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Los Angeles - Joshua Tree Nationalpark, California Donnerstag, 15. Juni 2000, 16.10 Uhr Joshua National Park, Hidden Valley, unter einem Baum Als ich mein Gepäck im Kofferraum verstaut habe, steht frau vor dem Rätsel, wie die Kofferraumtür wieder zu verschließen ist. Bei Dollar gestern abend hatte mir ein Mitarbeiter die Sachen ins Auto gestellt und die Tür verschlossen. Und frau hatte sich nichts besonderes dabei gedacht. Jetzt sperrt die Tür, auf deren Rückseite der Reservereif hängt. Frau sucht und sucht - bis sie einen zusätzlichen Hebel findet, den sie nach oben stellen muß. Dann läßt sich die Tür problemlos verschließen. Innen auf der Fensterablage ist eine Warnung aufgeklebt: Vorsicht, das Auto ist anfällig gegen Seitenwind. Das gibt den Ausschlag. Ich bringe das Auto zurück wie geplant. Zwischendurch war ich schon versucht, den hohen Sitz, den guten Blick zu behalten. Aber ich bin Servolenkung nicht gewohnt. Und bei den letzten Malen hat mir starker Seitenwind das Steuer selbst von einer Limousine fast herumgerissen. Und ich überzog dann beim Gegenlenken, so daß ich auf der Gegenfahrbahn landete - zum Glück ohne Gegenverkehr. Bei Dollar komme ich mit dem Angestellten Amir, einem Perser, ins Gespräch. Über Hafis natürlich, meinen persischen Lieblingsdichter. Es funktioniert wie ein Lackmustest: Nenne bei einem Orientalen den Namen "Hafis", und seine Augen werden aufleuchten, und wir kommen über den Dichter aus dem 14. Jahrhundert ins Gespräch. Das gilt für Studenten wie für Taxifahrer oder Copyshopbetreiber. Man stelle sich umgekehrt die Reaktion vor, wenn man im Gespräch mit einem Deutschen auf der Straße oder im Geschäft "Walther von der Vogelweide" erwähnt. Der Jubel um Sladdi und Shakespeare besagen in diesem Zusammenhang alles. Amir hat ein Einsehen und hat eine Limousine. Mit Extras ohne Aufpreis, wie er mir versichert. Ein brandneuer, blauer Toyota. Gut, die Type kenne ich, fahre ich selbst. Amir gibt mir zur Sicherheit seine Telefonnummer. Falls ich irgendwann, irgendwo Probleme hätte... Ich danke gerührt und gehe zum Garagenraum. Dort steht ein wunderschönes hellblaues Cabrio. Ob das die versprochenen Extras sind? Ich bin noch gerührter, merke aber, daß das Auto nicht meine Standnummer hat. Aber es gibt noch mehrere solcher Cabrios. Nein, mein Wagen steht woanders und ist dunkelblau. Eine ganz seriöse Corolla-Limousine, mit abgetrenntem großem Kofferraum, in dem ich meinen Koffer und die Reisetasche locker unterbringe und zusätzlich Platz für Wassercontainer und Lebensmittel habe, die ich noch besorgen will. Amir hat mir den Weg zu einem Supermarket in der Nähe beschrieben. Ich checke zum zweiten Mal aus und finde nach zwei, drei Blocks und zweimaligem rechten Abbiegen einen der großen Lebensmittelmärkte. Und gegenüber in der Einkaufsstraße mit kleinen Geschäften ist eine Filiale der Wells Fargo Bank. Schon ein Vorgeschmack für den "Wilden Westen". Dort tausche ich meine ersten TravellerChecks ein. Die Angestellte hat wohl nicht täglich solche Kunden. Mit ihren langen roten Fingernägeln streicht sie über die Schecks und den Paß. Ich muß nicht nur in der vorgegebenen Zeile gegenzeichnen, sondern auch noch oben links und auf der Rückseite. Und dann holt sie ein Stempelkissen, und ich muß auch noch meinen Daumen drauf setzen. Mit dem Wachmann an der Tür habe ich auf einmal das Gefühl, nicht in einer Bank, sondern auf einer Polizeidienststelle zu sein. Aber alles geht glatt und höflich ab, dann kann ich im Lebensmittelmarkt "shoppen" gehen. Wichtig (auch wenn sehr verwöhnt und luxuriös) ist mir ein Thermobehälter, den man mit den Icecubes, die in jedem Lebensmittelmarkt und an den Tankstellen in großen Beuteln verkauft werden, auffüllen und in der Hitze damit sogar "verderbliche" Ware wie Käse, Obst, Gemüse mitführen kann. Und das Cola bleibt eiskalt! An diesem Morgen ist es glücklicherweise für Los Angeles "kühl". Für mich ist es gegen 11.00 Uhr wie ein angenehmer deutscher Sommertag. Im Mart finde ich sogar Swiss Bred with grains (Schweizer Brot mit Körnern), hole Karotten, Trauben, Frischkäse, Thunfischdosen, Wassercontainer und -flaschen, Saft, 12erPack Coladosen, Salami, Papierteller und Becher, feuchte Kleenextücher, Klorollen, Küchenpapier, Orangen, Grapefruits, Äpfel, Müsli (zwei Sorten), zusätzlich Rosinen, Mandeln und Sonnenblumenkerne - nur die Thermobehälter finde ich nicht. Ich frage eine Verkäuferin - und fange an zu stottern. Wie heißen die Dinger auf englisch? Ich versuche zu umschreiben: "isolation container" - sie schaut mich freundlich und verständnislos an. Wir fangen an zu lachen. Hoffnungslos, aber menschlich. In der Nähe der Kasse hatte ich Styroporbehälter gesehen. Aber die nehmen nur Platz weg und lassen für innen nicht viel Raum. Ich wage es, ein zweites Mal zu fragen. Einen Verkäufer. Der begreift und führt mich zu schicken und großen Isolierbehältern mit Schwingdeckel. 15 $ nur. Mein großer Einkaufswagen ist rappelvoll. Ich hebe mir meine neuen Bardollars auf und zahle mit der Kreditkarte. Draußen auf dem Parkplatz fülle ich den Isolierbehälter, den Kofferraum, Die Trauben, Studentenfutter und eine Wasserflasche kommen auf den Beifahrersitz. Dort liegen schon die Atlanten und Karten, die ich von zuhause und von letzten Reisen mitgebracht habe. Um zwölf ist alles verstaut, und ich kann losfahren. Wirklich losfahren in die Wüste. Die Route ist relativ einfach: ich will zum Joshua Tree Nationalpark, später weiter in den Süden Arizonas, wo ich bisher noch nicht war. Ich muß auf die Interstate 10, die in Los Angeles beginnt. Allmählich wird mir die Gegend wieder vertraut. Der Zubringer nach Riverside, wo Vera arbeitete, kommt. Das war die Strecke von 1996. Die San Gabriel Berge, dann Banning, wo Grogans Mutter lebt und wo Grogan seine Pferde untergebracht hatte. Auch die Strecke, die mich Michael damals über Idyllwild nach Palm Springs gefahren hatte. Ich erinnere mich an die vielen Windrotoren vor Palm Springs. Jetzt ist es ein ganzer Wald geworden. Nach Palm Springs selbst fahre ich nicht, bleibe weiter auf der I10. Als ich kurz Rast mache, spüre ich zum ersten Mal die Hitze der Inlandstals. Und den Wind, der so heftig bläst, daß man fast umfällt und sich dagegen stemmen muß. Als ich losfuhr, reichten die geöffneten Fenster. Später schaltete ich die Klimaanlage schwach dazu. Aber hier draußen blies der Wind heiß wie ein Umluftofen. Fast Verhältnisse wie in Death Valley. Das Tal liegt ja auch fast so tief. Palm Springs hatte ich 1996 mit 119° Fahrenheit erlebt. Heute war es nicht ganz so schlimm. Ich biege auf die Route 62 ab zum westlichen Eingang des Joshua Tree Nationalpark. Kaum auf der Landstraße, umfängt mich das Wüstengefühl. Die Straße ist schmal, sie windet sich durch die kahlen braunen Berge - und vor allem: der Verkehr hat schlagartig nachgelassen. Lange Strecken sieht man kein einziges Auto. Ab und an kommt mir eines entgegen. Manchmal überhole ich eines oder werde überholt - aber dann ist frau wieder allein unterwegs im "wüsten Land". Ich erinnerte mich an Orte, die wie Schrotthalden aussahen. Amerikanische Städte sind nicht immer schön. Altmüll, vor allem alte Autos, Maschinen usw. bleiben einfach auf den Grundstücken liegen und rosten vor aller Augen dahin. Das war mir damals aufgefallen. Jetzt entdeckte ich verwundert, daß Yucca Valley ein hübscher Ort ist. Schöne gepflegte Häuser und Geschäfte am Straßenrand. Den Schrott gab es woanders und war auch nicht so schlimm. Immer sticht einem das Unerwartete ins Auge. Ich erkenne wieder die kleine Straße, die in den Park führt. Und dann kommen sie: die Joshua Trees. Mit ihren spitz zulaufenden Blättern wie die Yuccas, mit denen sie verwandt sind. Und wieder gibt es einen auffallenden Unterschied: dieses Jahr sind die Bäume voll mit Früchten: weißlich und so groß wie große Zwetschgen, büschelweise zusammenstehend wie umgekehrte Trauben. Denn sie hängen nicht nach unten, sondern recken sich mit der Traubenspitze nach oben in den Himmel. Herrliche Bäume, diese Urgetüme aus Zeiten, als es unsere Tannen- und Laubbäume noch gar nicht gab! Überlebenskünstler in jeder Beziehung. Ich fahre ganz durch den Park zum Keys Views Aussichtspunkt, von dem man aus über das ganze Coachella Valley sehen kann, in dem Palm Springs liegt. Direkt unterhalb vom Aussichtspunkt kreuzt der Andreasgraben. Der graubraune Smog zieht von Los Angeles bis hierher. Ich sah ihn gestern schon vom Flugzeug, heute als Schmutzschleier im Tal. Auch die Berge gegenüber sind nur als dünne Linien zu sehen. Schrecklich, wie wir mit der Natur umgehen. Und ich trage meinen Teil dazu bei - denn ich bin ja im Auto unterwegs! Auf der Fahrt zum Aussichtspunkt verlangsamte vor mir plötzlich ein Auto seine Fahrt. Und dann sah ich den Grund: ein Kojote stand am Straßenrand. Das Auto vor mir fuhr weiter, ich hielt an. Brauchte das Tier Wasser? Als ich ausstieg, rannte das Tier, ein Weibchen, davon, blieb aber nach kurzer Zeit stehen, beäugte mich. Ich glaube, wir waren beide gleich neugierig. Nur war sie scheuer und vorsichtiger als ich. Ich machte ein paar ein Fotos. Als ich zurückkam, hielt ich nach ihr Ausschau - und sie kam tatsächlich am selben Platz wieder. Ich stieg aus, holte Brot heraus, hielt es ihr hin. Sie umkreiste mich, kam aber nicht heran. Ich warf ihr ein paar Stücke hin - die fraß sie sofort und begierig. Ich stellte ihr Wasser hin. Aber die Plastikschale für mein Müsli roch ihr vermutlich zu sehr nach Mensch. So packte ich sie wieder ein. Ich sprach mit ihr - sie hörte mir zu, umkreiste mich weiter. Als ein anderes Auto kam, lief sie fort, hielt sich entfernt in sicherer
Distanz. Später las ich im Besucherzentrum des Nationalparks, daß
man die Tiere nicht füttern sollte - auch keine Kojoten. Sie gewöhnten
sich an die Menschen, verlernten, für sich selbst zu sorgen und würden
zunehmend aggressiv von Menschen Fütterung erwarten. Manche Tiere
hätten deswegen schon erschossen werden müssen.
Donnerstag, 15. Juni 2000, 16.10 Uhr Joshua National Park, Campground Hidden Valley Jetzt sitze ich im Campground des Joshua Tree National Park. Ich habe einen runden Felsen als bequemen Stuhl mit Blick ins Tal (Hidden Valley) gefunden. Die Sonne steht schon tiefer und taucht die Felsen in das warme, gelbe Licht, das ich so liebe. Ich freue mich auf die erste Nacht draußen. Ein bißchen abseits vom eigentlichen Zeltplatz habe ich eine flache Stelle gefunden, wo ich die Isomatte und den Schlafsack ausgebreitet habe. Dazu die große Taschenlampe und das Brillenetui. Die Isomatte ist selbstaufblasend. Nur das Kopfkissen füllt sich nicht. Das ist für den Mundbetrieb gedacht. Also blase und puste ich - und nichts tut sich. Aber so schwach auf der Lunge bin ich doch nicht! Schließlich merke ich, daß das Ventil noch gänzlich zugeschweißt ist. Aber wozu habe ich ein Schweizer Messer mit mir! Mit dem Bohrer öffne ich kleines Loch - dann läßt sich das Kissen problemlos aufblasen. Die rote Windjacke dient als Kissenbezug. So auf der nackten Plastik zu liegen, ist nicht gerade einladend. Nachts ziehe ich zwar die Keffiye aus alten israelisch/palästinensischen Reisen über den Kopf und habe auch ein Leineninlet für den Schlafsack, aber das Kopfteil rutscht meist dahin, wo man es nicht brauchen kann. Ich habe zu Abend gegessen, Orangensaft in den große Becher mit Wasser gepreßt. Auf den hohen Felsen gegenüber sind junge Leute hochgeklettert, um besser den Sonnenuntergang sehen zu können. Ich bin nur ein Stück den Canyon hinaufgestiegen, mit Wasser, Tagebuch und Straßenkarten und überlege, wohin und welche Strecke ich morgen fahre. Auf dem Stellplatz nebenan, ist ein weißes Wohnmobil dazugekommen. Wie gut, daß die Amerikaner so viel Platz zwischen den Stellplätzen lassen. So höre ich nur ganz fern als Gemurmel die Stimmen des Paares. Deutsche, wie sich später herausstellt, als ich den Platz passiere, um zum Plumpsklo zu gehen. Außer den unumgänglichen Grillrosten an den Stellplätzen und einigen Müllcontainern ist das die ganze Infrastruktur. Kein Wasser - aber auch keine Übernachtungsgebühren. Das Klo stinkt fast gar nicht, und statt der Fliegen gibt es nur ein paar Bienen hinter der Eingangstür. Haben die nun die Menschenklos als Flüssigkeitsspender in der Wüste entdeckt? Die Nachbarn laden mich zum Grill-Abendessen bei sich ein. Aber ich will den Abend nicht verschwatzen, sondern die Stille der Natur genießen. Ich danke freundlich, ziehe mich zurück, schaue dem Sonnenuntergang zu, bis die letzten hellen Streifen auf den hohen Felsen gegenüber verschwunden sind. Glücklicherweise hat der Wind nachgelassen. Die Nacht wird still und friedlich. Es bleibt sehr hell, denn der Mond steht fast voll am Himmel. |
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