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Mojave Desert, Granite Mountains - Route 66 - Needles -
Oatman - Kingman - Peach Springs - Hualapai
Reservat, Thorton Outlook

Samstag, 8. Juli 2000, 7.30 Mojave Wüste, Granite Mountains

Gestern habe ich bei der Fahrt zu den Sanddünen von Kelso die 5000 Meilen Marke überschritten. Heute wird es wieder eine lange Fahrt. Ich will nach Havasupai möglichst auf Nebenstraßen fahren und die Interstate 40, die sich ideal für die schnelle Verbindung anbietet, meiden. Große Teile der Strecke werden über die alte Route 66 führen. 
So fahre ich zunächst nach Süden weiter auf die Interstate 40 zu, unterquere sie aber, um auf eine kleine parallel verlaufende Landstraße weiter im Süden zu kommen, auf der. Amboy und Chambless als Orte verzeichnet sind. Die Straße führt durch ein breites graubraune Tal mit graubraunen  Bergen links und rechts. So bleibt die ganze Landschaft über Essex, Fenner, Goffs. Bei Fenner kreuzt die Straße wieder die Interstate und führt nun nördlich am Rand der Mojave entlang. Danach bleibt mir eine Strecke Autobahn nicht erspart. Ich unterbreche kurz in Needles, tanke und versorge mich mit frischem Wasser, Icecubes und ein paar Kleinigkeiten. Auf der Hauptstraße hat man einen kleinen Platz mit Blumen und Grün hergerichtet und einen Pionierwagen aufgestellt. Ich hätte nicht gedacht, daß diese hölzernen "wagons", die man aus jedem Westernfilm kennt, in Wirklichkeit so hoch und so schmal waren. Aber es leuchtet ein: hoch, damit viel hineingeht und schmal, damit sie auf den Wagenspurenstraßen und in dem bergigen Gelände leichter durch enge Schluchten und Steigen paßten. Die Siedler hatten auf ihrem Weg von Ost nach West ja die ganzen Bergketten der Rockies und der Sierra Nevada quer vor sich. Kaum hatten sie sich mit Tieren und Karren an Abgründen vorbei einen Berg hinaufgequält, sahen sie die nächste Bergkette vor sich aufragen. Und talwärts war die Fahrt vielleicht noch gefährlicher. Auf der Interstate fahre ich noch ein kurzes Stück weiter bis zur Ausfahrt auf die historische Route66 Richtung Kingman via Oatman. Eine wunderbare Strecke. Nachdem man auf der hohen Eisenbrücke den Colorado überquert hat, führt die Landstraße ein Stück am Wasser vorbei. Auch hier wurde der Colorado zu einem kleinen See aufgestaut. So sieht man Wasservögel mitten in der Wüste. Dann kommen sie wieder: die Joshuas und Chollas, die Teddybärkakteen links und rechts - und vorne eine bizarr aufragende Bergkette, auf die die Landstraße in Bögen und Schlingungen zuführt. 

Der nächste kleine Ort, Oatman, ist voll mit Autos und Touristen. Schilder warnen vor frei laufenden Burros, den Nachkommen der Minenmulis und -esel. Oatman ist eine einzige Kulisse: sie ist und spielt eine alte Westernstadt. Holzhäuser entlang der Straße mit überdachten Holzrampen für die Fußgänger. Die Burros laufen oder liegen mitten auf der Straße. Mehr lethargisch und gelangweilt. Vielleicht auch durstig in der Mittagshitze. Ich bin genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen. In wenigen Minuten, 13.30 beginnt die tägliche Wildwestshow. Fünf Männer spielen einen Banküberfall auf die Wells Fargo Filiale. Dann streiten sie um die Geldsäcke - bis der Sheriff, ganz in schwarz auftritt. In einem Rededuell fordert er die Gangster zur Herausgabe der geraubten Dollars auf. Sie verweigern es hohnlachend. So muß es zum Höhepunkt kommen: dem Showdown, der Schießerei. Der Sheriff steht wie ein Fels mitten auf der Straße. Natürlich trifft ihn keine Kugel - dafür winden sich die Räuber bald im Straßenstaub. Recht und Gesetz ist wiederhergestellt - und bald gehen Räuber und Sheriff mit aufgehaltenen Cowboyhüten durch die begeisterte Menge und sammeln ihren Tribut ein. Wir, die Zuschauer, geben gerne. Einer der Räuber hat einen kleinen Shop - noch geschlossen wegen des Spiels. Nur die Ansichtskartenständer stehen noch draußen. Natürlich mit Bildern von den alten Holzhäusern, den Burros und dem Showdown. Ich gehe die Straße einmal links und rechts auf und ab - besuche teilweise auch die Geschäfte. Viele Andenkenläden - Leder und Colts, Trödel. Eine Eselin mit ihrem Jungen liegt vor einem Geschäft. Sie lassen sich streicheln, und die Touristen füttern sie mit Karotten. Das Junge ist noch nicht so begeistert von dieser Speise. Es will lieber Muttermilch. Aber als die Mutter aufsteht, braucht es lange, bis es auch auf die Beine kommt. Es macht einen müden, abgeschlagenen Eindruck. Das hier ist kein fröhliches Leben auf einer Weide zum Herumtollen. 

Kingman ist ein viel größerer Ort, hat breite Straßen, sogar zementierte Fußgängerwege. Es liegt zu Füßen des Hualapai Peak, eines hohen Bergmassivs, in dem oben ein Campground ist. Dichte Wolken liegen über dem Berg. Ich fahre trotzdem hinauf. Die  Straße ist gesäumt von gepflegten Villen. Der Ort macht einen ausgesprochen wohlhabenden Eindruck. Die Villenbebauung zieht sich den ganzen Berg hoch. Vermutlich sind auch Wochenendhäuser reicher Städter darunter. Es ist Samstag, und ich bin nicht die einzige, die zum Berg unterwegs ist. Oben hört der Asphalt auf. Inzwischen hat Regen eingesetzt, und es blitzt und donnert. Außerdem wird es kalt. Der Hualapai Peak ist über zweieinhalbtausend Meter hoch. Kein idealer Platz zum Übernachten im Schlafsack. Also wieder hinunter und weiter auf der Route 66 in Richtung Peach Springs und das Hualapai-Reservat. In Kingman tanke ich noch. Als ich nach dem Tanken zur Kasse gehe, kommt mir an der Tür eine Indianerin entgegen. Sie ist vor mir da - hält mir die Tür auf. Ich danke, und wir lächeln uns an. Auch hier kaufe ich noch ein paar Lebensmittel. Beim Herausgehen kommt mir die Indianerin wieder entgegen - wieder dasselbe Spiel an der Tür. Und es passiert noch ein drittes "zufälliges" Mal, als ich noch einmal zurückgehe. Wir brechen beide in Gelächter aus. Sie ist eine beeindruckende Erscheinung: hoch gewachsen, ihre Haltung ganz frei und gelöst, so daß sie noch zehn Zentimeter größer wirkt. Sie hat nichts von der abweisenden schweigenden Distanz, die viele Indianer den Weißen gegenüber zeigen. Sie lächelt, schaut einem direkt in die Augen - und hat Humor. Eine herrliche Frau - sie strahlt von innen heraus. So glücklich und frei sollten viel mehr Menschen sein!

Hinter Kingman führt die Straße zunächst am Fuß des Hualapai Peaks entlang. Aus den bleigrauen Wolken schlagen Blitze, und durch die Regenwand fahre ich einem Regenbogen entgegen.
Zwischen Kingman und Peach Springs überrascht mich eine Felsenlandschaft, die ich nach all den Felsen, die ich schon gesehen habe, kaum noch für möglich gehalten habe: Es ist heller Stein, wohl Granit. Aber so zerfurcht, zerwürfelt, zerhauen und wieder zusammengestückelt, zusammengepreßt habe ich Steine und Felsen noch nie gesehen. Später führt die Straße durch eine weite Ebene. In der Ferne regnet es noch immer oder schon wieder. Insgesamt drei Regenbogen tauchen nacheinander vor mir auf. Der Halbbogen faßt die flache Hochebene wie ein Ring ein. In Peach Springs, einem kleinen Ort, gibt es zwar ein großes Hotel, aber ich entdecke keinen Campground. Also weiter, auch wenn es schon später Nachmittag ist. 

Bald erreiche ich die Route 18, die durch das Reservat zum Havasu Canyon am Grand Canyon führt. Sechzig Meilen sind es bis zum Ende der Straße. Ganz werde ich die Strecke nicht schaffen, aber ein Platz zum Übernachten wird sich schon finden. Ein Schild am Straßenrand weist darauf hin, daß man zum Betreten des Reservats die Erlaubnis der Reservatsbehörde braucht. Man bekommt sie in Peach Springs. Ich würde zurückfahren, wenn es nicht schon so spät wäre. Kein Büro ist am Samstag Nachmittag kurz vor halb sieben noch offen! So fahre ich weiter. Niemand hält mich auf. 
Bald fängt die Straße an zu steigen und sich durch hügeliges Gelände zu winden. Dichter Pinienwald säumt die Straße. Bei Fraziers Well gibt es eine Ruine und eine Straßengabelung auf eine unasphaltierte Sandpiste. Sie scheint zu einer Farm zu führen. Nichts für mich. Später dann ein Holzschild: Thorton Outlook. Ein Ausblick, Ausguck - hoffentlich auf den Grand Canyon. Ich schlage die Sandstraße ein. Der Sand ist fest. Hier hat es auch geregnet. Endlos scheint der Weg durch den Wald zu führen. Einmal verscheuche ich einen Hirsch. Nach vier Meilen sehe ich das Gerüst eines Turmes. Er steht mitten im Wald. Kein Canyon, kein Ausguck. Ein Stück weiter führt die Straße aber noch zu einem Jugendcamp. Vielleicht liegt das ja malerisch am Rand einer Schlucht. Aber auch hier bleibt alles waldig. Das Camp ist verlassen. Nur das Verwalterhaus scheint bewohnt. Auf der Rückfahrt mache ich Halt am Turm. Ein Indianer spielt mit einem amerikanischen Football, ein zweiter schlägt etwas weiter entfernt ein Zelt auf. Ich steige aus - frage den ballspielenden Mann nach dem Canyon. Nein, der Canyon ist noch sehr weit weg. Der Wachtturm dient dem Brandschutz. In dieser Gegend gewittert es oft, die Blitzschlag- und Brandgefahr ist hoch. In den letzten Tagen hat es aber ausgiebig geregnet. Boden und Bäume sind feucht. Ich bedanke mich, fahre zurück. Und dann erlebe ich wieder einmal das Wunder, daß ein Weg auf dem Rückweg ein völlig anderer zu sein scheint. Immer noch stehen die Bäume links und rechts hoch in den Himmel. Aber an einer Kurve öffnet sich jetzt der Blick weit über das Waldtal und auf Berge in der Ferne vor dem Abendhimmel, in dem sich im Osten Wolkenstreifen schon rot und gelb verfärbt haben. Die Piste ist hier breit genug, daß ich das Auto abstellen kann, ohne eventuell vorbeikommende Wagen zu behindern. Von Westen her rücken dunkle Wolken heran und bilden mit der untergehenden Sonne ein Formen- und Farbenspiel, das ich nicht satt werden kann zu betrachten. Es wird doch eine Nacht im Auto. Noch im Halbdunkel höre ich in der Ferne einen Schuß. Mitten in der Nacht wache ich auf, weil es durch die halb geöffneten Fenster hineinregnet. Also krieche ich aus dem Schlafsack, robbe vor zum Fahrersitz, lasse das Auto an, nur um die elektrischen Fenster auf der Regenseite zu schließen. Mit Kurbeln wäre die Sache einfacher gewesen. Aber der Fortschritt der Technik macht vor nichts Halt. Was macht man eigentlich in einer solchen Situation, wenn der Anlasser nicht funktioniert?

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