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Hualapai Reservat, Thorton Outlook - Suvai - Seligman -
Old Route 89A - Mount Mingus - Jerome - Cottonwood
Sonntag, 9. Juli 2000, 6.00 Uhr, Route 18 in der Nähe von
Thorton Outlook
Im Morgengrauen sind die Fenster vor Nässe und Kälte beschlagen.
Das ganze Auto ist mit Wassertropfen überperlt. Der Sonnenaufgang
ist dafür so dramatisch wie gestern der Sonnenuntergang. Nur warm
muß man sich anziehen. Als ich die Morgenwäsche beendet habe
und beim Frühstück sitze und dem Sonnenaufgang zuschaue, höre
ich Schritte. Vom Aussichtsturm oder vom Camp kommt eine Indianerin gelaufen.
Sie joggt - läuft leichtfüßig an mir vorüber. Nach
einer halben Stunde kommt sie - etwas keuchender - wieder zurückgelaufen.
Sie winkt und grüßt mir zu. Ich winke und grüße zurück.
Ihre Lauflust ist ansteckend. Ich springe selbst los - und gebe nach ein
paar hundert Metern mit meinen ungeübten Muskeln auf. Für die
Navajos, bei denen ein Mädchen zur Frau initiiert wird, indem sie
bei Sonnenaufgang losrennt - so weit wie sie kann -, wäre ich eine
klägliche Erscheinung. Je weiter das Mädchen läuft, um so
länger wird sie in Gesundheit leben. Ein Mädchen, das an einem
Mann interessiert ist, läuft vor seinen Augen los - und macht ihm
das Einfangen so schwierig wie möglich.
Ich fahre zurück zur Landstraße. Allmählich dünnt
sich der Wald aus. Links und rechts der Landstraße gibt es Zufahrten
zu Farmen. Die rote Erde kommt durch, dann nackter Fels. Bäume gibt
es nur noch vereinzelt. Niedrige, oft verkrüppelte, verdrehte Wacholderbäume
oder Büsche.
Kurz vor halb acht erreiche ich die Havasuschlucht und das Ende der
Straße. Viele Autos parken dort. Aber ich sehe keine Menschen. Sie
sind gestern in die Schlucht hinabgestiegen und die zehn Meilen zum Grand
Canyon gewandert. Sie übernachten im Canyon und werden in der Morgendämmerung
wieder hinaufsteigen oder sich von Packpferden hinauftragen lassen. Weiter
unterhalb vom Parkplatz gibt es einen Ausguck über den Canyon. Der
Weg dorthin führt an einem Pferdestall vorbei. Zwei junge Pferde liegen
matt im überdachten Teil. Drei Pferde stehen weiter draußen,
lassen die Köpfe hängen. Alle Pferde sind schrecklich mager.
Man kann die Rippen zählen. Auf dem Rücken sehe ich offene Wunden
vom Sattel. Eine Stute hat tränende Augen und grünen Schleim
in den Nüstern. Mähne und Schweife der Pferde sind struppig.
Ihr Zustand ist erbärmlich. Ich kann es kaum fassen. Der große
Wasserbottich ist leer. Die Pferde suchen im leergegrasten Sandgrund nach
Eßbarem. Sie suchen sogar im eigenen Mist.
Ich gehe zurück zum Auto, hole altes Brot. Die Pferde reißen
es mir aus der Hand, fressen gierig. Ich gehe erst mal weiter, schaue in
den Canyon. Es geht in paar hundert Meter hinunter. Aber es ist nur ein
Seitenarm, der zum Grand Canyon führt. Die Felsen mehr gelb und weiß
als rot. Auf dem Rückweg schneide ich mit dem Taschenmesser frisches
Grün von den Büschen, die hier herum wachsen und an die Pferde
hinter dem Gatter nicht kommen. Auch dies essen sie begierig. Mir fällt
ein, daß ich noch Karotten im Thermosbehälter habe. Ich hole
sie. Inzwischen sind auch die beiden Fohlen herangekommen. Sie sind aber
sehr scheu. Nur das Beispiel der älteren Tiere läßt sie
zutraulich werden. Ein paar Möhren fressen sie, dann ziehen sich wieder
zurück. Die ausgemergelte Stute und der klapperdürre Hengst nehmen
mir die Karotten aus der Hand, fressen aber doch nicht alle. Vielleicht
sind sie zu kalt. Ich hole noch Studentenfutter aus dem Auto. Das wird
der absolute Hit. Mit dem Tempotuch reinige ich die Nasenlöcher der
Stute. Sie läßt es geschehen. Wir vertrauen beide einander.
Noch nie war ich Pferden so nah. Auch der Hengst läßt sich streicheln
und schmust. Der Abschied fällt mir schwer. Wie oft haben diese Pferde
den steilen Weg nach unten und wieder hinauf getan. Die Menschen getragen,
ihren Besitzer ernährt. Und wenn sie am Ende ihrer Kräfte sind,
läßt man sie hungern und Durst leiden. Einmal sehe ich einen
korpulenten Indianer aus einem Wohncontainer nahe dem Stall steigen. Vermutlich
der Besitzer.
Oben auf der Straße kommen ein paar Pferde mit leeren Körben
an der Seite, angeführt von einem jungen Indianer oder Indianerin,
der stolz auf seinem Pferd sitzt. Die Pferde selbst machen einen müden,
erschöpften Eindruck. Es ist die Pferdepost nach Supai unten im Canyon.
Sie kommen zurück. Der Junge führt sie zum Eingang des Parkplatzes
und läßt sie einfach stehen, wie sie sind. Mit Sätteln
und Halftern. Sie bekommen nichts zu essen und nichts zu trinken. Ich gehe
in die Richtung, aus der sie gekommen sind - zum Startpunkt des Fußweges
in den Canyon. Ein Gruppe junger Touristen ist mit Sack und Pack gerade
nach oben gekommen. Sie fühlen sich wie Helden. Von oben sieht man
die Serpentinen nach unten und den Verlauf des Weges in der Schlucht. Ein
älterer Indianer mit Rucksack beginnt gerade den Abstieg. Vielleicht
kehrt er in sein Dorf zurück oder besucht Verwandte dort.
Auf der Fahrt zurück kommt mir ein LKW entgegen: ein Wassertransporter.
Sie müssen das Wasser im Tank anliefern. Oben gibt es keine Quellen.
Später lese ich, daß die Indianer im Reservat immer noch sehr
arm sind. Viele leben von der Sozialhilfe. Und doch meine ich, daß
der Tourismus erlauben würde, daß auch die Pferde und die anderen
Tiere in einem würdigen Zustand leben könnten.
Im Wald sehe ich auf einmal vier Hirsche davonsprengen. Etwas abseits
von der Straße sammeln sie sich wieder. Vier prächtige Geweihträger
- eine Junggesellengruppe.
An diesem Tag bin und bleibe ich müde. Ich merke: ich brauche
wieder einmal ein richtiges Bett und richtigen Schlaf. Die nächste
Nacht will ich in einem Motel verbringen. Dusche und Haare waschen sind
auch längst fällig. Die Katzenwäsche aus Wasserflaschen
ist auf Dauer nicht sehr befriedigend. Ich möchte noch einmal nach
Utah, hinauf Richtung Page, in die Wildnis der Vermillion Cliffs, wo sogar
ausgewilderte Kondore noch eine Chance zum Überleben haben. Die Fahrt
dorthin muß nicht auf die schnellste und kürzeste Weise vonstatten gehen.
Auf der Karte finde ich noch ein paar interessant erscheinende Landstraßen.
Die alte Route 89 - erst Richtung Süden über Seligman nach Prescott,
dann wieder nach Norden - Sedona, Flagstaff, Page.
Seligman ist ein hübsches verschlafenes Städtchen. Der Groceryladen
ein richtiger Tante Emma Laden - auf amerikanische Westernart natürlich:
überdachter Holzsteg, innen dunkel. Viele Andenken, aber natürlich
auch Cola, Icecubes, ein Geldautomat, offenes Jerky an der Kasse. Später
fahre ich an moderneren Andenkenläden und Imbißstationen bzw.
Restaurants vorbei. Aber den Charme hat der alte Groceryladen.
Der Himmel bleibt überwiegend bedeckt, klärt erst bei Prescott
auf. Die Stadt liegt in einem so grünen Tal liegt, daß man glaubt,
einen überdimensionierten Golfplatz zu passieren. In der Ferne wieder
dramatische Felsen. Dann führt die Straße steil hinauf. Es ist
der Mount Mingus, wie ich später erfahre, auf dessen Gipfel ein Erholungsgebiet
mit Campground liegt. Eine Sandpiste über roten Fels zweigt zum Gipfel
ab. Ich habe noch Zeit und fahre nach oben. Amerikaner scheinen Schotter-
und Sandpisten gewohnt zu sein. Sie preschen mit einer Sandfahne hinauf,
daß ich mich nur wundere, wie sie mit ihren Autos und den Reifen
umgehen. Wunderschön leuchtet die rote Straße inmitten des grünen
Waldes. An einer Seite öffnet sich oft der Weg, führt an einem
Abhang entlang, und man hat den weiten Blick zurück ins Tal. Die erste
Station führt zu einem kleinen See, an dem einige Leute angeln. Ich
mache kurz Halt. Die Informationstafel zeigt, daß hier Bärengebiet
ist. Zum Übernachten im Schlafsack also nicht gerade der ideale Schlafplatz.
Weiter oben soll es aber einen besonders schönen Ausblick über
das ganze Verde-Tal geben. Also fahre ich weiter. Die Straße wird
zum Waldweg. Vor mir zwei große Geländewagen, offensichtlich
mit demselben Ziel. Der angekündigte Ausblick endet bei einer Sendestation.
Man hat kaum Platz zum Parken, die beiden Wagen vor mir fahren schon wieder
zurück. Aber das kann es doch nicht gewesen sein. Ich steige aus,
gehe an der Sendestation vorbei, sehe einen kleinen Fußweg, der über
große Felsbrocken in den Wald aus Pinien und Wacholderbäumen
führt. Die Luft riecht herrlich würzig. Nach nur dreißig
Metern sehe ich weiter vorne einen hellen Fleck, der Wald öffnet sich.
Dann plötzlich ein Rasseln. Zum ersten Mal höre ich es in der
freien Natur. Die Klapperschlange selbst sehe ich nicht. Ich bleibe stehen,
äuge herum. Die Schlange hat offenbar die Zeit genutzt und sich verkrochen.
Ich gehe vorsichtig weiter, die Augen am Boden. Von der Klapperschlange
ist nichts mehr zu sehen und zu hören. Dafür stehe ich am Rand
eines Steilhangs. Weit unten das Tal, aus dem ich gekommen bin - in der
Ferne die roten Tafelberge und Mesas, wie sie für Arizona und Utah
typisch sind. Ein grandioser 180-Grad-Weitblick. Ich habe ihn ganz für
mich. Wirklich nur ein paar Schritt zu Fuß, und man ist allein!
Ich bleibe eine Weile dort oben, glücklich über die Weite und
Stille. Als ich zum Auto zurückkehre, kommt mir ein Auto entgegen.
Ein Paar mit einem kleinen Mädchen. Sie sind schon am umkehren. Ich
sage ihnen, wo der Ausblick ist, warne sie vor der Klapperschlange. Ich
will auch noch den Rangern Bescheid geben, damit sie das Tier zur Sicherheit
für Mensch und Tier in menschenfernere Gebiete verbringen können.
Ich hätte diese Leute nicht warnen sollen. Kurz nachdem ich losgefahren
bin, höre ich hinter mir einen Schuß. Ich hasse diese vorschnellen
und dummen Gewaltlösungen. Arme Schlange! Sie hatte wohl genauso viel
Angst vor den Menschen wie die Menschen vor ihr. Nur gibt sie mit ihrer
Warnung den Menschen eine Chance. Die Menschen der Schlange nicht.
Die Fahrt hinunter zur Hauptstraße bleibe ich lange verstimmt
und traurig. Nur allmählich löst die Schönheit und Wildheit
der Landschaft die Trauer um die abgeschossene Schlange. In langen Bögen
und Serpentinen windet sich die Straße hinunter in eine breite Schlucht.
Am Scheitelpunkt sieht man wieder ins Tal - diesmal nach Norden. Ganz fern
am Horizont wieder Felsmassive. Auf der anderen Seite der Schlucht führt
die Straße durch eine unglaublich schöne Felsenlandschaft. Und
dann kommen plötzlich Häuser. Ein kleiner Ort: Jerome. Die Häuser
kleben am Steilhang, es werden immer mehr. Eine ganze Stadt zieht sich
auf halber Höhe steil den Berg hinauf. Es sind richtige Steinhäuser,
viele mehrgeschossig. Sie erinnern an ein mediterranes Bergstädtchen.
Und die Künstler haben Jerome schon lange entdeckt. Es gibt Boutiquen,
Galerien, aus Kneipen dringt Jazzmusik. Die Straßen im Zentrum sind
voll mit flanierenden Menschen. Eine zauberhafte Stadt. Die Gebäude
stammen teilweise noch vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Mit schmiedeeisernen
Balkonen, Gittern, geschnitzten Balken. Und immer blinkt zwischen den Häusern
der Blick weit nach unten in die Ebene durch. In der Ferne die roten Felsen
von Sedona (Luftlinie etwa 30 km). So schön und lebhaft der Ort ist
- mir ist er etwas zu trubelig und laut. Ich halte öfters zum Fotografieren,
fahre dann weiter. Auch im Rückblick ist Jerome wunderschön,
wie es sich mit seinen Häusern an den Berghang schmiegt.
Unten im Tal liegt Cottonwood. Hier stößt man auf die alte
89A, die Landstraße, die nach Sedona und Flagstaff weiterführt.
Es ist später Nachmittag. An der breiten Hauptstraße gibt es
einige Motels. Eines wirbt mit seinem Preis: 34 $. Ein kleiner Weg führt
einen Hügel hinauf. Dort liegt das View Motel und macht seinem Namen
alle Ehren. Vom Swimmingpool vor den Schlafräumen stehen Gartenstühle
und Tische - von dort hat man einen Blick über die ganze Stadt und
weiter noch bis zu den Bergen von Sedona. 180 Grad! Links im Westen bahnt
sich ein malerischer Sonnenuntergang an - rechts im Osten werde ich morgen
den Sonnenaufgang erleben können. Die Besitzerin ist sehr nett, hat
auch ein Zimmer für mich. Endlich wieder ein richtiges Bett. Ab und
zu braucht frau doch die Annehmlichkeiten der Zivilisation. Und endlich
wieder eine Dusche! Eine gute noch dazu, mit dickem Strahl. Gewaschen und
gereinigt gehe ich später zum Swimmingpool, suche mir ein schönes
Plätzchen für den Ausguck, schreibe ein bißchen. Plötzlich
geht fast neben mir ein Generator los. Daß Zivilisation immer mit
Lärm verbunden ist! Ich rücke ein paar Tische weiter, das Geräusch
ist nicht mehr so penetrant. Der Sonnenuntergang in allen Gelb-Rot-Violettönen
entschädigt für allen Lärm.
Die Nacht wird gut und ruhig. Das Bett ein Genuß.
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