WEB-Tagebuch Regina Berlinghof |
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Januar 2007 | ||
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Die
zisterziensische Erotik II - Nachtrag zum Eintrag vom 8.1.07 Wie es der Zufall so will, stieß ich gestern beim Stöbern in Karlheinz Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums", Band 8, auf einen Abschnitt zu den Zisterziensern und ihrem Verhältnis zu den Bauern und Hörigen, darunter folgende Zitate: "Nach den ersten Statuten ihres Ordens sollten die Zisterzienser selbst das Land bestellen, sollten sie, worauf die Stifter großen Wert gelegt, 'von ihrer Hände Arbeit, Ackerbau und Viehzucht' leben, sollte somit jeder wieder 'sein eigener Ochse sein'. Doch waren ihnen von Anfang an 'Konversen oder Lohnarbeiter' als 'notwendige Mithelfer unter unserer Leitung' zugeordnet. ... Die Konversen aber lebten gedrückt, untergeordnet, es gab Reibungen, die sich häuften, steigerten. Die Herren waren, wie in den anderen Religionsverbänden, die Mönche. Sie befahlen, die Konversen leisteten die Arbeit." Sie durften auch nicht Mönche werden." "Die eigentlichen Opfer aber wurden die Bauern." Man sprach vom 'Bauernlegen'. "Man versteht darunter die Umwandlung von Bauernland in Gutsland, Klosterland, die oft entschädigungslose Beseitigung bäuerlicher Betriebe zugunsten großer Wirtschaftshöfe, vor allem der Zisterzienser." Deschner belegt: "Nirgends im Mittelalter ist der Bauernstand so ausverkauft, nirgends sind wohl so viel Dörfer zu Wüstungen gemacht worden, wie in der Nachbarschaft der Zisterzienserklöster." (aus U. Hölscher: Die mittelalterlichen Klöster Niedersachschens). Das war also der liebende Eros der Zisterzienser in Praxis: er galt der Mehrung des Klosterbesitzes, vielleicht auch noch Jesus und der Jungfrau Maria - für die einfachen Bauern, Knechte und Hörige, für die Mitmenschen also, blieb nichts mehr übrig. Warum sollte das mit dem Geist des modernen Kapitalismus (so Klaus Berger) nichts zu tun haben? |
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Die
zisterziensische Erotik Zum Artikel von Klaus Berger in der FAZ vom 27.12.06, Nr. 300, S. 36 („Wähntest du etwa, wir sollten das Leben hassen? Max Weber hat die Askese überschätzt: Die zisterziensische Erotik und der Geist des Kapitalismus“) Klaus Berger, der mit katholischem Herzen evangelische Theologie lehrte und nach seiner Emeritierung wieder in den Schoß seiner Herzenskirche gefunden hat, kritisierte kürzlich in der FAZ den Soziologen Michael Zöller, der im Zisterziensischen Ordensleben – noch früher als in der protestantischen Ethik – einen Vorläufer des modernen asketischen Kapitalismus (Arbeiten, arbeiten, arbeiten) entdeckt haben will. Aber nicht Askese im Sinne von Verzicht habe den Gründer Bernhard von Clairvaux und seine Ordensbrüder bewegt, sondern Liebe. Eine solch umfassende Liebe zu Gott, daß sie alles – auch die Arbeit – zu seinem Gottesdienst erhoben hatten: „Christliche Mönche verstehen sich nicht als Asketen und Calvinisten auch nicht. Selbst der Eheverzicht der Mönche wird nicht asketisch begründet, sondern eben erotisch. "Dem Herrn ganz gehören" nennt schon Paulus im ersten Korintherbrief (7, 14) als ganzheitliche Motivation für den Zölibat. Jede Askese wäre nur sexualfeindlich. Paulus aber ist "gott-freundlich". Die Erklärung seines eigenen Verhaltens sucht er weder in der Abwertung der Ehe noch des Geschlechtstriebs, sondern in der Liebe allein zu Gott.“ Und: „Nein, nicht die Askese macht den Mönch, sondern die Liebe.“ Und „Der Satz des heiligen Bernhard, die Liebe zu Gott sei ohne Maß, bezog sich ohne jede Ängstlichkeit auf die Gesamtheit dessen, was man auch heute Liebe nennt.“ Berger spricht von der „sogenannten Erotisierung der Religion“, die „einen wahren Siegeszug des Ordens ermöglicht“ habe. Es ist geradezu ein Genuß, den Gedanken Bergers zu folgen, wie er mit modischen Wortetiketten einen radikal-asketischen Orden der heutigen Zeit schmackhaft machen will und geschickt von allen Schattenseiten der Zisterzienser und ihres Hauptvertreters, Bernhard von Clairvaux ablenkt. „Liebe, Erotisierung, Hingabe“ sind seine Zauberworte. Allein die Liebe zu Gott begründe den Zölibat (also keine Gelübde?). Askese wäre nur sexualfeindlich. Aber die Mönche seien erotisch gottfreundlich. Bei Bernhard und seinen Freunden habe sich das Programm einer Totalhingabe entwickelt. Die Hingabe an die Arbeit, an die zugeteilten Sachaufgaben, das ist nach Berger „ein "befreiter Eros", ein Eros, der eben nicht nur auf Sexualität zentriert ist, sondern der den ganzen Menschen ergreift.“ Was aber ist ein totaler, befreiter Eros, der den ganzen Menschen ergreift, aber die Sexualität ausschließt? Heißt total nicht ganz, völlig? Immerhin lebt man nach Berger „ganz gut im Kloster, und nach Benedikts Regel steht jedem Mönch täglich eine "hemina" eines alkoholischen Getränks zu, was auch immer dieses Maß bedeutet.“ Alkoholische Betäubung als Ausgleich für den Verzicht auf sexuelle Freuden … Die Erotisierung bei Clairvaux und dem Zisterzienserorden wird mit der intensiven Beschäftigung mit dem Hohelied Salomos zurückgeführt. Es stimmt: das Hauptwerk Bernhard von Clairvaux’ ist die umfangreiche Kommentierung des Hohenliedes. Seine Kommentare füllen zwei dicke Bände der zehnbändigen Gesamtausgabe! Nun war die Erotik als Bestandteil der Religion und Gottesverehrung nicht neu – jedenfalls nicht außerhalb des Christentums. Das Hohelied ist jüdischen Ursprungs, und die muslimische Mystik, der Sufismus, verwendete bereits die Bilder und Sprache der Erotik (z.B. al-Ghazzali, der den Weg zu einem Gottesbewusstsein lehrte, das aus dem Herzen entspringt.) Der Tantrismus des Hinduismus benutzte bewußt Erotik und Sexualität als Mittel zur Gotteserkennung. Vermutlich hat Eros sogar über den Islam in Spanien Einzug ins Christentum gehalten und fand im Hohenlied des Alten Testaments einen günstigen Boden. Es wäre ja auch zu schön, wenn die „Erotisierung der Religion“ bedeutete, daß Erotik und Religion nicht als Gegensätze, sondern als zusammengehörige Aspekte der einen göttlichen Wirklichkeit zu verstehen sind. Bei Bernhard von Clairvaux, dem Marienverehrer, darum Doctor Marianus genannt, beschränkte sich die „Erotisierung“ (bei äußerster Leibfeindlichkeit) allerdings streng aufs Christentum. Denn es war Bernhard von Clairvaux, der mit flammenden Reden zum Zweiten Kreuzzug (1147-1149) aufrief und die widerwilligen Könige von Frankreich und Deutschland zum Aufbruch anstiftete. Berühmt sind seine Predigten von Vézelay, Speyer und Frankfurt, mit denen er einen Sturm der Begeisterung entfachte. Er zerstreute die Bedenken gegen Krieg und Bewaffnung: „Ein Ritter Christi tötet mit gutem Gewissen; noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selber; wenn er tötet, nützt er Christus.“ Gegen Verhandlungen mit den Moslems sprach Bernhard sich entschieden aus. Diese "Heiden" müssten entweder getötet oder bekehrt werden. - Vielleicht hätte Papst Benedikt diesen Ausspruch von Bernhard von Clairvaux zitieren sollen, als er in Regensburg das Verhältnis Christentum / Islam beleuchtete. Es zeigt eine nahe Verwandtschaft der Denkweise von fundamentalistischen Kreuzzüglern und fundamentalistischen al-Qaida-Kämpfern, Taliban, Hamas usw. Die könnten noch von Bernhard von Clairvaux lernen! Bei Bernhard und den Zisterziensern handelt es sich mitnichten um die Erotisierung der Religion, sondern allein und ausschließlich um die Erotisierung des Christentums, wobei die Seele Mensch Jesus und Gott wie einen Geliebten liebt. Natürlich weiß Klaus Berger auch um die gewalttätigen, fundamentalistischen Schattenseiten. Verräterisch ist am Schluß der Satz: „Der rasche Erfolg der zisterziensischen Lebensform im zwölften Jahrhundert wird verständlich als Befreiung zu ungeahnter kreativer Liebeskraft, als Freisetzung von Radikalität im Menschen.“ Die Zisterzienserbewegung bedeutete die Radikalisierung des Christentums im Sinne einer wachsenden Unduldsamkeit und Gewalttätigkeit gegen Andersgläubige. Das schloß bei Bernhard nicht nur den bewaffneten Kampf gegen die Muslime (=“Heiden“) ein, sondern auch den Kampf gegen „Abweichler“ und Häretiker aus dem eigenen christlichen Lager: Er machte scharf zum Kampf gegen die Katharer, Waldenser und gegen die Lehren des Abaelard. Ein radikaler Fundamentalist, anti-sexuell, intolerant gegen alles Nichtchristliche und gegen Christenketzer. Im Heiligenlexikon steht: „Die schrecklichen Folgen solcher Worte betrafen nicht nur die Menschen im Nahen Osten, sondern auch die mittelalterlichen jüdischen Gemeinden.“ Der Zweite Kreuzzug endete in einem schrecklichen Fiasko, noch bevor die Kreuzritter das Heilige Land überhaupt erreichten. Bernhards totale Hingabe an eine Sache bedeutete auch die totale Hingabe an Kampf und Krieg. Der leibfeindliche, radikal „befreite Eros“ des Bernhard von Clairvaux führte de facto zu einer Erotisierung und Radikalisierung des Krieges. Aber davon wollte Klaus Berger nichts schreiben. Was Erotisierung der Religion im universellen und menschlichen Sinn wirklich bedeutet, mögen zwei Verse des persischen Philosophen, Naturwissenschaftlers und Dichters Omar Khayyam veranschaulichen (er lebte ca. 1038 - 1122, also rund zwei Generationen vor Bernhard von Clairvaux): (freie Nachdichtung von Hans Bethge)
Und noch ein Omar Khayyam Vers "Die Gelehrten" (gültig damals wie heute): DIE GELEHRTEN
Wie steht es mit der Weisheit der Gelehrten, Die wir als unsre Meister stets verehrten? Nachdem aus tiefstem Dunkel sie erwachten, Erzählen sie uns Märchen, eins zum andern, Bis sie in neue Nacht hinüberwandern . . . |
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Ein
frohes, glückliches, gesundes und erfolgreiches Neues Jahr 2007
Ihnen allen, die diese Zeilen lesen! Trotz Steuererhöhungen, Benzinpreiserhöhung und Wegfall der Pendlerpauschale gibt es auch eine gute Nachricht: Der Steuersatz für Bücher bleibt bei 7 %!! - Wie die Grundnahrungsmittel. Und was anderes sind Bücher für den Geist! |
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