WEB-Tagebuch Regina Berlinghof |
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November 2008 |
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Die Erklärungen Andrea Ypsilantis Andrea Ypsilanti hat bis heute nicht wahrgenommen, daß die Mehrheit der hessischen Wähler keine Zusammenarbeit mit den Linken will und daher ihren Wortbruch übelnimmt. Hätte sie vor der Wahl die Kooperation mit den Linken öffentlich in Betracht gezogen, hätte die SPD sicherlich deutlich weniger Stimmen bekommen - und Roland Koch säße heute als gewählter und nicht nur als geschäftsführender Ministerpräsident in Wiesbaden. So werden nun die "Abweichler" und "Verräter" (alte kommunistische Terminologie) mit Dreck beworfen, ihre Motive, ihre Gründe, ihre Gewissensqualen ins Verächtliche und Lächerliche gezogen. Ypsilanti betont immer wieder, daß sie das Gespräch gesucht und ihr Verhalten "erklärt" habe. Immer wieder fällt der Satz, "ich habe es (gemeint ist der Wortbruch) doch immer wieder erklärt!" - Diese Erklärungen galten den Wählern, den SPD-Mitgliedern und natürlich auch der Viererbande, die ihre Ohren nicht öffnen wollte. Das "Erklären eines Verhaltens" bedeutet nun aber nicht, daß man dieses Verhalten für falsch halte und bedaure, sondern mehr verstärkend ein Festhalten an dieser Handlung und eine Rechtfertigung dieses Tuns. Mit anderen Worten: Frau Ypsilanti glaubt sich mit ihrem Wortbruch gegenüber den Wählern nach wie vor im Recht. Nicht recht dagegen haben die Abweichler, die an der ursprünglichen Versicherung der Nichtzusammenarbeit mit den Linken festhalten wollten. Wie es der "Zufall" so will, lese ich in diesen Tagen den Sammelband "Ein Gott, der keiner war". Darin schildern Schriftsteller und Journalisten u.a. Arthur Koestler, Ignazio Silone, André Gide wie sie - überzeugte Kommunisten - nach den Erfahrungen mit dem realen Kommunismus in der Sowjetunion oder während des Spanischen Bürgerkrieges an der Kommunistischen Partei und dem Kommunismus zu zweifeln begannen, um sich schließlich ganz von ihm zu lösen. Bei Stephen Spender, dem englischen Lyriker, fand ich folgende Analyse: "kam ich zu einer Schlussfolgerung, …, dass beinahe alle Menschen ein äußerst lückenhaftes Verständnis der Wirklichkeit haben. Nur einige wenige Dinge, die ihre eigenen Interessen und ihre eigenen Gedankengänge veranschaulichen, sind für sie wirklich; andere Dinge, die tatsächlich genauso wirklich sind, erscheinen ihnen als Abstraktionen. Auf diese Weise erscheint Menschen, wenn sie sich entschlossen haben, eine gewisse Handlungsweise zu verfolgen, alles, was zu ihrer Unterstützung dient, lebendig und real; alles aber, was dagegensteht, wird zur Abstraktion. Die eigenen Freunde werden zu Verbündeten und daher zu wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut wie man selbst. Die Gegner sind nur ermüdende, unvernünftige, unnötige Thesen, deren Leben genauso viele falsche Behauptungen sind, die man gern mit einer Bleichkugel ausstreichen möchte, wie man mit einem Bleistiftstrich einen stümperhaft geschriebenen Absatz ausstreichen würde. … Wenn ich mit dem Gedanken recht habe, dass die Menschen eine Neigung haben, abstrakt zu denken, und dabei nicht die menschlichen Realitäten in Rechnung zu stellen, auf die ihre politischen Leidenschaften einen Einfluss ausüben, dann lässt sich die Mentalität der Kommunisten ohne Schwierigkeiten erklären. Sie habe sich eine Theorie von der Gesellschaft zu eigen gemacht, die ein menschliches Laster ermutigt, nämlich: ihre eigene Sache und ihre eigenen Anhänger als real anzusehen und alle anderen Ideen und deren Exponenten als abstrakte Beispiele unmodern gewordener theoretischer Stellungnahmen zu betrachten." dtv-Ausgabe, S. 257 ff.
Zu dieser Analyse gibt Frau Ypsilanti mit ihrer "erklärenden" Rechthaberei ein glänzendes Beispiel. |
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Reise ins "Reich des Bösen" - in den
Iran Die Schreibpause im Webtagebuch war lang - hatte aber einen guten Grund, nämlich eine dreiwöchige Iranreise vom 20. September bis 11. Oktober. Die Neigung, ins Land der Mullahs zu fahren war eigentlich gering - wozu sich bei großer Hitze freiwillig in lange Ärmel hüllen und den Kopf bedecken? Wozu in ein Land fahren, in dem es keine freie Presse, kein frei gewähltes Parlament gibt, in dem Anhänger der Bahai verfolgt, verhaftet und ermordet werden, nur weil sie der "falschen" Religion anhängen? Der Dichter und Naturwissenschaftler Omar Khayyam aus dem 11./12. Jahrhundert zog mich dorthin. Ich schreibe einen Roman über ihn - und irgendwann wurde mir peinlich bewußt, daß ich die Landschaft, die Menschen, die Kultur seines Umfeldes nicht wirklich kannte. So kam es, daß ich zwei Wochen eine allgemeine Rundreise mit Studiosus durch das zentrale Hochland machte - und anschließend noch eine Woche auf eigene Faust anhängte - organisiert und betreut vom Reisebüro Arg-e-Djadid, Teheran (Wie gut, daß es emails gibt!). Diese Woche führte mich in meine Wunschgebiete: nach Nishabur im Osten in der Provinz Khorasan, wo Omar Khayyam geboren wurde und wo er den größten Teil seines Lebens unter seldschukischer Herrschaft verbrachte. Zum anderen weiter westlich von Teheran nach Qazvin zur Bergfestung Alamut, von der aus der "Alte vom Berge" Hassan-e-Sabach seine Assassinen zu ihren mörderischen Anschlägen schickte. Er und sein prominentestes Opfer - der Großwesir Nizam al-Mulk - waren Zeitgenossen Omar Khayyams. Der Wesir war ein Förderer der Wissenschaften - und er förderte durch jährliche Zahlungen die Forschungen Omar Khayyams. Ich habe die Menschen dort sehr offen, freundlich, hilfsbereit und in keiner Weise aufdringlich erlebt. Mörderisch sind sie nur im Straßenverkehr - dort herrscht gnadenlos das Prinzip des Stärkeren. Habe ich mich aufgeregt, wenn Radfahrer hierzulande - trotz eines eigenen Fahrradweges - den Bürgersteig als Überholspur benutzen? In Teheran betrachten die Mopedfahrer die Bürgersteige als ihr ureigenes Territorium und brauschen zwischen den Fußgängern durch. Das Überqueren von Straßen wird zum Spießrutenlauf. Grüne Ampeln, Zebrastreifen gibt es zwar, entfalten aber praktisch keine Wirkung. Nun wirbeln und schweben die Bilder des Iran vor meinen Augen, ich versuche, sie zu fassen und zu formen. Es wird einige Zeit dauern. Hier eine Auswahl der meisten meiner Fotos - dank Digitalkamera kann frau ja hemmungslos knipsen und dokumentieren. |
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Übersicht / Table |