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Nordstraße
Death Valley - Scotty's Castle, Furnace
Creek,
Five Stove Wells - Wildrose Canyon, Kilns
Sonntag, 2. Juli 2000, 6.35 Uhr - Death Valley, Nordstraße,
Hanging Rock Canyon
Ich habe gut geschlafen. Nur ein paarmal wurde ich nachts wach. Es gab
Geräusche am Auto, dann hinter mir. Einmal fuhr wohl ein Auto vorbei.
Ich habe versucht, die Sterne zu fotografieren. Schließlich ist Neumondnacht.
Ich legte die Kamera auf den Boden und ließ die Blende offen, ließ
erst nach Minuten den Auslöseknopf los. Das Ergebnis war nicht berückend.
Ich hätte den Selbstauslöser mit einer offenen Blendezeit wählen
müssen. Das nächste Mal weiß ich es besser.
Um fünf wurde ich wach, die Sonne ging gegen 5.45 auf. Jetzt,
gegen 7.00 Uhr ist immer noch kein Mensch weit und breit zu sehen. Erst
als ich losfahre, kommt mir ein Auto entgegen. Später auf der breiten
Schotterpiste im Tal überholen mich zweimal Autos, preschen vorüber
und hüllen Straße und Umgebung in eine weiße Staubwolke.
Der Boden scheint aus weißlichem Kalkstein oder sonstigen Sedimenten
zu bestehen. Unten im Tal gibt es keine Joshuas mehr. Die brauchen mehr
Wasser und weniger Hitze. Aber Büsche und Kakteen gibt es immer noch.
Rundbäuchige Kakteen haben geblüht und Samen oder schon kleine
Triebe gebildet. Die Wollbällchen sitzen wie eine Krone um den oberen
Rand des Mutterkaktus. Das Tal ist breit, endlos scheint die Straße.
Nach etwa zwei Stunden erreiche ich wieder asphaltierte Straße. Hier
kann man zum Ubuhebe-Krater, einem erloschen Vulkan umgeben von schwarzem
Gestein, fahren. Ich hatte ihn vor vier Jahren besucht, lasse ihn diesmal
aus. Ich biege ab zur Straße des Wildrose Canyon, der an Five Stove
Wells vorbeikommt. Dort kann ich tanken: Benzin und Eiswürfel. Dann
zieht es mich wieder hinauf in die Höhen, zum Wildrose Canyon, den
ich schon einmal ganz einsam durchfahren hatte. Diesmal will ich die Gegend
genauer besehen.
Oben am Emigrants Pass gibt es wieder unasphaltierte Seitenstraßen:
eine führt zu einer Mine, was mich nicht sonderlich interessiert,
eine andere zum Aguerebery Point. Ich denke an die Reifen des Autos, die
heute schon genug strapaziert wurden, und fahre vorbei. Die Straße
führt durch eine hügelige, felsige Wüstenhochebene. Plötzlich
Leben: erst eins, dann mehrere Rebhühner mit Jungen kreuzen die Straße.
Ich fahre ganz langsam heran. Die Hennen sind aufgeregt, laufen schräg
davon. Man merkt, daß die noch in der "Wildnis" leben. Vor zwei Jahren
im Nationalpark von Mesa Verde gab es ein anderes Schauspiel. Dort hatten
die Vögel begriffen, daß ihnen die Touristen nichts Böses
wollen, höchstens etwas dumm sind: ein Huhn lief langsam auf die Straßenmitte,
hielt. Ich dachte, was will die da? Bremste, fuhr langsam heran. Das Huhn
rief: und dann kam ihre Kükenschar. Einer nach dem anderen lief über
die Straße. Und die Mutter stand wie ein Verkehrspolizist in der
Straßenmitte, die Autos hielten entzückt, die Insassen fotografierten,
während Mama Henne ihren Kleinen Verkehrsunterricht gab. Wenn ich
das bei der Ausfahrt mit zwei Hennen und ihren Jungen nicht noch einmal
erlebt hätte, hätte ich diese Interpretation nicht gewagt. Bevor
es richtig in den Wildrose Canyon geht, wo keine Rosen, sondern riesige
Oleanderbüsche blühen, als seien sie aus dem Himmel in die Wüste
gefallen, geht eine kleine asphaltierte Straße ab, zu den Kilns,
den Holzkohleöfen.
Sonntag, 2. Juli 2000, 15.15 Uhr - Death Valley, Wildrose Canyon,
Kilns
Ich nehme die Straße zu den Kilns. Gleich zu Beginn gibt es noch
die Einfahrt zu einem Campground (dem Wildrose Campground). Ich fahre hinein.
Alle Plätze sind frei. An einigen Plätzen gibt es Wasserzapfstellen.
Hier scheint es wirklich natürliches Wasser, eine Quelle zu geben.
So kann ich mich endlich wieder etwas unter fließendem Wasser waschen,
nicht nur aus den Wasserflaschen, die ich bei der Gelegenheit gleich wieder
auffülle. Ein Weg führt parallel zur Straße durch Büsche
nach oben. Ich folge ihm, komme an die Straße - gegenüber steht
ein Koyote im Gebüsch, der bei meinem Anblick erschrickt und davonläuft.
Viele Vögel hört man hier, Chipmunks laufen herum - und ein Kaninchen
hoppelt ebenfalls davon. Der Weg endet an der Straße. Weiter oberhalb
gibt es eine Rangerstation. Es ist nur der Fußweg zwischen Station
und Campground. Ich kehre um, fahre nach oben. Die Rangerstation ist geschlossen.
Alle Informationen bekäme man in Death Valley. Ich fahre die Straße
weiter hinauf in die Berge. Wirklich ein abgelegenes Sträßchen
mit vielen Löchern. Man muß ganz schön aufpassen. Am Ende
des Canyons, weiter höher beginnt die Baumregion. Erst niedrige Wacholderbäume,
dann auch Pinien. Die Wacholderbäume mit ihren rissigen, in sich verdrehten
Stämmen und Ästen sind wahre Lebenskünster. Sie werden mit
den extremsten Lebensumständen fertig. Sie wachsen in unseren gemäßigten
Breiten - und dann auch in heißen oder kalten Wüstengegenden,
wo es sonst kein Baum aus unseren Regionen aushalten würde. Ein Lebensbaum.
Ich muß an das schreckliche Märchen vom "Machandelboom" in Grimms
Märchen denken.
"Mein Mutter, der mich schlacht,
mein Vater, der mich aß,
mein Schwester, das Marleniken
sucht alle meine Beeniken,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legt sie untern Machandelboom
kiwitt kiwitt - wat fürn schön Vogel bin ick!"
Der kleine Junge, der von seiner Stiefmutter ermordet, geschlachtet
und gekocht wird. Seine Schwester sammelt seine Knochen und vergräbt
sie unterm Wacholderbaum. Von dort erhebt sich ein Vogel in die Lüfte
und singt sein Lied. Zum Schluß verwandelt sich der Vogel wieder
in den Jungen und die böse Stiefmutter wird bestraft.
Der Wacholderbaum als Helfer/Heiler für eine Auferstehung! Lebenskräfte,
die sich nicht besiegen lassen! Offensichtlich mag auch mein Unterbewußtes
den Wacholder. Nicht nur die Beeren im Sauerkraut, sondern den Gin. Der
einzige Schnaps, der mir schmeckt und den ich ab und zum Gin Fizz verdünnt
gerne trinke.
Hier haben die Bäume geblüht und tragen ihre bläulichen
Beeren. Die Straße verengt sich zu einem Weg, bei dem ich ständig
aufpassen muß, ob mein Auto ihn noch bewältigen kann. Links
und rechts sind die Bäume vom weißlichen Straßenstaub
überzogen. Äste und Blätter hängen dürr herunter.
Alles ist so knochentrocken, daß nur ein winziger Funken genügt,
um alles in einem Schlag in Band zu setzen. Auch hier gibt es überall
die Warnschilder: Fire danger: extreme. Trotzdem gibt es immer noch Idioten,
die eine brennende Zigarette aus dem Auto werfen oder ihren Grill nicht
richtig löschen. Ich wundere mich sowieso, daß die Amerikaner
in diesen Gebieten noch offene Feuer zulassen. Bei den kräftigen Winden
kann der Funkenflug ins Unterholz eine Feuersbrunst auslösen. Aber
was ist campen und picknicken für den modernen Menschen ohne Grill?
Wenn in zweitausend Jahren Archäologen auf Überreste unserer
Kultur stoßen, sind Papier zu Staub aufgelöst und Festplatten,
CDs und Tonbänder nicht mehr lesbar. Die Archäologen werden Reste
der Asphaltstraßen entdecken, Straßenschilder - und die Grillpfannen.
Vermutlich halten sie sie für Brandopferstätten, die der Anbetung
unserer Götter dienen. Und die Straßenschilder für die
Götterstatuen.
Der Weg wird immer enger, steiler und holpriger. Ich überlege schon,
ob ich umkehren soll, da sehe ich sie - die Öfen. Als ob man sich
Öfen je so vorgestellt hat! Sie sind nicht schwarz oder verrußt
- sie leuchten goldgelb durch das graue Grün der Bäume. Und noch
überwältigender ist der Anblick, wenn man die offene Lichtung
erreicht: acht riesige steinerne Bienenkörbe reihen sich hintereinander
auf. Sie sind aus roh behauenen Felsbrocken
geschichtet (nicht gemauert!) - alle gleich groß, alle
im gleichen runden Winkel. Schweizer sollen im vorigen Jahrhundert diese
Öfen gebaut haben. Perfektes Handwerk. Innen sind sie tatsächlich
verrußt. Man geht hinein und kommt sich wie in einem Dom vor. Gegenüber
vom Eingang ist eine kleine Fensteröffnung, so daß ausreichend
Licht hereinkommt. Sie erinnern an die Tipizelte der Indianer, nur aus
Stein. Aber so hoch und geräumig wie sie. Hinter den Kilns führt
ein Weg den Berg hinauf. Ich steige ein gutes Stück hinauf. Weiter
oben, nach einer Biegen kommt der Überblick über das Tal, durch
das ich gerade gefahren bin. Und weit dahinter wieder die weißen
Gipfel der Sierra Nevada. Ein herrlicher Anblick!
Als ich zum Auto zurückkomme, das schon längst nicht mehr
blau, sondern auch grau vom Sand und Staub geworden ist, parkt ein geländegängiger
Wagen neben mir. Drei mittelalterliche Amerikaner, mit denen ich ins Gespräch
komme. Auch sie sind vor dem Touristentrubel der vier freien Tage in die
Einsamkeit geflohen. Das Paar kommt aus Los Angeles, ein Freund aus dem
Osten bei ihnen zu Gast. Dann die üblichen Fragen, darunter auch -
wie, eine Frau, so ganz allein unterwegs? Ob ich keine Angst hätte?
Und warum so allein? Ich versuche, ein bißchen zu erklären.
Die Wüste, die unmittelbare pure Natur, noch nicht der Zivilisation
unterworfen. Und wenn man im Brötchenberuf das ganze unterrichtet
oder Hotlinesupport gibt und sich ganz auf die Menschen einstellt, braucht
man wieder eine Phase, wo man ganz "man selber" ohne Rücksicht auf
andere sein kann. Es geht ja nicht nur darum, anderen Word oder Excel beizubringen.
Man stellt sich ja auch seelisch auf sie ein. Wenn jemandem das Lernen
schwer fällt, sind es ja oft nicht die intellektuellen Fähigkeiten,
die nicht ausreichen, sondern Ängste, schlechte Erfahrungen in der
Schule und all die Erfahrungen, in denen Menschen vermittelt wurde: du
kannst nichts, du taugst nichts, du bist zu schwach, zu klein, zu dumm.
Gegen die Ängste kämpft man als Lehrer an, und das kostet Kraft.
Hier tanke ich neue Energien, wenn ich mich auf die Natur einschwingen
kann, die ganz nur sie selbst ist - und auch mich "sein" läßt.
Richard schreibt auch: Artikel in Zeitschriften zu Sport und gesunder Lebensweise.
Als ich etwas von der Feuergefahr sage und daß ich nicht weiter ins
Innere fahren werde, kommt als Reaktion nur: ach, dann muß ich gleich
noch eine Zigarette rauchen. Nun ja. Sie wollen mir aber erzählen,
ob es oben am Ende eine gute Aussicht gibt. Ich bleibe in der Nähe
des Parkplatzes, verziehe mich auf ein Plätzchen unter Bäumen
am Hang gegenüber den Kilns und schreibe.
Nach etwa zwei Stunden höre ich ihr Auto zurückkommen. Etwa
zwei, drei Autos nur haben in der Zwischenzeit die Kilns in beiden Richtungen
passiert. Die drei steigen aus, wollen einen Zettel an mein Auto hängen.
Ich gehe ihnen entgegen. Weiter oben ist noch ein Campground, den ich mit
meinem Auto erreichen könnte. Dann würde es sehr felsig und rauh.
Nur für hochrädrige Autos. Oben gäbe es keinen Aussichtspunkt.
Den hätte ich aber am Aguerebery Point. Und: die Straße sei
für mich gut befahrbar. Ich danke für die Tips. Wir wünschen
uns gegenseitig alles Gute - sie fahren los. Irgendwie fühle ich mich
in diesem ausgedörrten Wald nicht wohl und breche auch meine Zelte
ab. Ich fahre zum Rand des Waldes und finde dort ein schönes Plätzchen
unter einem breit ausladenden Wacholderbaum zum Meditieren und Schreiben.
Noch dazu mit dem Blick übers Tal bis hin zu den weißen Sierras.
Der Baum spendet in der Hitze wunderbare lichte Schatten. Die Nacht möchte
ich aber vorne am Campground mit dem fließenden Wasser verbringen.
Die Zivilisation hat schon etwas für sich. Aber: Man biete mir ein
Zimmer im Fünfsternehotel von Las Vegas gegen eine Wüstennacht
unter freiem Himmel an einem Ort, den ich mir wählen kann - und ich
lasse das Hotel links liegen!
Sonntag, 2. Juli 2000, 19.25 Uhr - Death Valley, Wildrose Canyon,
Waldrand
Als ich gegen 18.00 zum Campground unten komme, steht gleich beim Eingang
ein einsamer RV, ein recreation vehicle oder zu deutsch: ein Wohnmobil.
Die Tür ist geöffnet. Ein Mann sitzt dabei und liest Zeitung
und hört (gottseidank leise) Radio. Ich fahre vorbei weiter hinauf
zum Platz für die Zelte. Dort gibt es oberhalb von ein paar Stufen
einen höher gelegenen Platz, von dem man einen Überblick über
das ganze Gelände und bis hin tief in den Canyon hat. Ich hole meine
Sachen zum Schreiben und Lesen heraus, dann auch Essen und Trinken. Schlafsack
und Isomatte haben Zeit. Plötzlich wird das Radio von dem RV weiter
unten lauter. Dann höre ich Türenknallen, das Auto wird gestartet.
Ich bin froh, daß der Lärmmacher wegfährt und stelle nur
kurze Augenblicke später fest, daß ich mich grundlegend getäuscht
habe. Der Mann ist nicht fortgefahren, sondern weiter ins Innere des Campgrounds,
näher zu meinem Schlafplatz. Die Radiomusik lärmt und stört
mich. Außerdem bin ich mir nicht im klaren, weshalb er plötzlich
nähergerückt ist. Hat er sich nur ein schöneres Plätzchen
gesucht - oder hat das mit mir, mit der Tatsache, daß ich eine Frau
bin, zu tun? Ich will nicht lange herumrätseln und mich über
die Musik und die mögliche oder vermeintliche Bedrohung ärgern.
Ich packe meine Sachen und fahre zurück zum Waldrand, wo ich übernachten
will. Da die Straße über weite ebene Strecken führt, kann
ich im Rückspiegel gut erkennen, ob mir jemand folgt. Die Straße
hinter mir bleibt leer. Ich finde den alten Parkplatz in einer Straßenausbuchtung.
Meinen Schlafplatz suche ich aber weiter weg von der Straße, noch
ein gutes Stück vom Wacholderbaum entfernt. Der unfreiwillige Ortswechsel
hat auch sein Gutes: ich erlebe den Sonnenuntergang rot und gelb über
den Sierras. Dieses Erlebnis hätte ich unten im Campground nicht gehabt.
Ich halte aber die Straße im Auge, bis es richtig dunkel geworden
ist. Erst dann kann ich mich zum Schlafen beruhigt hinlegen.
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