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Joshua Park - Kofa Wildlife Refuge, Arizona Freitag, 16. Juni 2000, 6.30 Uhr, Joshua Tree National Park, Keys Views Am Morgen habe ich den Sonnenaufgang verpaßt. Im Tal kann man
ihn nicht sehen, weil es lange dauert, bis die ersten Strahlen über
die Berge kommen. Zum Frühstücken bin ich noch einmal zu Keys
View gefahren und genieße nun den klaren Blick ins Tal. Kein Mensch,
kein Auto weit und breit. Erst als ich aufbreche, kommt jemand angefahren.
Beim Hinuntersteigen höre ich Vogelgezeter. Ein Rabe hat sich auf
einem Joshua Tree niedergelassen. Aber nicht von ihm kommt der Lärm,
sondern von einem schmalen, kleinen Vogel, der schimpfend gegen ihn anfliegt.
Verteidigt er sein Nest gegen den Räuber? Ich gehe zu dem Baum hinüber.
Der Rabe fliegt vor mir davon und läßt sich nicht weit entfernt
auf einem anderen Joshua nieder. Der kleine Vogel verfolgt ihn auch hier
mit seinem Geschimpfe.
Der Wind, der sich nachts gelegt hatte, frischt mit aufsteigender Sonne
wieder auf. Aber so stürmisch wie gestern ist es noch nicht.
Mir fällt beim Eintragen in die Kladde auf, daß meine Kurzschrift
manchmal dem Prinzip der semitischen Sprachen gleicht: Die Vokale einfach
weglassen und nur die wichtigsten Konsonanten verwenden: ggüber z.Bsp.
Umgekehrt die deutsche Rechtschreibreform, die wie Sisyphos versucht, die
Schreibweise der Aussprache anzugleichen. Der naive Glaube des deutschen
Michels, man könnte Sein und Schein in Einklang bringen.
Freitag, 16. Juni 2000, 15.20 Uhr, Kofa National Wildlife Park, Palm Canyon Ich habe den Joshua Tree Nationalpark über den Nordausgang verlassen.
Diese Strecke kannte ich noch nicht. Ich mache einen Besuch im Visitor
Center, bin froh, daß es in der Toilette Waschbecken mit Wasser gibt.
Im Center erste Einkäufe von Ansichtskarten, Broschüren. Ich
trage mich im Gästebuch ein. Über mir hat eine Frau geschrieben
"Terrible Bees". Da war vermutlich ihre Angst größer als die
Angriffslust der Tiere. So setze ich als Gegenpunkt: "Spent a beautiful
night in Hidden Valley". Am Touristenort Twentynine Palms komme ich wieder
auf die State 62. Ich biege rechts ein, fahre Richtung Parker zur 95, will
dann nach Süden, nach Arizona zum Kofa Wildlife Park. Wieder nur wenige
Autos. Die Straße führt oft kerzengerade über Hügel
und Täler. Rechts die Berge, die den Joshua Park umschließen,
dann ein weites Tal, dann wieder braune Berge, zu einer Kette langgezogen.
Als ich einmal seitlich halte und fotografiere, überholt mich ein
Auto. Wenig später kommt ein Polizeiwagen und fragt, ob ich Probleme
hätte! Ich danke freundlich, und sie fahren weiter. Statt einer Mittellinie
ist die Straße mit kleinen Widerstrahlern bestückt. Im Gegenlicht
funkeln sie wie ein Perlenband, das nicht um einen Hals, sondern in die
Mitte der Straße gelegt ist. An der Kreuzung zur 95 tanke ich.
Eine kleine Tankstelle, ein etwas heruntergekommener kleiner Bau. Die Sitzbänke
mit Tisch draußen sind schon stark verwittert. Aber faszinierend,
welche Plakate der Inhaber in Tür und Fenster geklebt hat. "Volkes
Stimme" zu Hillary, Bill und Monica.
Die Strecke hinunter über Quartzsite Richtung Yuma ist ziemlich eintönig. Das Tal ist breit. Die Straßenführung ist in der Talmitte, und die Berge links und rechts weit entfernt. Nur wenig farbliche Abwechslung zwischen braun, dunkelbraun und schwarz. Auch hinter Quartzsite ändert sich nicht viel. Rechts ist militärisches Gebiet. Das schönste an den Bergen dahinter ist ihr Namen: Chocolate Mountains. Auf der anderen Seite beginnt der Kofa National Wildlife Refuge. Irgendwann kam ein Schild mit dem Hinweis für ein Visitor Center. Ich bin nicht hingefahren. Ich wollte in die Stille, in die Natur. Auf der Karte habe ich mir den Palm Canyon ausgeguckt. Eine unbefestigte Straße. Oft Schotter, dazwischen Felsbrocken, Sand oder sogar gewachsener Fels. Ich fahre langsam hinein, denke an die Reifen. Kurz vorher stand ein Auto mit geplatztem Reifen am Straßenrand. Und Reifenreste sieht man sowieso überall auf den Landstraßen. Ich kann fünfzehn bis zwanzig Meilen fahren. Endlos scheint der Weg, die Berge immer noch fern. Hinter mir eine riesige weiße Staubwolke. Aber nun sehe ich zum ersten Mal Saguaros. Ich halte, steige aus, betrachte die Riesenkakteen von nahem, fotografiere. Viele haben am Ende ihrer langen Arme einen Kranz aus winzig roten Blüten und Früchten. Wie kleine Krönchen. Nur wirkt der Gegensatz zwischen den gewaltigen Kakteenstämmen und den kleinen, zarten Blütchen komisch bis grotesk. Natürlich nur nach menschlich ästhetischen Standpunkten. Die Blütenhäubchen heben jedenfalls die abweisende Strenge der stachligen Riesen auf, verleihen ihnen Charme und Verspieltheit. Als ob die Riesen mit den Augen zwinkerten! Dann kommt plötzlich ein kleiner Parkplatz, Schautafeln. Ein Straßengabelung.
Auf dem engen Feldweg mit tiefen Fahrrinnen (anders kann man das nicht
mehr bezeichnen) geht es zu einer Mine. Ich will schon umkehren, da sehe
ich, daß die Straße zum Palm Canyon die Breite und vor allem
die plane Fläche behält. Sechs Meilen sollen es noch sein. Ich
fahre weiter. Die Saguaros stehen immer dichter, dazu auch die kleineren
Chollakakteen, deren Nadeln im Gegenlicht wie ein Goldgespinst die Pflanze
umhüllen. Wie kleine pelzige Pflanzenbären schauen sie aus. Die
Straße, die sanft nach oben führt, endet in einem Rund, gesäumt
links und rechts von zwei Campingstellplätzen mit Grillpfanne. Sonst
nichts. Nicht einmal ein Plumpsklo. Mir ist es recht. Hier ist kein Mensch
weit und breit. Wenn jemand kommt, sehe ich das Auto schon von weitem.
Aber vor mir öffnet sich eine Schlucht, die zu einem hellen Felsberg
führt, der quer die Schlucht abschließt. Felswände erheben
sich links und rechts. Palmen sehe ich nicht. Nach der Beschreibung der
Tafeln von vorhin sollen sie weiter innen sein. Ein kleiner Trampelpfad
führt in den Canyon. Es ist gegen drei Uhr nachmittags und affenheiß.
Vermutlich 42 bis 45 Grad. Aber da der Wind kräftig weht und die Luft
ganz trocken ist, kann man es gut aushalten. Keine feuchte Wärme,
die einen erschlägt oder zu knochenlosem Gummi werden läßt.
Ich fülle die kleine Thermoskanne mit Wasser, schnalle die Bauchtasche
um, der Foto über die Schulter gehängt.
Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, seine ganze bürgerliche Existenz um den Bauch geschnallt zu tragen: Nicht nur die Geldbörse mit Dollars und DM, Traveller Schecks und Kreditkarte, sondern auch Paß, Flugticket und sogar den Schlüsselbund von zuhause. Sonst konnte ich alles, was nicht ich unmittelbar zur Rundreise brauchte, bei den Freunden oder bei der Schwester deponieren. Im Kibbuz und in Ägypten im eigenen Zimmer bzw. der Wohnung. Ich wollte die Wertsachen nicht im Auto lassen. Nicht daß sich an meinem Körper sicherer wären. Ich habe keinerlei Waffe bei mir. Aber wenn ich beraubt werde, möchte ich schon sehen, mit wem ich es zu tun habe! Ich bin mir des Risikos durchaus bewußt. Aber auch im heimischen Kelkheim oder in Frankfurt kann einem ein Ziegelstein auf den Kopf fallen, oder man wird von einem Geisterfahrer auf der A66 erwischt. Das Leben ist voller Risiko und Gefahren. Es wäre dumm, die Augen davor zu verschließen. Aber immer nur nach Sicherheit streben, heißt, gar nicht leben. Ich versuche allerdings, das Risiko niedrig zu halten, indem ich darauf achte, wer mich sieht, wenn ich in die abgelegenen Seitenstraßen oder Campgrounds zum Übernachten einbiege: am besten niemand! Ich halte Ausschau nach Tieren, vor allem nach den Dickhornschafen,
die es in der Wildnis noch geben soll - sehe und höre aber außer
Vögeln, Grillen und ein paar Eichhörnchen und Eidechsen nichts.
Es ist so heiß, daß ich nur die kleine Anhöhe erklimme
und mir ein halbschattiges Plätzchen unter einem Ocotillostrauch suche.
Ein wunderbarer Platz zum Tagebuchschreiben, zum Verfassen der ersten Ansichtskarten,
zum Weiterlesen in der O'Keeffe Biographie - und zum Stillsein und Meditieren.
Als die Schatten länger werden, gehe ich zurück zum Auto.
Auch dort finde ich in der Nähe ein schattiges Plätzchen. Plötzlich
sehe ich etwas Helles sich in der Seitenschlucht gegenüber bewegen.
Dickhornschafe! Ich bin ganz aufgeregt. Aber ich kann keine näheren
Einzelheiten ausmachen. Ich bereue, daß ich das Fernglas meines Vater
nicht mitgenommen habe. Dafür völlig unnütze Unterhemden
und sogar Nylonstrümpfe. Nun ja, die letzten Male war ich am Anfang
und Ende der Reise in der Zivilisation bei Freunden bzw. meiner Schwester.
Habe ich damals wirklich Nylons getragen? Und völlig idiotisch, sie
in einen Urlaub mitzunehmen, der von Anfang bis zum Ende im "Outback" verlaufen
soll! Das helle Etwas bewegt sich nach wie vor - bleibt aber an Ort und
Stelle. Je länger ich schaue und warte, um klarer wird es: das ist
kein weidendes Schaf. Das muß eine Plastiktüte sein, die sich
in einem Busch verfangen hat und vom kräftig pfeifenden Wind auf-
und niedergerissen wird. Ich habe die Hoffnung auf Dickhornschafe schon
ganz aufgegeben, da sehe ich eine Bewegung weiter links in der Felswand.
Tatsächlich: jetzt sehe ich Tiere sich bewegen, vier oder fünf.
. Ihre Farbe ist ein dunkles Gelb, dabei aber auch grau und schwarz. Ohne
Bewegung hätte ich sie gegen die Felswand niemals entdeckt. Sie springen
und hüpfen in der Felswand, als seien Treppenstufen für sie hineingehauen.
Unglaublich! Einmal kann ich sogar die runden Hörner sehen, die sich
gegen den Himmel abheben. Sie ziehen nach rechts die Wand entlang, dann
weiter hinauf.. Irgendwann sind sie oben in einem verschatteten Kamin verschwunden.
Aber ich habe sie gesehen! Es ist wie ein Geschenk!
Die Sonne sendet aus dem Untergrund noch goldgelb-orange Strahlen in den Himmel, und die Wolken färben sich immer röter und röter, streifen ins Purpur und Lila, dazwischen immer noch goldgelbe und orangene Streifen abwechselnd mit grauen bis schwarzen Teilen, die kein Licht mehr abbekommen. Irgendwann in der Nacht wache ich, vom Mondlicht geblendet, auf. Außerdem
bin ich naß geschwitzt. Der Schlafsack und das Leineninlay isolieren
so gut, daß ich im eigenen Saft dampfe. Ich reiße den Verschluß
auf. Das Nachthemd klebt am Körper. Ich ziehe es herunter. Und tanze
nackt im Mondlicht, in der Natur. Der warme Wind trocknet die Haut und
selbst das Nachthemd im Nu. Als ich mich wieder hinlege, mache ich den
Verschluß nicht mehr ganz zu.
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