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Joshua Park - Kofa Wildlife Refuge, Arizona

Freitag, 16. Juni 2000, 6.30 Uhr, Joshua Tree National Park, Keys Views

Am Morgen habe ich den Sonnenaufgang verpaßt. Im Tal kann man ihn nicht sehen, weil es lange dauert, bis die ersten Strahlen über die Berge kommen. Zum Frühstücken bin ich noch einmal zu Keys View gefahren und genieße nun den klaren Blick ins Tal. Kein Mensch, kein Auto weit und breit. Erst als ich aufbreche, kommt jemand angefahren. Beim Hinuntersteigen höre ich Vogelgezeter. Ein Rabe hat sich auf einem Joshua Tree niedergelassen. Aber nicht von ihm kommt der Lärm, sondern von einem schmalen, kleinen Vogel, der schimpfend gegen ihn anfliegt. Verteidigt er sein Nest gegen den Räuber? Ich gehe zu dem Baum hinüber. Der Rabe fliegt vor mir davon und läßt sich nicht weit entfernt auf einem anderen Joshua nieder. Der kleine Vogel verfolgt ihn auch hier mit seinem Geschimpfe.
Unten am Parkplatz von Keys View steht ein Plumpsklo. Dort mache ich mit Wasser aus der Flasche und feuchten Kleenextüchern meine Morgenwäsche und wechsle von den langen Jeans zu Shorts. Wieder keine Fliegen, und wieder dafür Bienen im Raum. Sie krabbeln auf dem Boden nahe der Tür und lassen mich völlig in Ruhe, wie auch ich sie in Frieden lasse. Kein Geruch. Erstaunlich. Später erfahre ich, daß dies einer neuen Bauweise der Plumpsklos zu verdanken ist. Nicht chemische Behandlung (wie ich ursprünglich vermutete), sondern Ventilation sei das Geheimnis. Ein Prinzip wie bei den Termitenbauten. Der Wind käme von oben herein und zöge seitlich nach unten weg. Genial!

Der Wind, der sich nachts gelegt hatte, frischt mit aufsteigender Sonne wieder auf. Aber so stürmisch wie gestern ist es noch nicht.
 

Mir fällt beim Eintragen in die Kladde auf, daß meine Kurzschrift manchmal dem Prinzip der semitischen Sprachen gleicht: Die Vokale einfach weglassen und nur die wichtigsten Konsonanten verwenden: ggüber z.Bsp. Umgekehrt die deutsche Rechtschreibreform, die wie Sisyphos versucht, die Schreibweise der Aussprache anzugleichen. Der naive Glaube des deutschen Michels, man könnte Sein und Schein in Einklang bringen. 
Man merkt es dem Hebräischen und Arabischen an, daß sie alte Kultursprachen sind. Es ist die Schrift der Intelligentsia. Sie schreiben grammatikalisch, nicht lautlich. Um ein hebräisches oder arabisches Wort nachschlagen zu können, muß man schon die Grammatik beherrschen. Man muß wissen, welche Konsonanten die Wurzeln des Wortes bilden. Denn nur über die Wurzeln kommt man zu den abgeleiteten Begriffen. Man stelle sich vor: aufgreifen, begreifen, vorgreifen, zugreifen, vergreifen, umgreifen, eingreifen, angreifen, griffbereit usw. wären nicht als selbständige Worte zu finden, sondern nur unter den Wurzelkonsonanten "grf" oder (weil ein langer Vokal darin ist), eventuell unter "graf " oder "gref" zu finden. Die semitischen Sprachen notieren quasi nur die Knochen der Worte und rekonstruieren aus dem Zusammenhang und aus dem Sinn das ganze Fleisch des Wortes.

Freitag, 16. Juni 2000, 15.20 Uhr, Kofa National Wildlife Park, Palm Canyon

Ich habe den Joshua Tree Nationalpark über den Nordausgang verlassen. Diese Strecke kannte ich noch nicht. Ich mache einen Besuch im Visitor Center, bin froh, daß es in der Toilette Waschbecken mit Wasser gibt. Im Center erste Einkäufe von Ansichtskarten, Broschüren. Ich trage mich im Gästebuch ein. Über mir hat eine Frau geschrieben "Terrible Bees". Da war vermutlich ihre Angst größer als die Angriffslust der Tiere. So setze ich als Gegenpunkt: "Spent a beautiful night in Hidden Valley". Am Touristenort Twentynine Palms komme ich wieder auf die State 62. Ich biege rechts ein, fahre Richtung Parker zur 95, will dann nach Süden, nach Arizona zum Kofa Wildlife Park. Wieder nur wenige Autos. Die Straße führt oft kerzengerade über Hügel und Täler. Rechts die Berge, die den Joshua Park umschließen, dann ein weites Tal, dann wieder braune Berge, zu einer Kette langgezogen. Als ich einmal seitlich halte und fotografiere, überholt mich ein Auto. Wenig später kommt ein Polizeiwagen und fragt, ob ich Probleme hätte! Ich danke freundlich, und sie fahren weiter. Statt einer Mittellinie ist die Straße mit kleinen Widerstrahlern bestückt. Im Gegenlicht funkeln sie wie ein Perlenband, das nicht um einen Hals, sondern in die Mitte der Straße gelegt ist.  An der Kreuzung zur 95 tanke ich. Eine kleine Tankstelle, ein etwas heruntergekommener kleiner Bau. Die Sitzbänke mit Tisch draußen sind schon stark verwittert. Aber faszinierend, welche Plakate der Inhaber in Tür und Fenster geklebt hat. "Volkes Stimme" zu Hillary, Bill und Monica. 
I

Die Strecke hinunter über Quartzsite Richtung Yuma ist ziemlich eintönig. Das Tal ist breit. Die Straßenführung ist in der Talmitte, und die Berge links und rechts weit entfernt. Nur wenig farbliche Abwechslung zwischen braun, dunkelbraun und schwarz. Auch hinter Quartzsite ändert sich nicht viel. Rechts ist militärisches Gebiet. Das schönste an den Bergen dahinter ist ihr Namen: Chocolate Mountains. Auf der anderen Seite beginnt der Kofa National Wildlife Refuge. Irgendwann kam ein Schild mit dem Hinweis für ein Visitor Center. Ich bin nicht hingefahren. Ich wollte in die Stille, in die Natur. Auf der Karte habe ich mir den Palm Canyon ausgeguckt. Eine unbefestigte Straße. Oft Schotter, dazwischen Felsbrocken, Sand oder sogar gewachsener Fels. Ich fahre langsam hinein, denke an die Reifen. Kurz vorher stand ein Auto mit geplatztem Reifen am Straßenrand. Und Reifenreste sieht man sowieso überall auf den Landstraßen. Ich kann fünfzehn bis zwanzig Meilen fahren. Endlos scheint der Weg, die Berge immer noch fern. Hinter mir eine riesige weiße Staubwolke. Aber nun sehe ich zum ersten Mal Saguaros. Ich halte, steige aus, betrachte die Riesenkakteen von nahem, fotografiere. 

Saguaros

Viele haben am Ende ihrer langen Arme einen Kranz aus winzig roten Blüten und Früchten. Wie kleine Krönchen. Nur wirkt der Gegensatz zwischen den gewaltigen Kakteenstämmen und den kleinen, zarten Blütchen komisch bis grotesk. Natürlich nur nach menschlich ästhetischen Standpunkten. Die Blütenhäubchen heben jedenfalls die abweisende Strenge der stachligen Riesen auf, verleihen ihnen Charme und Verspieltheit. Als ob die Riesen mit den Augen zwinkerten! 

Saguaros2 (Kofa)

Dann kommt plötzlich ein kleiner Parkplatz, Schautafeln. Ein Straßengabelung. Auf dem engen Feldweg mit tiefen Fahrrinnen (anders kann man das nicht mehr bezeichnen) geht es zu einer Mine. Ich will schon umkehren, da sehe ich, daß die Straße zum Palm Canyon die Breite und vor allem die plane Fläche behält. Sechs Meilen sollen es noch sein. Ich fahre weiter. Die Saguaros stehen immer dichter, dazu auch die kleineren Chollakakteen, deren Nadeln im Gegenlicht wie ein Goldgespinst die Pflanze umhüllen. Wie kleine pelzige Pflanzenbären schauen sie aus. Die Straße, die sanft nach oben führt, endet in einem Rund, gesäumt links und rechts von zwei Campingstellplätzen mit Grillpfanne. Sonst nichts. Nicht einmal ein Plumpsklo. Mir ist es recht. Hier ist kein Mensch weit und breit. Wenn jemand kommt, sehe ich das Auto schon von weitem. Aber vor mir öffnet sich eine Schlucht, die zu einem hellen Felsberg führt, der quer die Schlucht abschließt. Felswände erheben sich links und rechts. Palmen sehe ich nicht. Nach der Beschreibung der Tafeln von vorhin sollen sie weiter innen sein. Ein kleiner Trampelpfad führt in den Canyon. Es ist gegen drei Uhr nachmittags und affenheiß. Vermutlich 42 bis 45 Grad. Aber da der Wind kräftig weht und die Luft ganz trocken ist, kann man es gut aushalten. Keine feuchte Wärme, die einen erschlägt oder zu knochenlosem Gummi werden läßt. Ich fülle die kleine Thermoskanne mit Wasser, schnalle die Bauchtasche um, der Foto über die Schulter gehängt. 
 

Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, seine ganze bürgerliche Existenz um den Bauch geschnallt zu tragen: Nicht nur die Geldbörse mit Dollars und DM, Traveller Schecks und Kreditkarte, sondern auch Paß, Flugticket und sogar den Schlüsselbund von zuhause. Sonst konnte ich alles, was nicht ich unmittelbar zur Rundreise brauchte, bei den Freunden oder bei der Schwester deponieren. Im Kibbuz und in Ägypten im eigenen Zimmer bzw. der Wohnung. Ich wollte die Wertsachen nicht im Auto lassen. Nicht daß sich an meinem Körper sicherer wären. Ich habe keinerlei Waffe bei mir. Aber wenn ich beraubt werde, möchte ich schon sehen, mit wem ich es zu tun habe! Ich bin mir des Risikos durchaus bewußt. Aber auch im heimischen Kelkheim oder in Frankfurt kann einem ein Ziegelstein auf den Kopf fallen, oder man wird von einem Geisterfahrer auf der A66 erwischt. Das Leben ist voller Risiko und Gefahren. Es wäre dumm, die Augen davor zu verschließen. Aber immer nur nach Sicherheit streben, heißt, gar nicht leben. Ich versuche allerdings, das Risiko niedrig zu halten, indem ich darauf achte, wer mich sieht, wenn ich in die abgelegenen Seitenstraßen oder Campgrounds zum Übernachten einbiege: am besten niemand!

Ich halte Ausschau nach Tieren, vor allem nach den Dickhornschafen, die es in der Wildnis noch geben soll - sehe und höre aber außer Vögeln, Grillen und ein paar Eichhörnchen und Eidechsen nichts. Es ist so heiß, daß ich nur die kleine Anhöhe erklimme und mir ein halbschattiges Plätzchen unter einem Ocotillostrauch suche. Ein wunderbarer Platz zum Tagebuchschreiben, zum Verfassen der ersten Ansichtskarten, zum Weiterlesen in der O'Keeffe Biographie - und zum Stillsein und Meditieren. 
 

Als die Schatten länger werden, gehe ich zurück zum Auto. Auch dort finde ich in der Nähe ein schattiges Plätzchen. Plötzlich sehe ich etwas Helles sich in der Seitenschlucht gegenüber bewegen. Dickhornschafe! Ich bin ganz aufgeregt. Aber ich kann keine näheren Einzelheiten ausmachen. Ich bereue, daß ich das Fernglas meines Vater nicht mitgenommen habe. Dafür völlig unnütze Unterhemden und sogar Nylonstrümpfe. Nun ja, die letzten Male war ich am Anfang und Ende der Reise in der Zivilisation bei Freunden bzw. meiner Schwester. Habe ich damals wirklich Nylons getragen? Und völlig idiotisch, sie in einen Urlaub mitzunehmen, der von Anfang bis zum Ende im "Outback" verlaufen soll! Das helle Etwas bewegt sich nach wie vor - bleibt aber an Ort und Stelle. Je länger ich schaue und warte, um klarer wird es: das ist kein weidendes Schaf. Das muß eine Plastiktüte sein, die sich in einem Busch verfangen hat und vom kräftig pfeifenden Wind auf- und niedergerissen wird. Ich habe die Hoffnung auf Dickhornschafe schon ganz aufgegeben, da sehe ich eine Bewegung weiter links in der Felswand. Tatsächlich: jetzt sehe ich Tiere sich bewegen, vier oder fünf. . Ihre Farbe ist ein dunkles Gelb, dabei aber auch grau und schwarz. Ohne Bewegung hätte ich sie gegen die Felswand niemals entdeckt. Sie springen und hüpfen in der Felswand, als seien Treppenstufen für sie hineingehauen. Unglaublich! Einmal kann ich sogar die runden Hörner sehen, die sich gegen den Himmel abheben. Sie ziehen nach rechts die Wand entlang, dann weiter hinauf.. Irgendwann sind sie oben in einem verschatteten Kamin verschwunden. Aber ich habe sie gesehen! Es ist wie ein Geschenk!
Die Sonne sinkt immer tiefer, die Schatten werden länger. Ich fotografiere noch einmal die Wände der Schlucht. Jetzt sieht man viel deutlicher die Zinnen, Schründe, Pfeiler. Die Gliederung der Felswand. Immer noch bin ich allein. Ich richte Isomatte und Schlafsack in der Nähe des Autos - mit guter Sicht nach Westen und die Berge am Horizont - und zur Straße, die zur Landstraße führt. Gegen einen goldgelben Himmel und dunkle Wolkenstreifen versinkt die Sonne hinter den Bergen. Und dann beginnt ein Farbspektakel, als wollte die Natur der kleinen Touristin aus Germany zeigen, was sie kann. 

Kofa Sunset 1

Die Sonne sendet aus dem Untergrund noch goldgelb-orange Strahlen in den Himmel, und die Wolken färben sich immer röter und röter, streifen ins Purpur und Lila, dazwischen immer noch goldgelbe und orangene Streifen abwechselnd mit grauen bis schwarzen Teilen, die kein Licht mehr abbekommen. 

Kofa Sunset 2

Irgendwann in der Nacht wache ich, vom Mondlicht geblendet, auf. Außerdem bin ich naß geschwitzt. Der Schlafsack und das Leineninlay isolieren so gut, daß ich im eigenen Saft dampfe. Ich reiße den Verschluß auf. Das Nachthemd klebt am Körper. Ich ziehe es herunter. Und tanze nackt im Mondlicht, in der Natur. Der warme Wind trocknet die Haut und selbst das Nachthemd im Nu. Als ich mich wieder hinlege, mache ich den Verschluß nicht mehr ganz zu. 
 

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