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LESERBRIEFE AN DIE ZEIT
Verlag DIE ZEIT
Redaktion Feuilleton
22. Januar 2001
Betrifft: "Der Gottesstaat schlägt
zurück"
DIE ZEIT, 18.1.2001, S. 6
Sehr geehrte Damen und Herren,
es
ist wirklich erschreckend, die Entwicklung im Iran zu verfolgen, wo die
fundamentalistischen Mullahs wieder die Oberhand gewinnen und mit
willkürlichen Verhaftungen und Unrechtsurteilen die Menschen
und Menschenrechte mit den Füßen treten. Daher ist
es
dankenswert und wichtig, daß Sie so ausführlich darüber berichten.
Es hat mich gefreut, daß Sie dabei Hafis erwähnt
haben, dem Goethe in seinem Westöstlichen Divan huldigte und
den er auf diese Weise erst einem größeren Publikum
im deutschsprachigen Raum bekannt machte. Goethe liebte Hafis nicht nur
wegen seiner Liebes- und Weingedichte, sondern auch weil er aus einer
tiefen und freien Religiosität heraus gegen die
buchstabenfrommen Fundamentalisten seiner Zeit
(14. Jahrhundert!) mit leichter Feder anschrieb.
(ich zitiere nach der ersten deutschen Gesamtausgabe durch Joseph von
Hammer, 1812/13, 1999 nachgedruckt in meinem YinYang Media Verlag,
Kelkheim)
Die Priester (Mullahs), die mit Stuhl und Pult,
in Kirchen gar so heilig tun,
Sie werden in der Einsamkeit
das Gegenteil desselben tun.
Ich habe einen Zweifel, frag
den Weisen der Gemeind darum,
Warum die Buße-Prediger
Denn selbst so wenig Buße tun?
Nach allem Anschein glauben sie
Nicht an die Stunde des Gerichts,
Weil sie mit Trug und Gleißnerei
soviel des Ärgernisses tun.
Geleite diese Zunft, o Herr!
Zu ihrem Eselsstall zurück!
Ihr Übermut rührt bloß daher,
Weil sie mit Striegeln nichts zu tun.
Hafis, Band I, 233
Du frommer Mann, verlästre nicht die Trinker,
Man schreibt die fremden Sünden nicht auf dich.
Ich sei nun böse oder gut. Sei ruhig,
ein jeder erntet ein, was er gesät
Auf Gottes Gnade laß mich nicht verzweifeln,
was weißt du, wer verdammt, wer selig wird?
Band I, 103
Da mich der Herr zum Trunke bestimmt hat,
Sag, Frommer, hab ich hiervon die Schuld?
...
Als in den Schenken mir mein Wille ward,
Da dünkte Schul' und Kloster mir gleich schwarz.
Ich bettle nicht an jedem Tor, Hafis,
Denn du gelangest nur durch Gott zum Ziel.
Band II, 350
Wem ein Glas voll rothen Weins
Morgens ward gegeben,
Ward ein Platz im Heiligthum
Bey dem Herrn gegeben.
Sey kein Frömmling, schaue nicht
viel um her auf Trunk'ne
Ihnen war am Loosetag
Liebeshang gegeben.
Schenke bring den Rosenwein
Der nach Moschus duftet,
Weil die Überweisen mir
So viel Ärger geben.
Wahrlich! nicht verkostet hat
Vom Genuß des Lebens,
Welchem die Verheißung auf
Morgen ward gegeben.
Gerne tut Hafis Verzicht
auf die Paradiese,
Wird ihm deines Heiligtums
Hochgenuß gegeben
Hafis, Band I, 426
Wollte wegen jeder Sünde
Gott der Herr den Sünder greifen.
Oh da würde Weh und Klagen
Eine ganze Welt ergreifen.
Band I, 434
Die Überfrommen feindeten Hafis nicht nur zu seinen
Lebzeiten an, sondern versuchten noch im 16. Jahrhundert eine Fatwa
gegen seine lästerlichen Gedichte zu erwirken. Aber auch der
Richter Ebusuud war bezwungen von der Schönheit, Leichtigkeit
und Reinheit der Hafisschen Verse. In seinem Rechtsgutachten entschied
er weiser als manch Heutiger:
"Die Gedichte Hafisens enthalten viele ausgemachte und
unumstößliche Wahrheiten, aber hie und da finden
sich auch Kleinigkeiten, die wirklich außer den Grenzen des
Gesetzes liegen. Das sicherste ist, diese Verse wohl voneinander zu
unterscheiden, Schlangengift nicht für Theriak anzunehmen,
sich nur der reinen Wollust guter Handlungen zu überlassen,
und vor jener, welche ewige Pein nach sich zieht, zu verwahren. Dies
schrieb der arme Ebusuud, dem Gott seine Sünden verzeihen
wolle."
(aus der Vorrede zum "Diwan" des Hafis in der Übersetzung von Josef von
Hammer-Purgstall, erste deutsche Gesamtausgabe 1812/1813.)
Mehr zu Hafis finden Sie auf der Verlagshomepage: www.yinyang-verlag.de
Es ist mir klar, daß in einem Leserbrief nicht alle Gedichte abgedruckt
werden können. Nehmen Sie zur Auswahl, was Ihnen zusagt.
Mit freundlichen Grüßen, Regina Berlinghof
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