringende Blick Kunde gab.
Er sprach von den finanziellen Schwierigkeiten, die der schnellen Verwirklichung des Traums einer jüdischen Heimstätte im Wege standen, sowie auch von dem ungenügenden Widerhall, den dieser Traum im Auslande erweckte; und es befremdete mich, zu hören, daß auch er, wie die meisten anderen Zionisten, geneigt zu sein schien, die moralische Verantwortung für alles, was sich innerhalb Palästinas abspielte, der ‚Außenwelt’ zuzuschieben. Diese Entdeckung ließ mich für den Augenblick meine Jugend vergessen (ich war kaum dreiundzwanzig Jahre alt), und mit lauter Stimme brach ich in Dr. Weizmanns Rede ein:
„Und wie steht’s denn mit den Arabern?“
Es war kein Zweifel, ich hatte mit meiner dissonanten Frage einen faux pas begangen: alle Anwesenden hoben erstaunt und zum Teil auch mißbilligend die Köpfe hoch, während Dr. Weizmann sein Gesicht langsam mir zuwandte, die Tasse, die er in der Hand hielt, niedersetzte und meine Frage halb wiederholte:
„…wie es mit den Arabern steht?“
„Nun ja - was berechtigt Sie denn zu der Erwartung, daß es Ihnen, gelingen wird, Palästina gegen alle arabische Opposition zu Ihrer Heimstätte zu gestalten? - denn die Araber sind ja hierzulande in der Mehrheit . . .“
Der Zionistenführer zuckte mit den Achseln und antwortete trocken:
„Wahrscheinlich werden sie nicht mehr lange in der Mehrheit bleiben.«
„Kann sein. Sie haben sich mit diesem Problem seit Jahren befaßt und kennen  die Lage natürlich weit besser als ich. Aber ganz abgesehen von den politischen Schwierigkeiten, die der arabische Widerstand Ihnen in den Weg legen oder nicht legen wird – beunruhigt Sie denn die moralische Seite dies er Frage gar nicht? Glauben Sie nicht, es sei bitteres Unrecht, politisch und kulturell ein Volk zu verdrängen, dem dieses Land seit jeher Heimat war?“
 „Aber es ist doch unsere Heimat!« versetzte Dr. Weizmann, die Augenbrauen hochhebend. „Wir erstreben ja nichts als das zurückzugewinnen, dessen man uns ungerechter weise beraubt hat.« 
„Aber die Juden haben doch nahezu zweitausend Jahre nicht mehr in Palästina gelebt! Und vorher, bevor sie vertrieben wurden, herrschten sie hier kaum fünfhundert Jahre lang, und sogar damals nur über einen Teil des Landes und niemals über das ganze. Glauben Sie nicht, die Araber könnten mit derselben oder sogar .einer besseren Berechtigung Spanien für sich zurückverlangen - denn sie führten ja fast siebenhundert Jahre lang das Zepter in Spanien und verloren es gänzlich erst vor fünfhundert Jahren?«  . "
Dr. Weizmann war ersichtlich ungeduldig geworden: „Unsinn. Die Araber hatten ja Spanien nur erobert; es war ja nicht ihr Heimatland: sie waren Eindringlinge - und so war es nur recht, daß sie am Ende von den Spaniern vertrieben wurden.«.
„Aber verzeihen Sie doch«, beharrte ich, „es scheint mir, Sie übersehen hier eine historische Tatsache. Wenn man's genau nimmt, kamen ja auch die Hebräer als Eroberer nach Palästina. Lange vor ihrem Erscheinen lebten viele andere semitische und nicht-semitische Stämme hier - die Amoriter, die Edomiter, die Philister, die Moabiter, die Hittiter. Diese Völkerschaften lösten sich doch nach der Ankunft der Hebräer nicht einfach auf, sondern blieben hier und lebten neben den Hebräern weiter. Sie lebten hier in den Tagen der Königreiche Israel und Juda. Sie lebten hier, nachdem unsere - Ihre und meine - Vorfahren von den Römern vertrieben wurden. Sie leben hier noch heute: denn sind die gegenwärtigen palästinensischen Araber in Wirklichkeit etwas anderes als Nachkommen jener amoritischen und edomitischen und moabitischen Urstämme? Man spricht sie heutzutage als ‚Araber’ an und vergißt dabei, daß die echten Araber, die sich in Palästina und Syrien im Gefolge der islamischen Eroberungswelle ansiedelten, immer ja nur einen kleinen Bruchteil der Bevölkerung ausmachten und daß die überwältigende Mehrzahl der sogenannten palästinensischen und syrischen ‚Araber’ in Wirklichkeit ja nur die arabisierten Ureinwohner des Landes sind. Ein Teil von ihnen nahm im Verlaufe der Jahrhunderte den Islam an, der andere Teil blieb christlich; es war nur natürlich, daß die Muslims sich durch Heiraten weitgehend mit ihren Glaubensbrüdern aus Arabien vermischten: aber können Sie denn ernstlich in Abrede stellen, daß die Mehrheit der arabischsprechenden Palästinenser, ob Muslims oder Christen, in gerader Linie von den frühesten Bewohnern Palästinas abstammt: den frühesten, denn sie waren ja schon Jahrhunderte vor den Hebräern hier angesiedelt gewesen?«
Dr..Weizmann lächelte höflich und überlegen über meinen Ausbruch und nahm ein neues Gesprächsthema auf.
Das Ergebnis meiner Intervention verursachte mir keine Freude. Ich hatte selbstverständlich nicht erwartet, daß Dr. Weizmann oder irgendein anderer der Anwesenden mir zubilligen würde, der Zionismus sei sittlich gesehen ein fragwürdiges Unterfangen: aber ich hatte doch gehofft, daß mein Eintreten für die Araber wenigstens eine leise Beunruhigung in
diese Gesellschaft hineintragen würde, die sich ja zum Teil aus den bedeutendsten Vertretern des Zionismus zusammensetzte, – eine Beun.ruhigung, die vielleicht zu größerer Selbstkritik und damit auch, möglicherweise, zu einer größeren Bereitwilligkeit führen könnte, dem arabischen Widerstand ein gewisses moralisches Recht zuzubilligen… Aber nichts dergleichen hatte sich ereignet. Der erhoffte Widerhall blieb aus. Eine Mauer starrender Augen stand mir entgegen: eine scharfe Mißbilligung der Impertinenz, mit der ich da gewagt hatte, das fraglose ‚Recht’ der Juden in Frage zu stellen. . .
Wie war es nur möglich, wunderte ich mich, daß geistig so begabte Menschen wie die Juden den zionistisch-arabischen Widerstreit nur vom jüdischen Standpunkt aus betrachteten? Sahen sie denn gar nicht ein, daß das Problem der Juden in Palästina letzten Endes nur durch friedliche Zusammenarbeit mit den Arabern zu lösen war? Waren sie denn so hoffnungslos verblendet, nicht zu erkennen, welch eine schmerzliche Zukunft sich in ihren Plänen barg? - wieviel Kämpfe, wieviel Bitternis und Haß dem jüdischen Volke bevorstanden, wenn es solcherart ein Inselleben, und sei es zeitweilig auch noch so erfolgreich – inmitten eines Meeres feindlicher Araber führen würde?
Und wie seltsam, dachte ich mir, daß ein Volk, welches im Verlaufe seiner langen tragischen Diaspora so viel Unrecht erlitten hatte, nunmehr bereit war, einem andern Volke elendes Unrecht anzutun – und noch dazu einem Volke, das gar keine Schuld am vergangenen jüdischen Leiden trug.Solch ein Phänomen, das wußte ich, war der Geschichte keineswegs unbekannt; aber es machte mich dennoch dennoch über alle Maßen traurig, es mit eigenen Augen mitansehen zu müssen."
 

22.8.2003
Meldung der Tagesschau vom 18. August 2003: 
Vatikan ordnete Vertuschung von Missbrauchsfällen an -
ohne Kommentar
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID2142666,00.html
Ausland:
"Der Vatikan hat offenbar im Jahr 1962 eine offizielle Anordnung erlassen, Fällesexuellen Missbrauchs durchPriester nicht in dieÖffentlichkeit dringen zu lassen.Wie die Londoner Zeitung "TheObserver" berichtet, wurdenBischöfe in der ganzen Weltdamals in einem Dokumentstreng vertraulich angewiesen,solche Vergehen "mit größterGeheimhaltung" innerkirchlichzu verfolgen. DieMissbrauchsopfer seien unterder Drohung der Exkommunizierung zum Stillschweigen verpflichtetworden.

 "Ewiges Stillschweigen" angeordnet

 Ein US-Anwalt habe das Schreiben bei Nachforschungen übersexuellen Missbrauch in Geheimarchiven der katholischen Kircheentdeckt, berichtet das Blatt weiter. Das lateinische Rundschreibenmit dem Titel "Crimine Solicitationies" sei vom damaligen HeiligenUffiz (der heutigen Glaubenskongregation) verschickt worden undtrage das Siegel des damaligen Papstes Johannes XXIII. In der vom"Observer" veröffentlichten englischen Fassung, die damals an diebritischen Bischöfe gegangen sei, heißt es, alle Beteiligten solltenbei Missbrauchsfällen im Zuge der Beichte "ewiges Stillschweigen"schwören. Das Rundschreiben legt darüber hinaus im Detail fest, wiedie Untersuchungen innerhalb der Kirche zu führen und Priestereventuell zu bestrafen oder zu versetzen sind.

 Kirchensprecher bestätigt Echtheit

 Der Vatikan wollte zu dem Bericht keine Stellung nehmen. EinSprecher der katholischen Kirche in Großbritannien habe jedoch dieEchtheit des Dokuments bestätigt, schrieb der "Observer". Allerdingshabe er bestritten, dass es sich um einen absichtlichen Plan zurVertuschung sexueller Missbrauchsfälle in der Kirche gehandelthabe. Es sei vielmehr darum gegangen, "Beschuldigte zu schützen,so wie dies heute bei Zivilverfahren der Fall ist".

 Vor allem die US-Kirche wird seit gut zwei Jahren von einerSkandal-Serie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern durchPriester erschüttert. 2001 hatte Papst Johannes Paul II. ein hartesVorgehen gegen solchen Missbrauch gefordert. 

 Stand: 18.08.2003 19:15 Uhr
Ursprüngliche Meldung vom "Observer" 17.8.03:
Vatican told bishops to cover up sex abuse
 http://observer.guardian.co.uk/international/story/0,6903,1020400,00.html
 Expulsion threat in secret documents

Antony Barnett, public affairs editor
Sunday August 17, 2003
The Observer

The Vatican instructed Catholic bishops around the world to cover up cases of sexual abuse or risk being thrown out of the Church. 

The Observer has obtained a 40-year-old confidential document from the secret Vatican archive which lawyers are calling a 'blueprint for deception and concealment'. One British lawyer acting for Church child abuse victims has described it as 'explosive'. 

The 69-page Latin document bearing the seal of Pope John XXIII was sent to every bishop in the world. The instructions outline a policy of 'strictest' secrecy in dealing with allegations of sexual abuse and threatens those who speak out with excommunication. 

They also call for the victim to take an oath of secrecy at the time of making a complaint to Church officials. It states that the instructions are to 'be diligently stored in the secret archives of the Curia [Vatican] as strictly confidential. Nor is it to be published nor added to with any commentaries.' 

The document, which has been confirmed as genuine by the Roman Catholic Church in England and Wales, is called 'Crimine solicitationies', which translates as 'instruction on proceeding in cases of solicitation'. 

It focuses on sexual abuse initiated as part of the confessional relationship between a priest and a member of his congregation. But the instructions also cover what it calls the 'worst crime', described as an obscene act perpetrated by a cleric with 'youths of either sex or with brute animals (bestiality)'. 

Bishops are instructed to pursue these cases 'in the most secretive way...  restrained by a perpetual silence... and everyone... is to observe the strictest secret which is commonly regarded as a secret of the Holy Office... under the penalty of excommunication'. 

Texan lawyer Daniel Shea uncovered the document as part of his work for victims of abuse from Catholic priests in the US. He has handed it over to US authorities, urging them to launch a federal investigation into the clergy's alleged cover-up of sexual abuse. 

He said: 'These instructions went out to every bishop around the globe and would certainly have applied in Britain. It proves there was an international conspiracy by the Church to hush up sexual abuse issues. It is a devious attempt to conceal criminal conduct and is a blueprint for deception and concealment.' British lawyer Richard Scorer, who acts for children abused by Catholic priests in the UK, echoes this view and has described the document as 'explosive'. 

He said: 'We always suspected that the Catholic Church systematically covered up abuse and tried to silence victims. This document appears to prove it. Threatening excommunication to anybody who speaks out shows the lengths the most senior figures in the Vatican were prepared to go to prevent the information getting out to the public domain.' 

Scorer pointed out that as the documents dates back to 1962 it rides roughshod over the Catholic Church's claim that the issue of sexual abuse was a modern phenomenon. 

He claims the discovery of the document will raise fresh questions about the actions of Cardinal Cormac Murphy-O'Connor, the head of the Roman Catholic Church in England and Wales. 

Murphy-O'Connor has been accused of covering up allegations of child abuse when he was Bishop of Arundel and Brighton. Instead of reporting to the police allegations of abuse against Michael Hill, a priest in his charge, he moved him to another position where he was later convicted for abusing nine children. 

Although Murphy-O'Connor has apologised publicly for his mistake, Scorer claims the secret Vatican document raises the question about whether his failure to report Hill was due to him following this instruction from Rome. 

Scorer, who acts for some of Hill's victims, said: 'I want to know whether 
Murphy-O'Connor knew of these Vatican instructions and, if so, did he apply it. If not, can he tell us why not?' 

A spokesman for the Catholic Church denied that the secret Vatican orders were part of any organised cover-up and claims lawyers are taking the document 'out of context' and 'distorting it'. 

He said: 'This document is about the Church's internal disciplinary procedures should a priest be accused of using confession to solicit sex. It does not forbid victims to report civil crimes. The confidentiality talked about is aimed to protect the accused as applies in court procedures today. It also takes into consideration the special nature of the secrecy involved in the act of confession.' He also said that in 1983 the Catholic Church in England and Wales introduced its own code dealing with sexual abuse, which would have superseded the 1962 instructions. 
Asked whether Murphy-O'Connor was aware of the Vatican edict, he replied: 'He's never mentioned it to me.' 

Lawyers point to a letter the Vatican sent to bishops in May 2001 clearly stating the 1962 instruction was in force until then. The letter is signed by Cardinal Ratzinger, the most powerful man in Rome beside the Pope and who heads the Congregation for the Doctrine of the Faith - the office which ran the Inquisition in the Middle Ages. 

Rev Thomas Doyle, a US Air Force chaplain in Germany and a specialist in Church law, has studied the document. He told The Observer: 'It is certainly an indication of the pathological obsession with secrecy in the Catholic Church, but in itself it is not a smoking gun. 

'If, however, this document actually has been the foundation of a continuous policy to cover clergy crimes at all costs, then we have quite another issue. There are too many authenticated reports of victims having been seriously intimidated into silence by Church authorities to assert that such intimidation is the exception and not the norm. 

'If this document has been used as a justification for this intimidation then we possibly have what some commentators have alleged, namely, a blueprint for a cover-up. This is obviously a big "if" which requires concrete proof.' 

Additional research by Jason Rodrigues
 

3.6.03 - Vatikan:
KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE

ERWÄGUNGEN ZU DEN ENTWÜRFEN EINER RECHTLICHEN ANERKENNUNG DER LEBENSGEMEINSCHAFTEN ZWISCHEN HOMOSEXUELLEN PERSONEN

Wie die Erfahrung zeigt, schafft das Fehlen der geschlechtlichen Bipolarität Hindernisse für die
normale Entwicklung der Kinder, die eventuell in solche Lebensgemeinschaften eingefügt werden. Ihnen fehlt die Erfahrung der Mutterschaft oder der Vaterschaft. Das Einfügen von Kindern in homosexuelle Lebensgemeinschaften durch die Adoption bedeutet faktisch eine Vergewaltigung dieser Kinder in dem Sinn, dass man ihren Zustand der Bedürftigkeit ausnützt, um sie in ein Umfeld
einzuführen, das ihrer vollen menschlichen Entwicklung nicht förderlich ist. Eine solche Vorgangsweise wäre gewiss schwerwiegend unsittlich und würde offen einem Grundsatz widersprechen, der auch
von der internationalen Konvention der UNO über die Rechte der Kinder anerkannt ist. Demgemäß ist das oberste zu schützende Interesse in jedem Fall das Interesse des Kindes, das den schwächeren und schutzlosen Teil ausmacht. *)

Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, am 3. Juni 2003, dem Gedenktag der heiligen
Märtyrer Karl Lwanga und Gefährten.

 Joseph Card. Ratzinger
 Präfekt

http://www.vatican.va/roman_curia/
congregations/cfaith/documents/
rc_con_cfaith_doc_20030731_
homosexual-unions_ge.html

*) Hervorhebung von mir

21.8.2003
Der Prozeß um Jesus und Mel Gibsons Film - Prozeß um Jesus

Der Heidelberger Theologe Klaus Berger, den die FAZ zu ihrem Hausexperten erkoren hat, wenn es um Jesus und das frühe Christentum geht, schreibt heute zum „Mord an Jesus“ und Mel Gibsons Jesusverfilmung.
Es geht um die Verantwortung für Jesu’ Verurteilung und Hinrichtung. Waren es die Römer – „Pilatus heißt die Kanaille“ oder „die Juden“ oder jüdische Autoritäten?
Daß heute immer noch um Schuld und Verantwortung in einem Prozeß (oder zwei) gestritten wird, der vor zweitausend Jahren nach ganz anderen Rechtsmaßstäben und Gesetzen stattfand, zeigt mehr von heutiger christlich-theologischer Verdrängung und heimlichem Antisemitismus als von historisch-kritischer Analyse. 
Wenn ein staatliches Gericht einen Staatsangehörigen in einem Prozeß verurteilt, selbst wenn es sich um ein Fehlurteil handelt, kommt dann irgendein Mensch auf den Gedanken zu sagen, „das Volk“ habe XY umgebracht? Sokrates wurde von den damaligen griechischen Autoritäten zum Trinken des Giftbechers verurteilt – aber kein Mensch sagt, „die Griechen“ hätten Sokrates umgebracht. 
Giordano Bruno und Jan Hus wurden wegen Ketzerei verurteilt und hingerichtet – kommt irgend jemand auf den Gedanken zu sagen, „die Christen“ hätten Bruno und Hus getötet?
Das ganze Elend mit dem Prozeß und der Kreuzigung Jesu kommt doch daher, daß man verbergen will, daß Jesus ein Jude war, ein häretischer Jude, der von der damaligen staatlichen jüdischen Autorität verfolgt und vermutlich an die Römer ausgeliefert wurde. Denn nur noch die römische Besatzungs- oder Friedensmacht (je nach Fremd- oder Eigendefinition) hatte das Recht zur Verhängung der Todesstrafe. 
Aus dem Abgrenzungsbedürfnis der jungen christlichen Gemeinde gegenüber den „Mainstream“-Juden, auch im Interesse der Missionierung unter den Römern und Griechen, legten die Anhänger Jesus immer weniger darauf Wert, als „Juden“ zu gelten. Sie nannten sich darum Christen. Um den eigenen Religionsgründer um so strahlender und reiner zu machen, mußte er als Nichtjude und als Unschuldiger sterben, möglichst von Hand „Fremder“, in dem Fall von der Hand der „bösen herrschenden Priesterklasse und der verstockten Mehrheit“, die sich weigerten, den neuen Religionshelden anzuerkennen. Revolutionäre haben im Allgemeinen den Drang, die Anhänger des alten Systems heftig zu verunglimpfen (umgekehrt gilt es für das alte System gegenüber den „Neuen“). Luthers Ausfälle gegen den Papst und die „Papisten“ mögen als Beispiel gelten. 
Die Juden ließen Jesus hinrichten, weil er in ihren Augen ein gesetzesbrecherischer Jude war. Nicht anders als es jahrhundertelange kirchliche Praxis war, christliche Ketzer hinzurichten. Das gleiche findet man im Islam. Al-Halladsch, ein früher „ketzerischer“ Muslim wurde grausam hingerichtet. Spricht man davon daß „die Muslime“ ihn töteten?
Wenn die Christen endlich zugeben und begreifen würden, daß Jesus ein Jude war, daß alle Jünger und Apostel, daß Maria und Maria Magdalena Juden waren – das Problem des Antijudaismus und kirchlichen Antisemitismus würde wie Schnee in der Sonne dahinschmelzen.
So schiebt man aber lieber bis heute die Frage hin und her, ob „die Juden“, Prof. Berger: „die jüdischen Autoritäten“ oder oder Römer Jesus hingerichtet hätten. Berger begibt sich auf die historische Ebene: die jüdischen Autoritäten hätten Jesus „als Bauernopfer“ ausgeliefert – entsprechend der Schilderung im Johannesevangelium. Prof. Berger hebt diesen Punkt  sehr richtig hervor, aber die „Wahrheit“ der anderen drei Evangelien, die eine andere Darstellung geben, will er nicht in Frage stellen: 
So lehnt er die von jüdischer Seite schon lange vorgebrachten Argumente, daß die drei Evangelien sowieso nicht glaubwürdig seien, weil es eine „nächtliche Verhandlung“ vor dem Synhedrion nach der Mischna nicht geben durfte, als anachronistisch ab, weil sie nicht die Verhältnisse zu Jesu Lebzeiten, sondern die des Beginns des dritten Jahrhunderts nach Chr. beschreibe. In diesem Punkt hätte der Neutestamentler vielleicht doch einen Blick in die Mischna werfen oder einen versierten Rabbi befragen sollen: Die Mischna schildert nicht die Verhältnisse am Beginn des dritten nachchristlichen Jahrhunderts, weil sie in der heutigen Form gegen Ende des zweiten Jahrhunderts bereits zusammengestellt wurde. Vor allem aber ist ihr Blick nicht auf die aktuelle Gegenwart und die geänderten politischen und religiösen Verhältnisse seit der Zerstörung des zweiten Tempels 70 n. Chr. gerichtet, sondern hat das Ziel, die jahrhundertelang mündlich überlieferten Lehrsätze zu schriftlich zu fixieren. In geradezu moderner wissenschaftlicher Form zitiert die Mischna Lehrsätze, Meinungen und Streitargumente von Rabbinern mit individueller Namensnennung als Quelle, angefangen aus der Zeit 200 vor Christus bis zur Niederschrift vierhundert Jahre später. Ich zitiere aus der Einführung des englischen Übersetzers Herbert Danby (Oxford Press): “Although the Mishnah was compiled in its present form at the end of the second century, it deals fully with phases of legislation and religious practice which for more than a hundred years had ceased to have any practical bearing on Jewish life.” und: “the Mishnah bears no trace of a tendency to effect reforms in the Jewish religious and ceremonial usage or to evolve a new scheme in closer accord with later conceptions of what the Law required: on the contrary, it manifests a veneration for the letter of tradition remarkable for pedantic insistence on verbal exactitude; and there was a purposefulness about the work of the post-Destruction rabbinical schools marking a determination to preserve as exact a knowledge as possible of those aspects of life under the Law which were become the more precious by reason of their present impossibility of realization.”) Die Mischna spiegelt also sehr wohl die rechtlichen und religiösen Gegebenheiten zu Jesu Lebzeiten wider. Die Zerstörung des Tempels bedeutete für fromme Juden damals und heute noch lange nicht, daß nicht wieder ein dritter Tempel errichtet würde. So hielt man die Regeln, die den Tempel und das Priestertum betrafen, fest, ebenso die Regeln des Prozeßverfahrens vor kleinen Gerichten und dem großen Synhedrion (Mischna, 4. Abteilung, Nezikin, Sanhedrin). Dort findet man unter Punkt 4.1 die Vorschrift, daß Prozesse um Kapitalverbrechen (wie Mord und Gotteslästerung) nur während des Tages stattfinden durften, und auch das Urteil mußte während des Tages gefällt werden. Ein Freispruch konnte am selben Tag gefällt, eine Verurteilung jedoch durfte frühestens einen Tag später verkündet werden. Die römische Gerichtsbarkeit unterlag natürlich nicht diesen Regeln.

Was sich damals tatsächlich abgespielt hat, bleibt vermutlich im Dunkel der Geschichte. Professor Berger betont zutreffend, daß der Straßenpöbel im Lauf der Historie aller Völker Verfolgungen und unzählige Hinrichtungen von Unschuldigen bejubelt hat. Ich möchte hinzufügen: Im Abendland gehören dazu die Judenverfolgungen und -ermordungen, Hexenverbrennungen, Kreuzzüge, Sklavenraubzüge und koloniale Unterdrückung und Ausbeutung – und in jüngster Zeit die Morde der RAF oder die Brandstiftung von Asylantenheimen. Nur bei der Hinrichtung Jesu will man dafür seit zweitausend Jahren ein ganzes Volk in Haftung nehmen. 
 

15.8.2003 Elias Canetti - Schriftsteller, Mensch und Typus - u.a.
Die FAZ druckt zur Zeit Elias Canettis Erinnerungen an seine Jahre im englischen Exil ab. ("Party im Blitz"). Ein merkwürdiges Gemisch aus guten Beobachtungen, vielen Gekränktheiten (weil niemand ihn und sein Werk kannte) und entschiedenen Urteilen und Verurteilungen. Ganz besonders verurteilt er T.S. Eliot – zu trocken, unpoetisch, der Lyrikverderber Englands. Und worin gipfeln seine Gründe, die er geradezu in hymnisch-haßerfüllten Sätzen anhäuft? Ein Mensch, der in einer Bank arbeitet, könne niemals ein wahrer Lyriker sein!
Ich mußte schrecklich lachen, denn genau so räsonniert der Held meiner Erzählung „Vojko Trutzkij“ gegen Schreiberlinge und gegen seine prosaische und technikergebene Umwelt. In diesem Fall gegen die Stadt Frankfurt und seine Banker. In Vojko schlug sich der entsetzte Blick einer Frankfurter Literaturagentin nieder, den ich erntete, als ich am Ende des Gesprächs sagte, daß ich zur Arbeit in die Bank müßte. Ich glaube, damit war ich bei ihr als Schriftstellerin erledigt. Aber es gibt noch eine schöne weitere Übereinstimmung zwischen Vojko und Canetti. Vojko, der technik- und computerhassende Held (darin auch die Reaktion von vielen geisteswissenschaftlichen FreundInnen, als ich mir 1986 den ersten PC zulegte) konnte natürlich niemals auf einer Schreibmaschine seine feingeistigen Reisebeschreibungen zu Papier bringen. Ich gab ihm ein Arsenal an frisch gespitzten Bleistiften an die Hand, die auf dem ansonsten leeren Schreibtisch liegen mußten. Die Geschichte schrieb ich 1992. Jahre später ein Bericht im Fernsehen über Canetti in der Schweiz. Man zeigte sein Arbeitszimmer: ein riesiger Schreibtisch – und fein säuberlich aneinander gereiht frisch gespitzte Bleistifte, einer neben dem anderen. Auch damals bekam ich einen Lachanfall. Ein schöner dialektischer Sprung von der Phantasie in die Wirklichkeit - dahinter die leise Frage, ob ich wirklich einen gewissen Typus von Schriftsteller und Geisteswissenschaftler getroffen hatte. All die Unkenrufe die mir gegen den PC entgegenschlugen, wiederholten sich 1995 ff., als ich ins Internet ging. Ich erinnere mich an die Römerberggespräche in Frankfurt 1995, bei denen fast alle Schriftsteller und Geisteswissenschaftler im Internet den Verderber aller Kultur sahen. Als dann jemand in die Runde fragte, ob sie denn jemals im WEB gesurft hätten, mußten sie verneinen. Aber auch so wußten sie genau, daß es sich nur um ein Teufelswerkzeug handeln konnte. Am schönsten die Reaktion eines Rundfunkmenschen vom HR: Ein Zuhörer aus dem Plenum fragte, ob man nicht im Internet auch Radiosendungen zugänglich machen könnte, anstatt sie in den Archiven verstauben zu lassen. "Aber dann könnte doch jeder alles abrufen!" So oder ähnlich die Worte. Ein Mönch im 16. Jahrhundert hätte kaum anders reagiert: Mit der Druckerkunst des Gutenberg könnte ja jeder an Bücher kommen und lesen. Eine Vorstellung, die den Wahrern des Glaubens und Wissens Alpträume bereiten mußte. Ein Machtverlust sondergleichen. Der Zugang zum Wissen für alle offen...
Womit wir wieder beim Thema wären: Masse und Macht. Der Titel des Hauptwerkes von Elias Canetti.
14.8.2003
Nachtrag zum Abendmahlsstreit - Auszug aus meinem Roman "Mirjam. Maria Magdalena und Jesus", 19. Kapitel , "Der Verrat":
(Jesus spricht bei der letzten Zusammenkunft mit seinen Schülern (den Jüngern)
„Ihr denkt sehr gering von der göttlichen Fülle, wenn ihr glaubt, daß sie nur mit meiner Hilfe offenbar wird. Ihr seht zuviel in mir - und zuwenig in allem anderen. Gott spricht durch mich - ja. Aber er spricht auch durch alles andere, was ist. Auch durch euch selbst. Wenn ihr nur sehen und hören wolltet!“
Er schloß mit einem Seufzer, fuhr dann aber mit neuem Schwung fort:
„Wir feiern heute das Gedenken an den Auszug aus Ägypten. Wir danken dem Herrn, daß er unser Volk vor Hunderten von Jahren aus der ägyptischen Knechtschaft befreit hat. Ein schönes Erinnerungsfest und Grund zur Dankbarkeit und Freude. Aber vor lauter Erinnern vergessen wir meist, daß Gott uns jeden Tag, jeden Augenblick aus der Knechtschaft unseres Kleinmutes und unserer Angst befreien will und kann!“
„Klammert euch nicht an das Vergangene und nicht an einzelne Ereignisse und Personen. Wichtiger als Pessach, wichtiger als alle Propheten, wichtiger als der Maschiach und wichtiger, als ich je für euch sein kann, ist, daß ihr das göttliche Wirken in allem seht und erkennt und darauf hört, was Gott in euch selber spricht.“
„Dieses Fleisch und das ungesäuerte Brot, das wir jetzt essen, und dieser Wein, den wir jetzt trinken, sind nicht weniger göttlich als das Allerheiligste im Beit HaMikdasch. Und dieses Brot und der einfache Wein offenbaren nicht weniger Gottes Gegenwart als die Wunder, die Gott durch Mosche bewirkte. Ihr seht nur mich, und ihr seht, daß Gott aus mir spricht. Aber ihr seht nicht, daß aus Fleisch, Brot und Wein Gott ebenso spricht. Denn in Wahrheit sind wir alle eines - Kinder der göttlichen Fülle und des göttlichen Wirkens. Zwischen euch und mir - und zwischen euch und den Speisen da auf dem Tisch - ist in Wahrheit kein Unterschied. Ich bin das Brot und der Wein - und Wein und Brot sind ich. Und ihr seid Wein und Brot - und Wein und Brot sind ihr. So wie ich und ihr in Wahrheit eines sind.“
„Und wenn ich gehe, so bin ich in Wahrheit immer noch unter euch, denn ihr und ich, wir sind eines. Und der Wein und das Brot und das Fleisch da - die sind genauso ich und ihr.“
„Auch wenn ihr jetzt vielleicht nicht verstehen könnt, was ich sage, so merkt euch doch eines: Bei allem, was ihr sagt und tut, beim Essen von Brot und beim Trinken von Wein, ist Gott immer gegenwärtig, so wie Gott in mir und in euch gegenwärtig ist. Alles, was ist, ist Gott - und darum gibt es keine Trennung zwischen uns. Ihr seid ich, ich bin ihr. Ich bin der Wein, den ihr trinkt, und ich bin das Brot, das ihr eßt. Ihr selbst seid das Brot, das ihr eßt, und ihr seid der Wein, den ihr trinkt. Denkt daran, wenn ich nicht mehr bei euch bin: In Wahrheit sind wir nicht getrennt und nicht geschieden.“
13.8.2003
Sommer 2003 - Idylle auf der Terrasse zuhause:


 

12.8.2003
Hindernisse ansteuern oder vermeiden - Die Steuerungen des Unbewußten
Im Technikteil der FAZ (Michael Kirchberger: "Auch der Blick lenkt den Wagen") wird heute sehr schön beschrieben, wie innere Einstellungen, Ängste und die Konzentration auf ein Hindernis genau die Unfälle produzieren, die man gerne vermeiden möchte. Allein durch das Fokussieren der Augen auf das Hindernis, lenkt die Fahrerin das Auto zielsicher dahin, wo er nie landen wollte.
Mir ist es vor Jahren selbst passiert, mit dem Fahrrad. Ich hatte nach dem Kinderzweirad lange Zeit pausiert, weil meine Eltern mir kein Erwachsenenfahrrad kauften. Der Verkehr im Frankfurter Westend, wo wir wohnten, war ihnen zu gefährlich. Also nutzte ich jede - leider seltene - Gelegenheit, auf den Rädern von Freunden und Freundinnen in Übung zu bleiben.
Bei einem Ausflug in den Wiesen rings um die Nidda gab mir meine Freundin einmal ihr Fahrrad. Ich kurvte um die Wiesen, gewann Schwung - das Rad rollte über die große Wiese, geriet auf einen leicht abschüssigen Hang. Mitten in der Wiese weiter unten ein junger Baum, noch mit einem Stecken gestützt. Bremsen konnte ich auf dem glatten Rasen nicht mehr. Mein einziger Gedanke: Nicht in diesen Baum krachen! Es gab Platz gut 20 Meter links von dem Baum und zwanzig Meter rechts von dem Baum. Ich landete mit dem Vorderrad genau im Zwischenraum von Stamm und Stecken!
Passiert war nicht viel. Aber das Phänomen beschäftigte mich immer wieder: Hätte ich diesen schmalen Zwischenraum bewußt angesteuert, ich wäre meilenweit herumgefahren. In meiner  Angst war ich emotional so auf diesen Baum fixiert - selbst in dem Wunsch, ihn zu vermeiden -, daß mein Unbewußtsein die Steuerung übernommen hatte und mich mit magischer Gravitationskraft dorthin zog. 
Im FAZ-Artikel steht darum: Nicht nur auf das Hindernis sehen, sondern auf die gesamte Straße, auch die möglichen Lücken im Auge haben, falls es auf einer Landstraße knapp werden sollte.
Die alte Weisheit der Taoisten, Zen-Buddhisten und den Mystikern drückt genau dieses aus: die Lücke, das Nichts wahrnehmen. Nur so bleibt der Mensch gelassen und beweglich zugleich. Die Dinge fesseln ihn nicht - weil man nicht nur sie, sondern auch den Raum zugleich wahrnimmt. 
Haben wir nicht erkannt, daß die Atome überwiegend aus leerem Raum bestehen? Der Abstand zwischen Atomkern und Elektron im Verhältnis so groß wie der Abstand der Erde zur Sonne? Robert Musil, nicht nur Schriftsteller, sondern auch Physiker, liebte den Möglichkeitssinn. Alle die unendlichen Möglichkeiten, die zwischen zwei Fakten, Ereignissen und Dingen liegen.
Übersicht / Table