WEB-Tagebuch Regina Berlinghof |
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Mai 2004 | ||
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Der
"andere Zustand" - Ernst-Wilhelm Händler zu Musil, zur Biographie
Karl Corinos, zu Ernst Mach und zur "taghellen Mystik" (Artikel in
der FAZ von heute: "Wenn wir leben")
Ernst-Wilhelm Händler schreibt: "Der Autor dieses Artikels kann dem Leser versichern, daß er das utopische Reich des "anderen Zustands" noch nicht betreten hat. Er hat auch keine große Lust dazu. Denn er müßte sich dort ganz still betragen, keinem Verlangen Platz lassen, seinen Geist aller Werkzeuge berauben, alles Wissen ablegen. Ob er dann tatsächlich die Erfahrung machen würde, daß sich das Außen mit dem Innen dieses Zustands berühren?" Händler gibt ehrlich zu, daß er den "anderen", den "mystischen" Zustand nicht kennt. Das ehrt ihn. Dem studierten Philosophen aber ist sicherlich auch Wittgensteins berühmter Satz vertraut: 'Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen'. Er hätte ihn beherzigen sollen. Denn völlig überflüssig sind seine Spekulationen darüber, ob der mystische Zustand erstrebenswert und unter welchen Voraussetzungen er zu erreichen wäre. Seine verächtlich-abwehrenden Argumente erinnern an das Verhalten von Zehnjährigen, wenn sie ein sich küssendes Paar sehen. "Dann stecken sich gegenseitig die Zunge in den Mund! IIhhhh" Nach einigen Jahren werden junge Erwachsene über ihr "kindisches Geschwätz" von gestern lachen. Sie hatten wie altkluge Kinder vorschnell geurteilt: Nur von außen gesehen, ohne eigene Erfahrung. "Er
müßte sich ganz still betragen". Also lärmt E.W.
Händler unentwegt? Auch im Kino, im Theater, im Museum? Auch da muß
man sich still betragen. Vor allem aber als Schriftsteller. Es gibt kaum
eine geräuschärmere Tätigkeit, abgesehen vom Klicken der
Computertastatur oder dem Schürfen des Bleistifts oder Kulis über
ein Blatt Papier.
Erst die eigene Erfahrung schafft wahre Erkenntnis. Ein Zitat von einem anderen Philosophen: Schopenhauer: "Die eigentliche Weisheit ist etwas Intuitives, nicht etwas Abstraktes. Sie besteht nicht in Sätzen und Gedanken, die Einer als Resultate fremder oder eigener Forschung im Kopfe fertig herumtrüge: sondern sie ist die ganze Art, wie sich die Welt in seinem Kopfe darstellt." (Die Welt als Wille und Vorstellung Band 2, "Vom Verhältniß der anschauenden zur abstrakten Erkenntniß") Ich
wünsche Ernst-Wilhelm Händler, daß er noch zu Lebzeiten
über sein heutiges philosophisches Dummschwätzen lachen kann!
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"Der
Steuerjude" - Annäherungen an ein Pamphlet. Nicole Kepplers Buch
Man kann das Buch ein Pamphlet nennen. Nicole Keppler klagt an, schreit ihre Vorwürfe heraus, tritt allen auf die Füße, auch denen, die ihr und ihrem Anliegen helfen wollen. Als ich ihren Buchstand auf der kleinen Messe in Nidderau zum ersten Mal sah, erschrak ich. „Mein Hund ist ein Jude in Deutschland“ stand auf einem Plakat. Das Buch „Der Steuerjude“ schien mit seinem Titel schlimmste Vorurteile gegen Juden zu bekräftigen. Meine Nachbarin – eine Antisemitin? Dann stellte sich heraus, daß sie selbst Jüdin ist. Sie schimpft auf die Deutschen, auf die Juden in Deutschland, auf den Zentralrat, auf die eingewanderten Juden, auch auf Israel und die hochmütigen Jeckes und aus Europa stammenden Juden, die auf die orientalischen Juden wie auf die Araber herabsehen. Sie selbst ist in Casablanca geboren, dort und in Frankreich aufgewachsen. Als Jugendliche wanderte sie nach Israel ein, leistete dort den Wehrdienst und arbeitete dort, bis sie Karlheinz, einen Deutschen kennen und lieben lernte. Sie spricht fließend französisch, deutsch, hebräisch, vermutlich auch englisch und arabisch. Ihr Lebensdrama, besser Lebenstrauma, begann mit der Einreise nach Deutschland. Das Anmeldeformular erregte Verwunderung, Ärger: Wieso fragt der deutsche Staat nach der Religion? Ist das nicht jederfraus Privatangelegenheit? Sie wollte ihren Kopf hochtragen und trug sich als Jüdin ein. In Folge davon bekam sie Einladung der jüdischen Gemeinde von Frankfurt und die Aufforderung zur Zahlung ihrer Kultussteuer. Nicole Keppler wußte nicht, daß man hierzulande mit der Erklärung seiner Religionszugehörigkeit automatisch Mitglied einer staatlich anerkannten Kirche oder einer der jüdischen Gemeinden wird, die im Zentralrat der Juden in Deutschland zusammengeschlossen sind. In Frankreich und Marokko kannte sie nur Gemeinden mit freiwilligen Mitgliedern – Gemeinden, die von den Spenden der Mitglieder oder den Gebühren für beanspruchte Leistungen bei Hochzeit, Beerdigung usw. leben. Sie ignorierte die Zahlungsaufforderungen, bis der Gerichtsvollzieher vor der Tür stand. Ihr Ehemann beglich die Gebühren. Nicole Keppler, eine impulsive, gefühlsbetonte und freiheitsliebende Frau, sah es nicht ein, daß sie sich unterwerfen sollte. Sie war der jüdischen Gemeinde nicht beigetreten. Also konnte man von ihr auch keine Mitgliedsbeiträge fordern. Sie forschte nach und entdeckte, daß die binnendeutsche Verquickung von staatlichem Einzugsverfahren für die Staatskirchen bzw. den Zentralrat der Juden auf der Anwendung des Konkordats von 1933 beruhte, das zwischen Hitler und dem Vatikan geschlossen worden war. Dieses Konkordat, das den Kirchen das Selbstverwaltungsrecht einräumt und den Staat zum Einzug der Kirchensteuer für die Kirchen berechtigt, wurde 1949 im Grundgesetz für gültig erklärt. Es wird nun auch zur Grundlage des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Juden – vertreten durch den Zentralrat der Juden. Es handelt sich um „Staatsverträge“ zwischen der Bundesrepublik und der evangelischen und katholischen Kirche wie auch mit dem Zentralrat der Juden. Einmalig auf der Welt. Eine Regelung des Religiösen zwischen Staat und den Organisationen – nicht mit den Gläubigen oder Religionsangehörigen selbst. Das religiöse Bekenntnis führt zu einer Zwangsmitgliedschaft samt Steuerzahlungen, über die der einzelne Bürger nicht bestimmen kann. Er kann höchstens aus der Zwangsmitgliedschaft austreten. Das hat Nicole Keppler getan – mit der Wirkung, daß sie damit in Deutschland nicht mehr als Jüdin gilt, jedenfalls nicht mehr als staatlich anerkannte Jüdin. Dies hat Nicole Keppler wiederum so erbost, daß sie – um nicht auf ihre Identität verzichten zu müssen, ihre mittlerweile erworbene deutsche Staatsbürgerschaft zurückgegeben hat. Da ihr der Staat Israel, die Botschaft in Bonn in diesem innerdeutschen jüdischen Streit nicht half, blieb sie staatenlos, griff auf die wieder angebotene israelische Staatsbürgerschaft nicht zurück. Seitdem bombardiert Nicole Keppler die Behörden, alle staatlichen Stellen und Petitionsstellen bis hin zum Bundestag und Bundesrat mit ihren Eingaben, Vorwürfen und Schimpfkanonaden auf das Nazirecht, das immer noch gelte und sie ihrer Identität als Jüdin beraube. Gleichermaßen wütet sie gegen die Juden-Immigranten aus Rußland und anderen Ex-Ostblockstaaten, die vom Zentralrat „importiert“ und damit steuerlich unterstützt würden (auch von ihrem Steuergeld), ohne tatsächlich Juden zu sein. In den Staaten des Ostblocks ist inzwischen gut bekannt, daß man ohne Asylantenprobleme einen Freifahrtschein nach Deutschland bekommt, wenn man sich als Jude ausgibt. Papiere und Stempel lassen sich leicht kaufen. In ihrer Wut, ihres eigenen Judentums beraubt zu werden, verliert sich hier Nicole Keppler in Ausfällen, die mit ihrer eigenen Sache wenig zu tun haben. Oder doch? Das
Problem der Staatsverträge ist, daß die Religionsgemeinschaften
quasi in einem grundrechtsfreien Raum ihre Angelegenheiten selbst regeln
dürfen. Der Staat hält sich heraus, wenn die katholische Kirche
bedingungslosen Gehorsam und Zölibat von Priestern, Mönchen und
Nonnen verlangt. Er hält sich auch heraus aus der Frage, wer Jude
ist. Das überläßt er dem Zentralrat der Juden, und der
bevorzugt seine eigenen Mitglieder. Wer nicht der Linie des Zentralrats
folgt und draußen bleibt – wie die liberalen Gemeinden, wird von
den staatlichen Geldtöpfen ferngehalten. Der einzelne kann sich gegenüber
den Religionsorganisationen und ihren Vertretern nicht auf die Grundrechte
berufen. Der Staat versagt hier dem einzelnen Bürger den Schutz seiner
Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte.
Nicole
Kepplers Webseite mit weiteren Infos zum Buch - auch Bestellmöglichkeit
- ist:
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Neudeutsch
Auch die Bundespost paßt sich dem Trend zum Neudeutsch an: Briefmarken, wenn sie denn on demand ausgedruckt werden, heißen nun Labels. Die Quittung nennt den Vorgang: Labelfreimachung! |
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Sündenbock
Nun hat man einen Sündenbock, einen weiblichen: das schwächste Glied in der Kette. Ihr Name Lynnde England. Sie soll angeklagt werden. Seit drei Monaten weiß das Pentagon von den Folterungen und Demütigungen irakischer Kriegsgefangener. Rumsfeld und seine Befehlshaber haben nicht gehandelt. Als die ersten Bilder in die Öffentlichkeit drangen, sprach man davon, die "Schuldigen" zu rügen und aus der Armee zu entfernen. Von Strafverfolgung keine Rede. Wie sollten auch Amerikaner zur Rechenschaft für Mißhandlungen gezogen werden, die sie anderen Völkern, unterlegenen Völkern, antun! Seit Jahren herrscht Rechtsfreiheit für die Gefängniswärter in Guantanamo. Wie sollte es im Irak anders sein? Erst die weltweite Empörung läßt nun die Bushregierung nach Verantwortlichen suchen, - und sie wird schnell fündig: die letzten der Befehlskette wird es treffen. Die kleine Lynnde England, die im Machtrausch zu schrecklichen Quälereien fähig war - aber nur deshalb, weil die Oberen den Druck gegenüber den irakischen Gefangenen forderten und förderten. Lynnde England und ihre männlichen Kollegen sind fleischgewordene Ideologie des amerikanischen Macht- und Überlegenheitsdenken der jetzigen Regierung. Aber wie immer wird man die Kleinen hängen und Großen laufen lassen. Vor Gericht gehören zuallererst Bush, Rumsfeld, Cheney und Co. Am besten vor ein internationales Gericht nach dem Vorbild der Nürnberger Kriegsprozesse! |
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Religion
und Gewalt - Wie sich die Bilder gleichen:
Die Legende berichtet aus dem Leben des persischen Dichters Hafis (ca. 1326-1390): "Drei Fürsten regierten in dieser Zeit die Stadt, von denen zwei Hafis gewogen waren. Der mittlere (Mossaffar) war ein Frömmler, der den Weingenuß unter Strafe stellte. Seine Frömmigkeit hinderte ihn nicht, grausam und streng zu regieren: oft vollzog er eigenhändig die verhängten Todesurteile - davor und danach pflegte er im Koran zu lesen." Heute gehen amerikanische christliche Rechtgläubige in Gibsons "Passion of Christ" und leiden im Kino mit Jesus. Danach beharren sie unerschütterlich auf der Todesstrafe. Gouverneur Bush, der jetzige Präsident, hat in seiner Amtszeit nicht wenige Todesurteile unterzeichnet. Er beginnt den Tag mit Gebeten... Und
was soll man von einer "demokratischen" Regierung halten, die lang erkämpfte
Menschenrechte wie die Habeas Corpus Akte in den Orkus wirft? Wer den Verhafteten
von Guantamo den gesetzlichen Richter verweigert, kann nicht mehr im Namen
von Freiheit und Menschenrechten fremde Länder bekriegen, unterwerfen
und dies als "Befreiung" ausgeben. Die Bilder der Folterungen von irakischen
Kriegsgefangenen bestätigen nur die wahre Gesinnung der Bushregierung:
"Only oil matters."
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Übersicht / Table |