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WEB-Tagebuch Regina Berlinghof

Oktober 2004
24.10.2004
Autorenbeitrag zur neuen deutschen Rechtschreibung?
Gestern per Mail erhalten - ob Ernst oder Ulk wage ich nicht zu entscheiden. Die Rechtschreibung ist jedenfalls O-Schreibe

"Sehr geehrter Yin Yang Verlag,
Ich habe zufählig ihre Seite  im Internet gefunden, und da ich
einen Verlag für mein neues Buch suche, möchte ich Sie fragen ob Sie neue
Autoren in ihr Programm annehmen und unter welchen Bedingungen.
Es handelt sich um einen philossophischen Roman mit dem Titel "Das andere
Licht" (eine Bibel ähnliche Geschichte) mit Schwerpunkt "Die Suche nach
der Wahrheit", "Die Befreiung von Angst im Zusamenhang mit der Wahrheit"
u.s.w.
Ich danke Ihnen im Voraus und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen"
 

23.10.2004
Wahlen in den USA

Zum Glück für Bush hatte der Terroranschlag vom 11.9. die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den Merkwürdigkeiten und Irregularitäten seiner Präsidentenwahl abgelenkt. 
Sein Bruder Jeb Bush, der Gouverneur von Florida, hatte weitsichtig in seinem Staat, der alles entschied, Wähler aus den Wählerverzeichnissen gestrichen, wenn zu vermuten war, daß sie demokratisch wählen würden, vor allem Farbige und Vorbestrafte. Nach der Wahl wurde die Nachzählung mit allen Mitteln verzögert bis verhindert.
Alles schlimm genug. Aber was mir völlig ratselhaft ist: Wieso ist Jeb Bush immer noch Gouverneur? Wieso kann er in diesem Jahr wieder die Wählerlisten und die Wahlcomputer präparieren? Wo blieb der Sturm der Öffentlichkeit gegen die Wahlfälschung, wo blieben die Klagen und Gerichte? 
Wenn Wahlen nur noch per Knopfdruck in den Computer möglich sind, ohne einen Nachweis in Papierform, so ist nichts mehr nachprüfbar. 
Es sieht so aus, als begänne eine neue Epoche, die den vergangenen Zeiten des Analphabetismus vergleichbar ist. Fürsten, Könige, Kleriker und Schreibkundige beherrschten die Welt. Und sie beherrschten den Inhalt der schriftlichen Dokumente und Urkunden. Und sie fälschten, was das Zeug hielt. Wer von den einfachen Bauern, Händlern, Handwerkern konnte es ihnen schon nachweisen?
Heute kann die Mehrzahl der Menschen zwar lesen und schreiben – aber wie viele können programmieren oder haben Zugriff bzw. die Berechtigung auf die entscheidenden Datenbanken?
Einige wenige Programmierer, Hersteller, Wahlleiter und ihre politischen Vorgesetzten, die Gouverneure der Staaten können jede Eingabe zunichte machen oder sie in ihrem Sinne abändern, und niemand kann es mehr nachprüfen und den Betrug beweisen. Schöne demokratische Aussichten für die USA und damit für uns alle.
 

13.10.2004
Nach der Frankfurter Buchmesse 2004

Selten habe ich die Buchmesse aus einem so verzerrten Blickwinkel erlebt. Wie ein Bühnenarbeiter hinter den Kulissen, der nicht mitbekommt, was sich vorne auf der Bühne abspielt. Arabien als Ehrengast der diesjährigen Buchmesse. Arabische Autoren und Verleger zu Gast, viele Lesungen, Tanz- und Musikaufführungen, ein Zelt mit arabischem Kunsthandwerk – alles worauf sich das Interesse der Besucher, Journalisten und Kritiker richtete – alles sichtbar, greifbar vor mir in nächster Nähe und so fern wie der Polarstern. 
Eine Ein-Frau-Verlegerin bleibt an ihrem Stand, spricht mit Besuchern, Flaneuren, Lesern, Journalisten, die vorbeikommen, spricht von ihren Büchern, ihren Autoren, den neuen Titeln – darunter Hans Bethges Nachdichtungen arabischer Lyrik: "Arabische Nächte"! - Seit 2001 für diesen Termin vorgesehen - nun durch einen glücklichen Zu-Fall passend zum diesjährigen Messeschwerpunkt erschienen.
Aber Zeit zum Kontakt mit den arabischen Autoren hat man als Verlegerin nicht. Sie bereitet selbst noch zwei Lesungen aus Bethges "Arabischen Nächten" vor, liest am Donnerstag und Freitag. Am Samstag noch an gleicher Stelle in der Matthäuskirche genießt sie als Hörerin das Lesekonzert mit Claudia Ott und ihrer zauberhaften Neuübersetzung der 1001 Nacht. Damit sind die Tage und Abende gelaufen. Dann eine böse Erkältung. Samstag und Sonntag werden zum Stehmarathon.
Anstelle neuer arabischer Literatur erlebt die Ausstellerin Arabien aus dem Blickwinkel von Sicherheitsbeamten und –organisatoren. Schon beim Aufbau ließ die Polizei das verdächtige gelbe Auto (Ex-Post) anhalten – Beamte warfen sorgsame Blicke in das vollgestopfte Innere mit Bücherkartons, Werkzeugen, Essensvorräten, Tisch, Leiter. Vermutlich schreckten die Beamten ebenso vor dem Gedanken zurück, alles auspacken und sichten zu müssen. Sie ließen passieren.

Die besonderen Sicherheitsvorkehrungen gegen Terroristen bescherten wunderbaren Terror gegen Aussteller und Gäste der Eröffnungsveranstaltung:
Auf der Eröffnungsveranstaltung sollten Bundeskanzler Schröder, Ministerpräsident Koch und Frankfurts Oberbürgermeisterin Roth „Grußworte“ (sprich ausgewachsene Reden) zum Besten geben – und die Festrede Nagib Mahfus, der leider nicht selbst kommen und einen Freund zum Verlesen seiner Reden schickte. Die Einladungskarte sollte nur gültig in Verbindung mit dem Personalausweis bzw. einer Identity Card haben. SICHERHEIT; SICHERHEIT; SICHERHEIT!!! 
Vor der Veranstaltung brachte ich noch ein paar letzte Utensilien zu meinem Stand, dann holte ich den Personalausweis heraus und stellte mit Entsetzen fest, daß ich meine Einladungskarte zuhause gelassen hatte und dafür einen ähnlichen Ausweis für eine Übersetzerveranstaltung eingesteckt hatte. Nun, vielleicht ließen die Sicherheitsleute mit sich reden. Ich konnte meine Ausstellereigenschaft schließlich auch anders nachweisen. Vor dem Congresscenter und im Vorraum drängten sich bereits die Leute. Es war heiß und stickig. Oben auf das Glasdach brannte die Sonne und machte das Gebäude zum tropischen Gewächshaus. Draußen waren sowieso schon 26° - Hochsommer im Oktober. Im Tropenhaus ging es kaum weiter. Dann wurden die Türen zum Vorsaal im Erdgeschoß geschlossen. Aus Sicherheitsgründen hieß es. 
Ein bißchen Bewegung gab es in Richtung Rolltreppe nach oben. Zentimeterweise schoben wir uns nach hinauf – eine gute halbe Stunde lang. Der Schweiß rann munter in Strömen den Rücken herunter. Irgendwann kamen ein paar „VIPs“ und drängten sich durch die Menschenmassen, dann Kameraleute mit ihren schweren Stativen. Ein Mitglied des Bundestages hielt sich auch für einen VIP und drängte sich ebenfalls vor. Nach endlosen 35-40 Minuten wurden plötzlich die Saaltüren oben geöffnet, die Menschenschlange setzte sich in Bewegung. Ich hielt meine sämtlichen Ausweise krampfhaft in der Hand, hoffte auf barmherzige Kontrolleure. Aber siehe da: Die Türen standen offen – es gab überhaupt keine Kontrolleure. Wir passierten alle ohne jegliche Kontrolle. Ohne Einladungskarten vorzuzeigen, ohne Personalausweise und Identity Cards! 
Ein weiteres Beispiel dieser neudeutschen Sicherheit gab es am nächsten Tag. Statt den üblichen Ausgang am Congresscenter benutzen zu können, wurden am Abend alle Messebesucher und Aussteller in Richtung Messeturm geschickt – wie eine Hammelherde immer schön am Zaun entlang, der sich vorm Messeplatz erstreckt. An jedem geschlossenen Ausgang standen Polizisten, um bombenwütige Aussteller und Besucher abzufangen. Wir wollten ja nicht in die Messe, sondern in die Stadt hinein und ihre Bewohner größter Gefahr aussetzen! Am Messeturm ein paar hundert Meter weiter schließlich öffnete sich ein Tor sperrangelweit – dort standen keine Polizisten, keine Kontrolleure. Wir müdgelaufenen und müdegestandenen Aussteller und Besucher strömten nach draußen. Ein böswilliger Terrorist hätte dafür ungesehen und ungehindert aufs Messegelände schlüpfen können. Noch dazu in der Nähe des Messeturms, wo sich Sprengladungen richtig lohnen: dann krachen diese Riesentürme so schön zusammen. 
Am nächsten Tag stand in der Zeitung, daß die Polizei verborgene Kontrollen und Metalldetektoren einrichtete, um Bomben und Sprengmaterial zu aufzuspüren. Nur hatte in allen Zeitung ebenso gelesen, daß Terroristen Plastiksprengstoff vorziehen, weil Metalldetektoren ihn nicht entdecken können. 
Soviel zum Backstageblick und dem, was Sicherheitsspezialisten unter Sicherheit verstehen.
Ansonsten war es eine schöne, runde und sehr erfreuliche Messe. Viele Besucher, Gespräche, Kontakte, Interviews mit dem Hessischen Rundfunk und der FAZ, gleich im Anschluß eine überraschende Rezension der Hafisbände.
Was will Frau und Verlegerin mehr??  (Nur die Lesungen und Diskussionen der Ehrengäste nicht mehr versäumen!)
 

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