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WEB-Tagebuch Regina Berlinghof



Februar 2010

7.02.2010
Die allein seligmachende Kirche und die sexuellen Missbrauchsfälle - systembedingt? und:
Ist die katholische Kirche exterritorial?

1. Pervertierte Sexualmoral
Die Zahl der bekannt gewordenen sexuellen Missbrauchsfälle durch katholische Geistliche, Mönche und Lehrer wird immer größer. Dabei wird nur die Spitze des Eisberges für die Öffentlichkeit sichtbar. Die Großzahl der Vorfälle bleibt im Dunkeln, da viele Opfer aus Scham und Angst schweigen oder einfach in Ruhe gelassen werden wollen.
Vertreter der
katholischen Kirche streiten vehement ab, daß die Missbrauchsfälle systembedingt sind und etwas mit dem Zwangszölibat und der Sexualmoral der Kirche zu tun haben.
Andererseits wird die katholische Kirche, allen voran der Papst, nicht müde, darauf hinzuweisen, daß allein die christlichen (= katholischen!) Werte "grundlegend für das Überleben unserer Nationen und Gesellschaften sind.“ Wie erfolgreich diese Werte sind, zeigt sich am Beispiel der Kirchenvertreter selbst.
Es sind ja nicht nur diese Fälle in Deutschland, sondern auch in Österreich (ich erinnere an den suspendierten Kardinal Groer), in Irland und in den USA. Martin Lohmann schreibt in dem FAZ-Artikel: "Die Sexuallehre der [katholischen] Kirche hat den ganzen Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele im Blick. Hier geht es um Ehrfurcht und um die Erkenntnis, dass Gott den Menschen erschaffen hat als Mann und Frau, die einander ergänzen. Die Kirche betont daher zu Recht die Kostbarkeit eines geordneten Sexuallebens, in dem Freiheit und Verantwortung gelebt werden."
Leider gilt dies nur in beschränktem Umfang für die katholischen Laien (Sex nur innerhalb der Ehe, immer mit Ziel Fortpflanzung, keine Verhütung, keine Ehe mit Nichtkatholiken, wenn nicht die Kinder katholisch getauft werden, keine Scheidung) und praktisch überhaupt nicht für die Kicrhenvertreter selbst, sprich Priester, Mönche und Nonnen. Das Problem ist nicht der Zölibat an sich - es ist die Zwangsaskese für ein ganzes Leben. Auch andere Religionen wie der Hinduismus, Buddhismus kennen das Ideal der Askese: keine fleischlichen Genüsse: kein Sex, kein Fleisch essen und überhaupt: nur einfach und wenig essen, keine Anhäufung von Besitztümern. Aber die Enthaltsamkeit wird nicht erzwungen. Sie ist eine freiwillige Entscheidung des Menschen, die jederzeit widerrufen werden kann. Die Askese ist dort eine Entscheidung aus dem inneren Willen des Menschen und kann auf Zeit gewählt werden - nicht eine Zwangsverordnung einer religiösen Institution. Sicher wird der Zölibat vor und während der Priesterweihe bzw. dem Mönchs- und Nonnengelöbnis aus einer freien Entscheidung heraus getroffen. Aber Menschen ändern sich und sie treffen andere Menschen. Menschen, die plötzlich attraktiv werden, in die sich verlieben. Die völlig verklemmte katholische Sexualmoral und institutionell  verordnete Askese läßt hier keine Aufhebung des Zölibats zu. Die Energien der Liebe und der Sexualität können zwar um des "Himmlischen willen" sublimiert werden. So sieht es die Kirche vor. Die Natur geht oft aber andere Wege.
Unterdrückte Energien suchen sich ein Ventil, sie pervertieren. Und genau hierum geht es bei den sexuellen Übergriffen von Priestern und Patres. Die erzwungene Enthaltsamkeit sucht ihr Ventil nicht mehr im "Himmlischen", sondern bei den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen. Die Energien, die nicht der Ehefrau und dem eigenen Nachwuchs zugute kommen sollten, sondern der Christengemeinde, haben sich pervertiert die Schwächsten zum Ziel genommen.

2. Die institutionellen Vertuschungen - Exterritorialität der Kirche
Am schlimmsten sind aber die Vertuschungen durch die bischöflichen Ordinariate (sofern sie nicht sogar selbst aktiv daran beteiligt sind wie Kardinal Groer). Ich erinnere auch an die Vertuschungen der Vorfälle in den USA und in Irland. Und hier kommt die zweite Zwangsverpflichtung für Priester und Mönche ins Spiel: der absolute Gehorsam gegenüber den Kirchenoberen, sprich ihren Vorgesetzten. Zum einen wird damit der Eigenwillen des Menschen unterdrückt und zum anderen von Gott weg auf die Institution der Kirche gerichtet. Die katholische Kirche mit ihrem Anspruch, die allein selig machende Kirche zu sein versteht Christentum allein als Zugehörigkeit zu ihrer Institution. Alle anderen christlichen Glaubensrichtungen sind nur "kirchenähnlich" oder gelten nur als Sekten. Ebenso hat der einzelne Gläubige Geltung nur durch seine Kirchenzugehörigkeit und der Befolgung aller verkündeten Lehren.
Eine Institution mit einem solch absoluten Heils- und Moralanspruch kann und darf sich keine Fehler leisten. Fehler, Sünden, kriminelle Taten ihrer Vertreter dürfen an der Heilsgewalt der Kirche nicht zweifeln lassen, sie dürfen die kirchliche Autorität nicht untergraben. Nach diesem Verständnis hatte immer der Schutz der Kirche vor den Opfern Vorrang. Da die Kirche sich auch als "höher" als die profane staatliche Gewalt begreift und es im Laufe der Geschichte geschafft hat, sich wie ein eigener Staat zu etablieren (Vatikanstaat mit diplomatischen Vertretungen bei den Regierungen), denkt sie auch nicht daran, ihre "sündig" gewordenen Vertreter den staatlichen Stellen auszuliefern und wie ein gemeiner Krimineller aburteilen zu lassen.
Es war ein riesengroßer Fehler, ja, mehr noch eine Dummheit, das Konkordat des Vatikan mit Hitler 1949 über das Grundgesetz anzuerkennen. Die katholische Kirche begreift sich als exterritorial, über die die staatlichen Stellen keine Macht haben dürfen. Auch jetzt, nachdem die Öffentlichkeit über die Missbrauchsfälle informiert wurde, geht es mehr um das Versagen der Kirche, weil die Oberen auf die Klagen der Opfer nicht gehört haben. Es ist kaum die Rede davon, daß die Missbrauchspriester und -patres nicht der Staatsanwalt übergeben wurden wie alle anderen, gegenüber denen solche Vorwürfe erhoben werden.

Es wird Zeit, daß die Kirche ihre Sonderrechte verliert und sich auf die Regelung des eigentlich religiösen Kernbereich ihrer Gemeinschaft beschränkt.


z.B. in der FAZ von 6.2.10 und dort auch online: Martin Lohmann, Sprecher des Arbeitskreises Engagierter Katholiken (AEK) in der CDU und Vorsitzender der Bundesverbandes Lebensrecht (BVL).


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