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LESERBRIEFE AN DIE ZEIT Verlag DIE ZEIT
2. Januar 2007
Zu Ihrem Artikel vom
20.12.06 - „Die sanfte Weltmacht“ von Bernd Ullrich
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn der Wolf Kreide gefressen hat und mit weicher Stimme spricht, glaubt man ihm nur allzu gerne, daß aus dem Raubtier ein sanftes Wesen geworden ist. Die katholische Kirche, die laut Bernd Ullrich mit Ratzinger das „Unfehlbarkeitsdogma praktisch abgeschafft hat“ und neuerdings den Dialekt der Vernunft spricht, soll also die neue sanfte Weltmacht werden, die gegenüber dem reinen Ökonomismus und Machtdenken der übrigen global player moralische Glaubwürdigkeit verkörpert. In seinem Artikel spricht er zwar auch die „dunklen Seiten“ der katholischen Kirche an, ihre generelle Sexualfeindlichkeit, den Zölibat, ihre Verurteilung der Homosexualität und der Abtreibung. Aber in die tiefsten Schatten der Kirche hat er nicht hineingeleuchtet. Ich meine die innere hierarchische Struktur der Kirche, die auf dem absoluten Gehorsam des Klerus und der Gläubigen basiert. Nach wie vor gilt das mittelalterliche Recht des Corpus iuris canonici (CIC), nach dem „die Kleriker in besonderer Weise verpflichtet sind, dem Papst und ihrem Ordinarius Ehrfurcht und Gehorsam zu erweisen“ (Can. 273) und: „religiöser Verstandes- und Willensgehorsam ist einer Lehre entgegenzubringen, die der Papst oder das Bischofskollegium in Glaubens- oder Sittenfragen verkündigen, wann immer sie ihr authentisches Lehramt ausüben, auch wenn sie diese Lehre nicht definitiv als verpflichtend zu verkünden beabsichtigen; die Gläubigen müssen also sorgsam meiden, was ihr nicht entspricht.“ (Can. 752). Selbst die besten Köpfe der katholischen Kirche werden gezwungen, ihren Geist, ihren Verstand in demütigem Gehorsam zu kastrieren, denn „[Diejenigen], die sich theologischen Wissenschaften widmen, besitzen die gebührende Freiheit der Forschung und der klugen Meinungsäußerung in den Bereichen, in denen sie über Sachkenntnis verfügen, dabei ist der schuldige Gehorsam gegenüber dem Lehramt der Kirche zu wahren.“ (Can. 218). Auch wenn heutzutage Häretiker und eigenständig denkende Katholiken nicht mehr auf dem Scheiterhaufen landen, so benutzt die Kirche in der Praxis alle Mittel, die ihr noch zur Verfügung stehen, um den „schuldigen Gehorsam“ einzufordern bzw. rebellische schwarze Schafe mundtot zu machen. Man braucht nur die Schriften und Zeugnisse prominenter und weniger prominenter Kirchenkritiker zu lesen, die mit Prozeßlawinen, Drohungen, und Verleumdungen in ihrer psychischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz bedroht wurden und werden, ganz ähnlich wie Putinkritiker durch Gasprom. Hubertus Mynarek, Karlheinz Deschner, Eugen Drewermann seien nur als Beispiele genannt, dazu viele unbekannte Pfarrer, Mönche und Nonnen, für die stellvertretend der suspendierte Pfarrer Willi Glas stehen soll. Leider hat die junge Bundesrepublik das Konkordat von 1933(!) mit der katholischen Kirche erneuert, wonach sich der Staat nicht in „innerkirchliche Angelegenheiten“ einmischen darf. Die Angehörigen der Kirche leben damit noch heute in einem vordemokratischen Rechtsraum, in dem sie nicht einmal die grundlegendsten Menschenrechte wie Meinungsfreiheit oder die ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit für sich beanspruchen dürfen. Solange die katholische Kirche in ihrer inneren Verfaßtheit und Praxis auf die Menschenrechte pfeift, mag sie Vernunft predigen und auf die Beachtung der Menschenwürde von anderen pochen. Ein Beispiel für Glaubwürdigkeit oder gar moralisches Vorbild kann sie nicht sein. Ich finde es erstaunlich, daß ein liberales und der Aufklärung verpflichtetes Blatt wie die ZEIT sich von sanften Worten einlullen läßt und die ganz gegenteilige innerkirchliche Organisationsstruktur und Praxis völlig ausblendet. Mit freundlichen Grüßen, Regina Berlinghof
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