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LESERBRIEFE AN DIE ZEIT

Herrn 
Maxim Biller
c/o Verlag DIE ZEIT
Zeitmagazin: Die jungen Deutschen

16. Oktober 1998


Betrifft: Zum Totlachen, Zeitmagazin vom 15.10.1998
 

Sehr geehrter Herr Biller,
ich freue mich über Ihre Phillipika gegen die „Totschlagargumente“, mit denen ich als „gute Deutsche“ (ich hoffe, Sie lesen auch das Grinsen, mit dem ich diese Worte schreibe) von klein auf kräftig genährt worden bin und die ich selbst weidlich benutzt habe. Ich gestehe es. Ich hatte in der Schule und zuhause gelernt, feierlich des Aufstands gegen Hitler zu gedenken - und fragte mich in den 50er und 60er Jahren, wieso niemand Ulbricht abknallte und mit dem „DDR“-Diktator Schluß machte. Später fand ich, konnten Kommunisten bzw. Neufaschos ruhig auswandern, wenn ihnen die demokratische Bundesrepublik nicht gefiel. Ich erinnere mich an brüllende Auseinandersetzungen mit SDS-Genossen, für die ich eine bürgerlich-naive Reaktionärin war.

Aber eine gewisse Lernfähigkeit und Bereitschaft zur Toleranz sollten Sie den Deutschen doch zutrauen. Und noch etwas: In welche Kategorie fallen denn bei Ihnen die jüdischen und jesuitischen Deutschen? Aber zurück zum Thema: Mit ein bißchen Liebe und Geduld kann man auch argumentieren, ohne gleich aus der jüdischen oder jesuitischen (oder sokratischen, kantischen, schopenhauerschen, nietzeanischen, macchiavellistischen oder wie bei mir: der juristischen) Ecke zu kommen. Allerdings sind die Auseinandersetzungen auf dieser Ebene bei den Medien nicht sehr beliebt (es fliegen nicht genug Fetzen) und werden darum nicht gedruckt.

Ich hatte im Frühjahr eine eMail-Diskussion mit einem jungen muslimischen Fundamentalisten, der mich anfänglich attackierte, weil ich in meinem Gedicht „Gottes Lästerer“ Salman Rushdie und Taslima Nasrin verteidigte, auf die er alle Strafen Gottes herab-beschwor. Nun, wir wechselten ziemlich offene, nichts beschönigende eMails, die ich (anfangs aus Schutzgründen) auf meiner Homepage veröffentlichte, später auch mit Erlaubnis Khalil AbdelKarims. Daraus ist inzwischen eine persönliche, herzliche Korrespon-denz geworden, bei der jeder die Position des anderen respektiert. Ich lege Ihnen die Kopien der drei im Internet veröffentlichten eMail-Folgen bei.

Ich hatte diesen Briefwechsel der ZEIT zum Abdruck angeboten, fand aber kein Interesse. So behaupten halt die geistigen Totschläger in der Öffentlichkeit das Sagen. Oder gefällt Ihnen das sogar, weil Sie dann so schön gegen die dummen, plumpen Mörderdeutschen polemisieren können?

Es würde mich jedenfalls freuen, wenn Sie auch Sie einige Lern- und Verständigungs-bereitschaft zeigten (eine angeblich sehr jüdische Eigenschaft, die ich mir aber auch zuschreibe) und einen Blick in den eMailwechsel und vielleicht auch in meinen Roman „Mirjam. Maria Magdalena und Jesus“ werfen würden, der sich intensiv - und hoffentlich nicht im Totschlägergeist - mit Religion, Spiritualität und Vorurteilen aller Art auseinandersetzt. Ein Besprechungsexemplar kann ich Ihnen gerne zukommen lassen. Im dtv-Band „Sommerfest“ von 1993 finden sich übrigens Beiträge (allerdings sehr unterschiedlichen Charakters) von uns beiden!

Ich fände es schön, wenn aus dem gegenseitigen sich Totlachen ein gemeinsames, befreiendes Gelächter werden könnte.
 

Mit freundlichen Grüßen,
Regina Berlinghof
 


 
 
 
 
 
 
 
 


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