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WEB-Tagebuch Regina Berlinghof



April 2010

9.04.2010 Augustinus - TV-Verfilmung seines Lebens (in ARD)

An Ostern habe ich beide Folgen der „Augustinus“-Verfilmung gesehen. Vor allem der erste Teil war nicht schlecht. Aber der zweite Teil wurde zu einem Propagandafilm für die Katholische Kirche. Die Autobiographie des Kirchenvaters aus dem 4. Jahrhundert, die „Confessiones“ (Bekenntnisse), wurde zwar herangezogen – aber verdreht und verfälscht, damit die katholische Kirche als die eine und einzige wahre und fleckenlose christliche Kirche leuchtete.
Als Augustinus, zu dieser Zeit ein Anhänger des Manichäismus, nach Mailand an den kaiserlichen Hof berufen wurde, soll er im Film nach dem Wunsch der Kaiserinmutter gegen Bischof Ambrosius anreden. Und Augustinus setzt seine rhetorischen Fähigkeiten gegen das Christentum mit heidnischen Argumenten ein – vor allem predigt er die Göttlichkeit des Kaisers. So kann es aber nicht abgelaufen sein. Denn der Hof hing schon damals nicht mehr dem römischen Götterglauben an. Das Christentum war bereits Staatsreligion, die Kaiserinmutter gläubige Christin – nur Anhängerin der arianischen Sekte, die die später siegreiche westliche Kirche bis aufs Messer bekämpfte. In Wahrheit predigte Augustinus also nicht gegen das Heidentum – sondern gegen den konkurrierenden und damals sehr mächtigen arianischen Zweig des Christentums. So wie er später auch gegen die Donatisten wettert, die ebenfalls Christen waren. Im Film wird diese innerchristliche Auseinandersetzung schön unter den Teppich gekehrt und vor allem als Kampf gegen das Heidentum dargestellt.

Auch die angebotene Heirat durch einen reichen Römer, die im Film der noch heidnische Augustinus annimmt, um seine Karriere und seinen Reichtum zu fördern, spielte sich anders ab. Es war seine christliche Mutter, die ihm diese Heirat einredete, worauf ihn seine heidnische Lebensgefährtin verließ.

Erst dieser Zwiespalt in der Liebe zu seiner Mutter und zu seiner geliebten Gefährtin, ließ ihn einen Nervenzusammenbruch erleiden. Im Garten eines Freundes hörte er dann die singenden Kinderworte „Nimm und lies“ (tolle, lege), worauf er zu Bibel griff und in der aufgeschlagenen Seite die Paulus’sche Verdammung des Fleischlichen las – was ihm als Offenbarung erschien. Nun ließ er sich von Ambrosius, dem seine Mutter anhing, taufen und wurde Theologe und Bischof. Die Unterscheidung und Scheidung von „höherem, göttlichem“ Geist und „niederem“ Fleisch bzw. Materie wird im westlichen Christentum durch Augustinus zementiert.


4.04.2010
Das elitäre Bewußtsein - oder: Wenn Moral blind macht,
dazu auch ein Zitat von Dschuang Dsi


Die vertuschten Mißbrauchsfälle in den Kirchen und Eliteinternaten weisen einen gemeinsamen Aspekt auf, dem man immer wieder begegnet, wenn sich Menschen einer "höheren Idee", Religion oder Ideologie verpflichtet fühlen. Wer einer solchen Gruppe angehört, kann und mag es nicht glauben, daß "in diesen heil'gen Hallen" Böses passieren kann und daß Menschen, die ihrer Gruppe angehören, Irrtümer und Verbrecher begehen können, wie man sie nur von den "Normalos" oder "Weltlichen" kennt, die man insgeheim verachtet.
  • Nichtwissenwollen, nicht zur Kenntnisnehmenwollen sind die erste Stufe.
  • Nichtglaubenwollen folgt als nächstes.
  • Danach steht der Schutz der Organisation bzw. der Idee im Vordergrund.
  • Die Beschuldigungen der Opfer werden als erlogen und als feindlicher Angriff auf die Organisation dargestellt.
  • Zum Schluß wird den Opfern die Schuld zugeschoben.
Erst wenn diese Schutzmaßnahmen nicht mehr helfen, weil die Außenwelt eindeutige Beweise vorlegt und weil einzelne Täter dem Druck nicht mehr standhalten und gestehen, bricht das eigene Moralgebäude zusammen, wird die selbstverschuldete Blindheit deutlich. Auch wenn diese Blindheit offen zutage lag, hat die katholische Kirche doch dreihundertfünfzig Jahre gebraucht, um die Verurteilung Galileis und die Verketzerung seiner Erkenntnis, daß die Erde um die Sonne kreist, zurückzunehmen.

Das deutsche Volk wollte in seiner Mehrheit nicht die Greuel der Naziherrschaft wahrnehmen - selbst noch nlange ach dem Krieg, als die Filme und Bilder aus den KZs das systematische Morden belegten.

Manche Schriftsteller und Intellektuelle haben bis zur Veröffentichung von Solschenizins "Gulag-Bänden" nicht zur Kenntnis nehmen wollen, welch Terrorregime Stalin zur Erhaltung seiner Macht führte. Das gleiche kann man von Mao in den sechziger Jahren sagen, dessen selbstverschuldete riesige Hungersnot der fünfziger Jahre noch die Verfolgungen und Massenmorde der Roten Garden linke Heilsprediger mit dem roten Büchlein von der Verherrlichung seiner Ideen und Herrschaft abhielt.

Als Walter Janka, ein überzeugter und prominenter Kommunist der DDR, in den fünfziger Jahren als Konterrevolutionär (= Ketzerei) von seinen Genossen verhaftet und nach einem Schauprozeß in dasselbe Zuchthaus geworfen wurde, in dem er schon von den Nazis eingekerkert war, konnte er nicht glauben, daß "Kommunisten zu so etwas fähig waren". So sein Bekenntnis in seiner Autobiographie "Schwierigkeiten mit der Wahrheit"


Ähnliches äußerten viele Juden, als der fanatische Arzt Baruch Goldstein
1994 sein Massaker an Arabern in Hebron verübte. "Ich habe nie geglaubt, daß Juden so etwas tun können."

Katholische Bischöfe haben in allen Ländern jahrzehnte-(jahrhunderte-?)lang kriminelles Fehlverhalten ihrer Priester und Mönche abgestritten, vertuscht und ihre Mithirten geschützt. Der Schutz der ihnen anvertrauten Laienschäflein war ihnen weniger wichtig.
Eine irische Frau berichtete in CNN (Back report), daß sie überhaupt erst nach mehr als 10 oder 20 Jahren und einer Therapie ihrem Bischof von ihrem Mißbrauch durch den Gemeindepriester berichten konnte. Seine Reaktion: ihr Vorwurf entbehre jeder Grundlage - niemand sonst hätte sich über den Priester beschwert (eine krasse Lüge). Zum Schluß setzte er noch dazu, daß sie wohl den Priester selbst verführt habe und schuld an dem Mißbrauch sei. Aber er vergebe ihr im Namen Gottes.

Dieses Argument, daß die Opfer selbst schuld seien, ist ja altbekannt: Bis in die jüngste Zeit galt, daß eine vergewaltigte Frau den Mann gereizt und damit den gewaltsamen Übergriff selbst verschuldet habe.
In fundamentalistischen muslimischen Kreisen und Gesellschaften ist dies ja die Begründung für das Verschleierungsgebot der Frauen. Sie sollen die Männer mit ihren Reizen nicht herausfordern! Eine nichtverschleierte Frau ist immer selbst schuld, wenn ein Mann sich nicht beherrschen kann und seinen Trieben folgt.

Bischof Müller, Mixa und andere werden nicht müde, die Schilderungen der Mißbrauchsopfer als Kampagne gegen die katholische Kirche zu deuten.

Herr von Hentig verteidigte seinen Lebensgefährten Gerold Becker noch blind im März dieses Jahres, als dessen Übergriffe schon sein Jahren publik waren (Berichte der Frankfurter Rundschau 1999). Als Becker schon gestanden hatte, hielt er dessen päderastischen Übergriffe für erfunden - und behauptete, die Kinder und Jugendlichen hätten Becker verführt. Auch hier wieder die Schutzbehauptung, die Presseberichte seien eine gesteuerte Kampagne gegen die Ideale der Reformschulen.

Das Bewußtsein, einer elitären Gemeinschaft anzugehören bzw. eine höheren Idee zu folgen, schafft Blindheit und Heuchelei.


Dschuang Dsi (oder Chuang Tzu, Zhuangzi), der chinesische Taoist aus dem 3. Jahrhundert vor Chr. schrieb schon damals:

15. UNBEWUSSTE VERSTRICKUNG

Ein hundertjähriger Baum wurde zersägt. Man machte Opferschalen aus dem Holz und schmückte sie mit grünen und gelben Linienornamenten. Die Abfälle warf man in einen Graben. Diese Opferschalen und die Abfälle im Graben sind wohl verschieden in Beziehung auf ihre Schönheit; in Beziehung darauf aber, daß sie ihre ursprüngliche Art verloren haben, sind sie gleich. Die Räuber und die Tugendhelden sind wohl verschieden an Moral; aber darin, daß sie ihre ursprüngliche Art verloren haben, sind sie einander gleich. 

Fünf Wege gibt's, durch die die ursprüngliche Art verloren geht. Der erste heißt: Die Farben verwirren das Äuge, also daß das Äuge nicht mehr klar zu sehen vermag. Der zweite heißt: Die Töne verwirren das Ohr, also daß das Ohr nicht mehr deutlich zu hören vermag. Der dritte heißt: Gerüche betäuben die Nase, also daß Eingenommenheit die Stirn befällt. Der vierte heißt: Die Würzen trüben den Geschmadc, also daß der Mund schal wird. Der fünfte heißt: Die Lüste betören das Herz, also daß die Wesensart unstet umherflattert. Diese fünf Dinge sind lauter Feinde des Lebens, und dabei stellen sich die Herren Philosophen auf die Zehen und meinen, sie haben's erreicht. Meiner Meinung nach kann das nicht Erreichen genannt werden; denn, die es erreicht haben, sind alle gebunden. Soll das Erreichen sein? Dann kann die Taube im Käfig auch sagen, daß sie's erreicht habe. All diese Zu- und Abneigungen und die Welt der Töne und Farben häufen nur Reisig auf in ihrem Innern. Diese ledernen Helme und Mützen mit Federbüschen, all die Orden und Ehrenzeichen und die langen Schärpen dienen nur dazu, ihre Äußerungen zu binden. Innerlich sind sie vollgestopft mit Reisig, und äußerlich sind sie gefesselt mit doppelten Stricken und Banden, und da blicken sie befriedigt und ruhig aus ihren Stricken und Banden heraus um sich und meinen, sie haben's erreicht. Dann können die Verbrecher, denen die Arme verschränkt sind und Daumenschrauben angelegt, oder Tiger und Panther in Sack und Käfig auch denken, sie haben's erreicht.

aus: "Dschuang Dsi: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland", Buch 12, Nr. 15;  Übersetzer: Richard Wilhelm






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