KundryNachdem sie ihre Liebe genossen hatte, verwandelten sich ihre Liebhaber in Morgenröcke. Karlas Kollektion von Morgenröcken war berühmt. Einmal im Jahr, wenn sie eine Führung veranstaltete, durfte die staunende Öffentlichkeit einen Blick darauf werfen. Jedes Stück ein kostbares Unikat - man bewunderte sie und betrauerte die Männer, die Körper, Geist und Seele gelassen hatten, um von ihr in einen Morgenrock verwandelt zu werden. Aber es fehlte nicht an Nachschub. Gab es eine hübschere, bezauberndere Frau als Karla? Ihre Gefährlichkeit erhöhte ihre ohnehin vorhandenen Reize ins Unermeßliche. Kann man den Motten die Sonne verbieten und der Sonne das Scheinen? Junge, Alte, Häßliche und Schöne, Sportliche und Stubenhocker umwarben sie, umschlichen ihr Haus, rissen sich um einen Tanz mit ihr - und warteten nur darauf, von ihr ins Bett geführt zu werden. Es war ihr Geheimnis, die Gefahr, die lockte. Und die Männer fühlten sich wie die ersten Pioniere. Wie die großen Erfinder aller Zeiten waren sie davon überzeugt, daß sie das Geheimnis lüften und die schöne Karla von ihren Fluch erlösen würden. Die bereits verwandelten Morgenröcke - Versager allesamt - würden sie großzügigerweise auch aus ihrer Verzauberung befreien. Nach der liebenden Vereinigung hängte eine seufzend weinende Karla einen weiteren Morgenrock auf einen neuen Bügel, umschritt wehklagend das neue Kunstwerk und musterte aufmerksam Stoff, Schnitt und Farben. Die Wissenschaft kam nicht umhin, sich dem Problem zu stellen. Die Medien schrien nach einer Erklärung, und die Naturwissenschaftler - verlegen, weil sie keine Erklärung hatten - verwiesen an die Nachbardisziplinen. Der schwarze Peter blieb an den Psychologen hängen. Die Psychologen waren nicht dumm und schickten ihre weibliche KoryphäIn an die Front. Sie waren froh, die Pforten ihrer Wissenschaft der Emanzipation rechtzeitig geöffnet zu haben. Karla ihrerseits war dankbar, daß sie gerettet werden sollte, und hielt sich pünktlich an den Termin um 16.00 in der Praxis von Frau Professor Dr. Dr. Rita Rund-Müde. Eine große vollbusige Frau mit grauen Haaren empfing sie freundlich. Karla fühlte sich geborgen. "Nun erzählen Sie bitte ausführlich, wann das Phänomen zum ersten Mal aufgetreten ist," fragte Frau Rund-Müde ihre Patientin, nachdem sie Karlas Personalien und wichtige Erlebnisse aus der Kindheit auf der Karteikarte festgehalten hatte. Karla schaute sie mit großen runden Augen an. "Wann ist es denn das erste Mal passiert, daß ein Mann in einen Morgenrock verwandelt wurde?" wiederholte Frau Rund-Müde ihre Frage. "Oh, das meinen Sie! Es war, als ich zum ersten Mal so richtig verliebt war. Wir beide waren furchtbar verliebt. Aber wir hatten noch nie..." "Ich verstehe." Frau Rund-Müde gab positives Feedback. "Wir waren allein in der Wohnung meiner Eltern - sie waren übers Wochenende verreist - und wir wollten es tun. Wir wollten es beide! Und dann - " "Und dann?" "Und dann - ach, er war so süß! Bernard sagte, er wollte mir die Welt zu Füßen legen. Er wollte mir jeden Wunsch erfüllen! Und er fragte mich ganz ernsthaft! Und ich war so glücklich mit ihm, daß mir gar nichts einfiel, was ich mir wünschen könnte. Aber er bestand darauf, mir ein Geschenk zu machen. Er wurde fast ärgerlich, als mir nichts einfiel! Ich war völlig verwirrt und wollte ihn doch nicht kränken. Er war so lieb! Ich wollte Zeit gewinnen und lief ins Bad. Da sah ich meinen Morgenrock - und mir fiel mit Schrecken ein, daß ein Knopf daran fehlte. Wenn wir danach - ich meine wenn wir danach - ... ich wollte doch danach meinen Morgenrock anziehen - und dann fehlte dieser Knopf! Plötzlich wußte ich, was er mir schenken sollte. Ich lief zu ihm zurück und sagte ihm, daß ich mir von ihm einen neuen Morgenrock wünschte. "Ich will Dein Morgenrock sein," sagte er da und nahm mich in die Arme. Ich kann mich an die Worte noch ganz genau erinnern. Und dann schliefen wir miteinander - und dann, dann... dann hatte ich einen Morgenrock an - und er war der Morgenrock!"
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