Das Opfer - 02
Anja
fand Muße, sich mit seinen Gegnern zu beschäftigen. Es waren
zwei - ein Mann von den Tierschützern, und eine Frau als Vertreterin
der Kirche, in diesem Fall für die ethischen Fragen zuständig.
Es waren zwei kümmerliche, armselige Gestalten, die gegen ihren Jürgen
keine Chance hatten. Der Tierschutzvertreter verhaspelte sich beim Sprechen,
er brachte die altbekannten Behauptungen von den Tieren als Mitgeschöpfen
und fühlenden und leidenden Wesen vor. Statt sie zu begründen,
wiederholte er seine Schlagworte nur wieder und wieder und wußte
Jürgens Einwänden nichts als unsachliche und wütende Einwürfe
entgegenzubrüllen. Seine Unbeherrschtheit verstörte das Publikum,
das anfangs ganz auf seiner Seite gewesen war. Der Beifall, der bei seiner
Begrüßung aufgebrandet war, verlief sich, bis er schließlich
ins Nichtmehrvorhandene versandete. Als er Jürgen schließlich
noch persönlich angriff und ihm überhebliche Arroganz und Fühllosigkeit
vorwarf, hatte er seine Sympathien ganz verscherzt.
Die
Kirchenvertreterin sprach langatmig und fing stets bei Adam und Eva an,
bis sie zum eigentlichen Thema kam. Was ihr aber, die ebenfalls für
die Tiere sprach, die Gunst der Zuhörer raubte, war ihre unangenehm
gaumig verhangene Sprechweise. Es fiel schwer, dieser farblos käsigen
Stimme zuzuhören, die außerdem, wenn sie nicht lispelte, das
"S" mit einem merkwürdig scharfen Zischlaut aussprach. Was sie dann
sagte, spielte kaum noch eine Rolle, denn es wurde von dem unsauberen Klang
und der lispelnden Stimme eingefärbt. Selbst der Moderator fiel ihr
ins Wort und wandte sich lieber Professor Siebert zu, der mit geschulter,
wohltönender Stimme Worte, Argumente und die Gegenwart seiner Gegner
vergessen machte, kaum daß er das Wort ergriff. Er sprach davon,
daß er selbst Tiere über alles liebe - und man war gerührt.
Er sagte, er würde es nicht zulassen, daß die Tiere in seinem
Versuchslabor unnötig oder übermäßig leiden müßten
- und man glaubte ihm. Er sagte, daß er es selbst zutiefst bedauere,
den Reportern augenblicklich keinen Zutritt zu seinem Laboratorium gewähren
zu können - das Projekt, an dem er zur Zeit arbeite, gehöre zur
höchsten Geheimstufe. Die Konkurrenz- und Wirtschaftsfähigkeit
der Bundesrepublik sei ernsthaft bedroht, wenn andere Staaten (er brauchte
Japan und Amerika nicht einmal zu erwähnen) Einblick erhielten. Das
Publikum zitterte um seinen Geldbeutel und hakte nicht nach.
Professor
Siebert beherrschte die Runde nach seinem Belieben. Er erzählte von
der segensreichen Forschung für die Krebskranken, für die Aidsinfizierten
und die leidenden Rheumatiker - immerhin eine Volkskrankheit, für
die es noch kein wirksames Heilmittel gab. Niemandem im Zuschauerraum und
den wenigsten vor dem Fernsehschirm fiel es auf, daß von den Tieren,
um die es eigentlich ging, nicht mehr die Rede war. Kaum jemandem fiel
es auf, daß der ganze Bereich Forschung und Tierversuche in der Schönheitsindustrie
ausgeblendet war - am wenigsten natürlich Anja Siebert, für die
intensive Körperpflege nicht nur ein "must", sondern genußvolles
Körpererleben bedeutete, bei dem jeder Blick in den Spiegel ihr versicherte,
daß sie eine schöne Frau war. Und so wie sie stolz auf ihren
klugen, souveränen und gutaussehenden Mann war, wußte sie, daß
er umgekehrt stolz auf ihre Schönheit und Eleganz war. Natürlich
liebte er sie nicht nur deswegen. Sie war nicht dumm. Sie hatte ein Studium
der Germanistik und Anglistik beendet, wenn auch nie einen Beruf ausgeübt.
Er bewunderte ihre Bildung, ihre Belesenheit und bezeichnete sich gern
kokett als naturwissenschaftlichen Fachidioten. Sie liebte Theater, Konzerte
und Bücher. Sie wußte das Haus geschmackvoll einzurichten. Sie
konnte gleichermaßen freundlich und gewinnend (ohne zu plump zu schmeicheln)
mit seinen Kollegen, den Studenten und den immer klagenden Leuten vom Mittelbau
umgehen. Sie erkannte mögliche Verärgerungen, Eifelsüchteleien
und Konfliktstoffe im Keim und wußte sie mit Charme um ihren Mann
herumzuleiten.
Sie
waren ein glückliches und erfolgreiches Paar - und besonders glücklich,
seit der kleine Daniel gesund und mit wachen Augen ein ebenso vielversprechendes
Exemplar der Menschheit wie seine Eltern zu werden schien.
Professor
Siebert wurde mit donnerndem Applaus verabschiedet, seine beiden Kontrahenten
schlichen gekränkt, verärgert und verlegen aus dem Studio, geduckt
von dem eisigen Schweigen, das sie begleitete. Anja wußte, daß
ihr Mann anschließend noch das eine oder andere Glas mit den Fernsehleuten
heben würde. Sie hatte genug Zeit, alles Notwendige für einen
kleinen, aber gehobenen Siegesempfang vorzubereiten. Sie summte glücklich
vor sich hin, als sie in der Küche werkelte und später aus der
Vitrine im Wohnzimmer die besten Gläser herausholte.
Ein
kalter Luftzug ließ sie innehalten.
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