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WEB-Tagebuch Regina Berlinghof

Dezember 2004
 
 
29.12.2004
Tsunami - Vorwarnung
Hinterher wissen es immer alle besser. Auch auf die Gefahr hin, als unliebsame Besserwisserin dazustehen, frage ich mich doch, ob die Menschen in Indien, Sri Lanka und den Malediven nicht hätten vorgewarnt werden können. Zwei Stunden Frist. In der heutigen Zeit allgemeiner elektronischer Vernetzung hätten die wissenden Geologen der Tsunami-Warnstationen des Pazifik mehr erreichen können und sollen. Sie haben die  amerikanischen Botschaften der betroffenen Länder informiert - und bei der Weitergabe an die örtlichen staatlichen Stellen seien die Informationen hängen geblieben. Man habe sonst keine Ansprechpartner gehabt.  Nur: Wartet man in einem Notfall immer erst darauf, daß ein Polizist (als Vertreter der Staatsgewalt) in Erscheinung tritt, um die notwendigen Maßnahmen in die Wege zu leiten? Kann man nicht selbst lautstark um Hilfe rufen bzw. warnen - z.B. über die Medien?
Ich denke an Radio- und Fernsehstationen, die es schließlich auch in den ärmsten Regionen der Welt gibt - und an die vielen kleinen Transistoren und Radios der armen Bevölkerung. An die Radios in Cafés, in Bussen und Lkws, die man auch in armen Ländern überall hören kann. 
Ich habe gestern abend einmal den Test gemacht: Ich habe Google aufgerufen, als Suchbegriff
"radio stations India Sri Lanka" eingegeben und stieß auf zahllose Homepages von lokalen Sendern dieser Region. Darunter auch der Weltsender BBC mit seinen Lokalstationen in diesem Raum. Der Gedanke an CNN war nicht weit.
Ich habe die Homepages aufgerufen, die Seiten mit "Contact" o.ä. angeklickt und stieß schnell auf Namen und eMail-Adressen, Fax- und Telefonnummern. Ich kopierte alle Adressen in eine Word-Datei. Nach einer halben Stunde hatte ich mehr als 20 Adressen beieinander. 
Dann schrieb ich eine Warn-EMail, kopierte die eMail-Adressen in die Adreßzeile. Nach einer Stunde war die eMail sendefertig (obwohl sich noch ziemlich am Anfang Word aufgehängt hatte und ich die Adressen noch einmal abrufen und einkopieren mußte.)  CNN hätte man allerdings gesondert informieren müssen, weil dort nur ein Eingabeformular existiert, eine odere  mehrere eMail-Adressen werden nicht aufgelistet. Anders bei BCC!
Aber wie viele emails und Faxe hätten die wohlorganisierten Tsunami-Warnstellen in dieser Zeit ausfindig machen  und anschreiben, anrufen und anfaxen können!

Ich weiß nicht, ob die Radiostationen der eMail-Warnung Beachtung geschenkt hätten. Im heutigen Spam-Zeitalter gehen auch wichtige eMails in der Flut der Werbemails unter. Trotzdem: Eine Mail von einer behördlichen Tsunami-Warnstelle mit Verweis auf die eigene Homepage - wo dieselben Informationen plaziert worden wären, könnte für die Seriosität bürgen. Ebenso eine Nachfrage bei den offiziellen Warnstellen. Und selbst wenn die Lokalsender nicht alle Menschen hätten warnen können:  Es sollte reichen, daß die Warnungen gesendet wurden - und wenn nur einziger Mensch dadurch gerettet worden wäre!

26.12.2004 Weihnachtliches
Vom Weihnachtsspaziergang im Schmiehbachtal bei Kelkheim brachte ich ein paar Fotos mit und verwendete eines davon in meinem Weihnachtsrundschreiben. Nun kam die Antwort in Form eines Haikus. Mit Dank an Herrn Heinz-H. Wattenberg setze ich Bild und Haiku hierher:

Weihnachten 2004 im Schmiehbachtal bei Kelkheim

Der letzte Apfel
dunkles Winterzweiggewirr
er spendet Hoffnung

11.12.2004
Zeitgeist
Im CD-Shop: Der Verkäufer fragt die Kundin, an welche Aufnahme des "Fliegenden Holländers" sie gedacht habe. Sie hatte an André Rieu gedacht... (nach BR4-Klassik, heute)
10.12.2004
Tag der Menschenrechte
Heute ist also Tag der Menschenrechte. Amnesty International und die anderen einschlägigen Organisationen veröffentlichen ihre Berichte. Die praktische Politik liest und vergißt. Man denke nur an Schröder in China. Die Hauptsache, die Sektkorken knallen für neue Geschäftsabschlüsse der Extraklasse. 
Ob dort wieder einmal ungesichert gelagerte Feuerwerkskörper explodieren und Menschen verletzt werden, ob wieder einmal Bergwerke einstürzen und Menschen begraben werden, ob Menschen eingesperrt und mundtot gemacht werden, weil sie es wagen, korrupte Behörden anzuklagen: wir nehmen es zur Kenntnis und tun nichts. Wie viele Generationen seit dem zweiten Weltkrieg haben in der Schule gelernt, daß man bei Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen nicht wegblicken darf. Wir feiern die Geschwister Scholl und gedenken der Widerstandskämpfer des 20. Juli. Wir selbst denken ans Geschäft und schauen ansonsten weg: weg in China, weg in Tschetschenien, weg im Sudan, wir schauen weg in Afrika.
Die Hauptsache, der Rubel rollt bei uns. Dann kann die Bundesregierung auch am Tag der Menschenrechte zum weltweiten Einsatz von Demokratie aufrufen - natürlich nicht in China, Tschetschenien oder in Afrika oder den USA, aber vielleicht in Bayern?
8.12.2004
Bronchitis und Lektüre
Erstaunlich, wieviel Rotz und Schleim der Körper  produzieren kann. Ausgeschneuzt und abgehustet füllt er seit Tagen Unmengen von Tempotüchern, Toilettenpapier und umherliegendem Papier. Die Fieberkurve geht rauf und runter, je nachdem wann zuletzt der Aspirintrank eingenommen wurde. Inzwischen hat mich die Hausärztin auf Antibiotika gesetzt. Die Fieberkurve ist schon sehr viel flacher geworden.
Über allem Husten, Schnupfen und Fieber versäumt: eine eigene Lesung in Kelkheim,  den Liederarbend der Cecilia Bartoli in der Frankfurter Alten Oper (von der FAZ geradezu hymnisch rezensiert), den Besuch bei Freunden und die Arbeit sowieso.
Gute Bücher sind ein Trost in diesem Zustand:  einmal das anrührende und bewegende Biographie/Briefwechselbuch der Lilli Jahn: "Mein verwundetes Herz". Anfangs erschrickt man immer von neuem über Lillis Blauäugigkeit, mit der sie ihren Mann in die Ehe zog. Allein schon die Briefanrede: "Mein lieber kleiner Amadé!. Sie war keine Ehefrau, sondern Mutter. Er hat es eine zeitlang gebraucht - dann reichte es nicht mehr. Es brauchte bloß eine andere, zudem eine jüngere Frau zu kommen, die in ihm nicht den kleinen Buben, sondern den großen Mann sah. Labil und intellektuell schwach, sah er nicht die Konsequenzen für seine jüdische Frau, wenn er sich von ihr scheiden ließ. Er sah die Konsequenzen nicht und wollte sie nicht sehen  - wie so viele andere in dieser Zeit einen trüben Blick dem klaren vorzogen, wenn er ihnen nur das Leben erleichtern half. Getrennt von ihrem arischen Mann kam Lilli schnell ins Arbeitslager, dann ins KZ.
Parallel dazu die Lektüre von Widad el-Sakkakini's "First among Sufis - The Life and Thought of Rabia al-Adawwiya". Ein kleines Büchlein über eine der größten Sufis und Mystiker. Sehr schön beschrieben ihre Entwicklung von der strengen Asketin, die aus Angst vor Gottes Gericht, jede Minute, die sie nicht an Gott dachte, für Sünde hielt, zur gotterkennenden Mystikerin, die überall nur noch Gottes Güte und Gnade sieht. 
Viel zititert wird folgende Anekdote: "One day she was seen running quickly, carrying a bucket of water with one hand and a firebrand with the other. On being asked, 'Where are you going, Rabia?' she answered: 'To throw the fire to heaven, and to pour the water to hell; so that these can no longer be a cause of worshipping God: nor will his creatures look to the lord for material incentive or for spiritual reward.'
Genauso schön, und mir bislang unbekannt, ist folgendes Zitat, das sie bei einer Pilgerfahrt nach Mekka geäußert haben soll: 
'I do not want the Kaaba, but the Lord of the Kaaba. Whatever can I do with the Kaaba? It is the most worshipped idol on earth. God has been neither within nor without its walls: he has no need of it.'
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