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Cottonwood - Sedona, Red Rock State Park - Flagstaff -
Route 89 - Vermillion Cliffs - Kaibab Forest/Utah

Montag, 10. Juli 2000, 5.30 Cottonwood, Arizona

Es ist schon hell, aber die Sonne ist noch nicht über dem Horizont. Draußen am Swimmingpool warte ich auf den Sonnenaufgang. Die Berge von Sedona säumt ein heller Goldglanz, dann wird es heller und heller - die Sonne kriecht über den Kamm. Schon sehr gelb. Es ist kurz nach sechs. Ich bin immer noch etwas müde. Und drinnen gibt es ein Bett. Also zurück. Als ich mich ins Bett gekuschelt habe, geht draußen ein Hämmern los. Der Besitzer repariert irgend etwas. Müssen Amerikaner immer etwas schaffen und Krach machen? Das ist natürlich eine Verallgemeinerung. Aber nach den Tagen der Stille in der Natur stört mich der Lärm erst recht. Ich schwanke zwischen Aufstehen und Michbeschweren oder doch Liegenbleiben. Ich entscheide mich für letzteres. Wenn ich jetzt aufstehe und mit dem Mann rede, bin ich so wach, daß ich anschließend gar nicht mehr einschlafe. Also bleibe ich liegen, dussele vor mich hin und schlafe tatsächlich noch für eine Stunde ein. Dafür kann ich später eine warme Tasse Tee zum Frühstück genießen. All die Tage zuvor gab es nur kaltes Wasser - pur oder mit gepreßtem Orangen- oder Grapefruitsaft versetzt. Trotz des Lärms: dieses Motel hat mir gefallen. Die Atmosphäre ist freundlich und gelassen, Bett und Dusche ausgezeichnet, und der Weitblick entschädigt für die Lärmstörungen.
Die Fahrt nach Sedona. Diesmal am frühen Morgen. Beim oberen Roundloop nach dem Ortseingang biege ich ab und fahre den Rundweg durch, der am Schluß als Schotterpiste beim Eingang für den Statepark endet. Immer hat man den Blick auf die roten Felskolosse in der Mitte, eingebettet ins Grün vom Oak Creek. Es gibt hier Häuser - Villen, kleine Holzhäuschen. In einem Garten steht eine Pferdeskulptur. So täuschend echt, daß man glaubt, ein lebendiges Pferd oder ein großer Hund stehe am Zaun. Beim Ortsausgang mache ich noch eine Seitentour auf die andere Seite der Oak Creek Schlucht. Die kleine Straße führt nach oben - zu einem Aussichtspunkt. Zwei Autos stehen dort - als ich aussteige, kommen mir drei Hunde bellend entgegengelaufen. Ein Chow, ein Schäferhund und ein Mischling mittlerer Größe. Herrchen folgt im Hintergrund. Die Hunde sind freundlich. Herrchen aus New York auch. Ein älterer Herr, der im Krieg in Deutschland war. Er sagt es, als ich ihm erzähle daß ich aus Germany bin. Er sucht ein paar Brocken auf deutsch zusammen. Nach den Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind,  fällt es ihm nicht leicht. Ich frage ihn, wo er war. Aber da hört er auf zu erzählen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich vermute, daß er bzw. seine Familie aus Deutschland selbst stammt. Ein Jude oder politisch Verfolgter. Er pfeift seine Hunde zu sich und fährt davon. 

Auf der Weiterfahrt Richtung Flagstaff mache ich diesmal am Rock Slide State Park in der Mitte der Strecke Station. Ich erwarte dramatisch überhängende Felsformationen. Dann ist es ein überlaufener Park, der zum Bad im Oak Creek einlädt. Dort sind die Felsen so glatt und glitschig, daß man wie auf einer Riesenrutsche den Fluß hinuntersausen kann. Das Slide bezieht sich auf die Wasserrutsche - nicht auf die Steinschlaggefahr. Das Wasser ist sehr flach, bildet zwischen den großen flachen Felsblöcken Badebecken. An einigen Stellen sind die Becken so tief, daß Kinder von einem erhöhten Felsen hineinspringen können. Holzsteige führen über den Fluß. Ich gehe hinüber, setze mich auf einen flachen Stein am Wasserrand, tauche die Füße hinein. Mit den Zehen fahre ich den Fels unter Wasser entlang. Ja wirklich glatt. Wie mit Seife eingeschmiert. Wer hier wie ich in Kleidung gehen oder durchwaten will, muß höllisch aufpassen. Den Kindern macht es einen Mordsspaß. Sie tragen ja auch Badeanzüge und Badehosen. Der Park ist zum Zielpunkt von Familienausflügen geworden. Nahe beim Eingang gibt es überdachte oder von großen Bäumen beschattete Sitzgruppen zum Picknicken. Hier hat einmal ein deutscher Farmer eine Obstplantage aufgebaut. Mit seiner Wassermühle, deren Mühlrad als Denkmal erhalten ist, konnte er geschickt eine große Fläche bewässern und kam heil durch Trockenzeiten. Das alte Farmhaus mit seinen niedrigen Decken steht noch. Außerdem hatte der Besitzer schon in den zwanziger Jahren an Einkünfte durch Tourismus gedacht. Er baute einfache Holzhütten für seine Gäste, von denen noch eine - leicht ramponiert - erhalten ist. Und es gibt noch massenweise Obstbäume - Spalierobst. Schilder verbieten, die Früchte zu pflücken. Die Bäume werden noch bewirtschaftet.
Als ich wieder durch Flagstaff komme, wieder an dem Haus mit dem Palmreading vorbei, beschließe ich, diesmal die Probe aufs Exempel zu machen und mir doch aus der Hand lesen zu lassen. Als ich klingele, öffnet niemand. Dann entdecke ich ein kleines Schild: man möge doch unter der und der Telefonnummer vorher einen Termin ausmachen. So sind wir quitt. Dreimal interessiert, aber voller Mißtrauen vorbeigefahren. Jetzt verweigert mir der oder die HandleserIn den Zugang. Es hat nicht sollen sein!
Bald nach Flagstaff wieder die Freude, auf die roten und bunten Felsen zuzufahren. Die Straße wird vierspurig erweitert. Es gibt viele Baustellen, aber glücklicherweise komme ich ohne Stau vorwärts. Die Straße (Route 89) ist ziemlich stark befahren. Vor der ersten Baustelle habe ich gerade noch einen riesigen Truck passieren können, der sehr viel langsamer auf den schmalen Abschnitten manövrieren muß. Vor mir kein weiterer Truck, hinter dem ich hängenbleiben müßte. Ich passiere die Gray Mountains, wo ich beim ersten Amerikaaufenthalt übernachtet hatte. Ein Motel, das von Indianern geführt wird. Ich tanke an der kleinen Tankstelle. Es hat sich nicht viel verändert. Weiter im Norden nahe der Abzweigung nach Page gibt es vor der hochragenden roten Bergkette immer wieder die Schmuckstände der Navajos. Ich halte wieder - suche nach den Ashuriteketten. Finde auch hier keine, aber doch ein paar andere Kleinigkeiten. Aber ich komme mit einem gesprächigen und aufgekratzten Navajo in Kontakt. Er erzählt von den Designs, die sie jedes Jahr neu planen oder wieder aufgreifen. In der Nähe steht ein schweres Motorrad - seines. Er hat eine Farm in der Nähe der Coloradobrücke. Er liebe dieses Land. Und er empfiehlt mir für die Übernachtung auf der Straße nach Kanab den Campground nach dem Lake Jacob zu nehmen. So weit wollte ich heute nicht fahren. Ich möchte vorher - noch bei den Vermillion Cliffs, in der ganz freien Natur einen schönen Schlafplatz finden. Die letzte Nacht draußen unter den Sternen. Morgen muß ich abends in oder bei Los Angeles sein. Das heißt Übernachtung im Motel. Am Mittwoch (12. Juli) muß ich ins Flugzeug zurück nach Frankfurt. An den Rückflug mag ich noch gar nicht denken. Ich will die Schönheit der Landschaft bis zur letzten Sekunde genießen. 

Montag, 10. Juli 2000, 19.45 Kaibab Forest, Arizona

So fahre ich weiter, passiere die Gabelung nach Page. Vor Page recken sich die Felsberge noch einmal in dramatischen Stufen nach oben. Die Straße nach Page führt in Serpentinen nach oben. Vom Kamm aus hat man einen phantastischen Rundblick. Aber diesmal bleibe ich unten, nehme die Straße zu Lee's Ferry, der Stelle am Colorado, wo man über eine Brücke den Fluß passieren kann. Um von der Nordkante des Grand Canyon zur Südseite zu gelangen, bleibt einem nichts anderes übrig, als den riesigen Bogen über diese Brücke zu nehmen. Jetzt schaue ich erst einmal zur Straße hinauf, die nach Page führt, sehe die aufblinkenden Fahrzeuge in den senkrecht abfallenden Felswänden, die sich meilenweit mit flacher Kante oben in Nordsüdrichtung hinziehen. Wie eine riesige Mauer - im Nachmittagslicht verschwenderisch angestrahlt, daß alle Rot- und Brauntöne leuchten und schwingen. 
Als ich zur Brücke komme, sind die Verkaufsstände der Navajos schon weggeräumt, die Indianer zu ihren Farmen zurückgekehrt. Die Sonne steht tief. Trotzdem steige ich noch aus, blicke auf beiden Seiten auf den Fluß hinunter. Ein Ehepaar spricht mich an, die nach mir gekommen sind. Sie hätten mich mit dem weißen Hut schon von oben von Page her gesehen. So oft hatte ich gehalten und fotografiert!
Beim Weiterfahren - wieder entlang einer gigantischen Felswand, hinter der die Sonne schon öfters verschwindet, wird mir klar, daß ich hier unten keine Übernachtungsmöglichkeit finde. Hier ist - wenn auch für europäische Augen kaum zu sehen - Farmland. Hier wohnen Leute. Erst jetzt, wo ich nach einem Übernachtungsplatz in der "freien Natur" suche, fällt es mir auf. In der Ebene würde man auch das Auto schon von weitem sehen können. Also fahre ich weiter, die Serpentinen hinauf zum Plateau der Nordseite des Grand Canyon. Ich suche, finde aber keine Seitenstraßen, Seitenbuchten mit Sichtschutz von der Straße. Die Landstraße führt hart am Abgrund vorbei - kein Platz für kleinere Haltebuchten. Erst sehr weit oben kommt ein größerer Aussichtspunkt mit Parkplatz. Aber da stehen schon Autos. Immer wieder kommen mir auch Autos entgegen - oder ich werde von Autos überholt, die noch ein entfernteres Ziel ansteuern. Also weiter nach oben. Dann beginnt der Wald, der Kaibab Forest, der sich bis vor Fredonia hinzieht. Das Hinterland des nördlichen Grand Canyon. Kein Ausblick mehr. Dafür aber ein befahrbarer Seitenweg. Ich biege hinein, fahre hinauf. Vielleicht komme ich doch auf der anderen Seite des Gipfels heraus. Schließlich gelange ich zu einem kleinen Plateau. Seitlich führt die Straße weiter in die Berge. Aber das Plateau gefällt mir. Offensichtlich haben hier auch schon andere gerastet. Es gibt Feuerstellen, zwar keinen Müll, aber doch Reste, Spuren menschlicher Gegenwart. Als ich den Platz ausgehe und nach einem ebenen Schlafplatz suche, öffnet sich weiter vorne der Blick ins Tal. Vor mir die Vermillion Cliffs, an denen ich vorbeigefahren bin, noch weiter hinten die Berge vor Page. Ein ganz weiter Blick, die Berge, Felsen und das Tal beleuchtet im goldgelben weichen Licht der Abendsonne. Einen schöneren Platz für die letzte Nacht in der Natur hätte ich mir gar nicht wünschen können. 
Als ich meine Sachen ausgebreitet habe und zu Abend esse und ein bißchen schreibe, höre ich ein Auto kommen. Es hat denselben Weg gefunden wie ich. Aber der Fahrer macht früher Halt. Ich verhalte mich still, lausche. Dann höre ich Stimmen, ein Mann und eine Frau. Kein Grund zur Besorgnis. Aber ich bleibe still. Die Farben am Himmel werden dunkler, leuchtender. Gelb, rot , purpurn. Was für ein Abschiedsgeschenk!
Später richte ich möglichst geräuschlos die Sachen zum Schlafen, verstaue den Rest im Auto und verkrieche mich im Schlafsack. Ich liege oben auf einem Berghang, etwa zweieinhalbtausend Meter hoch, inmitten von Pinien und Wacholderbäumen. Ob es hier Bären gibt? Der Gedanke schreckt mich. Hier hat es keine Anschläge wie auf dem Mount Mingus gegeben. Aber hier ist ja auch kein öffentlicher Campground. Ich hatte geglaubt, die Bären lebten viel weiter nördlich. Im Yosemite-Park zum Beispiel. Aber Mount Mingus liegt sehr viel südlicher von meinem jetzigen Platz aus. Es könnten sehr wohl Bären in dieser Gegend überleben. Irgendwann kommt aber das Vertrauen, daß selbst wenn es Bären hier gibt, daß sie mich in Ruhe lassen würden. Innerlich schwinge ich mich auf die Bären ein, bis ich die Verwandtschaft unserer Wurzeln spüre. Dann schlafe ich friedlich ein.

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