zurück zur Homepage
 

weiter
zurück

zurück

Show Low - Sedona - Grand Canyon, Arizona

Montag, 19. Juni 2000,  16.00 Uhr, Sedona, Red Rock State Park

Am Morgen holte mich Moylen ab. Sein Enkel saß neben ihm. Sie fuhren vor mir her nach Show Low. Am Ende einer kleinen Seitenstraße lag die Farm. Zwei Pferde warteten angebunden. Weiter oberhalb lag der See. Alles sehr einfach. Moylen holte aus einem Geräteschuppen Kajaks, während sein Enkel die Pferde zäumte. Ein zorniger Elf- oder Zwölfjähriger, der stumm und verbissen den Pferden seinen Willen aufzuzwingen versuchte. Ich weiß nicht, warum er so wütend war. Vielleicht störte ihn nur mein Dabeisein. Als er eines der Pferde schlug, schrie ich unwillkürlich auf. Aber wenn ich ihm jetzt Vorwürfe machte, würde er seine Wut nur an den Pferden auslassen, nicht an dem Gast seines freundlichen Großvaters. Außerdem: es stand mir nicht zu, ihn zu erziehen. So bat ich ihn nur freundlich, "gentle" zu den Tieren zu sein. Die Lust zum Reiten war dahin. Ich machte ein paar Fotos von den beiden, fragte nach Joy - und Moylen brachte mich zu seiner Frau.  Joy ist eine Biologin - hat sich auf Kräuter spezialisiert und versendet sie in ganz Arizona. Neben dem Wohnzimmer ist ein Raum zur Straße vollgestopft mit Kräuterpillen und Dosen. Ich entdecke Dai  Qwon (Dong? - Ich habe die Packung nicht mehr) - es soll das Pendant zu Tai Ginseng für Frauen sein. Ich kaufe ihr eine Packung ab, nehme die Kapseln mit den Vitamin- und Mineralientabletten. Spüre aber nichts. Vermutlich brauche ich die Frauentabletten überhaupt nicht. Moylen gibt mir noch einen Geschichtenband, den er geschrieben hat. Ich mache Fotos von den beiden und fahre los. 
Es wurde eine lange Fahrt wieder zurück nach Westen - nur weiter nördlich. Die Straße über Heber führt durch hohe Berge und Pinienwälder. Alle naslang kommt ein Schild "Look for elks". Ich sehe keine Elche, - auch keine Wapitis, die sich hinter der amerikanischen Bezeichnung für "elk" verbergen. Die echten Elche heißen "moose". So fotografiere ich stattdessen eines dieser Schilder. Ab und an gibt einen Ausblick in weite Täler. Hier ist es grün - wie in einer waldbewachsenen deutschen Mittelgebirgslandschaft. Nur daß die Bäume hier keine Tannen und Fichten, sondern rote Pinien sind. Es ist ziemlich kühl und bleibt es auch: der Himmel ist bewölkt. Die Monsunzeit, die typischerweise im Juli/August kommt, hat schon begonnen. Gestern im felsigen Apachenland sah ich auch Schilder: Look for rocks. Und die Schriftstellerin liest: "Look for books"! Freud hätte seine helle Freude daran gehabt. 

Jetzt verstehe ich, warum die Leute von Sedona schwärmen. Ich kam von Süden, fuhr durch ein breites und langes Tal - und am Ende reckte sich eine Kette von leuchtend roten Felsen gegen den Horizont. Die Straße führte direkt darauf zu. Noch vor dem Ort liegt der Red Rock State Park. Ich bin hineingefahren, habe den Visitor Center besucht und bin - immer mit Blick auf die roten Sandsteinfelsen - hinunter zum Oak Creek gegangen. Kleine, geländerlose Holzstege führen über den Bach. Im Bachbett wachsen Sykomoren, Gräser und Schilf. Die hellen, zarten Blätter rascheln im Wind. Sie erinnern mich an Bambus. Nach der gewaltigen roten Felsenlandschaft finde ich mich plötzlich in einem lauschigen, ja heimeligen Plätzchen. Man wechselt zwischen den Landschaftstypen so unvermittelt, als beträte man mit einem Schritt einen anderen Kontinent. Dicke dunkle Gewitterwolken rücken heran. Ich kann nicht den ganzen Rundweg am Creek entlanggehen. Im Gewitter möchte ich nicht gerade unter Bäumen sein. 

Sedona ist eine richtige Stadt. Auch im europäischen Sinn. Nicht nur eine Hauptstraße mit Shopping Centers, Tankstellen, FastFood Ketten und den riesigen Reklametafeln. Es gibt rote Steinhäuser, kleine Geschäfte zum Bummeln an der Hauptstraße. Aber es sind die fehlenden Reklametafeln, die Sedona so menschlich oder so "vertraut" städtisch machen. Nach Show Low fallen mir jetzt weitere Namensmerkwürdigkeiten auf: "Fifth Third Bank", "Coffeepot Avenue" und "Matterhorn Shopper" gegenüber den grandiosen roten Felsen, die in so gar nichts an das spitzige Matterhorn erinnern. Jedenfalls haben die Amerikaner Mut zu originellen Namen - und dazu zu stehen. 

Im Oak Creek Canyon auf der Fahrt zum Grand Canyon geht es zügig bergauf. Die roten Felsen werden von Bäumen überdeckt. Nur auf der anderen Seite der Schlucht stehen sie noch frei. An der Brücke über den Canyon gibt es einen dramatischen Blick in die Felsenschlucht - zurück nach Sedona. Unten der Oak Creek, der Wasser führt. Dann schließt der Wald die Straße ein. Zwischendurch Zugangsstellen zum Wasser. Haarnadelkurven führen den Berg hinauf, immer wieder neue Aussichten in die Schlucht, nur kann man nicht halten. Erst ganz oben gibt es einen Parkplatz mit Aussichtspunkt. Zum ersten Mal sehe ich wieder die Tische der Navajos mit ihren Schmuckauslagen und den Töpferwaren. Da liegen sie, die vertrauten Silberketten (oder Nichtsilberketten) mit den aufgefädelten Muschelstückchen, den Dreamcatchern als Anhänger. Ich suche nach einer Kette aus den blau-grün gesprenkelten Steinen (Ashurite erfahre ich später) als Ersatz für eine Kette, die mir kaputt gegangen ist. Es gibt nur wenige Ketten aus diesem Stein - und wenn, dann ohne den filigranen Dreamcatcher. Dafür sehe ich auf einmal viele Anhänger mit dem kleinen Vogel, den ich von der Reise vor vier Jahren her kenne. Vor zwei Jahren suchte ich danach (auch Ersatz für eine zerbrochene Kette) und fand sie nicht. Auch die Navajoketten sind also der Mode unterworfen. Die Kette, die ich suche, finde ich auch dieses Jahr nicht - dafür viele andere, wunderschöne. Einige für mich, andere als Mitbringsel. 

Vor Flagstaff wird die Straße wieder vertraut. Ich erinnere mich sogar an die Straßenführung zum Canyon. Links Abbiegen. Dann wieder das Schild: Palm reading. Vor vier Jahren war ich - obwohl neugierig - vorübergefahren.  Auch dieses Mal. Immer der Zweifel: sind diese Leute echt oder nur Geldmacher? Der Zweifel überwog immer. Dann die Strecke nahe dem verbrannten Wald. Auch hier sieht man Spuren vom Waldbrand: aufgestapeltes Holz, schwarze Baumstämme, gelichtete Waldungen. Aber es hat wieder gegrünt! Die Natur, das Leben ist viel stärker als Tod und Vernichtung. Die Sonne sinkt immer tiefer. Ich möchte aber den Sonnenuntergang am Grand Canyon erleben. Die Straße ist jetzt leer, ich trete aufs Gaspedal. Entweder sind die Touristen jetzt im Grand Canyon zum Übernachten geblieben, oder sie sind zur nächsten Sehenswürdigkeit und zu einem anderen Ort zum Übernachten weitergefahren. Nach dem Passieren des Pförtnerhäuschens fahre ich an den ersten Abzweigen zu Aussichtspunkten vorbei. Ich fahre zum Campground ins Village, wo schon eine lange Autoschlange wartet. Wider besseres Wissen reihe ich mich ein, hoffe noch auf ein Wunder oder ein bißchen Glück. Der Ranger aber verweist mich auf die Tatsachen: am Morgen um zehn waren die wenigen frei gewordenen Campingplätze schon wieder vergeben. Er gibt allen den Tip, zurück zum 10-Ex Campground zu fahren. Der sei groß und habe genug Platz. Aber erst will ich noch meinen Sonnenuntergang sehen. Ich gehe zum Aussichtspunkt vom Village. Die Sonne ist schon untergegangen. Zu spät. Frustriert und müde fahre ich die 10 Meilen zurück, gerate in die Dunkelheit. Einen wilden Übernachtungsplatz kann ich jetzt nicht ausspähen. Außerdem ist zuviel Verkehr, um langsam zu fahren und zu schauen. Als ich den Campground erreiche, ist es schon dunkel. Ich kurve durch die Loops, sehe kaum etwas. Alles belegt, fahre immer weiter. Schließlich scheint es einen freien Platz zu geben. Ich halte, steige aus, leuchte mit der Taschenlampe, um den Platz besser zu besehen. Ist das nun ein Stellplatz oder nicht? Es ist einer, und er ist frei. Das Auto bleibt an der Straße stehen, der Zeltplatz ist fünf Meter von der Straße entfernt - mitten im Wald. Wunderschön. Ein Vater mit Sohn vom Nachbarplatz kommen, bieten mir ihre Hilfe und eine Kerosinlampe an. Ich brauche sie nicht. Die Taschenlampe reicht mir. Mein Lager ist sowieso schnell aufgeschlagen. Ich bin zu müde, um zu essen. Schlafe schnell ein. Aber noch mitten in der Nacht werde ich wieder wach. Nicht nur, weil noch Camper kommen und nach einer Schlafstelle suchen, sondern am frühen Morgen, weil es so kalt ist. Die Hochebene vom Grand Canyon liegt über 2000 Meter hoch. Der Schlafsack sollte bis 7° Celsius isolieren. Aber der kalte Wind bläst hinein. Ich gebe auf, verkrieche mich auf die Rückbank im Auto, lasse nur die Fenster nur einen Schlitz weit auf, schlafe dann im Warmen halbwegs ein. 
Um fünf bin ich wieder wach. Es dämmert schon. Ich ziehe mir schnell warme Sachen über, fahre los. Wenigstens den Sonnenaufgang am Grand Canyon will ich nicht versäumen. 
 

zurück


zurück zur Homepage
(c) Copyright Regina Berlinghof, eMail:
mail@regina-berlinghof.de
weiter
zurück