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drama@borderline:
Lesung in Wiesbaden und Frankfurt!
Autoren
des vom Kultursender ARTE ausgezeichneten Netztagebuches tage-bau.de
lasen am
16.
Mai 2003 im Pariser Hoftheater, Wiesbaden,
(Fotos
und alle Beiträge zum Anhören
(mp3-Dateien))
und
am
26.
Juli 2003 in der Denkbar in Frankfurt (Fotos)
Zehn/sechs
Autoren lasen zum Thema Borderline Texte über Grenzerfahrung und Grenzüberschreitung.
Emotionale
Songs zwischen Pop und Chanson des Duos drama! begleiteten die Veranstaltung.
Meine
Beiträge im:
Tagebau
des Berliner Zimmers
Fortsetzung
meines WEB-Tagebuches seit 12.8.2003 auf
meiner Homepage
im
Jahr 2003
7.8.2003
Abschied
vom Tage-bau von Regina Berlinghof @ 17:46
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Zum Abschied aus dem Tagebau
einige Schnappschüsse aus Kelkheim, meinem Wohnort. Ich habe sie diesen
Juli aufgenommen:
Das erste Bild ist vielleicht
auch eine kleine Mahnung, nicht zu lange an einer Bau-Stelle einzuparken,
sonst geht es einem wie dem Parkschild am Ortseingang. Der Efeu wächst
alles zu. |
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In diesem Kelkheimer gedeiht
alles – auch die Gartenkunst. Mit einer Schutzpatronin (Muse?) in der Wanne,
die über allem wacht. Vermutlich wäre ihr jetzt Wasser in der
Wanne lieber als alle Blümchen… |
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Im ehemaligen Dörfchen
Ruppertshain am Taunus, jetzt Ortsteil Kelkheim thront über allem
die ehemalige Lungenheilstätte, in literarischem Bewusstsein jetzt
„Zauberberg“ genannt. Ein Zentrum mittlerweile von Ateliers, Galerien,
künstlerischen Veranstaltungen aller Art. Von dort oben hat man einen
herrlich weiten Ausblick hinunter in die Mainebene bis zu den Frankfurter
Hochhäusern. |
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2.8.2003
Buchenwald
- Idylle und Grauen von Regina Berlinghof @ 20:49
Nachtrag zu einem Zwischenstop
in Weimar Anfang Juli. Beim vierten Besuch klappte es - ich hatte noch
genug Zeit, um die Gedenkstätte Buchenwald zu besuchen. Wirklich,
eine Fahrt durch bergigen Mischwald, dann die Häuser, Infocenter.
Der Gang zum Lager, vorbei am Quartier der Lagerverwaltung. Der Blick auf
das berühmte Eingangstor. Was ich nicht erwartet hatte: der weite
Blick in die Landschaft dahinter. Fernblick in die Idylle, höchste
Wohnqualität würde man heute die Immobilienlage bezeichnen. Ein
Blick in die Idylle - dazwischen das Grauen.
Der riesige Appellplatz, der
Stacheldrahtzaun, wenige erhaltene Gebäude, darunter die Kantine und
eine Baracke. Ich bin den Stacheldrahtzaun entlang gegangen. Hinter dem
Stacheldraht die Bäume, der grüne Wald - die andere Seite der
Idylle.
Von den vielen anderen Baracken
ist nur noch der rechteckige befestigte Untergrund erkennbar. Auf dem Geviert
einer früheren Baracke breitet sich ein niedriger Gedenksteinwald
aus. Auf vielen grob behauenen Stelen, nicht allen, sind die Namen der
KZs eingemeißelt.
Nach jüdischem Brauch erinnern
kleine aufgelegte Steine an die Toten.
Es war ein schöner,
nicht zu heißer Sommertag. Während des Gangs durch Buchenwald
zogen dunkle Wolken auf. In der Ferne gewitterte es schon. Es war, als
ob sich an diesem Flecken Erde der Himmel seiner Heiterkeit schämte
und sich in Trauer hüllte. Nur ein paar Jugendliche, vermutlich auf
Klassenfahrt, focht nichts an. Sie lachten und gackerten, als hätten
sie nichts gesehen, nichts gelernt, nichts begriffen. Auf dem Weg zur Autobahn
brach der Regen los, schüttete schier endlos sein trübes Grau
vom Himmel. Nach einer Stunde ein strahlender Doppelregenbogen.
28.7.2003
Und
täglich grü... kräht der Hahn ... Lyrik und Hähne von
Regina Berlinghof @ 21:02
Ich war wieder mal ein Schussel
und habe das Gedicht "Rache am Hahn" nicht korrekt zitiert. Es ist nicht
aus Hans Bethges "Asiatischem Liebestempel" (dazu verführte mich wohl
der Text des Gedichtes), sondern aus der "Armenischen Nachtigall" - die
Nachdichtung eines Verses von Nahabed Kutschak, dem berühmtesten fahrenden
Sänger Armeniens, wohl aus dem 16. Jahrhundert.
27.7.2003
Evangelische
Christen beim katholischen Abendmahl II von Regina Berlinghof @ 17:42
Fatale
Gutmütigkeiten
Die
Kirche wird gedankenlos modernisiert.
zum
Artikel von Klaus Berger am 26.7.03 in der FAZ
Man
stelle sich vor, der auferstandene Jesus hätte Berlin besucht und
sich auf dem ökumenischen Kirchentag umgesehen. Ob er an dem gemeinsamen
Abendmahl der katholischen und evangelischen Christen teilgenommen hätte,
das Pfarrer Hasenhüttl zelebrierte? Oder hätte er lieber eine
streng katholisch oder evangelisch ausgerichtete Zeremonie gewählt?
Und welche Kirche hätte er dann bevorzugt? Die Antwort erübrigt
sich:
Da
Jesus zu seinen Lebzeiten keine Berührungsängste zeigte und sich
mit Huren, Zöllnern und Heiden an einen Tisch setzte, wäre es
ihm vermutlich völlig egal, ob er mit evangelischen oder katholischen
Christen das Mahl teilte. Und gegen die Teilnahme von Muslimen, Juden oder
von anderen Religionsangehörigen, selbst von Atheisten, würde
er sicherlich auch nichts einwenden.
Von
solch interreligiösem Mischmasch und der Aufweichung der Kirchenkonturen
will Professor Berger aus Heidelberg nichts wissen. Er fragt nicht nach
Jesus, er fordert die Katholiken zur "Bindung an die Geschichte oder die
Universalkirche, [zur] Verantwortung vor der weltgeschichtlichen Größe
der Kirche" auf.
Sehr
kirchliche Gedanken, nur: was hat das mit Jesus zu tun?
Berger
verlangt eine neue Spiritualität, lehnt aber Hasenhüttls "apersonale
Gottesschau ohne geschichtliches Fundament" kategorisch ab. Hat Jesus je
von Geschichte geredet? Und wenn Jesus von Gott als "Abba, lieber Vater"
gesprochen hat, so war dies ein Ausdruck von Liebe und nicht von Dogmatik.
Neu ist eine apersonale Sicht jedenfalls nicht. Viele Mystiker, angefangen
vom Buddhismus, Taoismus, auch Sufismus reden von nichts anderem. Der christliche
Meister Eckehart ebenso: "Gott muß entwerden, damit die Gottheit
(im Menschen) geboren werden kann". Hier wäre ein Neuansatz für
die Kirchen, die das Christentum auch für Atheisten, Nichtgläubige
und Nichtmehrgläubige attraktiv machen könnte.
Professor
Berger zieht es vor, die altbekannten dogmatischen Positionen zu verteidigen.
"Dazu gehören etwas Hochmut des Glaubens" und sich "selbstbewußt
als Elite" zu begreifen.
Besser
hätte es ein intelligenter Vertreter der etablierten Religion zu Lebzeiten
Jesu auch nicht formulieren können. Verteidigten nicht die Pharisäer
und Priester der damaligen Zeit ihr hochkomplexes und intelligentes Religionsgebäude
gegen einen dahergelaufenen Wanderprediger, der ihr ganzes System ins Wanken
bzw. Auflösen zu bringen drohte? Jesus sprach nicht von Elite und
Hochmut, sondern von "selig sind die Demütigen" und "selig sind, die
geistig arm sind."
Dazu
will Professor Berger offensichtlich nicht gehören und will auch seine
Kirche vor zuviel Demut bewahren. Nur - was hat das mit Spiritualität
und Jesus zu tun?
23.7.2003
Lyrik
und Hähneschreie von Regina Berlinghof @ 13:07
Die
kleine Stadt, in der ich wohne, scheint sich wieder auf ihre dörflichen
Wurzeln zu besinnen. Jedenfalls kräht seit einigen Monaten ein Hahn
in der Nachbarschaft. Laut, durchdringend - und nicht nur am Morgen zum
Aufwachen. Das Tier verteidigt sein Revier den ganzen Tag. Immer wenn ich
ihn höre, muß ich an die "Hahn-Gedichte" denken, die ich in
den orientalischen Nachdichtungen Hans Bethges entdeckt habe. In vier Bänden
gibt es Gedichte zum störenden Kikeri, vor allem wenn der Hahn den
Morgen ankündigt und die heimlich Liebenden auseinanderreißt.
Die Reihe geht von Japan über China und Mittelasien bis nach Arabien
(letzteres unsicher aus der Erinnerung). Gibt es bei uns eigentlich ähnliche
Gedichte? Mir fällt nur Brentanos Märchen von Hinkel, Gockel
und Gackeleia ein. Aber nichts zum Hahnengeschrei. Höchstens noch
die Bibel - "bevor der Hahn dreimal kräht…".
Hier
aber die witzigste Version aus Bethges "Asiatischem Liebestempel": Ich
zitiere aus dem Band, ohne daß man hieraus einen Mordaufruf ableiten
sollte!
RACHE
AM HAHN
Kaum
daß wir liebend uns umschlungen hatten,
Da
rief der Hahn und kündete den Morgen
Mit
seinem unmelodischen Geschrei.
Das
Messer diesem Vieh und an den Bratspieß
Und
Feuer angelegt, um ihn zu rösten!
Dann
wollen wir ihn nehmen und ins Tal
Hinüberwandern,
ihn in Stücke teilen
Und
ihn verzehren, einsam, du und ich.
Aus
seinen weißen Knochen aber wollen
Wir
einen kleinen Liebestempel bauen,
Und
seine bunten Federn sollen bilden
Des
kleinen Liebestempels Kuppeldach...
21.7.2003
Gedichte
& Schläge von Regina Berlinghof @ 22:58
Heute
nur ein Zitat aus der Lyrikpost von Michael Gratz, Greifswald, der eine
Meldung der taz aufgreift/zitiert:
Im
Teehaus läuft das Radio. Leise dringt die Melodie eines Gedichtes,
das gerade rezitiert wird, zu uns nach draußen. Die Perser haben
ein Liebesverhältnis zu ihren Dichtern, und viele kennen die berühmten
Verse von Hafis, Chayyam, Saadi und Ferdouzi auswendig. Während alle
anderen vom Islam eroberten Völker bald die Sprache und Kultur der
Araber annahmen, wurde im Iran über diese Dichter des 11. bis 14.
Jahrhunderts - allen voran Ferdouzi - die persische Sprache unter der arabischen
Herrschaft lebendig erhalten.
Auch
heute noch leben die Perser wie kein anderes Volk mit ihren Gedichten,
in denen Ströme von Wein und Blut fließen und ihren Geschichten
von "mondgesichtigen" Haremsschönheiten, die sich edlen Prinzen hingeben
vor der Kulisse üppiger Paläste, welche von Gesang, Tanz, Ausschweifungen
und Liebesgeflüster widerhallen.
Gedichte
und Geschichten aus einem Reich, dessen sinnlich-erotischen Eindrücke
- nicht zuletzt durch die Vermittlung Goethes, wie durch den Zyklus "West-östlicher
Divan" - ebenso unser Bild vom Orient geprägt und ihn zum Inbegriff
der Opulenz gemacht haben.
Soweit
die Poesie. Jetzt die Schläge:
Für
Wein kommt man ins Gefängnis, Lust und Liebe stehen unter Generalverdacht.
Im Land der erotischen Träume und Phantasien unserer Dichter und unserer
Väter wurde soeben die Filmschauspielerin Gohar Cheirandish zu 74
Peitschenschlägen verurteilt, weil sie bei einem Filmfestival die
Stirn eines Regisseurs geküsst hatte.
/
Ludwig Blohm, taz 19.7.
18.7.2003
Evangelische
Christen beim katholischen Abendmahl von Regina Berlinghof @ 23:48
Die
katholische Kirche denkt sich Sünden aus, auf die kein normaler Mensch
kommen würde. Ihre Phantasie ist grenzenlos, wenn es darum geht, Verfehlungen
zu erfinden.
Nun
also das Thema Abendmahl mit "Andersgläubigen" (Christen, wohlgemerkt),
das kein Priester durchführen darf. Genausowenig, wie ein katholischer
Mann eine Evangele heiraten darf oder umgekehrt.
Nun
hat der emeritierte Theologe und Pfarrer Hasenhüttl in Trier ein Abendmahl
zelebriert, an dem evangelische Christen teilnehmen konnten. Dafür
wurde er vom Trierer Bischof Marx (!) mit Suspendierung bestraft: vom Pfarramt
und vom Lehramt! Totales Berufsverbot also.
Er
hat niemanden umgebracht, niemanden bestohlen, keine Frau, kein Kind vergewaltigt.
Nur das "Mahl der Liebe" über die Kirchengrenzen hinaus erweitert...
Jesus
speiste ohne Rücksicht auf die Reinheitsgebote seiner Zeit mit Huren,
Zöllnern und Heiden. Das Abendmahl mit Ausschlußcharakter mag
der Kirche dienen - mit Christentum, Spiritualität und Religion hat
die Entscheidung von Bischof Marx nichts zu tun.
Vor
einiger Zeit bat der jetzige Papst um Vergebung für die Sünden
der katholischen Kirche. In nicht allzu ferner Zeit wird ein anderer Papst
um Vergebung bitten für die Sünden der Lieblosigkeit, die die
Kirche heute begeht. Ich hoffe, daß Pfarrer Hasenhüttl und Bischof
Marx dies noch erleben.
22.6.2003
Eseleien
von Regina Berlinghof @ 11:47
Der
Esel ist ein geduldig Tier
Er
schreit IAA, "wie wohl ist mir".
Doch
haut man ihm den Rücken blau
Streikt
er IAU: "Ich mach jetzt blau".
21.6.2003
"Und
wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge, würde
ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!" (Luther) von Regina Berlinghof
@ 22:19
Heute,
wenigstens zum Sommeranfang, hatte ich endlich Zeit für die Terrasse
und die Blumen. Vier Säcke 50 l Blumenerde vom Auto durch die Wohnung
auf die Terrasse geschleppt, dazu die Fleißigen Lieschen, die Nelken
und Margeriten und in die Balkonkästen gesetzt. Die Hängebegonien
an die Hecke gehängt, die Rosen vor dem Pflanzen gewässert -
und dann ein neues Apfelbäumchen gesetzt und einen Ginkgo! Äußerst
befriedigend. Nur Romane- und Geschichtenschreiben (und einige wenige andere
Dinge mehr) sind ähnlich Freude schenkend. Luther, morgen mag das
Weltende kommen! Heute gedeihen die Bäumchen und Blumen. Der Apfelbaum
trägt sogar schon zwei Äpfel! Nur mein Rücken schmerzt.
18.6.2003
Ach,
diese Verknüpfungen ... von Regina Berlinghof @ 18:53
Da
hatte ich das Cover so schön im Eintrag drin, funktionierte auch.
Dann wollte ich noch einen Link vom Cover einbauen und hab vergessen, den
Link vom Bild auf die Homepageadresse zu setzen...
Bei
der nächsten Aktualisierung sollte das Cover wieder drin sein! ;-))
Fortsetzung
folgt im Buch: Schrödingers Katharina von Regina Berlinghof @ 13:39
Preis von 14,-- Euro, 258 Seiten.
ISBN: 3-935727-08-9 |
|
Da aller guten Dinge 13 sind, mache ich hier mit den Ausschnitten aus
meinem neuen Roman Schluß und betreibe endgültig hemmungslose
Werbung auf das gerade erschienene Buch. Zu bestellen bei mir
,
beim
Verlag, in allen Buchhandlungen und demnächst auch bei Amazon.de
(wenn die Bücherdatenbank das im Computer verarbeitet hat. Es ist
zwar schon angekündigt, steht aber noch als "nicht lieferbar" in deren
Datenbank, was seit dem 22.5.2003 nicht mehr zutrifft -))).
Disclaimer
In diesem Roman können sich Hunderte von Verlegern wiedererkennen.
Dies geschieht mit Absicht. Sollten die geschätzten LeserInnen weitere
Exemplare dieser Spezies identifizieren, um so besser. Denn es hat sich
in Wirklichkeit alles genau so abgespielt, wie im Roman geschildert. Mit
jedem einzelnen. Und sollten sich auch Verlegerinnen beschrieben finden,
will ich nicht kleinlich oder gar minderheitenunfreundlich sein. Schließlich
bin ich für Emanzipation. Jede Übereinstimmung mit der Wirklichkeit
ist beabsichtigt und erwünscht. Denn alles hängt zusammen. Dafür
übernimmt die Verfasserin die ganze Verantwortung. Sollte sich ein
Verleger nicht wiederfinden, ist das sein Problem, nicht meines. SchriftstellerInnen
sind auch nur Menschen. VerlegerInnen vermutlich auch. |
16.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (13) von Regina Berlinghof @ 17:26
(Katharinas
Kladde) 16. Juni, 9.30 Uhr morgens
Unser
Sonnenuntergangausflug hat mehr bewirkt, als ich zu wünschen wagte.
Kurz vorm Schlafengehen, als es schon fast dunkel war, sagte er plötzlich,
daß er auch draußen schlafen wolle. Es hat mich überrascht
und gefreut. Also hat die Natur doch noch einen Draht zu ihm gefunden!
Ich
habe sein Bettzeug nach draußen geschleppt, ihm unter dem Baum das
Lager gerichtet und ihn dort angekettet. Der Himmel war ganz klar. Ach,
diese Sterne. Jeden Abend bedaure ich, daß ich Brillenträgerin
bin, nachts nicht einfach die Augen aufschlagen und die Sterne betrachten
kann. Wenn ich aufwache, muß ich erst das Etui im Schlafsack finden,
die Brille herausfischen und aufsetzen. Ein mühsames Spiel, wenn man
hundemüde ist und nur kurz schauen und gleich wieder einschlafen will.
Aber die Sterne machen es mir leicht. Wo, wenn nicht in diesen Wüstennächten,
ist man dem Universum, dem ganzen Kosmos mit seinen Sternen, Planeten,
Kometen und Galaxien so nah? Raum und Zeit pur, so wie sie Jahrmilliarden
vor der Existenz des Menschen „Welt“ wurden und bis heute sind. Irgendwann
hat ein Stern so viel Materie zu schweren Elementen zusammengebacken, daß
er unter ihrem Druck explodierte und sie in einer Supernova ins All schleuderte.
Unsere Erde wurde von Sternen gezeugt. Die Atome unseres Körpers wurden
in fernen Sternen fusioniert. Irgendwo da draußen ist ihre Heimat.
Unsere Heimat, meine Heimat! Wir waren Sterne, strahlten Licht und Energie
– und kollabierten. Doch unsere Teilchen, unsere Kinder formten neue Welten.
Neue Sterne, neue Planeten. Lebewesen. Wer sagt, daß Sterne nicht
leben, daß Materie tot sei? Eine Behauptung, die ebenso wenig beweisbar
ist wie einst die Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen.
Heute
morgen war sein Gesicht lebendig, die Augen strahlten. Ich fragte ihn,
wie er so im Freien geschlafen hätte, da ging die Klappe wieder herunter,
er fragte nur nach dem Zahnputzzeug. Isolde und Tristan mußte ich
ihm wieder bringen. Beim Frühstück erkundigte er sich nach dem
neuen Roman. Ich sagte ihm nur den Titel. ‘Liebe, Zufall und Quantenphysik’.
Da merkte er auf, wollte mehr wissen. Aber ich kann nicht über ungelegte
Eier sprechen. Ich will mir den Roman nicht zerreden lassen. Prompt warf
er Schrödingers Katze ins Spiel. Ob er sich tatsächlich in Quantenphysik
auskennt? Aber er schlug sofort den Bogen von der eingesperrten Katze zu
seinem gefesselten Dasein und fragte, von welchem Betrachter es nun abhänge,
daß er freikomme. Dann sprachen wir über die Liebe und die großen
Liebespaare im besonderen. Über Liebe, die aufs Ganze geht, ihr selbst
das Leben unterordnet, was ich für den Sinn des Lebens halte. Er hält
die Extremliebenden für verrückt und beweist mir leicht, daß
sie alle unglücklich endeten. Wir stritten um die alte Frage: Wollen
wir eine lange, dauerhafte und glückliche Liebe oder die intensive,
grenzüberschreitende Liebe – die vielleicht nur einen Augenblick,
eine Stunde oder wenige Tage dauern kann. Unsere Positionen sind klar.
Dann liest er wieder, und ich schreibe.
15.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers
Katharina (12) von Regina Berlinghof @ 15:19
(Katharinas Kladde) 15. Juni, 13.20 Uhr
Es ist so heiß, daß ich kaum denken kann.
Am Ende des Talrunds flimmert die Luft. Der Körper ist wie aufgeladen.
Erstaunlicherweise macht die Hitze nicht müde. Nur für den Roman
ist sie nicht bekömmlich. Also Tagebuch.
Ich weiß nicht, ob unser erstes Gespräch (wenn
man es als Gespräch bezeichnen kann) über die Liebe die Erotik
zwischen uns ins Spiel gebracht hat. Ich mußte innerlich etwas grinsen,
als sein Bettuch heute mit Flecken übersät war. Ich fürchte
nur, daß nicht ich die Spielgefährtin seiner Träume war.
[...]
Beim Mittagessen verkündet er, daß er Bewegung
braucht. Klar. Vermutlich denkt er dabei aber an einen anderen Bewegungsradius
als ich. Er glaubt, wenn ich ihn an der Leine führe, könnte er
sich leichter losreißen und flüchten. Wie soll ich mich gegen
seine Größe, gegen seine Kraft behaupten? Ein plötzlicher
Ruck, er überrumpelt mich, entwindet mir die Pistole - und die Rollen
sind vertauscht. Andererseits habe auch ich Lust, etwas durch die Gegend
zu streifen. Ich will den kleinen Hügel erkunden, der eine bessere
Aussicht für die Sonnenuntergänge bietet. Also stimme ich seinem
Vorschlag zu, aber erst für den Abend, wenn es kühler geworden
ist. Bis dahin fällt mir schon etwas ein, damit mein "Freigänger"
schön bei mir bleibt. Wozu hat man sich als Schriftstellerin in Phantasie
geübt!
Er liest wieder in Isolde und Tristan. Mein Gott, warum
hast du den Roman nicht bei dir herausgebracht? Ich hätte ganz andere
Kritiken und Leser gefunden - und du würdest jetzt nicht gefesselt
an einem Baum in der Wüste von Nevada sitzen. Verleger sind merkwürdige
Menschen. Sie begeistern sich für die Bücher anderer. Aber wenn
du mit einem Manuskript unter dem Arm zu ihnen kommst, reagieren sie mit
panischen Fluchtreaktionen. Als könnten sie in den Bergen von Manuskripten
ersticken, mit denen schreiblüsterne Autoren sie überhäufen.
Manuskript ist natürlich falsch und nur ein Gewohnheitsbegriff. Typoskript
sollte ich schreiben. Fein säuberlich vom Laserdrucker ausgebackene
Seiten, ebenso fein säuberlich in Schnellheftern, Ringbindern abgelegt
oder rückengeklebt gebunden. Oder immer häufiger als Anlage an
die Verlage gemailt. Damit die ausdrucken und lesen. So stöhnte kürzlich
Juli. Die muß es ja wissen.
Und Nietzsche wußte es auch - aus der anderen Perspektive.
Als Schreiber, der keine Leser fand. Der übervolle Baum, dessen Früchte
niemand herabschüttelt. Der Ofen, aus dem niemand das frisch gebackene
Brot holt. Die Welt ist bevölkert mit unsensiblen Pechmaries, die
verständnislos an Schätzen vorbeieilen und sie immer da suchen,
wo sie nicht sind. Wie selten die Goldmaries, die nicht nur Baum und Ofen
von ihrer Last befreien und sie glücklich machen - sondern sich selbst
damit auch!
"Ich habe heute nacht von Ihnen geträumt", sagt
er plötzlich. "Sie waren jung und sehr schön. Sie haben mich
sehr glücklich angelächelt." Ich muß lachen und bin geschmeichelt
- wider besseres Wissen. Er plant seine Flucht wirklich gut. Mit psychologischer
Finesse. Er macht mir nicht vor, daß er mich jetzt schön findet.
Davon könnte er mich kaum überzeugen. Der "hellsichtige" Blick
in die Vergangenheit ist nicht übel. Denn es gab Phasen, da war ich
schön und glücklich, sogar selig glücklich. Er schaut mich
plötzlich so spitzbübisch verschmitzt an, daß mir ganz
schwach wird und ich nicht weiß, was ich antworten soll. Als mir
schließlich ein banaler Satz einfällt, stammele ich ihn blöde
heraus. Vermutlich bin ich sogar rot geworden. "Erzählen Sie doch
Ihren ... Ihren Traum!"
Er grinst noch mehr. Er hätte nicht viel behalten.
Wir wären auf einem Jahrmarkt gewesen und zusammen Achterbahn gefahren.
Ich hätte dabei wie toll geschrien und ihn strahlend angelacht. Oh
Freud! Oh Achterbahn! Ich habe nur dumm bemerkt, daß ich ihn heute
abend Achterbahn führen würde - den Hügel hinauf, zum Sonnenuntergang.
Er warf mir einen vernichtenden Blick zu, so als ob ich ihm ein Schäferstündchen
angeboten hätte.
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (11) von Regina Berlinghof @ 12:02
(Ulrichs
Tagebuch)6. Tag der Entführung, 15. Juni
Heute
nacht hatte ich einen feuchten Traum. Ich weiß nicht mehr genau,
mit wem - aber bestimmt nicht mir ihr! Das ist doch ein Trost. Als sie
heute morgen das Bettlaken sah, hat sie die Flecken kommentarlos zur Kenntnis
genommen.
Beim
Frühstück habe ich sie noch einmal genauer angeschaut. Unter
dem erotischen Aspekt. Ihre Haut ist nicht schlecht. Glatt, zart, ein paar
Sommersprossen. Aber ihr Haar läßt sie ungepflegt. Es ist wellig,
blond - aber schon ziemlich nachgedunkelt. Frisch gewaschen könnte
es ganz attraktiv sein. Länger müßte es sein. Meist versteckt
sie es unter einem Hut. Ein grüner Rangerhut, den es in allen Naturparks
gibt. Die Frau sollte Berge hochklettern wie Reinhold Messner oder die
Antarktis durchqueren. Offensichtlich liebt sie Abenteuer, Gefahr und Risiko.
Aber für Normalabenteuer müßte sie vorher kräftig
abspecken. Und das will oder kann sie nicht. Ihr Abenteuer bin ich.
Ich
stelle sie mir dünner, schlank und ohne fettige Strähnen vor
- so, wie ich sie kennengelernt habe. Eine gute Gedankenübung. Manchmal
steigt sogar ein Bild auf, in dem sie jung und hübsch ist. Wirklich
schlank, gepflegt. Große, freundliche Augen. Und sie lächelt
mich an. Ein Bild zum Verlieben. Idiotisch. Aber so könnte sie wirklich
einmal ausgesehen haben. Ihre Lippen sind heute noch voll. Sie hat gute
Zähne. Ihre Nase ist gerade, aber nicht spitz. Sie könnte schön
sein - auch heute noch. Wieso sieht sie das nicht? Wieso sieht das keiner?
Dumme
Frage. Ich habe es ja selbst nicht gesehen. Im Alltag rennt man an den
Leuten vorbei und sieht sie nur in ihrem augenblicklichen Zustand. Nimmt
diesen als gegeben hin. Und als unabänderlich.
Hat
sie darum das Abenteuer Liebe aufgegeben? Weil kein Mann sie mehr aufregend
genug fand? Wie kann ein Mensch, der in einem Roman glühend die Ekstasen
der Liebe beschrieben, ja verklärt hat, auf einmal die ureigensten
Werte verraten und sie dem Literaturbetrieb zum Fraß vorwerfen? Gott
ist tot, sagte Nietzsches Zarathustra und trauerte. Für uns moderne
Menschen ist Gott nicht tot, er existiert einfach nicht. Die Liebe ist
tot, sagt Katharina Jukulli, und jetzt trauere ich, obwohl ich selbst nie
an die Liebe, jedenfalls nicht an diese Liebe geglaubt habe. Wir haben
ihre Liebesleidenschaft, ihre Liebespredigt nicht ernstgenommen, wir haben
über sie gelacht. Jetzt, wo sie selbst die Liebe in den Orkus wirft,
ist es, als ob ein Stern erlösche. Ein Stern, der so fern und außer
der Zeit war, daß sein Licht uns nicht mehr erreichte. Wenn nicht
einmal mehr eine Gefühlsselige wie sie an die Liebe glaubt - was wird
dann aus dieser Welt?
Ich
lasse mich verwirren. Sie hat nur von Liebe geredet - aber hat sie wirklich
je geliebt? In ihrem Handeln widerlegt sie sich selbst. Bei ihr erkenne
ich kein einziges Zeichen von Verliebtheit. Sie glubscht mich nicht sehnsüchtig
an. Sie schwirrt nicht um mich herum oder reizt mich irgendwie auf.
Ich
weiß nicht mehr, wie ich diesen Vormittag verbracht habe. Mittags
- es gibt die üblichen Sandwiches - beklage ich meine steif gewordenen
Muskeln und Beine. Ich kann nicht nur herumliegen und sitzen wie sie. "Wollen
Sie die Gegend auskundschaften, um besser fliehen zu können?" Natürlich
habe ich dran gedacht, dummes Weib. Aber ich brauche Bewegung, das ist
echt.
14.6.2003
Borderline-Gründlichkeit
von Regina Berlinghof @ 12:54
Wieder
ist ein sonniger Samstagmorgen angebrochen, und wieder singen die Kreissägen,
dröhnen die Bohrer, brüllen die Staubsauger aus allen Fenstern
und Balkonen, was das Zeug hält.
Der
neue Nachbar (seit März!): Er sägt und bohrt am Samstag, er sägt
und bohrt am Abend. Irgendwann muß er doch die Wohnung kleingekriegt
haben. Gibt es noch Raum für neue Löcher, gibt es noch Futter
für die Säge? Oder hat er sich schon heimlich nach unten in die
Nachbarwohnung vorgearbeitet? Deutsche Gründlichkeit lebt! Oder ein
Fall von Borderline?
14.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (10) von Regina Berlinghof @ 10:44
(Ulrichs
Tagebuch) 5. Tag der Entführung, 14. Juni
Diese
Stille und Langeweile bringen mich um. Ich begreife nicht, wie sie das
aushält. Den ganzen Tag sitzt sie seelenruhig unter dem Baum und schreibt.
Sie geht nur zur Vorbereitung der Mahlzeiten nach drinnen. Sie muß
Riesenvorräte eingekauft haben. Sie braucht nicht einmal wegzufahren,
um Nachschub zu besorgen. Müsli und Salami verderben nicht so schnell.
Das Essen hängt mir zum Hals raus. Selbst die Pfannkuchen schmecken
nicht mehr. Das Telefon - wenn es hier eins gibt - klingelt nicht. Gestern
habe ich sie nach meinem Handy gefragt. "Ich habe es sicher in Verwahrung",
sagte sie, "und außerdem habe ich es ausgeschaltet."
Bei
ihr habe ich immer noch kein Handy entdeckt. Immer nur der Revolver, mit
dem sie mich in Schach hält. Ich kann und mag sie einfach nicht mehr
sehen. Ich bin schon nach dem Frühstück wieder in mein Zimmer
gegangen. Mein Zimmer! Wie schnell sich Sprache und Denken an die widerwärtigsten
Umstände anpassen!
[...]
Wer
entführt schon einen Menschen, um Lösegeld zu erpressen - nur
um dann stumm an einem Tisch zu sitzen und in eine Kladde zu kritzeln!
Sie tut nichts außer schreiben, spricht nicht darüber, redet
nicht, zeigt nichts her. Sonst hat sie doch aller Welt ihre Sachen unter
die Nase gerieben. Allerdings immer erst, wenn sie fertig waren. Nein,
ein paar kleine Ausnahmen gab es. Aber das waren wohl Arbeiten, denen sie
selbst keine große Bedeutung beigemessen hat.
Ich
muß ihre Sachen ganz anders lesen als sonst. Keinen Gedanken an literarische
Kriterien verschwenden, an Stil, an Leser und Rezensenten. Der Markt spielt
sowieso keine Rolle. Ich muß hinter die Psyche der Frau kommen. Ich
muß dieses Weib dazu bringen, daß sie mich freiläßt.
Aber dazu muß ich wissen, was sie zum Ticken bringt. Im Grunde liegt
es ja auf der Hand: Die Frau ist frustriert, weil sie als Schriftstellerin
keinen Erfolg hat und schiebt mir die Schuld in die Schuhe. Mir, stellvertretend
für alle Verlage und Verleger, für alle Absagen, für alle
Kränkungen. Nur gibt es Tausende von frustrierten Möchtegernschriftstellern,
die trotzdem nicht auf die Idee kommen, einen Verleger, einen Menschen
zu entführen, um in Ruhe ihren nächsten Roman zu schreiben. Die
Frau scheint Ruhe wirklich nötig zu haben! Sitzt still und vergnügt
unter dem Baum, schreibt in ihre Kladde, ab und zu schaut sie in den Himmel,
hört wohl den Vöglein zu und freut sich, daß sie mir eins
auswischen kann.
13.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (9) von Regina Berlinghof @ 18:37
(Katharinas
Kladde) 13. Juni, 18.00 Uhr
Heute
habe ich viel geschrieben. Aber es gefällt mir noch nicht. Irgendwie
ist mir die Heldin zu lahm. Sie bekommt zwar einen Wutanfall, als sie entdeckt,
daß ihr Mann sie betrügt und seiner Geliebten ausgerechnet denselben
blöden Kosenamen 'Butzel' gibt wie ihr, aber dann rennt sie nur noch
betäubt durch die Welt, ist zu nichts mehr fähig und ist das
arme Opfer. Der nächste Mann, in diesem Fall der junge Mann, ist wie
üblich der Held und Retter. Also Frau passiv, Mann aktiv, das alte
Schema seit Dornröschen und Schneewittchen. ER löst ihre Blockaden,
ER weckt sie wieder zur Liebe auf.
Wieso
müssen Frauen immer so lange warten? Ich habe Helmut nach drei Jahren
auf den Mond geschossen, als ich merkte, daß er mich als Mutter und
Gespielin brauchte, aber nicht als Mensch! Daß ihm seine Arbeitswelt
das wichtigste auf der Welt war, daß ich keinen Platz darin hatte
und nie haben würde. Und vor allem, daß ihm meine Arbeit, mein
Schreiben nichts galten. Er sah mich nur am Computer klimpern und glaubte,
mich als Sekretärin oder Schreibkraft nutzen zu können. Was ich
schrieb, was ich schreiben wollte, war für ihn nicht existent. Ich
hatte noch gehofft, er würde aufwachen und merken, was er verliert.
Ich war ihm nicht wichtig genug. Er hat sich so schnell einer anderen zugewandt,
daß es meine Einschätzung nur bestätigt hat. Das tat dann
wirklich weh. [...]
Vermutlich
kann ich mich glücklich schätzen, daß mir der gefesselte
Ulrich keine Liebe entgegenbringt. Was der wohl von seinen Frauen erwartet?
Gebildete intelligente Männer sind heute alle emanzipiert und wollen
emanzipierte Frauen. Das ist die Theorie. In der Praxis denken und handeln
sie wie ihre Väter und verlassen sich auf das immer fürsorgliche
Tier, die Frau. Wenn sie sich wehrt, gibts Zoff oder eine andere muß
her. Kein Wunder, daß aufgeklärte Männer von Emanzipation
reden und Thaimädchen lieben. Selbst die Schriftsteller, jedenfalls
Houellebecq oder wie er sich schreibt. Was bleibt den europäischen
Frauen? Die Thaimänner! Vermutlich sind sie viel bessere Liebhaber
als unsere verkopften und überzivilisierten Intellektuellen. Ich brauche
ja nur mein Gegenüber anzusehen. Jedes Sandkörnchen, das ihm
ins Essen gerät, bereitet ihm Qualen. Ein Prinz auf der Erbse.
Ich
sehe immer noch den Empfang in dieser Villa in Grünwald vor mir, die
ihm wohl ein Freund zur Verfügung gestellt hatte. Vorstellung eines
frisch entdeckten Dichters. Alles in äußerst gepflegtem und
edlem Ambiente. Eine helle Nacht, aber schon Kerzen aufgestellt und angezündet.
Er hatte mir sogar eine Einladung zukommen lassen - "damit Sie die richtigen
Leute kennenlernen und einen Verleger finden." Dabei hatte ich ihm gerade
geschrieben, daß ich gerade einen Vertrag mit einem Verlag abgeschlossen
hatte. Unentwegt klingelte es an der Tür, weshalb sie bald offen gelassen
wurde. Dann das übliche Zeremoniell: Küßchen links, Küßchen
rechts und noch einmal links. Alle miteinander, Männlein und Weiblein,
Männlein und Männlein, Weiblein und Weiblein. Eine merkwürdig
gedämpfte Atmosphäre, in der kein lautes Wort fiel. Als sollte
jemand beerdigt werden. Schwarz gekleidet waren sowieso die meisten. Schwarz
ist die Kleidung der Intellektuellen. Die moderne Priesterkaste. Bloß
kein ordinäres Bunt oder gar weiße Tennissocken. Schwarz ist
die Farbe der kritischen Geister, der Skeptiker, denen kein Gefühls-
oder Sinnenrausch ein X für ein U vormachen kann. Vor allem hebt das
Schwarz sie von den Farben- und Blumengewändern der lebensfrohen Naiven
ab. Wer zu laut lacht, singt oder sich einfach nur freut, paßt nicht
dazu. Verneinung und Distanz sind angesagt. Sie demonstrieren Überlegenheit.
Das war schon das Spiel des alten Adels. Wer glaubt, daß unsere Gesellschaft
demokratisch geworden sei, unterliegt dem Fehlschluß der Gleichsetzung
von Staatsverfassung und Gesellschaftsform. Die Grenzen bilden Stil, Wort
und Kleidung. Ideologie und politische Überzeugung spielen immer noch
eine entscheidende Rolle.
Ich
ging durch die Reihen der Leute, die sich alle kannten, nur ich kannte
keinen, und konnte es nicht fassen, daß das alles so feierlich und
steif wie eine altmodische Konfirmationsfeier ablief (aus meiner Konfirmationszeit
- über heutige kann ich nichts sagen, weil ich die nicht kenne). Am
liebsten hätte ich auf den Tisch gehauen und in die Runde gerufen:
"Was ist los - können wir uns nicht wie normale Menschen unterhalten?"
Aber das wäre das letzte, was sie sein wollen, "Normale Menschen".
Sie wollen etwas Besonders sein und vor allem etwas Besonderes darstellen.
13.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (8) von Regina Berlinghof @ 10:43
(Ulrichs
Tagebuch) 4. Tag der Entführung, 13. Juni
Das
schlimme ist, sie kocht gut. Sie kann es wirklich. Sie hat nur selten Lust
dazu. Vor allem, wenn sie beim Schreiben ist. Ich biete ihr an abzuwaschen.
Auch das macht sie allein. Sie hält mich wie Hänsel. Will sie
mich mästen?
Der
Tag verging in endloser Langeweile. Morgens saß ich mit ihr draußen.
Nach dem Mittagessen machte ich drinnen Siesta und schlief lange und ausgiebig.
Die
letzte Nacht brachte überhaupt nichts. Ich war wach, schaute aus dem
Fenster und sah, wie der Mond über den Himmel wanderte und die Hügel
in sein milchiges Licht tauchte. Ich habe den Schattenbildern zugesehen,
die die Akazienblättchen verspielt gegen den Himmel warfen. Einmal
flog ein Flugzeug hoch oben. Ich sah nur seine Blinklichter. Hören
konnte man es nicht. Derweil lag sie draußen und schlief. Ab und
zu schnarchte sie sogar ein bißchen. Daß sie keine Angst hat!
Wieso
kommen keine Nachbarn vorbei, um Guten Tag zu sagen, wie es gute amerikanische
Sitte ist? Und wo bleiben die kreisenden Hubschrauber? Suchen die mich
überhaupt nicht? Ist die Polizei vielleicht gar nicht eingeschaltet?
Vermißt mich denn niemand? Manchmal könnte ich schreien und
mit dem Kopf gegen die Wand laufen.
12.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (7) von Regina Berlinghof @ 13:12
(Ulrichs
Tagebuch) 3. Tag der Entführung, 12. Juni
Als
ich am Morgen aufwache, ist es schon hell. Von der Frau höre ich nichts.
Als ich mich im Bett aufsetze und durch das offene Fenster blicke, das
sie merkwürdigerweise nicht verhängt hat, sehe ich sie draußen
beim Baum im Schneidersitz hocken und frühstücken. Ich mache
mich bemerkbar. Sie kommt, klopft sogar und holt mich hinaus zum Frühstück.
"Sie trinken Kaffee, nicht wahr?" Sie hat Kaffee gekocht, trinkt aber selber
Tee. Sie bietet mir ein weichgekochtes Ei an, dazu das weiche amerikanische
Brot und Müsli, außerdem Rosinen und Mandeln. Verhungern werden
wir nicht.
Während
wir so frühstücken, erscheint sie mir fast normal. Es muß
doch eine Möglichkeit geben, ihre Vernunft zu erreichen. "Sie sind
doch eine nette, vernünftige Frau", leite ich meine Rede ein, "wenn
Sie mich jetzt zurückbringen, sage ich niemandem etwas. Wir haben
einfach zusammen einen Ausflug gemacht. Wir kennen uns aus Deutschland,
haben uns hier zufällig getroffen und sind ein paar Tage ausgebüxt.
Ins Liebesnest der Wüste." Sie grinst mich an. "Die Presse weiß
doch längst von der Entführung", sagt sie, "aber 'Liebesnest'
gefällt mir. Sie mir auch!" O Gott, mir wird heiß und kalt.
Dieses Weib hat mich im Visier! Sie ist so attraktiv wie diese Stahlkette:
so kalt, so hart und so durchtrieben. Und zu fett ist sie auch.
"Ich
werde Ihnen helfen. Ich werde sagen, daß alles ein Witz war. Ein
Werbegag für den Film. Ich werde dafür sorgen, daß man
Sie strafrechtlich nicht belangt."
Ihr
Blick sagt mir, daß sie mir kein Wort glaubt. "Ich brauche Geld,
um meinen neuen Roman zu schreiben."
Ich
muß ihr Vertrauen finden. Ich versuche die weiche Tour und appelliere
an die Schriftstellerin, die ihr Werk liebt. Über die Kinder gewinnst
du die Frau. Das gilt für Mütter und Künstler gleichermaßen.
"Ihr neuer Roman. Erzählen Sie doch davon. Ich muß gestehen,
daß ich das Exposé nicht mehr im Kopf habe." (Ich habe es
nach ihrem unmöglichen Anschreiben nicht einmal durchflogen.)
"Sie
hätten es vor einem Jahr lesen sollen. Wenn ich jetzt damit beginne,
zerrede ich nur den Stoff. Wenn ich schreibe, spreche ich nicht mehr darüber."
Sie hat also angefangen. "Aber Ihr Isolderoman ist doch gut aufgenommen
worden! Es hat gute Kritiken gegeben und ich erinnere mich an sehr positive
Leserreaktionen." Das letztere reine Augenblickserfindung.
"Tatsächlich?"
Sie schaut mich prüfend an. "Es gab schon Leser, und die meisten waren
sogar begeistert. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Literaturszene
und vor allem die Kritiker mit Liebe nicht viel anfangen können. Nur
von Sex und Gewalt kriegen sie nie genug. Und damit bediene ich sie jetzt.
Sie sind nur der Anfang."
Sie
verschwindet im Haus und kommt mit vier Stühlen zurück. Zwei
für jeden. Jeweils einen zum Hochlegen der Beine. Dann schleppt sie
einen Tisch heraus, auch die Bücher aus meinem Zimmer - ihre Romane
und Stories. Hätte ich mir denken können. Nein, bevor ich die
lese, schreibe ich mein Tagebuch weiter.
Was
für ein Bild! Entführerin und Entführter sitzen in der Wüste
gemeinsam am Tisch und schreiben! Wenn das je publik wird, mache ich mich
total lächerlich!
Ich
weiß nicht, was ich schreiben soll. Ich weiß nur, daß
ich diese gräßliche Frau dazu bringen muß, daß sie
mit mir redet, mir vertraut, mich freiläßt.
11.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (6) von Regina Berlinghof @ 18:55
(aus
Katharinas Kladde) 11. Juni – nach dem Frühstück
Das
T-Shirt, das ich für ihn gekauft habe, ist zu klein. Es spannt über
seiner Brust und rutscht immer wieder über den Hosenbund. Zwei, drei
Zentimeter bloße Haut schauen heraus. Er muß ins Bräunungsstudio
gehen oder viel Sport treiben. Hätte ich gar nicht gedacht. Ein bißchen
Speck ist auch dabei. Sonst aber ist er gut gebaut. Er hat die Angewohnheit,
die Haare langsam aus dem Gesicht zurückzustreifen, wenn er sich beobachtet
glaubt. Als gäbe es ihm Zeit, nachzudenken. Oder sein Gegenüber
zu taxieren.
[...]
Wie
kann man über glückliche Liebe schreiben, wenn man selbst unglücklich
verliebt ist? Das Objekt meiner Sehnsucht zum Greifen nah – aber nicht
zu fassen. So muß es dem Tantalos ergangen sein. Ihm zur Strafe.
Und mir?
Er
ist ein schöner Mann, das kann ich getrost schreiben. Mehr noch: ein
attraktiver Mann. Die Frauen laufen ihm sicher scharenweise nach. Er hat
schöne, regelmäßige Gesichtszüge, geschwungene, volle
Lippen. Der Blick ist warm, intelligent. Ein gut gebauter Körper.
Morgens und abends, wenn er sich umzieht, sticht er mir in die Augen. Der
ganze Mann wirkt selbstbewußt, männlich.
Er
hadert mit mir, argumentiert – aber er jammert nicht. Das gefällt
mir.
11.
Juni, abends
Ich
glaube, erst als er die Ranch sah, begriff er, daß es mir ernst war.
Sein Gesicht fiel wie Asche zusammen, als ich ihn aus dem Wohnmobil holte.
Vermutlich hat er nicht damit gerechnet, daß frau organisieren kann.
Dabei haben Frauen von jeher nichts anderes getan als organisieren – meistens
nur für den Mann! Den Haushalt, die Kindererziehung, das gesellschaftliche
Parkett gebohnert für seine Karriere. Erst wenn frau für sich
etwas tut, merken sie überrascht auf und sind ganz verwundert, noch
dazu, wenn es klappt. Wenn man FÜR sie arbeitet, HAT es zu klappen.
Dann ist es selbstverständliche Erwartung.
Junge,
ich habe es geschafft, einen Roman zu schreiben – auch das ist Organisation
von Zeit, Gedanken, Gefühlen und Phantasie. Dazu noch meine Brötchen
verdient. Warum soll ich also keine Entführung bewerkstelligen können?
Ich
habe mir schon gedacht, daß er kein Freiluftheld ist, und habe dem
verwöhnten Bürgersöhnchen das größte Zimmer im
Haus gerichtet. Mir reicht der Schlafsack draußen. Und der Sternenhimmel.
Es ist auch ganz gut, wenn er nicht allzu nahe bei mir schläft. Dann
bleibt Raum für mich selbst.
Es
wird schon dunkel. Ich will die Batterien der Taschenlampen nicht verschwenden
und lege mich schlafen. Die nächsten Tage habe ich alle Zeit zum Schreiben.
11.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (5) von Regina Berlinghof @ 10:14
(Ulrichs
Tagebuch) 2. Tag der Entführung, 11. Juni
Ich
muß tatsächlich eingeschlafen sein. Sie hat mich geweckt, als
es schon hell war. Ziemlich frisch draußen. Sie hat schon Toilette
gemacht. Sie sah einigermaßen gewaschen aus und trug frische Sachen.
Sie hat sogar Seife, Handtücher, Zahnbürste und Zahnpasta für
mich besorgt. Und ein Deo, aber kein Rasierzeug. Sie teilt mir das Wasser
aus der Plastikflasche zu. Eine Hand läßt sie mir frei - sie
steht mit gezücktem Revolver daneben. Den Revolver in der einen Hand
und die Wasserflasche in der anderen. Sie trägt eine Brille. Wenn
ich sie mit dem Zahnputzwasser anspucke, beschlägt es die Brille,
und sie kann nichts mehr sehen. Das wäre eine Chance. Aber die bringt
es fertig und schießt wirklich. So spucke ich brav in den Sand. Ich
bin ein Feigling und hänge am Leben. Bienen schwirren plötzlich
um uns und setzen sich auf die nassen Sandflecken.
"Ein
toller Sonnenaufgang", ihre Stimme klingt so munter und wach wie die einer
nervenden Lehrerin, die ihren Schülern in der ersten Stunde kein Ausschlafen
gönnt. "Sie haben was verpaßt!"
Ich
könnte sie umbringen. "Ich habe schon ganz andere Sachen verpaßt!"
Ich will schreien, aber es kommt nur ein heiseres Räuspern heraus.
"Gestern hatte ich einen Termin mit einem Hollywoodagenten. Und der ist
geplatzt! Wegen Ihrer Schnapsidee! Wissen Sie eigentlich, was Sie tun?
Und was Ihnen dafür blüht?" "Na klar", sagt sie, "entweder Millionen
oder Knast - oder beides."
Mit
so jemandem kann man nicht argumentieren. Ich will allein sein, vielleicht
finde ich eine Möglichkeit zu fliehen. "Ich brauche Toilettenpapier."
Sie sucht nicht lange und hält mir eine Rolle hin. Als ich losgehe,
folgt sie mir, die Pistole in der Hand. "Ich habe heute nacht die Fahrspuren
verwischt", erklärt sie mir. "Wenn Sie fortlaufen, schieße ich
Sie nieder. Und falls Sie entwischen, würden Sie sich verirren. Die
Mojave ist riesig."
O
Gott. Das weiß ich selbst. Ich bin mal durchgefahren. Auf dem Weg
von L.A. nach Las Vegas. Zwischendurch ein Abstecher über Nebenstraßen.
Das hat mir gereicht. Nur Joshuas, Sagebrush und anderes Gestrüpp.
Und jede Menge Steine und Felsen. Sie kann sich dafür begeistern.
Es ist mir rätselhaft, was Leute an der Wüste finden. Nun, damals
dachte ich, das wäre nicht mein Problem. Ich finde Menschen und Bücher
interessanter. Und noch einiges anderes. Sollen die Wüstenverrückten
unter sich bleiben. Nun hocke ich neben einer Stachelyucca, entleere meinen
Darm, und dieses Weib schaut zu. Ich bin erstaunt, daß ich unter
diesen Umständen überhaupt kann. Die anale Phase scheint bei
mir problemlos verlaufen zu sein.
Zu
meinen Füßen krabbeln ein paar Ameisen, und dann kommen schon
wieder die Bienen angeflogen. Sie setzen sich in den Sand. Mich ignorieren
sie völlig. Was interessiert Bienen auch ein Verleger in den Mittvierzigern
aus München!
"Tut
mir leid, daß ich Sie wieder aufs Bett fesseln muß", das widerwärtige
Weib deutet auf ihren Revolver und führt mich zurück zum Auto.
"Ab morgen werden Sie es besser haben." Ich habe alles andere als Lust
auf ein Gespräch. Aber Verrückte soll man in ihrem Wahn nicht
allein lassen. Man muß mit ihnen reden, ihnen zeigen, daß man
sie ernst nimmt. Dann werden sie zugänglicher. Also frage ich: "Warum
morgen? Was wird morgen sein?" "Ich habe ein Haus gemietet. Mitten in der
Wüste, fernab von Telefon, Häusern und Menschen. Da kann ich
Sie freier herumlaufen lassen. Hier ist mir das zu gefährlich." Sie
redet von mir wie von einem Hund, bei dem man überlegen muß,
ob man ihn an der Leine oder frei herumlaufen lassen kann.
Die
Fahrt im Auto ist schrecklich. Heiß, zugig. Ich immer im Ungewissen,
was sie mit mir vorhat. Um mein Leben brauche ich wohl nicht zu fürchten.
Sie will mir nicht schaden - das beteuert sie immer wieder. Sie braucht
nur mein Geld. Aber was ist, wenn sie einen Unfall verursacht oder wenn
ihr etwas passiert, während sie mich in der Wüste versteckt hält?
Anfangs
geht es wieder hopsend und knirschend über Steine und Sand. Irgendwann
kommen wir zurück auf rauhen Asphalt. Die Frau ist so selbstsicher,
daß sie mehrfach anhält, mir zu trinken und zu essen gibt und
mich mein Geschäft verrichten läßt. Aber weil ich während
des Fahrens auf dem Bett liege, kann ich nicht erkennen, in welche Richtung
es geht. Sie hat die Fenster verhängt, und wenn wir halten, dann ist
sie so klug, nicht vor einem Straßenschild zu parken. Ich sehe immer
nur Felsen, Steine und spärlichen Pflanzenwuchs. Vielleicht fährt
sie sogar die ganze Zeit im Kreis, nur um mich in die Irre zu führen.
Am
Abend rumpelt sie wieder eine Schotterpiste entlang.
Das
Haus klebt vor einer Felswand. Es befindet sich am Ende einer Schlucht,
durch die wir gekommen sind. Das Tal ist nicht sehr groß. Hier hat
in früheren Zeiten wohl irgend jemand eine Ranch betrieben. Das Haus
ist noch einigermaßen in Schuß, im Umfeld kann man Zaunreste
erkennen, weiter entfernt eine Scheune.
10.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (4) von Regina Berlinghof @ 17:35
Katharinas
Kladde
"Sie
war nicht liebenswürdig, wenn sie liebte."
Johann
Wolfgang von Goethe:
Wahlverwandtschaften
10.
Juni, abends
Ich
habe es geschafft! Ich habe ihn für die Nacht ins Wohnmobil gesperrt.
Wir sind in der Mojavewüste auf halbem Weg zur Ranch. Wie leicht es
gegangen ist! Ich hatte bis zum Schluß geschwankt und mich gefragt,
ob ich es wirklich tun soll. Und dann folgte er brav dem Anruf, beugte
sich zu mir, als ich ihn um Hilfe bat und ließ sich die KO-Tropfen
unter die Nase halten. Der Rest war ein Kinderspiel. Mein Gott, ich tauge
tatsächlich zur Verbrecherin! Ich bin eine Kidnapperin! Drei Wochen
habe ich Zeit. Bis dahin muß ich ihn aus dem System schwitzen - dann
habe ich endlich Zeit und Muße für den neuen Roman.
Er
denkt natürlich, ich wollte an sein Geld. Oh, nein mein Lieber. Dein
Geld brauche ich nicht. Aber um schreiben zu können, brauche ich einen
freien Kopf, und den habe ich nicht mehr, seitdem wir uns über den
Weg gelaufen sind.
Wie
eine Idiotin denke ich nur noch an ihn. Dabei ist er mit einer anderen
liiert. Und ich breche nicht in eine Ehe oder Partnerschaft ein. Er muß
schon selbst wissen, wen und was er will. Im übrigen ist er an mir
überhaupt nicht interessiert. Ich bin ihm nicht attraktiv genug. Das
hat er mir deutlich zu verstehen gegeben.
Er
hat es einfach. Ich bin vermutlich eine von den vielen Frauen, die nach
ihm schmachten. Ihn kümmert's nicht, er lebt sein Leben. Nur ich bin
völlig blockiert. Und warum? Weil alle Sinne sagen, das ist der Mann
für dich. Das ist der Mann deines Lebens! Und ich kann ihnen nichts
entgegensetzen. Vernunft schon gar nicht. Was haben Vernunft und Verstand
mit Liebe zu tun? Ich weiß nicht einmal, ob es wirklich Liebe ist
oder dumme, alberne, mädchenhafte Schwärmerei. Ich dachte, ich
wäre aus diesem Alter heraus. Warum schwärmen Mädchen? Weil
sie das Objekt ihrer Sehnsucht nie wirklich kennenlernen. Schwärmen
heißt Lieben aus der Ferne. Es gibt keinen Realitätstest. Nirgendwo
einen kleinen Zusammenstoß mit weniger liebenswerten Eigenschaften.
Nirgendwo Gespräche, die ins Leere laufen, und frau erkennt, daß
sie mit dem Typen keinen Gedanken, kein Gefühl teilen kann. Daß
für ihn völlig banale Dinge wichtig sind (und umgekehrt). Nur
ein paar Tage Tisch und Bett gemeinsam - und die Gefühle können
sich klären.
Nein,
es war und ist keine Schwärmerei. Jemand, der schwärmt, findet
sein Idol in allem gut und toll. Ein blindes Idealisieren ohne Sinn und
Verstand. Das ist nicht mein Fall. Ich weiß nicht, ob er gut, toll
oder phantastisch ist - ich hatte immer nur auf eine Chance gehofft, es
herausfinden zu können.
10.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (3) von Regina Berlinghof @ 01:04
Ulrichs
Tagebuch:
1.
Tag der Entführung, 10. Juni
Dieses
Weib ist wirklich verrückt. Und ich bin ein Idiot. Aber wer rechnet
denn mit sowas! Nach mehr als einem Jahr schlägt sie tatsächlich
zu. Noch dazu in Amerika! Ich denke, sie hat kein Geld! Ich habe mich wie
ein Trottel auf die Straße locken lassen. Was dann passiert ist,
weiß ich nicht. Sie muß mich betäubt haben. Ich bin in
einem fahrenden Campingwagen aufgewacht - auf einem Bett, die Hände
links und rechts mit Handschellen gefesselt und der rechte Fuß auch.
Wieso dürfen normale Bürger Handschellen kaufen? Sie hat mich
nur angegrinst und gesagt, daß sie der Verkäuferin andeutete,
daß sie und ihr Freund besondere Spiele liebten. Ein irres Gefühl,
auf dem Bett zu liegen, gefesselt zu sein, nicht zu wissen, wohin es geht.
Die Sonne scheint, aber sie hat zum Glück die Klimaanlage eingestellt.
Es zieht. Sie muß auf einem Freeway fahren. Es gibt keine Stops,
und die Fahrbahn scheint glatt asphaltiert zu sein. Hat denn niemand mein
Verschwinden bemerkt? Wie hat sie mich in diesen Wagen bekommen?
Ganz
einfach, erklärt sie mir am Abend. Sie hat mich mit einem Spray betäubt
- und dann mit großem Theater um Hilfe geschrien. Ihr husband sei
plötzlich zusammengebrochen. Ein Schwächeanfall! Die Passanten
halfen ihr noch, mich ins Auto zu tragen und aufs Bett zu legen! Sie ließ
sich die Adresse vom nächsten Krankenhaus geben. Und dann raste sie
mit mir im Wohnwagenabteil los. In die Wüste. Die liebt sie ja so
sehr. Fast so sehr wie mich, wie sie beteuert und mich dabei ansieht, daß
sich mir alle Haare sträuben. Nein, ich bin nicht das Kaninchen, das
sich von der Schlange hypnotisieren läßt. Aber sie hat so etwas
Gewisses im Blick, eine solche Selbstverständlichkeit, wie es nur
Verrückte, Besessene oder Genies fertigbringen. Ich weiß noch
nicht, zu welcher Kategorie sie gehört. Vermutlich zählt sie
sich zu den Genies. Eine Entführung, um einen Roman zu schreiben!
Reiner Größenwahnsinn!
Die
Fahrgeräusche werden lauter. Der Straßenbelag ist offensichtlich
rauher. Ganz selten höre ich ein anderes Auto überholen oder
entgegenkommen. Nur noch das gleichförmige Brummen der Räder
und des Motors vorne. Sie muß den Freeway verlassen haben. Plötzlich
knirschen die Räder, das Auto fängt an zu schaukeln. Sie muß
auf eine Schotterpiste abgebogen sein. Mein Gott, wohin bringt mich diese
Irrsinnige! Hat sie einen Komplizen, der irgendwo wartet? Mein Handy! Es
muß noch in der Jackettasche stecken. Aber da komme ich nicht heran.
Die einzige Hoffnung, daß es möglichst lange funktioniert, damit
man seine Position orten kann.
Endlos
geht das Geknirsche und Geschaukel. Als es schon fast dunkel ist, hält
sie an. Sie kommt zum ersten Mal in das Wohnabteil zu mir. Sie schnallt
den anderen Fuß fest, dann macht sie mir die eine Hand kurz frei
und fesselt sie mit der anderen hinter meinem Rücken zusammen. Ich
darf aufstehen. Sie hält mir einen Revolver vor den Bauch.
Hätte
ich den Helden spielen sollen, um herauszufinden, ob er geladen war? Ich
habe es nicht getan. Ich habe alles gemacht, was sie wollte. Ich dachte,
die ist zu allem fähig. Sie hat mich rausgelassen. Unter den Füßen
nur Steine und Sand. Ein paar Hügel und Büsche ringsum, etwas
weiter weg zwei, drei Joshua-Bäume. Ihre Stachelarme heben sich wie
Hilferufe schwarz gegen den dunklen Himmel. Die ersten Sterne glimmen auf.
Kein Haus, keine Straße weit und breit. Die hat mich mitten in die
Pampa gebracht.
7.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina (2) von Regina Berlinghof @ 10:35
Eine
Unverschämtheit sondergleichen! Ein total verrücktes Weib! Oder
soll das wirklich eine Erpressung sein? In die Wüste will sie! Bisher
sind nur Verrückte oder religiöse Fanatiker daraus zurückgekommen,
was dasselbe ist. Und der Stil des Briefes! Grell, laut - grob und stümperhaft.
Manche Leute glauben, wenn sie schreiben, könnten sie sich alles erlauben.
Natürlich können sie es. Aber gut geschrieben muß es sein.
Gut geschrieben, Mädchen! Nicht nur klappern! Die Worte müssen
wehen, fliegen, tanzen! Deine kriechen bleischwer am Boden entlang. "Und
lege Ihnen das Exposé sowie eine Textprobe bei", reines Bürodeutsch.
Forget it! Mach deine Entführung, hol dir deine Millionen und genieße
die Sonne! Aber laß das Schreiben!
Deinen
Brief hättest du ganz anders anfangen müssen. Leicht, schwerelos
muß er daherkommen. Leicht wie der Duft einer frischen Erdbeere.
So hättest du anfangen müssen:
"Sehr
geehrter Herr Kirdorf,
ich
habe lange über Ihre Worte nachgedacht und schließlich Ihren
Rat beherzigt. Ich habe meinen Roman "Isolde und Tristan" komplett umgeschrieben
und ihn in die Neuzeit versetzt. Eine Liebe von heute, die sich gegen den
Willen der Betroffenen entfaltet und in einem Fanal von Angst und Gewalt
untergeht. Mit Isolde stirbt die Liebe den Kältetod. Ich habe den
Roman einige Male durchgearbeitet, die Zahl der Adjektive gelichtet und
Wiederholungen gestrichen.
Ich
freue mich auf eine Besprechung der näheren Einzelheiten mit Ihnen
oder einer/m Ihrer MitarbeiterInnen.
Mit
freundlichen Grüßen,
Katharina
Jukulli"
Mädchen,
ich bin Verleger und kein Krösus. Mit Höflichkeit kommst du weiter
als mit dummen Drohungen und Forderungen. Ich lasse Tanja die Absage schreiben.
Eine 08/15 Absage: "Leider paßt Ihr Roman nicht in unser Programm."
11.
Juni 2001 (Vereinigten Nachrichtendienste)
"Münchner
Verleger in Kalifornien verschwunden"
Wie
erst jetzt bekannt wurde, ist der Münchner Verleger Ulrich Kirdorf
vor zwei Tagen in Los Angeles spurlos verschwunden. Nach einem Anruf gegen
zwei Uhr mittags verließ er das Hotel mit unbekanntem Ziel. Seitdem
gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Ein Gewaltverbrechen ist nicht
auszuschließen. Die Polizei geht allen Hinweisen nach. Die lokalen
Behörden sind in ständigem Kontakt mit dem FBI und dem deutschen
Konsulat in Los Angeles."
5.6.2003
Fortsetzung
folgt: Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt
(1) von Regina Berlinghof @ 20:34
"Do
it again, Cathy"
oder
Wenn
ein Verleger einer Autorin den Rat gibt, den eingesandten Roman noch einmal
zu schreiben, könnte er sich unversehens als Hauptfigur darin wiederfinden
Als
Verleger bekommt man ja einiges auf den Tisch. Doch dieser Brief ist schlicht
eine Zumutung. Lesen Sie selbst:
München,
5. April ...
"Sehr
geehrter Herr Kirdorf,
ich
möchte Ihnen gerne meinen neuen Roman "Liebe, Zufall und Quantenphysik"
vorstellen und lege Ihnen das Exposé sowie eine Textprobe bei. Ich
erinnere mich, daß Sie auf der Buchmesse einmal sagten, daß
Sie meine Sachen sehr gerne lesen. Aber leider haben Sie bisher keines
meiner Manuskripte angenommen. So mußte mein Roman "Isolde und Tristan"
in einem kleinen Verlag erscheinen, wo er lange nicht die Resonanz in der
Öffentlichkeit und bei den Kritikern fand, die er verdient hätte,
wenn er in Ihrem renommierten Haus erschienen wäre.
Kurz:
Ich stehe vor dem Problem, daß ich mit meinem neuen Roman anfangen
kann und will, aber entweder nicht die nötige Zeit oder genug Geld
habe, um ihn zu schreiben. Bei "Isolde und Tristan" hatte ich noch einen
gut bezahlten Halbtagsjob als Lehrerin, den ich aber verloren habe. Inzwischen
arbeite ich als Selbständige, verdiene recht gut - nur finde ich dabei
nicht die Muße, um mich auf den neuen Roman zu konzentrieren. Ein
ziemlich frustrierender Zustand. Ich habe lange überlegt, wie ich
dem abhelfen könnte, und kam auf folgende Lösung: Ein Schriftsteller
braucht ja nicht viel - einen Tisch, Papier und Schreibmaschine oder noch
besser: einen Computer bzw. ein Notebook. Alles andere habe ich im Kopf.
Wo fände ich also Ruhe, drei Mahlzeiten am Tag und ein sicheres Dach
über dem Haupt, um meiner eigentlichen Berufung nachgehen zu können?
Im Gefängnis! Eine Gefängniszelle würde völlig reichen.
Das einzige Problem wäre, wie hineinkommen? Ich möchte schließlich
niemanden umbringen, berauben oder sonstwie schädigen. Aber auch hierfür
gibt es eine Lösung: eine Entführung. Damit könnte ich sogar
zwei oder drei Fliegen mit einer Klappe (haha - meine Klappe kann sehr
laut sein!) schlagen:
Klappt
die Entführung eines Millionärs oder Milliardärs (das ist
natürlich Voraussetzung), könnte ich vom Lösegeld bzw. den
Zinserträgen leben und der Menschheit hundertfältig zurückgeben,
was ich erpreßt habe. Das wäre nicht nur eine Lösung im
Sinne Robin Hoods, sondern sogar eine Lösung ohne Gefängnis.
Dann würde ich mich in irgendeinem warmen Billigland niederlassen
und in der Wüste, die ich sehr liebe, den neuen Roman schreiben.
Dem
Entführungsopfer würde ich natürlich kein Haar krümmen.
Ich würde ihm schon klarmachen, daß ich nicht an sein Leben
will. Ich möchte ihm alle unnötigen Ängste ersparen. Es
wird ihm an nichts fehlen - die Bewegungsfreiheit ausgenommen. Geht die
Entführung schief, lande ich zwar im Kittchen, komme aber dort endlich
zum Schreiben. Wenn das Motiv zur Entführung bekannt wird, werden
die Medien schon dafür sorgen, daß der Roman ein Bestseller
wird. Damit wäre außerdem meine Zukunft nach dem Absitzen der
Strafe gesichert. Und von den Bestsellereinkünften, die ja auch dem
Verlag zugute kämen, könnten Sie die Autoren finanziell unterstützen,
an denen Ihnen liegt. Leider gehöre ich nicht zu diesem erlauchten
Kreis. Ich weiß, ich schreibe etwas zu naiv und hölzern für
Ihren Geschmack. Sie mögen mehr den modern-spielerischen, intellektuellen
Ton. Meine Schreibe entspricht nicht ihren literarischen Vorstellungen.
Schade! Trotzdem muß dieser Roman geschrieben werden. Egal, ob Sie
ihn gut finden oder nicht. Es wäre mir freilich am liebsten, mein
Exposé und die Textprobe würden Sie überzeugen. Im andern
Fall muß ich Sie bitten, mein Projekt direkt zu finanzieren. Mit
Euro 1.000,- netto monatlich würde ich auskommen. Hiermit appelliere
ich an Ihre Menschenfreundlichkeit, die ich kennenlernen durfte. Immerhin
hatten Sie mir Ihre Absage mit einem individuell und freundlich gehaltenen
Brief begründet.
Nun
aber zum Projekt selbst. Es soll wieder ein großer Roman werden.
Große Gefühle, Liebesleidenschaft - und Quantenphysik. Ich verarbeite
darin eigene Erlebnisse, auf die ich teilweise schon bei "Isolde und Tristan
" zurückgegriffen habe. Der Prolog: Einstein, Goethe und Schopenhauer
in der Quantenhölle ist fertig. Ich füge ihn ebenfalls als Anlage
bei.
Ich
hoffe auf eine gute und gedeihliche Zusammenarbeit und verbleibe
mit
freundlichen Grüßen
Katharina
Jukulli."
2.6.2003
Mainzer
Minipressenmesse - Hitze und Gewitter von Regina Berlinghof @ 00:16
Zurück
von der Mainzer Minipressenmesse - der Messe der Handpressen und Kleinverlage.
Es
war eine Schwitzgemeinschaft in den beiden Zelten am Rheinufer. Aussteller
und Besucher stöhnten am Rande der Erschöpfung. Fächer,
echte Schönheiten oder provisorisch gefaltete, waren ab dem zweiten
Tag groß in Mode. Nur gestern gab es eine donnernde Dusche mit Abkühlung
am Nachmittag. Ansonsten Fast-Sauna-Verhältnisse ohne Sprung ins kalte
Wasser.
Die
Atmosphäre wie immer leger, offen, freundlich. Abgesehen von heute
schienen mir die Besucher matter und kaufunwilliger. Alle Aussteller, mit
denen ich gesprochen habe, klagten. Lag's am Wetter oder am Wirtschaftsklima?
Dabei geht man zu dieser Messe ohnehin mehr wegen der Kontakte und Gespräche
als wegen der großen Gewinne.
Mein
Gegenüber war Seishi Katto, ein Zeichner aus Japan. Als wir gestern
beim Gewitterschutt zum tröpfelnden Zeltdach hinaufschauten und hofften,
es bleibe wenigstens über den Büchertischen wasserdicht, machte
er diese Zeichnung und schenkte sie mir:
26.5.2003
An
den Tag verraten - Frankfurts neuer Tristan (Premierenbericht vom 25.5.03)
von Regina Berlinghof @ 01:05
Eine
schwarz umrahmte Guckkastenbühne auf hohem Podest öffnet sich
zu einem strahlend weißen Schiffsdeck, vorne die Reling. Auf einer
Bank hockt Isolde trüb und gekränkt. In unerreichbarer Ferne
Tristan am Schiffsbug. Die Matrosen lugen hinter drei Türen hervor,
stellen Brangäne gern ein Bein, um ihr und ihrer Herrin zu zeigen,
wer hier das Sagen hat. Zwei starke Frauen. Leider kommen die Spitzentöne
der Isolde (Frances Ginzer) etwas gequält und sehr kurz. In mittlerer
Lage fühlt sich ihre Stimme, die leicht zur Schärfe neigt, viel
wohler. Isolde brütet vor sich hin, Tristan brütet vor sich hin.
Kurwenal und Brangäne im Kostüm der 50-er Jahr mit Gesundheitstretern
sind dagegen Ausbunde an Lebendigkeit. Apropos Kostüme: auch Isolde
steckt im mittlerweile etablierten Frankfurter Häßlichlook.
"Putzfrauenklamotten" höre ich in der Pause eine treffende Beschreibung.
Vermutlich hat deshalb Tristan überhaupt keine Lust, Isolde zu besuchen
und anzusehen. Auch als es zur Liebesoffenbarung zwischen beiden kommt,
sitzen die mit abgewandten Gesichtern auf dem Bänkchen. Schließlich
greift Isolde ihm ans Jackett und zieht ihn zu sich. Sich angucken oder
gar küssen tun die beiden nicht.
Das
bleibt auch im 2. Akt so, der sich im weißen Schleiflackzimmer Markes
und Isoldes fortsetzt - das Licht bleibt stets gleißend hell. Totaler
Sieg des Tages über die Nacht. Lämpchen und Birnen glühen.
Die Leuchte, die als Zeichen für Tristan gelöscht werden soll,
ist das Nachttischlämpchen, das Isolde an langer Schnur mit sich herumträgt
und dabei Brangäne singend auffordert, das Licht auszulöschen.
Dabei könnte sie leicht die Nachttischlampe selbst ausknipsen. Zuvor
hat sich Marke ebenso ungereimt mit allen Mannen im Schlafzimmer! von seiner
neuen Gattin zu einer Jagdpartie verabschiedet. Die Mannen steigen durchs
Fenster hinaus, wo man sie Wache schieben sieht, nur Isolde in ihrem Liebeswahn
nicht. Auch Brangäne scheint Tomaten auf den Augen zu haben, denn
sie singt immer nur vom Hörnerschall, den sie noch hören kann.
Diese Jagdgesellschaft hat anderes im Sinn, als Wild zu jagen.
Immerhin
läßt Isolde irgendwann die Jalousien herunter, was ihr aber
nicht sonderlich hilft. Sie wartet auf Tristan und führt sich wie
ein Schulmädchen vor dem ersten Date auf: sie balanciert auf imaginären
Linien, sortiert die Blumen neu und liebkost die Flasche mit dem Liebestrank.
Ab und zu wälzt sie sich auf dem großen Bett. Mehr fällt
ihr vor einem Stelldichein mit dem Geliebten nicht ein. Dabei hat doch
der Regisseur Christoph Nel eigens eine szenische Beraterin beigezogen,
die von Haus aus Psychotherapeutin ist. Während Wagners Musik in Liebesstürmen
schwelgt, die projizierten Übertitel mit Liebe, Tod und dem Einssein
mit der Welt und dem Weltatem dahinrasen, sehen Regisseur und die psychologische
Szenenberaterin darin intrauterine Regressionsphantasien. An diese Liebe
glauben sie nicht. Die Nacht hat bei ihnen keine Chance. Ebensowenig Erotik,
nicht einmal Sex. Entsprechend blöd stapfen Tristan und Isolde im
Schlafzimmer umher, streuen weiße Lilien aufs Bett und auf den Boden,
kuscheln einmal kurz. Außerdem gespenstert Brangäne ständig
durch das Zimmer, anstatt draußen aufzupassen und ihre betörenden
Warnrufe ertönen zu lassen. Wunderbar gesungen von Louise Winter.
Schließlich platzt Melot in die Runde und macht dem Ringelpietz des
Liebespaares ein Ende und führt die beiden König Marke vor. Der
vermutet viel mehr action in seinem Schlafzimmer als geschehen ist und
klagt ergreifend seinen Schmerz (Gregory Frank). Schlimm, daß es
dem ehebrecherischen Liebespaar erst jetzt vor dem König einfällt,
sich heftig zu küssen. Was würde Freud wohl dazu sagen????
Dem
Regisseur und seiner szenischen Beraterin liegen kaputte Typen viel mehr,
weshalb der dritte Akt mit dem todkranken Tristan der gelungenste der Inszenierung
ist (abgesehen von Isoldes Biederstkostüm, in das man die Arme gesteckt
hat - man hat ihr ja nicht einmal einen Spiegel in dem weißen Schleiflackschlafzimmer
gegönnt!). - Tristans Heimatburg Kareol ist ganz in schwarz gehalten,
schwarze Wände, schwarze heruntergekommene Lesersessel und eine Couch
mit Essensresten zugemüllt. Durch die Decke regnet es herein. Männerwirtschaft.
Tristan hängt mit Decken zugemutzelt in einem Sessel und singt seine
Wahnsinnpartien mit einer unglaublichen Intensität. John Treleavens
Stimme ist nicht immer schön, und sein von der Regie versautes Spiel
im 1. und 2. Akt vergißt man besser. Aber im dritten Akt ist er wahrhaft
der leidende Tristan - mit ganz wenigen Mitteln, gefesselt an diesen Sessel.
Begleitet von einem spielerisch und stimmlich großartigen Kurwenal
(Gerd Grochowski).
Paolo
Carignani rettete Wagners Musikdrama, leider zu oft ließ er das Orchester
in voller Lautstärke gegen die Sänger anbranden. Kein Wunder,
daß junge Wagnersänger bald ihre Stimme verschrien haben und
im Mezzoforte und Piano keine runden Töne mehr zustande bringen.
Verdienter
großer Beifall für Sänger und Dirigent, viele Bravos. Ebenso
verdient viele Buhs für die Inszenierung Christoph Nels.
24.5.2003
Literatur
und Städte - Jerusalem die Schöne III von Regina Berlinghof @
12:58
Es
hat noch einen Grund gegeben, weshalb wir wieder nach Jeruschalajim zurückgekehrt
sind. Diese Stadt, die vom Streit der verschiedenen Parteien so zerrissen
ist, braucht vielleicht Menschen, die nicht nur Unterschiede, sondern mehr
das Gemeinsame, das Verbindende sehen. Darf man die Stadt den Hetzern und
Kämpfern überlassen, denen es nur um die Macht oder die richtige
Religion und nicht um den Frieden unter den Menschen geht?
Wie
ich diese zerrissene, zerstrittene Stadt und seine zerstrittenen, verfeindeten
Menschen liebe - mehr fast als mein heimatliches Sela und die Menschen
dort. Die Sehnsucht meiner Mutter hat in mir tiefere Wurzeln geschlagen,
als ich es je für möglich gehalten habe. Rav Jeschua hat versucht,
die Menschen durch sein Lehren zum wahren Frieden zu bringen. Schoschana
und ich werden versuchen, den Frieden, der in uns ist, zum Wachsen und
Blühen zu bringen.
aus:
Mirjam. Maria Magdalena und Jesus. Letztes Kapitel. Es spricht Yoram, der
Erzähler der Rahmenhandlung
22.5.2003
Aller
guten Dinge sind drei - auch in der Literatur! von Regina Berlinghof @
17:07
Die
Spedition war pünktlicher als vereinbart: Als ich nach Hause kam,
stapelten sich schon die Kartons vor der Wohnungstür.
"Schrödingers
Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt" hat heute das literarische
Licht der Welt erblickt. Mein drittes Buch, der zweite Roman. Es ist nicht
mehr ganz so aufregend wie beim allerersten Mal, aber die Vorfreude hat
sich seit gestern unaufhaltsam ausgebreitet, als die Druckerei faxte, daß
die Bücher unterwegs seien.
Nun
muß ich ein bißchen klappern: "Alle reden von Pisa, nur nicht
von Quantenphysik -
und
Frauen schon gar nicht!". Also ein hoffnungsloses Unterfangen: Liebe, Literatur
und Quantenphysik?
Mehr
später! - Die glückliche Autorin
20.5.2003
Literatur
und Städte - Jerusalem die Schöne II von Regina Berlinghof @
14:41
Ich
hatte kaum einen Blick für die Umgebung, nahm nur verschwommen die
silbergrün schimmernden alten Olivenbäume wahr. Dann verschlug
es mir den Atem. Ich war nach langem Steigen ein Stück ebenen Weges
gelaufen. Plötzlich öffnete sich vor mir jäh ein Abgrund.
Ich stand auf der Spitze eines Berges, der steil nach drei Seiten abfiel.
Links und rechts vor mir - als hätte die Hand des Herrn eine tiefe
Furche gezogen und die ausgehobene Erde an den Seiten aufgetürmt -
erstreckten sich zwei hohe Bergkämme und säumten das Tal vor
mir, als schmückten sie eine Prachtstraße. Auf dem Berg zu meiner
Linken sah ich die heilige Stadt, eingefaßt von gewaltigen Mauern.
Und oben auf der Kuppe, fast zum Greifen nah, so schien es mir, glänzte
strahlend das goldene Dach des Tempels. Ja, dieses schimmernd weiße
Marmorgebäude mit seiner Strahlenkrone aus Gold war kein irdisches,
kein Menschenhaus! Es war das Heiligtum des Herrn, Beit HaMikdasch. Ich
sah hinüber zu der Heiligen Stadt, und es war, als hätte sich
der Himmel geöffnet und mir einen Blick in sein Innerstes erlaubt.
Ich wußte, der Verbrecher und Mörder Herodes hatte die Heilige
Stadt und das Heiligtum des Herrn so glanzvoll erneuert. Er war der Schlächter
der Letzten der Chaschmona'im, der rechtmäßigen Herrscher Jehudas.
Wie er es von den Römern gelernt hatte, hatte Herodes gemordet, sein
Ränkespiel getrieben, Steuern erpreßt und unerhörte Macht
und nie gesehenen Reichtum angehäuft. Aber der Herr wählte seine
Knechte, wie es ihm gefiel, und nicht, wie es die Menschen für richtig
hielten. Und der Herr hatte den Mörder, Schänder und Heiden Herodes
gewählt und seine Hand geführt, um sein heiliges Haus verschönern
und in seiner Herrlichkeit weithin leuchten zu lassen! Unten im Tal, zwischen
Tempelberg links und dem dicht mit Olivenbäumen bepflanzten Berg auf
der rechten Seite, hatte sich ein kleiner Fluß sein Bett gegraben
- der Kidron, dessen Lauf mich auf die Straße nach Jericho führen
würde. Aber mein Blick hing fest an der hocherbauten Stadt, an dem
golden leuchtenden Heiligtum, das den Himmel zu berühren schien. Erst
als die Mittagssonne so heftig niederbrannte, daß Mund und Augen
trocken wurden, riß ich mich aus der Verzauberung und setzte den
Weg fort. Ich stieg den steilen Abhang hinab und war in zwei Stunden in
Beit Hinei.
aus
Mirjam. Maria Magdalena und Jesus - diesmal ist Mirjam (Maria Magdalena)
die Erzählerin. Beit Hinei ist Bethanien. Der goldene Tempel des Herodes
muß ähnlich beeindruckend gewesen sein wie heute an derselben
Stelle die goldene Kuppel des Felsendoms - und der Blick auf den Felsendom
links und den Ölberg rechts ist einfach hinreißend. Ich glaube,
heute heißt der Platz "Berg des Rats" - ich habe nicht nachgecheckt,
und meine Erinnerung ist einige Jahrzehnte alt!
18.5.2003
Literatur
und Städte - Jerusalem I - Unerwiderte Liebe von Regina Berlinghof
@ 11:04
Hella's
Klage: "während mein Buch über Bremen noch nichts gilt im eigenen
Lande."
Ach
diese unerwiderten Lieben...
Wenn
es danach ginge, daß Literaten für die Liebe zu einer Stadt
belohnt werden müßten, dann hätte ich seit 1995 ein Dauerwohnrecht
in Jerusalem! - Hört, Ihr Israelis und Palästinenser, wie ich
Eure Stadt liebe:
"Mutter
beschrieb mir die heilige Stadt Jeruschalajim, die sie nur ein einziges
Mal in ihrem Leben gesehen hatte, als sie auf ihrer Brautfahrt, von Norden
her kommend, nach Sela gezogen war. "Du kannst dir gar nicht vorstellen,
wie schön Jeruschalajim ist. Es liegt hoch oben auf den Bergen. Der
Tempel, die Burgen und Häuser ragen in den Himmel, als wollten sie
sich dem Herrn entgegenstrecken. Nicht so wie hier in Sela, das sich ins
Tal duckt und versteckt. Hier ist alles eng und dunkel zusammengedrückt
- aus dunklem, roten Fels gebaut. In Jeruschalajim strahlen die Häuser
aus lichtem Stein. Alles ist frei und luftig. Mitten in der Stadt kannst
du weit ins Land sehen - hier fängt sich der Blick zwischen engen
Schluchten und hohen Felswänden. Die Häuser und Höhlen von
Sela kleben an der Erde, an dem Fels - und die Herzen der Menschen auch.
In Jeruschalajim spürst du die Nähe des Herrn - alles ist so
weit und offen und der Himmel ist nahe. Und von überall siehst du
das goldene, strahlende Haus des Herrn. Jeruschalajim wird ewig bestehen
- aber Sela ist verdammt zur Wüste, wie es der Prophet geweissagt
hat!"
Mirjam.
Maria Magdalena und Jesus, 1. Kapitel ("Jericho")
(mit
Sela ist das nabatäische Petra gemeint, aus dem der Erzähler
Yoram stammt)
11.5.2003
Das
Böse für die Literatur von Regina Berlinghof @ 12:12
"Ja",
schreie ich - so habe ich es jedenfalls in Erinnerung, "es ist absolut
krankhaft und idiotisch, mich hier einzusperren! Haben Sie mich nun entführt
und wollen Lösegeld oder wollen Sie mich hier festhalten, mit mir
sterben oder mich einfach an Langeweile und Hitze eingehen lassen?"
Ich
ernte einen stummen Blick.
"Haben
Sie je bedacht, daß Sie mich nicht nur meiner Freiheit berauben,
sondern auch meinen Verlag ruinieren? Wie sollen denn die Geschäfte
ohne mich weiterlaufen? Wissen Sie eigentlich, was alles daran hängt
und was Sie kaputtmachen? Sie können mich doch nicht ewig hier festhalten
und warten lassen!"
Sie
lacht plötzlich sehr bitter. "Wissen Sie denn, wie es ist, wenn ein
Autor auf die Zusage eines Verlages wartet? Wie man in der Luft zappelt,
bis einer geruht zu antworten? Nachdem man Jahre in die Arbeit gesteckt
und auf vieles verzichtet hat? Auch da wird über eine Existenz entschieden!
- Aber ich habe Sie nicht entführt, um sie im Warten zu üben
oder um mich zu rächen, auch wenn es verblüffende Parallelen
gibt."
"Und
weshalb haben Sie mich entführt? Wollen Sie mir es nicht endlich sagen?"
"Um
meinen neuen Roman in Ruhe schreiben zu können. Ich brauche das Geld.
Übrigens wird der Roman nicht viel von Liebe handeln. Sondern von
Sex und Crime. Das ist es doch, was ankommt, oder? Ich habe meine Lektion
begriffen. Liebe zählt nicht. Macht und Gewalt sind alles. Sei freundlich
zu den Leuten, und sie nehmen dich nicht ernst. Tritt ihnen vors Schienbein,
und auf einmal respektieren sie dich. Handke beschimpfte das Publikum,
und sie lagen ihm zu Füßen. Rainald Götz schnitt sich vor
laufender Kamera die Stirn auf. Das Blut tropfte auf sein Manuskript, während
er las. Das gefiel der Jury in Klagenfurt. Damit beeindruckt man die Leute.
Ich entführe einen Verleger. Das wird der Hit! Ich biete Ihnen an,
den Roman in Ihrem Verlag herauszubringen. Das wird Sie für alle finanziellen
Nachteile entschädigen."
Im
Grunde hat sie Recht. Sie kann schreiben, was sie will. Die Leute werden
es kaufen, weil sie einen Verleger - mich! - entführt hat. Verbrechen
und Leidenschaft, was will der Leser mehr! "Soll das ein Angebot sein?"
"Ein Deal - warum nicht?"
Ich
denke an Schmander und den Zinstermin. Ich denke an Bill und an Hollywood.
Nein, auf so etwas lasse ich mich nicht ein.
"Sie
haben wirklich eine abgebrühte Phantasie", stelle ich fest. "Das hätte
ich Ihnen nie zugetraut!"
"Sag
ich doch. Ich bin freundlich zu Ihnen, und Sie halten mich für doof.
So läuft es bei uns. Ich habe beschlossen, nicht mehr so freundlich
zu sein. Ich heule jetzt mit den Wölfen. Nein, ich mache mich zur
Oberwölfin und übertöne alle. Anders wird man doch nicht
beachtet."
aus
meinem neuen Roman: "Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen
Ende der Welt" - erscheint Juni 2003 - diese Textstelle als Kommentar zu
Jens Jessens Glosse in der ZEIT, Zitat des Schlusses:
"Es
war verständlich, aber strategisch falsch, daß Heidenreich aus
Letzterem (Nick McDonnells "Zwölf") nicht die wüstesten Szenen
vorgelesen haben wollte. Denn das Wüste, gerade das, bei dem sich
der Magen umdreht und das Gewissen rebelliert, ist das Privileg der Literatur
geblieben, weil es in den gesellschaftlich kontrollierten elektronischen
Medien, zuvörderst dem Fernsehen, auf absehbare Zeit nicht zu finden
sein wird. Das Böse, nicht das Gute, ist die wahre Zukunft der Belletristik."
Jens
Jessen zu Elke Heidenreichs Büchershow, DIE ZEIT, 8. Mai 2003
18.4.2003
Offene
Antwort an Hans Magnus Enzensberger - Die Freude bleibt gedämpft von
Regina Berlinghof @ 21:34
Man
stelle sich ein abgelegenes Dorf im 19. Jahrhundert vor, wenige Familien.
Ein Mann schlägt und drangsaliert seine Frau, vergewaltigt seine Kinder,
die Knechte und Mägde. Sie laufen zu seinem Nachbarn, dem reichsten
und stärksten Bauern im Ort und bitten ihn um Hilfe. Einige finden
Unterschlupf und Arbeit bei ihm. Aber da der Reiche und der gewalttätige
Nachbar in Geschäftsdingen gut zusammenarbeiten, unternimmt der Reiche
nichts. Er läßt die Mißhandlungen, die Vergewaltigungen
ungehindert zu.
Erst
als ihn der üble Nachbar bei einem Geschäft betrügt, geht
der Reiche gegen ihn vor. Wegen des Betruges kann er ihn offiziell nicht
belangen - es war illegaler Schmuggel. Dafür fällt ihm ein, daß
er den Nachbarn wegen der Gewalttaten gegen seine Familie und die Bediensteten
packen. könnte. Er spielt sich als Retter und Befreier auf.
Der
Jubel der Familie über die Befreiung von dem Quäler ist groß.
Es gibt auch ein gewisses Dankgefühl gegenüber dem Reichen. Aber
ihm als Retter und Befreier und Helden zuzujubeln?
Ein
Held, der sich aus purem Eigennutz zur Tat aufgeschwungen hat?
Jeder,
der nur einen Bruchteil von den Schandtaten des Saddam Hussein weiß,
wird mit den Irakern froh sein und jubeln, daß der Gewaltherrscher
endlich gestürzt wurde.
Der
Jubel für die Befreier fällt dagegen gedämpfter aus: weil
der Bushregierung die edlen Motive wie Befreiung, Recht und Demokratie
erst eingefallen sind, als ihnen Saddam im Weg war. Als sie sich die irakischen
Ölfelder sichern wollten. Die Schandtaten des Saddam - am schlimmsten
die Giftbomben gegen die Kurden - waren schon 1991 bekannt. Der damalige
US-Präsident, Vater des heutigen Präsidenten, stachelte die Schiiten
und Kurden zu Aufständen an - und ließ sie im Stich, als Saddam
sich noch als zu stark für sie erwies. Seine Soldaten blieben außen
vor und sahen der Niederschlagung des Aufstandes zu, so wie sie jetzt auf
Befehl des Sohnes tatenlos der Zerstörung der staatlichen Infrastruktur
und den Plünderungen der Krankenhäuser und des Nationalmuseums
der zugesehen haben. Die Freude, der Dank, mit Verlaub Herr Enzensberger,
halten sich in Grenzen!
12.4.2003
Borderline
- Nach dem Krieg im Irak oder: Es gibt auch gute Nachrichten von Regina
Berlinghof @ 16:46
1.
gute Nachricht:
Selbstverständlich
haben die Amerikaner den Irak nur wegen der Unterdrückung des irakischen
Volkes und nicht wegen des irakischen Öls befreit. Sie haben das ganze
Land befreit: sogar die Krankenhäuser, die Geschäfte und die
Privathäuser. Nur die Ölfelder sind nicht befreit. Dort haben
sie Wachen aufgestellt.
2.
gute Nachricht:
Heute
und morgen finden überall Demonstrationen gegen den Krieg in Tschetschenien
statt. Millionen Friedenskämpfer fordern von dem russischen Präsidenten
Putin: Stoppt den Krieg! Freiheit für Tschetschenien!
3.
gute Nachricht:
Der
russische Präsident Putin hat die Einstellung aller Kampfhandlungen
in Tschetschenien verkündet. Russische Soldaten helfen beim Aufbau
der befreiten Republik Tschetschenien.
4.
gute Nachricht:
Die
Palästinenser haben bekanntgegeben, daß sie ab sofort alle Terroraktionen
und Selbstmordaktionen einstellen wollen.
5.
gute Nachricht:
Die
israelische Regierung hat den Rückzug aus allen besetzten Siedlungen
bekanntgegeben. Die Siedler werden aufgefordert, entweder in den Kernstaat
Israel zurückzukehren oder loyale jüdische Bürger im neuen
Staat Palästina zu werden.
6.
gute Nachricht:
Die
Abgeordneten des Bundestags, der Länderparlamente und Stadtverordnetenversammlungen
haben das Renteneintrittsalter für Abgeordnete auf 65 Jahre heraufgesetzt
und selbständige Rentenansprüche erst ab einer achtjährigen
Amtszeit bewilligt.
10.4.2003
Der
besetzte Panzer im besetzten Baghdad (Nachtrag zu gestern) von Regina Berlinghof
@ 15:26
Gestern
nachmittag konnte ich live die Bilder vom Sturz der Saddam-Statue verfolgen.
Zunächst waren es nur ein paar Jugendliche, die unter dem Beifall
und den Kameras der Presse versuchten, die Statue zu erklettern. Der Sockel
war zu hoch. Sie schleppten von irgendwoher Leitern herbei, stiegen hinauf.
Es gelang ihnen auch, ein riesiges, dickes Seil um Kopf und Hals der Statue
herumzuwerfen. Aber das Seil war zu kurz – ganz zu schweigen, von den viel
zu schwachen menschlichen Kräften, um die Statue herunterzureißen.
Schließlich rollte knatternd der Panzer heran. Ich glaubte, er würde
den Stahl-Saddam einfach herunterschießen. Aber es war ein Bergungspanzer
der Pioniere, kein Kampfpanzer mit Kanonenrohr. Er fuhr langsam auf den
Sockel zu, als wollte er den Sockel einfach einrammen, wie dieser Panzer,
der die Türen eines Palastes eindrückte. Aber er blieb vor dem
Sockel stehen.
Dann
geschah das Erstaunliche: die Menschen kletterten auf den Panzer. Sie hatten
keinerlei Angst. Weder die Iraker vor dem Panzer und den bewaffneten Amerikanern,
noch die Amerikaner vor den Irakern und eventuellen Selbstmordattentätern.
Der Panzer verschwand völlig unter einer wimmelnden Menschenmenge.
Hier besetzte ein amerikanischer Panzer die Innenstadt von Baghdad – die
Baghdadis besetzten den Panzer, und alles blieb friedlich!
Es
war dieses Bild des von Menschentrauben besetzten Panzers, das mich mehr
verwunderte und berührte als die Bilder, die in den Medien später
immer wieder gezeigt wurden: der nachfolgende hochsymbolische Sturz der
Statue und die Bedeckung von Saddams Gesicht mit der amerikanischen Fahne,
das Schwenken der irakischen Fahne, das Tanzen auf dem zerschlagenen Torso.
30.3.2003
Krieg
auf allen Kanälen von Regina Berlinghof @ 21:09
Im
Moment absurde Parallelaktion: Echtkrieg auf allen Kanälen und Independence
Day in Pro Sieben. Der Film lief gerade an, als ich zum ersten Mal in den
USA war. Die Freunde, die ich besuchte, wollten mich unbedingt ins Kino
mitschleppen. Ich war gerade aus der Wüste zurückgekehrt und
fuhr lieber an den Stadtrand von Hemet (kleiner Ort in Calif) und schaute
mir den Sonnenuntergang an.
26.3.2003
Brot und
Spiele von Regina Berlinghof @ 23:19
Die
Römer hatten ihr Vergnügen bei Brot und Spielen. Gladiatoren,
die gegen wilde Tiere kämpften und im Zweikampf sich gegenseitig abschlachteten.
Es befriedigte die martialische Sensationsgier der Massen.
Wir
brauchen keine Spiele in den Arenen. Wir sind per TV online bei den Kriegszügen
dabei, hören live die Einschläge der Bomben und Raketen, wir
sehen die Verwundeten und Leichen auf dem Bildschirm. Was will Sensationsgier
mehr!
25.3.2003
Nachrichten
von eingebetteten Journalisten von Regina Berlinghof @ 21:05
Von
eingebetteten Objekten zu eingebetteten Journalisten:
Windows
definiert eingebettete Objekte(OLE) so: Daten (Objekte), die in einer Quelldatei
enthalten sind und in eine Zieldatei eingefügt werden. Sobald das
Objekt eingebettet ist, wird es zum Bestandteil der Zieldatei.
Die
Definition von JLE ist also: Journalisten, in die Army eingebettet werden.
Sobald die Journalisten eingebettet sind, werden sie zum Bestandteil der
Army.
22.3.2003
Terror,
shock and awe von Regina Berlinghof @ 21:49
Was
ist Terror? Schrecken. Terroristen sind Leute, die anderen Furcht und Schrecken
einjagen wollen. In diesem Sinne die Aktion der Bushregierung im Irak:
Shock and Awe. Schock und Schrecken. Awe: auch so eine Umschreibung wie
Kollateralschaden. Viktor Klemperer (LTI) läßt grüßen.
20.3.2003
Krieg -
heute und vor 30 Jahren von Regina Berlinghof @ 21:05
Gegen
19.00 Uhr. Baghdad in der Abenddämmerung. Lifebilder auf allen Kanälen.
Lichtblitze, Abwehrfeuer gegen die US-Raketen. Und ich sitze bequem im
Sessel und schaue wie im Kino zu. Diesmal gibt es viele Kameras in Baghdad.
Die Bilder sind besser, schärfer. Nicht nur helle Blitze und Leuchtspuren
auf einem grünlich leuchtenden Bildschirm. Man sieht die Stadt, sieht
die Gebäude, sieht die Straße - die Raketen blitzen wie Feuerwerk
zu Silvester.
Die
Kinolifeschaltung im Fernsehen rückt uns den Krieg in der Ferne ganz
nah.
1973
habe ich den Krieg "echt" erlebt. Ende September kam ich nach Jerusalem,
um dort meine halbjährige Wahlpflichtstation als Jurareferendarin
bei einem Rechtsanwaltsbüro abzuleisten. Ich hatte mich mitten in
der Altstadt im Hospiz der Lutheraner einquartiert, das ich von früher
kannte. Dort gibt es von der Höhe den besten Blick über die Altstadt
zum nahen Felsendom und seine goldene Kuppel.
An
Jom Kippur wollte ich wie viele andere Touristen zur Klagemauer ziehen
und die Gebetszeremonien und -tänze der orthodoxen Juden (Rabbinerschulen)
ansehen. Es war noch heiß. Mittags legte ich mich hin, hielt Siesta.
Plötzlich das Heulen einer Sirene - was einmal eine Sirene war. Der
Ton dünn, rostig, brach bald ab. Das war's.
Irgendwann
kamen Leute und erzählten von Krieg. Die Ägypter hätten
die Grenze überschritten. Keiner wußte genaues. Ich hatte ein
kleines Taschenradio dabei. Mein Hebräisch war noch nicht gut genug
für die Nachrichten. Irgendwann kam schwach BBC herein. Ja, es sollte
Krieg geben. Ringsum, in Jerusalem, war alles friedlich. Wir glaubten es
nicht, zogen zur Klagemauer. Überall Soldaten. Die Schüler der
Yeshives waren schon versammelt, sangen. Soldaten ließen uns nicht
auf den Platz. Sie schickten uns nach Hause. Auch die frommen Beter. Erst
da fing ich an, den Krieg für Wahrheit zu halten. Am Abend wurde es
dem letzten klar: überall Verdunkelung. Kein Licht, keine Laternenlichter.
Keine Reklameleuchten. Ich dachte nur an meine Eltern, die sich in Deutschland
fürchterliche Sorgen um mich machen würden. Ich versuchte, sie
anzurufen. Alle Ämter natürlich geschlossen. Es war ja auch Feiertag.
Am nächsten Tag kam ich nach langem Warten durch.
Meine
Eltern wußten mehr über den Frontverlauf als ich. Sie sahen
die Bilder und Karten im Fernsehen. Ich hatte nur mit schlechtestem Empfang
die BBC-Nachrichten und den israelischen Englischsender. Die Zeitungen
- alle Ausgaben am nächsten Tag gekauft - beruhigten. Israel schlug
die arabischen Invasoren überall zurück. Ich hatte volles Zutrauen
zum israelischen Militär. Fünf Tage später beschrieben die
Zeitungen genauer, von welchen Positionen sie die Araber zurückgeschlagen
hatten. Auf diese Weise erfuhr ich, wie weit die Invasoren schon gekommen
waren. Und all die Nachrichten in den Tagen davor Lüge und Beruhigung
der Bevölkerung.
Ich
war mitten im Krieg und bekam kaum etwas davon mit. Nur die gedrückte
und gespannte Atmosphäre überall. Das Warten auf die vollen Stunden
mit den Nachrichten. Später auch in Hebräisch. "Ve sehu sof haChadaschot".
Der Satz, der das Ende der Nachrichten ankündigte, klingt mir immer
noch in den Ohren.
20.3.2003
Noch ein Krieg:
Kleinverlage gegen rabiate Preiserhöhungen der Frankfurter Buchmesse
von Regina Berlinghof @ 15:12
Antwort
auf das gestrige Schreiben und den Offenen Brief von Karl-Klaus Rabe, Geschäftsführer
der Lamuv Verlag GmbH und der GVA Gemeinsame Verlagsauslieferung Göttingen
GmbH. Der offene Brief ist bei www.buchmarkt.de abgedruckt.
Sehr
geehrter Herr Rabe,
vielen
Dank für Ihre Mail und die Zusendung der Erklärung, die ich Ihnen
unterzeichnet zurücksende und faxe. Ich habe am Dienstag die Buchmesseunterlagen
erhalten. Meine erste Reaktion nach dem Ausrechnen der Standgebühr
für 2003: Das ist keine Preiserhöhung, das ist Wucher!
Am
selben Tag las ich die Glosse der FAZ über Ihren offenen Brief. Ich
wollte Ihnen sowieso schon schreiben und Ihnen meine Unterstützung
anbieten. Für mich (mit kleinstem Stand) beträgt die Erhöhung
35 % (von überwiesenen Euro 917,- incl. MwSt. im Jahr 2002 auf Euro
1.238,- dieses Jahr - also auf rund 2500,- DM - das ist die Kleinauflage
eines Buchtitels. Der angebotene Preisnachlass von 3% bei Frühbuchung
bzw. 5% bei 3-Jahresbuchung ist dagegen geradezu lächerlich.
Absurderweise
hatte ich noch am Wochenende einen empörten Leserbrief an die großen
Frankfurter Zeitungen in Sachen Standortverlegung aufgesetzt, in dem ich
an die desinteressierten Frankfurter Politiker und habgierigen Hoteliers
appellierte: wenn sie schon keinen Sinn fürs Buch und Lesen hätten
und nur an ihren Profit dächten, dann sollten sie doch wenigstens
an die alte Bauernweisheit denken: Man soll die Kuh nicht schlachten, die
man melken will.
Diesen
Gedanken möchte ich nun Herrn Neumann nahelegen. Auch wenn Kleinverlage
bislang "subventionierte" Standpreise erhalten haben, sind es doch die
kleinen Verlage aus dem In- und Ausland, die den Buchmessebesuch so interessant
machen. Die Bücher der Großverlage stapeln sich ohnehin in allen
Buchhandlungen. Aber die Vielfalt der jährlichen Buchproduktion findet
man nur einmal im Jahr auf einem Platz: auf der Frankfurter Buchmesse!
Wo sonst haben Leser die Auswahl unter vielen Büchern, die man entdecken,
anfassen und durchstöbern kann, ohne sie blind bei Amazon bestellen
zu müssen! Leider betreibt Herr Naumann die Politik, die er den Hoteliers
vorwirft: reine Orientierung am Geschäft, am Profit. Nur noch Lizenzen
zählen, nicht mehr die Leser und Messebesucher, nicht mehr die Verlage,
die aus Idealismus und um der Texte und Inhalte willen Bücher produzieren.
Seit
meinem 13. Lebensjahr, das sind mehr als 40 Jahre, ist der Gang zur Frankfurter
Buchmesse in meinem Kalender so fest verankert wie die gesetzlichen Feiertage.
Seit 1999 bin ich als Verlegerin und Ausstellerin dabei. Jetzt habe ich
Angst, daß die Buchmesse ihren eigensten Kern aufgibt: Bücher,
Leser und Verlage. Ich habe Angst, daß die Buchmesse ihre Seele verliert.
Wir
kleinen Verlage sollten uns die Preispolitik der Messeleitung nicht gefallen
lassen. Ich bin mit meinem Verlag bei allen Gegenaktionen dabei: von Boykott
bis Gegenbuchmesse.
Mit
herzlichen Grüßen und großem Dank für Ihre Initiative,
Regina
Berlinghof
17.3.2003
Keine Grenzen
für den Krieg von Regina Berlinghof @ 22:01
Wozu
über Borderline und Borderlinefälle schreiben, wenn die ganze
Welt zum Borderlinefall wird? Die Regierung Bush zettelt einen Krieg an,
um Freiheit und Demokratie in den Nahen Osten zu bringen und wirft zuhause
selbst die elementarsten Menschenrechte in den Wind: Verhaftungen ohne
richterliche Kontrolle, Bespitzelung von Bürgern und und und.
Das
alte Europa ist nicht viel klüger. Jetzt bringen es Schröder
und Chirac fertig, gegen die verbündeten Amerikaner eine "Friedenskoalition"
mit Präsident Putin zu errichten, der seit Jahren gegen die tschetschenischen
Sezessionisten und Zivilisten Krieg führt, der die heimische Presse
und jede Kritik unterdrückt - kurz, der der KGB-Mann und faschistoide
Politiker ist, der er schon immer war.
Der
Krieg steht vor der Tür - die Iraker werden ihn ausbaden. Die Tschetschenen
werden seit Jahren von den Russen abgeschlachtet, ohne daß sich die
Welt groß drum kümmert. Die UN-Resolutionen sind nicht das Papier
wert, auf dem sie stehen: wer die Macht hat, schert sich einen Deut um
Entschlüsse und Verträge.
Eine
Entgrenzung ins Negative, ins Feindselige, Mörderische. Bleibt nur
die schwache Hoffnung, daß der Krieg so kurz und schmerzlos wie möglich
wird.
5.3.2003
Ein Gang
entlang semantischer Borderlines oder Künstler in der Rechtschreibprüfung
von Regina Berlinghof @ 22:57
Welcher
Künstler verbirgt sich hinter Roulette, Rotlicht, Rotgelb - Wer hinter
solchen Exotica wie Vientiane, Valentin, Venetien und den Vandalen, aber
auch hinter Gags und Gigolo? Natürlich Karl Schmitt-Rottluff und Vincent
van Gogh! Zumindest sind das die Ersatzbegriffe, die das Rechtschreibprogramm
von Pagemaker anstelle der unbekannten Künstlernamen bietet.
Und
welche im Literaturbetrieb tätigen Männer verstecken sich hinter
Rohwolle, Erwählt, Realwert und wer hinter Olsten, Holstein, Lausten,
Leisten, Listen? (Rowohlt und Ullstein).
Und
während Pagemaker Asket, Alaskas, Lausekerl, Loskäufe, Loskäme
für einen Teil-Doppelnamen vorschlägt, macht Microsoft Word ganze
Sache: Laser-Schüler oder Laster-Schüler! Ach Else!
23.2.2003
Borderline-Bankkredite
von Regina Berlinghof @ 19:44
Sonntags-FAZ
heute: Die Banken schreien nach staatlicher Hilfe. Zu viele faule Kredite,
die sie nicht mehr verkraften können. Eine bad-bank, eine sog. Auffangbank
soll gegründet werden. Staatliche Garantien werden gefordert.
Ein
Treffen auf höchster Ebene fand statt: "Von der Regierung kamen Kanzler
Gerhard Schröder, Finanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister
Wolfgang Clement. Sie trafen die Crème der deutschen Finanzwirtschaft:
die Bosse von Allianz und Deutsche Bank, von Münchener Rück,
Hypo-Vereinsbank und Dresdner Bank, von West-LB, DZ-Bank und KfW."
Ausgerechnet
Josef Ackermann, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank (unter Anklage
wegen dubioser Zahlungen bei der Übernahme von Mannesmann stehend),
machte den Vorschlag, die "faulen Kredite" auszugliedern und in eine Auffanggesellschaft
zu überführen - mit Staatshaftung.
Es
ist schon eine ungeheure Unverschämtheit, was die Herren Bankvorstände
fordern. Als ginge es nur um Kredite von schwächelnden Wirtschaftsunternehmen.
Vor wenigen Jahren kaufte sich die Deutsche Bank massiv in den USA ein
und leistete sich eine Abfindungszahlung an vier High-Manager von schlappen
350 Millionen Dollar!
Wenn
man an die Summen denkt, die sich die Mannesmann-Manager - mit Zustimmung
der Kreditbank (ebenfalls Deutsche Bank) - haben zahlen lassen, dann ist
die neue Forderung natürlich ein hübsches Spiel. Die Herren haben
ihre eigenen Taschen vollgestopft - für ihre Mißwirtschaft soll
der Staat geradestehen, d.h. der gemeine Steuerzahler, dem gerade die Nettobezüge
gekürzt wurden und der um seinen Job bangen darf (ohne Millionenabfindung
bis ans Lebensende!).
Schröder
und Co. fällt dazu leider immer noch nichts ein. Die Regierung sieht
tatenlos zu, wie sich eine neue Raubritterklasse etabliert und auf Kosten
der Gemeinschaft absahnt. Es muß endlich eine Gesetzesinitiative
in Gang gebracht werden, die Manager für Fehlwirtschaft haften läßt.
Jeder, der mit seinem Auto einen Unfall baut, muß für die Folgen
geradestehen. Dafür gibt es die Haftpflichtversicherung. Genau eine
solche Haftpflicht und ein analoges Versicherungssystem muß es für
Führungskräfte geben, die nicht als selbsthaftende Firmenunternehmer
im alten Stil mit ihrem Vermögen geradestehen. Diese Leute treffen
Entscheidungen in Millionen/Milliardenhöhe, ohne selbst die Konsequenzen
tragen zu müssen. Das widerspricht Sinn und Gehalt des gesamten Privat-
und Firmenrechts. Wer entscheidet, muß Verantwortung tragen - auch
finanziell!
Diese
Leute verdienen genug Geld, um die Prämienzahlungen leisten zu können.
Und wenn Abfindungen ausbezahlt werden, sollten sie für fünf
Jahre stillgelegt werden - als Haftungsreserve für Fehlentscheidungen.
Wenn die Entscheidungen gut waren, sollen gute Manager ruhig belohnt werden.
Aber die Absahner müssen endlich zur Kasse gebeten werden - mit steigenden
Prämien. Wie nach Autounfällen!
Vielleicht
war das ja auch nur eine Faschingsmeldung. Da gehörte sie hin.
20.2.2003
Jesus
auf der Borderline von Regina Berlinghof @ 10:05
Jeschua
wurde ins Verhör gerufen und vor den Sitz des Pontius Pilatus gebracht,
der der Vernehmung der Schüler durch seinen Ankläger schweigend
gefolgt war. Pontius Pilatus maß Jeschua mit einem langen Blick.
Ich mußte innerlich lachen. Glaubte er etwa, Jeschua Angst einjagen
zu können? Nein, er merkte wohl selbst, daß in den schmutzigen,
zerfetzten Lumpen ein Mann steckte, den man nicht einschüchtern konnte.
Respektvoll und fast freundlich stellte er seine Fragen.
"Also
du bist der Mann, von dem man sagt, er sei der König der Juden, der
gekommen ist, um das Joch Roms abzuschütteln und den Menschen Frieden
und Gerechtigkeit zu bringen?"
"Ich
weiß nicht, was man von mir sagt - aber ich habe versucht, die Menschen
zu Liebe und Frieden zu führen."
"Und
zu Gerechtigkeit und Freiheit ..."
"Ja.
Wenn man liebt und den inneren Frieden gefunden hat, so ist man auch frei
von aller Angst. Und man bringt es nicht mehr fertig, ungerecht zu sein."
"Wenn
du den Menschen Freiheit und Gerechtigkeit bringen willst, so heißt
das doch, daß in diesem Lande Gerechtigkeit und Frieden fehlen. Du
willst also sagen, daß Rom seine Untertanen unterdrückt und
ungerecht behandelt!"
"Wer
herrschen will, muß unterdrücken. Ob Rom oder sonst ein Herrscher."
Erregtes
Murmeln und Geflüster brandete auf. In den Schrecken, so etwas dem
römischen Statthalter direkt ins Gesicht zu sagen, mischte sich Bewunderung
und verstohlener Beifall. Dann wurde es wieder still. In atemloser Spannung
wartete man darauf, was Jeschua dem Statthalter und Vertreter des allmächtigen
Caesar in Rom als nächstes entgegenschleudern würde.
"Du
willst also die Römer aus dem Land werfen und dich zum König
der Juden ausrufen lassen?"
"Nein.
Wozu? Es bliebe alles beim alten. Nur die Spitze würde ausgetauscht.
Ob die Herrscher David, Schlomo, Herodes oder Tiberius heißen - für
die Menschen bedeuten sie Angst, Sorge und Ungerechtigkeit."
Ein
Aufstöhnen ging durch den Saal. Wie konnte er die großen Könige
des Herrn, David und Schlomo, in einem Atemzug mit den Schlächtern
und Ungeheuern Herodes und Tiberius nennen? Die römischen Beamten
und Soldaten grinsten zufrieden.
"Dann
willst du dich nicht zum König der Juden salben lassen?"
Pontius
Pilatus´ Stimme war schneidend geworden.
"Nein."
Die
Stille, die diesem Wort folgte, war die Stille tiefster Enttäuschung.
Dann eine Stimme aus dem Hintergrund:
"Der
will ja nur seine Haut retten! Feigling! Verräter!"
"Ruhe!"
Der römische Ankläger donnerte seinen Befehl in den Raum. Nur
eine einzelne Stimme hatte sich gegen Jeschua erhoben. Aber die Stimmung
hatte sich schlagartig verändert: Statt Bewunderung und Mitgefühl
herrschte plötzlich nur noch gespanntes Abwarten - ungläubig
noch, aber kälter, voller Mißtrauen, auf der haarfeinen Scheidelinie
zwischen für und gegen ihn.
aus:
Regina Berlinghof: Mirjam. Maria und Magdalena, (c) 1995-2003
7.2.2003
Borderline - Jesus zu: Gott in der europäischen Verfassung von Regina
Berlinghof @ 22:49
Klar, daß der Papst und alle konservativen Christen "die von Jesus
Christus gestiftete Kirche als formgebenden Faktor zur Identität des
Kontinents" sehen und Gott in der Verfassung verankern wollen. Nur: wo
bleiben dann die europäischen Agnostiker, die europäischen Buddhisten,
Hinduisten und die Anhänger anderer Glaubensüberzeugungen?
Fragen wir doch Jesus, was er dazu meint: (ich zitiere aus meinem neuen
Roman "Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt"):
'Ich seufzte, und dann schrie Ulrich auf. Sein braungebranntes Gesicht
war gespenstisch grau geworden wie die Mondmesas in Utah vor der Capitol
Reef Landschaft.
"Was siehst du?", flüsterte ich. "Jesus!", er schluckte. "Ein Jude
mit Schläfenlocken, ganz abgerissen, um nicht zu sagen, zerlumpt.
Sein Kleid muß mal weiß gewesen sein. Und die Streifen schwarz."
Vor mir saß ebenfalls ein bärtiger Jude in biblischer Tracht,
aber sauber und gepflegt. Ja, er machte sogar einen eleganten Eindruck.
Seine Augen sprühten Feuer und verrieten wache Intelligenz. Er musterte
mich eine Weile, dann sagte er in einem nachsichtig und freundlich klingenden
Ton: "Paulus".
Im gleichen Augenblick hatte ich den Zerlumpten vor mir. Seine braunen
Augen blickten weich, liebend. Er schien unglaublich verletzlich, aber
voller Kraft. Eine Kraft, die keinen Gedanken an das äußere
Erscheinungsbild verliert. "Das war mein Fehler", seufzte er. "Sie nehmen
Leute und ihre Ideen nur ernst, wenn sie proper daherkommen. Und über
meine zerstrittene Schülerschar haben sie nur gelacht. Scha'ul kam
mir gerade recht. Er konnte organisieren. Wenn er nur nicht so übertrieben
hätte!"
"Wieso," fiel ihm Paulus ins Wort und strich sich über den Kinnbart,
"Ordnung und Disziplin müssen sein. Nur mit Ordnung und Disziplin
kann man etwas aufbauen! Mit klaren Rangordnungen. Und mit Gehorsam der
Untergebenen! Der Mensch ist schwach. Aber Ordnung und ein starker Glaube
machen ihn stark!"
"Ich wollte die Leute nicht stark machen sondern liebend!" Der Zerlumpte
lächelte mich hilflos an. "Sie haben mich zum Herrn, zum allmächtigen
"Dominus" gemacht, der über allen steht. Was für ein Blödsinn!
Ihr eigener Glaube hat ihnen geholfen! Modern nennt man so etwas Placeboeffekt.
[…]"
Ulrich erholte sich allmählich. Für ausgemachte Atheisten und
Areligiöse muß es wirklich ein Schock sein, wenn längst
Totgesagte unvermittelt und höchst lebendig vor ihnen stehen.
"Ohne Schrift hätte uns der Wind zerstreut wie Sandkörner. Die
Menschen brauchen klare Vorstellungen und klare Anweisungen. Und Frauen
sowieso. Nur so haben wir ein Weltreich aufbauen können, die Heilige
Kirche."
Paulus schaute mich an, und versuchte, mich mit seinem harten, bohrenden
Blick niederzuzwingen und mir zu zeigen, wer Herr im Hause war. Hier in
der Wüste wirkte dies nur lächerlich.
"Ich wollte keine Kirche", sagte der Lumpenjesus. "Und heilig ist sowieso
alles. Klar, die Kirchen sind herrliche Bauten, und die Messen, die sie
darin singen, wunderbar. Aber um welchen Preis? Wieviel Selbstquälerei,
wieviel Quälerei anderer war und ist damit verbunden? Und wieviel
Heuchelei, wieviel Raub und Erpressung von den Armen? Das hatten wir doch
alles schon einmal! Mich haben sie zum Gott und Götzen gemacht, zu
einem Popanz, dem nichts besseres einfällt, als Gericht zu halten
über die Bösen und die Guten. Idioten!"
Ulrich hörte hingerissen zu. Ich auch. Als Paulus wieder zum Vorschein
kam, war er sichtlich verärgert.
"Ich habe ihm mein ganzes Leben geopfert, ich habe seine Lehre zum Erfolg
geführt - und nun soll alles nichts gewesen sein? Christliche Liebe,
christliche Mitmenschlichkeit, christliche Kultur?"
"Liebe, Mitmenschlichkeit und Kultur tun es auch." Jesus, der Zerlumpte,
lächelte uns an. "Und Frauen ganz besonders. Ah, ich wünschte,
ich könnte noch einmal bei Mirjam liegen, ihren Leib liebkosen und
mit ihr eins werden. Das hat dem guten Scha'ul ein bißchen gefehlt,
fürchte ich. Das konnte ich ihm nicht geben. Das konnte er nur mit
einer Frau erfahren."
Paulus' zorniges Gesicht war rot angeschwollen. "Wie kannst du, - ausgerechnet
du, o Herr, dem Fleisch, dem lumpigen und vergänglichen Fleisch so
viel Bedeutung beimessen! Es ist der ewige Geist, der uns geschaffen hat
und zu dem wir eingehen werden!"
"Und warum hat sich dann der ewige Geist so unendlich viel Mühe gegeben,
das Fleisch zu erschaffen, o Scha'ul, der sich Paulus nennt? Erst wenn
das Wort Fleisch geworden ist und sich im Fleisch ganz erkennt, erkennt
der Geist sich selbst!"
Paulus schnob verächtlich, dann war die Doppelerscheinung verschwunden.
"Ich glaub es nicht", japste Ulrich.
"Du sollst ja auch gar nichts 'glauben'", betonte ich und mußte dabei
grinsen. "Nun versuch mal, deinen Freunden zu erzählen, was du eben
erlebt hast. Hörst du nicht schon die Türen der Klapsmühle
knarren?"'
5.2.2003
Borderline
Wirtschaft und Tussi Sargnagel von Regina Berlinghof @ 00:28
Tussi,
sind Sie für "Outsourcing" in der Wirtschaft?
Selbstverständlich.
Was für ein Gewinn, wenn die richtigen Leute an die freie Luft gesetzt
werden: die Aufsichtsräte, Vorstände und Manager! Dann kann man
ihnen nach freier Wahl den einen oder anderen Auftrag geben, sofern sie
Sachverstand vorweisen. - Und welche Kostenersparnis, weil keine horrenden
Abfindungen mehr anfallen! Außerdem werden demokratische Strukturen
endlich auch in den Betrieben verankert: Wenn die Belegschaft ihren Vorstand
und die Aufsichtsräte von Fall zu Fall wählen und abwählen
kann!
5.2.2003
Borderline
- im Beziehungsalltag von Regina Berlinghof @ 00:09
Morgens
um neun
denk
ich an Dich
morgens
um neun
bleib
ich im Bett
morgens
um neun
erstickst
du mich.
P.S.
Info an alle, die in Wiesbaden wohnen: am Donnerstag, 6.2.2003, 22.00 Uhr
bin ich bei Radio Rheinwelle (92,5)
zu
Gast. In der Sendung Litera
& Beat unterhält sich Ulrich
Degwitz mit mir. - Ich lese aus meinem Roman "Mirjam", dem Geschichtenband
"Wüste, Liebe und Computer" und aus dem neuen Roman "Schrödingers
Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt", der in diesem Juni herauskommen
wird.
19.1.2003
Tussi
Sargnagel und die Rechtsstaat lichkeit der USA beim Jugendschutz von Regina
Berlinghof @ 21:18
Tussi,
sind die USA rechtsstaatlich?
Selbstverständlich.
Sie haben das Recht, den Ausschank von Alkohol an Jugendliche zu verbieten,
und gegen jugendliche Straftäter das Erwachensenstrafrecht heranzuziehen,
um die Todesstrafe zu ermöglichen (siehe John Malvo).
19.1.2003
MRRs
schwachsinnige Urteile über den "Mann ohne Eigenschaften" von Regina
Berlinghof @ 21:14
Heute
mittag beim Literaturfoyer in 3Sat. Es ging um Robert Musil und seinen
"Mann ohne Eigenschaften". Als Gäste u.a. Karl Corino (der Musilbiograph)
und MRR, der vom Scheitern Musils schwadronierte und von Musils poesieloser
Schreibe und schlecht "dargestellter" Liebesgeschichte zwischen Ulrich
und Agathe. Für MRR ist der Mann ohne Eigenschaft schon deshalb ein
"gescheitertes Werk", weil es Fragment, Torso geblieben ist. Auf Schuberts
Achte angewendet, dürfte die eigentlich nicht mehr gespielt werden.
Und viele andere Musikwerke ebensowenig. Glücklicherweise las Corino
eine wunderbare Passage aus dem Roman, der durch seine Sprache MRRs unqualifizierte
Urteile vom Tisch fegte. Das Publikum applaudierte begeistert. Wie man
die Liebesgeschichte des Geschwisterpaares als schlecht geschrieben abtun
kann, bleibt MRRs Geheimnis. Es ist eine der spannendsten Liebesgeschichten,
die ich kenne, feinfühlig, empfindsam entwickelt, subtil beschrieben.
Daß MRR den "Möglichkeitssinn", dem zentralen Thema im Roman,
überhaupt nicht erwähnte, wurde glücklicherweise von den
anderen Mitdiskutanten moniert.
11.1.2003
Blendung
-- eine Trouvaille zum Faschismus in den Köpfen von Wissenschaftlern
von Regina Berlinghof @ 14:57
"To
Adolf Hitler
The
Personification of Goodwill and
the
Master of Well-timed Action"
Eine
Widmung, gefunden in "The Manyosu" vol.5, (klassische japanische Gedichtsammlung)
translated and annotated by Dr. J.L. Pierson, jr., Formerly Professor of
Japanese in the University of Utrecht), erschienen 1938 in Leiden bei Brill.
Ich
bin gerade dabei, das Nachwort zur Neuauflage von Hans Bethges "Japanischer
Frühling" (bereits 1911 erschienen) vorzubereiten und bin dabei auf
diese Ausgabe gestoßen.
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