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WEB-Tagebuch Regina Berlinghof

Mai 2005
28.05.2005
Reise zu Albert Einstein?
Letzte Woche während der Fahrt zur Arbeit:  Ansage des Radiosprechers: "Es ist sieben Uhr vierundvierzig, dreizehn Minuten vor acht." Seitdem frage ich mich, was er mit den restlichen drei Minuten gemacht hat. Vielleicht war er ja auch auf einer Zeitreise und hat die Minuten eingespart!

16.05.2005
Pseudo-Hafis oder Unter falscher Flagge: Die "Übersetzungen" des  Daniel Ladinsky
Die Literatur kennt seit allen Zeiten Plagiatoren, die die Texte anderer Dichter und Schriftsteller als ihre eigenen ausgeben. Sie schmücken sich mit fremder Federn. Umgekehrt ist es in unseren Zeiten der kreativen Originalität und der künstlicherischen Persönlichkeit seltener geworden, daß sich ein Autor hinter dem Namen eines berühmteren Autors und einer anerkannten Autorität versteckt. Ein literatisches Kuckucksei legen nennt man das: man benutzt den bekannten Namen, um seine eigenen Gedanken und Texte leichter unters Volk zu bringen oder sich im Schutz der Autorität zu verstecken. Das letztere galt vor allem in Zeiten der Unterdrückung und Verfolgung unliebsamer Gedanken seitens diktatorischer Herrscher oder Kulturen.
Seit dem Tod des ketzerisch angehauchten Omar Khayyam 1122 haben sich seine überlieferten Verse vervielfacht. Das frühe Christentum kannte das Phänomen, daß Schriftsteller und Theologen ihre eigenen Werke als die der Jünger und Evangelisten ausgaben, um so eine größere Wirkung für ihr Werk zu erzielen.
Letztes Jahr stieß ich auf ein modernes Beispiel: einen sogenannten Übersetzer der Hafisschen Verse, der dem berühmten persischen Dichter und Mystiker seine eigenen Verse unterschiebt und sie als Original-Hafis-Verse in Amerika verkauft.
Der angesehene Penguin-Verlag hat in Unkenntnis und offensichtlich ohne weitere Überprüfung die Verse des Daniel Ladinsky als Übersetzungen der Verse des Hafis akzeptiert und inzwischen in mehreren Büchern publiziert. Von meiner Schwester, die weiß, wie sehr ich Hafis liebe, bekam ich zu Weihnachten 2003 eines dieser Machwerke: "The Gift: Poems by Hafiz The Great Sufi Master " (sehr doppelsinnig der Titel "Gift" im Deutschen).
Ich las darin von Elefanten, Katzen, ja von Buddhisten, auf die ich in anderen Übersetzungen - sei es in deutsch oder englisch - nie gestoßen war. Der ganze Stil paßte nicht. Statt der flammenden oder schmerzlichen Liebesverse, die Hafis an eine Person richtet, auf einmal abstrakte Sentenzen und Weisheitssprüche, die in keiner mir sonst bekannten Übersetzung vorkommen. Sonst lassen sich zwischen den übrigen Übersetzungen sehr leicht Übereinstimmungen und Parallelen finden, die Verse der Übersetzer - sogar die des freien Nachdichters Hans Bethge - lassen sich gegenseitig zuordnen.
Nicht bei den Ladinskyschen "Übersetzungen". Ich hielt sie - ohne auf den Verlagsnamen zu achten -  für eine Absonderlichkeit des amerikanischen Esoterikmarktes.
Im letzten Frühjahr nun hielt mir jemand eine deutsche Hafis-Ausgabe unter die Nase und meinte, daß dies doch sehr schöne Übersetzungen seien. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als diese Verse mir ebenso unbekannt erschienen. Ich sah mir die bibliographischen Angaben an: eine Übersetzung der englischen Ladinsky-Verse. Nun ist also die Ladinsky- Welle auch schon nach Deutschland geschwappt, und das Büchlein "Die Liebe erleuchtet den Himmel"  von Hafis scheint gut anzukommen. Es stört mich nicht, wenn Leute gerne Weisheitssprüche lesen. Aber dann sollten sie unter dem Namen des Verfassers erscheinen und nicht als Peudo-Hafisverschnitt. 

Ende April diesen Jahres erhielt ich eine eMail mit der Anfrage, ob folgendes "Hafis-Gedicht" auf Deutsch erschienen sei:

"Tired of Speaking Sweetly
Love wants to reach out and manhandle us
Break all our teacup talk of God.
If you had the courage and could give the Beloved his choice,
Some nights he would just drag you around the room by your hair,
Ripping from your grip all of these toys that bring you no joy.
Love sometimes gets tired of speaking sweetly and wants to rip to  Shred
all of your erroneous notions of Truth
   That make you fight with yourself dear one and with others
   Causing the world to weep on one too many fine days.
God wants to manhandle us
Lock us in a tiny room with Himself and practice his drop kick.
The Beloved sometimes wants to do us a great favor,
   Hold us upside down and shake all the nonsense out.
But when we hear he is in such a playful mood,,
Most everyone I know hightails it out of town."

Meine Antwort:
"ich weiß nicht, aus welcher englischen Ausgabe Sie dieses Hafis-Zitat  haben. Ich nehme an, aus einer Daniel Ladinsky "Übersetzung". Dazu  kann ich nur anmerken, daß Herr Ladinsky seine eigenen Verse als  Hafis-Verse verkauft (unter dem bekannteren Namen bekommt er  vermutlich höhere Auflagen und Tantiemen). Angeblich hat Hafis zu ihm  gesprochen - im Traum.
Ich bringe in meinem Verlag die Gesamtausgabe der Verse des Hafis  (seinen Diwan, = persisch Werkausgabe) heraus. Dort gibt es kein  solches Gedicht. Es paßt in Stil und Form auch in keiner Weise zu den übrigen Versen. Hafis ist nie abstrakt moralisierend. Seine Verse sind  immer persönlich. Entweder spricht er von sich oder von der Geliebten  oder dem Geliebten. Ihr Zitat ist typisch Ladinsky (ich habe "The  Gift" von ihm - das reicht!)
Wenn Ihr Übersetzer nicht Ladinsky ist, würde es mich interessieren,  wer und aus welcher Buchausgabe Sie diese Verse haben..."

Der Anfragende bestätigte meine Vermutung:
"Wahrscheinlich haben Sie recht mit Ihrer Vermutung. Ich habe das  Gedicht an einem Vortrag gehört, auf Englisch. Danach habe ich die  Anfangszeile bei Google eingegeben und bin auf unzählige Wiedergaben  gestossen  (http://www.google.com/search?client=safari&rls=de- de&q=Tired+of+Speaking+Sweetly&ie=UTF-8&oe=UTF-8). Als Quelle taucht  tatsächlich Ladinsky (The Gift) auf. Erstaunlicherweise habe ich auf  Deutschen Seiten nichts gefunden, also auch keine Übersetzung des  Gedichts von Ladinsky-Hafiz."

Wer näheres zu den Ladinsky-Kuckuckseiern wissen möchte, dem empfehle ich folgende Webseite des türkisch-amerikanischen Dichters und Übersetzers
Murat Nemet-Nejat, der Hafis vermutlich im Original kennt:
http://home.jps.net/~nada/hafiz.htm
hieraus einige Zitate:
“Daniel Ladinsky’s The Gift: Poems by Hafiz is an "original" poem masquerading as a "translation." These two readings are irreconcilable, and this fact profoundly mars the book.
[…]
Incredible as it may seem, there is not a single poem (gazel) of Hafiz of which any one of the poems in The Gift: Poems by Hafiz The Great Sufi Master is a translation or adaptation or extrapolation or deconstruction; no poem in the book is in dialectic relation to a specific Persian text. Nada, besides the obvious fact that Mr. Ladinsky’s poems ignore Hafiz’s Gazel form. One parable in the book, "The Difference Between," belongs to Indian folklore. Hafiz did not write it; in fact, narrative is alien to Hafiz’s elliptic, serialist lyric style. The book’s most striking images are Mr. Ladinsky's inventions. 
[…]
Why does the title of the book say, "Poems by Hafiz," and not "based on" or something in that vein? The charitable answer would be that Mr. Ladinsky did not know any better, that he truly believes he is translating Hafiz and The Gift is a visionary labor of love. He told me as much in a telephone conversation, pointing to how well the book is doing, when I asked him to refer me to one or two specific Hafiz Gazels in the book, which he could not. The second answer is that "Hafiz" is a marketable brand name. Would Arkana have published this book if its author was merely Daniel Ladinsky? I am also curious if Penguin has ever vetted the nature of these translations. "

Apropos Penguin-Verlag: Ich habe letztes Jahr die deutsche Penguin-Vertretung in Frankfurt am Main auf diesen Übersetzungsbetrüger aufmerksam gemacht. Bislang hielt der Verlag es nicht für nötig, seine Lizenznehmer in anderen Ländern und die literarische Öffentlichkeit über die Anmaßungen Daniel Ladinskys zu informieren.


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