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WEB-Tagebuch Regina Berlinghof



Mai 2006

20.05.2006
Nostalgische Erinnerungen ans Frankfurter Amerikahaus. Ein Nachruf
Das Frankfurter Amerikahaus wird endgültig geschlossen. Traurig, daß es so weit kommen mußte. Ich bin im Frankfurter Westend großgeworden, zehn Minuten Fußweg zum Amerikahaus. Es war die Bibliothek, die mich schon als Kind dorthin lockte. Es gab die Kinderbuchabteilung, und ich durfte so viele Bücher auf einmal ausleihen, wie ich wollte. Die städtische Jugendbücherei am Dom, die sehr viel weiter entfernt lag, ließ pro Ausleihe nur drei Bücher zu. Im Amerikahaus entdeckte ich Mark Twain (unter Samuel Clemens zu finden), ein wunderbares Pferdebuch (leider Titel vergessen) und ein Buch mit vielen Zeichnungen über die Vorzeit und die Frühmenschen. Die faszinierenden Gesichter der Neanderthaler. Den Titel habe ich ebenso vergessen. Es waren nur zwei Regalreihen für die Kinder. In den Regalen davor warteten die Erwachsenenromane. Ein paar brachte ich meinen Eltern mit – und fing selbst an, darin zu lesen. Pearl S. Buck, die aus der Sicht der Chinesen schrieb und den Blick für andere Kulturen weckte. Dann hinreißend „Vom Winde verweht“. Eine auch heute noch erstaunlich frische Sprache. Viel frischer als die beim Erscheinen in den dreißiger Jahren gepriesene „Hochliteratur“ hierzulande. Eine Lektorin erzählte mir einmal stolz, daß Kippenberg vom Inselverlag den Roman als Trivialliteratur abgelehnt hatte. Aber wer liest noch die deutschen Bücher, die damals als Hochliteratur galten? Ein Blick in die Krabbelkisten von Antiquariaten genügt. Abgesehen von den Mann-Brüdern und Brecht ist das meiste ungenießbar. Aber vermutlich habe ich mich (mit elf/zwölf) nur unsterblich in Rhett Butler verliebt.
Natürlich gab es im Amerikahaus der 50-er und 60-er Jahre auch „Schinkendutzendware“ wie Antonio Adverso, die Bücher der Esther Forbes, Gwen Bristow (aber die „Kalifornische Symphonie“ habe ich gern gelesen; leider war die Verfilmung miserabel). Dann aber auch Faulkner, F. Scott Fitzgerald, Hemingway. Mein Vater holte sich aus der Abteilung Winstons Churchills Mammutwerk „Der zweite Weltkrieg“ und die Dokumentationsbände über den Nürnberger Prozeß.
Eine Walt-Disney-Ausstellung ist mir in Erinnerung geblieben – mit vielen Ausschnitten aus den Zeichentrickfilmen. Ich verbrachte dort Stunden.
Später war die Auswahl der Städtischen (Erwachsenen) Bücherei größer und damit attraktiver. Dann gab es die Schlachten ums Amerikahaus als dem Symbol des amerikanischen Imperialismus in den 68-Jahren. Ich gehörte der Generation der sogenannten 68er an – aber ich empfand die kämpfenden Genossen nur als ideologieverblendete Fanatiker. Blind, voller Haß und nicht fähig zu einer sachlichen Abwägung im Vergleich zu den Diktaturen hinter dem Eisernen Vorhang.
Nach der heißen Zeit blieb das Amerika-Haus zwar unbehelligt, aber es gewann nicht mehr den ursprünglichen Nimbus zurück. In der Kulturszene spielte es kaum noch eine Rolle. Vielleicht beruht dieser Eindruck auch nur darauf, daß ich vom Westend weggezogen war und fast nicht mehr ins Amerikahaus kam.
Eine Ära geht zu Ende. Und es tut weh, daß das Amerikahaus geschlossen wird.

 




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