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LESERBRIEF AN DIE FRANKFURTER NEUE PRESSE, gekürzt abgedruckt am 11. Juni 2005
 

10. Juni 2005  


Aus für Orientalistik und Judaistik in Frankfurt?  


Sehr geehrte Damen und Herren,

noch kein Jahr ist verstrichen, seitdem die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth und der hessische Ministerpräsident Roland Koch in noblen Reden auf der Frankfurter Buchmesse die Internationalität Frankfurts heraushoben, „die die Messestadt zum richtigen Standort für geistiges Ringen mache, an dem sich nicht nur die Buchbranche austausche.“ Ehrengast der letzten Buchmesse waren die arabischen Länder.
Offensichtlich erschöpfte sich aber das geistige und kulturelle Ringen der beiden Politiker im Halten ihrer Reden, denn für die Basis zur Auseinandersetzung und zum Austausch mit dem Orient haben sie kein Geld mehr. Das Institut für Orientalistik, ebenso wie die Institute für Turkologie und Judaistik der Universität Frankfurt sollen geschlossen und in Marburg mit dem dortigen Seminar für Semitistik zusammengelegt werden.
Wie soll ein fundierter Austausch geschehen, wenn nicht durch das Erlernen der Sprachen, das Studium der Literatur, das Verständnis der Medienberichte im Original, egal ob in einer Zeitung, im Fernsehen und Radio oder im Internet? Was darf man noch von der „Internationalität der Messestadt Frankfurt“ halten, wenn ausgerechnet in dieser Stadt die Ausbildung und Forschung orientalischer Sprachen gestrichen und die dazu gehörenden Bibliotheken geschlossen werden? Brauchen die Banken und internationalen Firmen in Frankfurt etwa keine arabisch, persisch, türkisch und hebräisch sprechenden Mitarbeiter? Und auf welcher Grundlage soll das kulturelle und geistige Ringen stattfinden – über Comicbilder etwa? Aber selbst die brauchen zum Verständnis noch Sprechblasen.
Frankfurt hat die größte jüdische Gemeinde Hessens, aber das Studium der Judaistik soll hier nicht mehr möglich sein. Wie sollen Juden und Nichtjuden in und um Frankfurt die jüdische und Kultur und Religion, die Sprache des alten und modernen Israels kennen- und verstehenlernen, wenn es hierfür keinen Ort mehr gibt?
Offensichtlich halten die hiesigen Politiker, darunter auch der Hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Udo Corts (ehemaliger Stadtrat in Frankfurt und Vorsitzender der Frankfurter CDU!), das Studium orientalischer Sprachen immer noch für ein Orchideenfach: schön, teuer und nutzlos, aber bestenfalls einmal im Jahr als schöne Dekoration zum Vorzeigen geeignet (siehe Reden zur Frankfurter Buchmesse).
Noch einiges persönliches: Nach meinem Kibbuzaufenthalt vor über dreißig Jahren hatte ich das Glück, während meiner Jurareferendarzeit in Frankfurt die im Kibbuz angefangenen Hebräischstudien am Frankfurter Institut für Judaistik fortsetzen zu können und dazu auch noch Arabisch am Institut für Orientalistik zu lernen. Ich liebte den Orient und wollte einfach mit den Menschen dieser Länder direkt sprechen können. Meine Studien verhalfen mir zur Wahlpflichtstation bei einem israelischen Anwalt in Jerusalem und zu einem Jura-Forschungsstipendium des DAAD in Kairo nach dem zweiten Staatsexamen. Auch wenn ich später nicht als Juristin arbeitete: als Schriftstellerin, Herausgeberin und Verlegerin konnte ich bei Recherchearbeiten in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Bibliotheken der Institute zurückgreifen. Und wenn ich einmal nicht weiterkam, zeigten sich die Mitarbeiter ausgesprochen hilfsbereit. Ein Nutzen, den die Zahlen der Uni-Statistiken überhaupt nicht wiedergeben können.
Als ich vor einer Woche für neuerliche Recherchearbeiten die Dantestraße aufsuchte, erfuhr ich – zunächst ungläubig, dann immer entsetzter – von der geplanten Schließung. Die Mitarbeiter hatte man übrigens am Tag vor Fronleichnam per Aushang einer bereits im Internet veröffentlichten Presseerklärung in Kenntnis gesetzt. Man wollte sich wohl das geistige Ringen mit den Lehrkräften und Studenten ersparen.

Nichts gegen Marburg. Aber wissen die verantwortlichen Politiker überhaupt, was sie tun, wenn sie die Stadt Frankfurt und die Rhein-Main-Region solcher „Orchideenfächer berauben? Aber Politiker scheinen ja immer erst aufzuwachen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Was man hat, schätzt man gering – bis es nicht mehr da ist. Bei der Verlegung der Buchmesse nach München merkte man auch erst in letzter Minute, welch ein Verlust an Internationalität, Kultur und Wirtschaftsmacht Frankfurt erleiden würde. Ich kann nur hoffen, daß man in Sachen Orient- und Judaistikstudien an der Frankfurter Universität ebenfalls bald die Augen aufmacht!


Mit freundlichen Grüßen,
Regina Berlinghof

siehe auch der Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Juni 2005

 

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