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LESERBRIEFE AN DIE ZEIT
 

An
DIE ZEIT
Redaktion Leserbriefe
Als email am 30.7.00 gesendet

Sehr geehrte Damen und Herren,

Zu Ihrem Artikel "Werdet Christen" - zur Neuauflage von G.K. Chestertons Buch "Orthodoxie" von Albert C. Sellner, ZEIT vom 27.7.2000

Sie schreiben: "G.K. [Chesterton] war ein überzeugter Demokrat und hielt die christliche Lehre von der Erbsünde für das stärkste Argument, allen Mächtigen und Reichen zu misstrauen. "Das Christentum predigt eine gar nicht verlockende Idee wie die Erbsünde; schauen wir jedoch nach, was aus ihr folgt, so sind es Mitleiden und Brudersinn und markerschütterndes Lachen und Erbarmen: denn nur dank der Erbsünde können wir gleichermaßen Mitleid mit dem Bettler und Mißtrauen gegen den König empfinden."

Dieses ist eines der abstrusesten Argumente zur Verteidigung der Erbsünde. Als ob Buddha nicht längst vor dem Christentum Mitleiden gelehrt hätte. Nicht nur gegenüber dem Menschen, sondern gegenüber jedem Wesen, also auch gegenüber den Tieren. Und der Islam lehrt Allahs Barmherzigkeit und verlangt Barmherzigkeit auch von seinen Anhängern.

Woran aber Chestertons Argument wirklich krankt, ist sein Abhängigmachen eines Gefühls von der Idee. Insofern zutiefst westlich gefühlsamputiert und ganz in der Nähe von Descartes für den die Schreie von Tieren bei einer Vivisektion nicht Ausdruck von Leiden waren, sondern Geräusche wie von einer quietschenden Tür. Empfinden wir Mitleid tatsächlich erst, wenn wir uns die Idee der Erbsünde bewußt gemacht haben? Dann wäre also die nicht-christliche Welt einschließlich der modernen Atheisten mitleidslos. Und das Mißtrauen gegen die Reichen und Mächtigen? Dazu brauchen wir keine Erbsünde, sondern praktischen Realitätssinn im Umgang mit fremdem und auch eigenen Egoismus. 

Wo zeigte sich denn das spezifisch christliche Erbarmen bei den Kreuzzügen, bei der Eroberung fremder Kolonien, bei der Sklavenhaltung, bei der Inquisition, bei den Hexenverbrennungen und bei den Tierversuchen? Geduckte Menschen, die sich selbst für schlecht und nicht geliebt halten, werden andere - allein schon aus Neid - wiederum ducken und erniedrigen.

Menschen, die nicht mehr zu unmittelbaren Gefühlen fähig sind, sondern diese erst aus einer Idee ableiten, suchen dann leicht ihr Heil bei Institutionen, die ihnen Gefühlswärme per Idee versprechen. Der Preis: zusätzlich das Sacrificium Intellectus, die Opferung des Verstandes. Ein speziell katholisches Phänomen, dem auch Chesterton Tribut zollte, als er sich in die mütterlichen Arme der katholischen Kirche warf. 

Religion aber verlangt nicht die Opferung des Verstandes, ebensowenig die Opferung von Söhnen oder Töchtern à la Moloch oder dem Gott der Christenbibel, der seinen "eingeborenen Sohn" am Kreuz "für die Menscheit" opfern ließ. Als spirituelle, eigene lebendige Erfahrung macht sie aber die Grenzen von Denken und Intellekt deutlich. Das ist ein gewaltiger Unterschied!

Mit freundlichen Grüßen,
Regina Berlinghof 


 
 
 
 
 
 
 
 


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