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Monument Valley - Navajo Mountain - Monument Valley Samstag, 24. Juni 2000, 14.00 Uhr (15.00 Navajozeit), Navajo Mountain Road Ich sitze hier auf meinem neuen Campingstuhl unter einer Pinie mit Blick auf den jetzt sehr nahen Navajo Mountain. Die Straße war tatsächlich etwa fünfzehn Meilen asphaltiert und wird weiter asphaltiert. Dann begann die "Gravel Road". Ich dachte, fahr so weit, wie du es dem Auto zumuten kannst - und kam sehr weit. Fels und roter Sand. Zehn Meilen bin ich so gefahren. Ab und an begegnete ich Indianer Pickups, die an diesem Samstag wohl zu ihrem heiligen Berg fahren. Die Straße war auch für mein Auto befahrbar. Aber ich bekam auf einmal Hemmungen. Wollte die Indianer nicht stören. Sie wollen für sich sein. Und sicher erst recht an ihrem heiligen Berg. Ich hielt am Straßenrand und suchte mir ein schönes Fleckchen mit Blick auf den großen Navajo Mountain. Ein kleinerer Berg erhebt sich daneben. Unter den Büschen, den Pinien und Wacholderbäumen hat auch Vieh geweidet. Ich sehe vertrocknete Kuhfladen und Mist, wohl von Eseln. Ich habe zu Essen und Trinken dabei, mein Tagebuch, den Campingstuhl, Kamera und ein Buch, das ich gestern im Visitor Center entdeckt und gekauft hatte: Yvette Melanson "Looking for Lost Bird. A Jewish Woman discovers her Navajo Roots", die Autobiographie einer Navajoindianerin, die als Kind von Weißen entführt und als jüdisches Adoptionskind aufgewachsen war. Sie schreibt, daß noch nach dem zweiten Weltkrieg den Indianern Kinder weggenommen wurden, um sie in der "Zivilisation" großzuziehen. Praktiken, die ich bisher nur von den Australiern gegenüber den Aborigines kenne. Das Thema interessiert mich, und ich hatte schon gestern angefangen zu lesen. Eine spannende Geschichte - nur manchmal frage ich mich: ist das nun tatsächlich Wirklichkeit oder gut gemachte Fiktion? Das dreijährige Kind, das sich bis in letzte Details daran erinnern kann, wie es von der einen Pflegefamilie zur anderen gebracht wird, das Treffen mit den Adoptiveltern. Das Aschenputteldrama, als die Mutter stirbt und der Vater wieder heiratet. Sie ging nach Israel, dort sogar in die Armee. Ihr Ehemann kam im Oktoberkrieg 1973 ums Leben. Rosh HaNikra schreibt sie aber, als ob sie es aus einem französischen Buch abgeschrieben hätte: Rosh Haniquere . Und ihr Wohnort, der Tolani Lake, den ein Besucher angeblich in einem Atlas gefunden hat, ist in meinen Karten und im Straßenatlas nicht zu finden. Übers Internet hat sie ihre indianische Familie wiedergefunden. Auch ihr verschleppter Zwillingsbruder findet sich nach Jahren wieder. Gegen drei Uhr habe ich das Buch ausgelesen. Ich bleibe noch ein bißchen, schreibe. Versuche, mich wieder auf die Landschaft einzustimmen. Einmal zwischendurch hatte ich ein komisches Gefühl von Gefahr, blieb zunächst am Platz und schaute dann doch nach meinem Auto, das ich unberührt am Straßenrand stehen fand. Auch jetzt ist es noch da. Ich steige ein, fahre zurück. Als ich die asphaltierte Straße erreiche, braust mir ein Polizeiauto mit Lichtorgel entgegen - bringt mich zum Halten. Eine Polizistin ist am Steuer der Navajo Patrol. Ich muß aussteigen, ihr Paß und Führerschein geben, dann ein paar Meter von Auto weggehen. Sie fragt mich, ob ich drei weiße Jugendliche gesehen hätte. Mein Auto und ein weiteres hätten Leute gemeldet. Offensichtlich habe ich es zu lange auf der Straße stehen lassen. Man vermutet bei den Jungs Drogen. Vermutlich bei mir auch. Ich sage, daß die einzigen Drogen, die ich mitführe, Colas seien. Sie lacht ein bißchen, ich auch. Ich hätte ihr sagen sollen, daß ich keine Drogen brauche. Meine Droge ist die Wüste, die weite Landschaft. Sie will das Auto checken. Inzwischen sind noch zwei weitere Polizeiautos herangekommen. Auch sie mit laufenden Lichtern. Wie in einem amerikanischen Copstreifen. Am liebsten würde ich die Szene fotografieren. Ich fürchte nur, daß sie mir dann den Film herausreißen oder daß ich zur Polizeistelle muß. Ich lasse nur einen Versuchsballon los und sage, daß ich sie gerne fotografieren würde. Sie gehen nicht drauf ein. Der eine Polizist ist jovial gesprächig, während die Frau oberflächlich das Auto durchsucht. Ich glaube, sie wissen genau, daß ich keine Drogen nehme oder bei mir habe. Sie wollen mir eine Lektion erteilen. Ich hätte ihrem Berg nicht so nahe kommen sollen. Auf der Rückfahrt nach Monument Valley sagt mir eine Stimme, daß mich eine Überraschung erwartet. Ich bin gespannt, ob positiv oder negativ. Sie ist unerfreulich. Auf meinem reservierten und bezahlten Platz steht ein Zelt. Die Bewohner sind nicht zu sehen. Ich lasse mich erst einmal bei der Sitzgruppe nieder. Als nach einiger Zeit die Nachbarn kommen, ein Paar, sie Amerikanerin, er Franzose, frage ich nach den "Platzbesetzern". Sie sind überrascht. Es wäre ein italienisches Paar - und sie hätten geglaubt, daß ich abgereist sei. Dabei hatte ich im Gespräch vor zwei Tagen, als sie den Platz übernahmen gesagt, daß ich wie sie bis Sonntag bleiben würde. Die Sonne geht unter und die Zeltbesitzer sind immer noch nicht gekommen. Ein Navajo vom Visitor Center macht die Runde. Ich beschwere mich. Aber es geschieht nichts. Die Sonne geht unter. Ich gehe duschen, breite meinen Schlafsack aus und lege mich neben das Zelt. Im Dunkeln kommen sie endlich. Ich bin sauer, sie sind sauer. Sie haben den Platz ebenso bezahlt und genau die gleiche Plakette mit dem Standplatz bekommen. Jetzt geht das Verhandeln los. Er: wir sind nur eine einzige Nacht hier - und Sie waren schon so lange hier usw. Außerdem haben sie alle Trümpfe in der Hand, weil das Zelt aufgebaut ist. Es abzubauen und im Dunkeln wieder neu zu errichten, ist für alle Beteiligten - auch die Nachbarn - eine ziemliche Zumutung. Also gebe ich nach und ziehe um - der Mann hilft mir, Isomatte und Schlafsack auf den Kamm (jenseits der Stellplätze) zu tragen, wo ich am ersten Abend den Sonnenuntergang beobachtet hatte. Vor zwei Jahren hatte ich dort schon einmal übernachtet. Mit einer Ameise im Schlafsack. Wir waren damals beide froh, als unsere Wege sich am Morgen trennten. Im Grunde ist der Schlafplatz perfekt - ein wunderbarer Platz für den Sonnenaufgang, abgelegen und still von allem Getriebe. Und doch ärgere ich mich. Es geschieht mir, was den Navajos, was Nomaden immer passiert ist: die Bauern und Seßhaften kommen - finden "leeres" Gelände vor, okkupieren es, errichten ihre Hütten und Häuser - und wenn die Nomaden an ihren Platz zurückkommen, steht da ein Haus und der Besitzer sagt bedauernd: ich dachte, das Land gehört niemand. Und: niemand kann doch jetzt erwarten, daß ich mein Haus wieder abreiße. Du Nomade hast doch leichtes Gepäck und kannst weiterziehen. Vor zwei Jahren gab es ein ähnliches Phänomen: auch damals hatte ich nur im Schlafsack übernachtet, das geliehene Zelt im Auto gelassen. Am Morgen kamen Scharen von Fotografen zu meinem Platz (und nur meinem Platz) um den Sonnenaufgang von dort zu fotografieren. Den Nachbarplatz, auf dem ein Zelt stand, den ließen sie unbehelligt. Es ist, als gehöre einem der Grund erst, wenn ein Haus oder wenigstens ein Zelt den Platz als "Eigentum" oder "Besitz" markieren. Wenn man nur im Schlafsack daliegt, bleibt es noch immer "öffentlicher Grund." Es kam mir damals vor, als trampelten ganze Heerscharen durch mein Schlafzimmer. Als ob links und rechts nicht genug freier Platz wäre. Als ich am Morgen nach dem Sonnenaufgang zum Zeltplatz komme, wo noch
das Auto steht, ist alles ruhig im Zelt - bei den Italienern und bei den
Nachbarn nebenan. Wozu reißen sie sich eigentlich um diese vorderen
Plätze, wenn sie dann nicht einmal den Sonnenaufgang sehen wollen?
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