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Die Anthologie
Der tage-bau gewann im
Herbst 2000 den
Innovationspreis des arte-them@-
literaturwettbewerbs!

drama@borderline: Lesung in Wiesbaden und Frankfurt!
Autoren des vom Kultursender ARTE ausgezeichneten Netztagebuches tage-bau.de lasen am 

16. Mai 2003 im Pariser Hoftheater, Wiesbaden,
(Fotos und alle Beiträge zum Anhören (mp3-Dateien))
und am
26. Juli 2003 in der Denkbar in Frankfurt   (Fotos)
Zehn/sechs Autoren lasen zum Thema Borderline Texte über Grenzerfahrung und Grenzüberschreitung.
Emotionale Songs zwischen Pop und Chanson des Duos drama! begleiteten die Veranstaltung.
 

Meine Beiträge im: 
Tagebau des Berliner Zimmers
 Fortsetzung meines WEB-Tagebuches  seit 12.8.2003 auf meiner Homepage

 im Jahr 2003


7.8.2003
Abschied vom Tage-bau von Regina Berlinghof @ 17:46 
 
Zum Abschied aus dem Tagebau einige Schnappschüsse aus Kelkheim, meinem Wohnort. Ich habe sie diesen Juli aufgenommen:
Das erste Bild ist vielleicht auch eine kleine Mahnung, nicht zu lange an einer Bau-Stelle einzuparken, sonst geht es einem wie dem Parkschild am Ortseingang. Der Efeu wächst alles zu. 
In diesem Kelkheimer gedeiht alles – auch die Gartenkunst. Mit einer Schutzpatronin (Muse?) in der Wanne, die über allem wacht. Vermutlich wäre ihr jetzt Wasser in der Wanne lieber als alle Blümchen… 
Im ehemaligen Dörfchen Ruppertshain am Taunus, jetzt Ortsteil Kelkheim thront über allem die ehemalige Lungenheilstätte, in literarischem Bewusstsein jetzt „Zauberberg“ genannt. Ein Zentrum mittlerweile von Ateliers, Galerien, künstlerischen Veranstaltungen aller Art. Von dort oben hat man einen herrlich weiten Ausblick hinunter in die Mainebene bis zu den Frankfurter Hochhäusern. 

2.8.2003
Buchenwald - Idylle und Grauen von Regina Berlinghof @ 20:49 
Nachtrag zu einem Zwischenstop in Weimar Anfang Juli. Beim vierten Besuch klappte es - ich hatte noch genug Zeit, um die Gedenkstätte Buchenwald zu besuchen. Wirklich, eine Fahrt durch bergigen Mischwald, dann die Häuser, Infocenter. Der Gang zum Lager, vorbei am Quartier der Lagerverwaltung. Der Blick auf das berühmte Eingangstor. Was ich nicht erwartet hatte: der weite Blick in die Landschaft dahinter. Fernblick in die Idylle, höchste Wohnqualität würde man heute die Immobilienlage bezeichnen. Ein Blick in die Idylle - dazwischen das Grauen.

Der riesige Appellplatz, der Stacheldrahtzaun, wenige erhaltene Gebäude, darunter die Kantine und eine Baracke. Ich bin den Stacheldrahtzaun entlang gegangen. Hinter dem Stacheldraht die Bäume, der grüne Wald - die andere Seite der Idylle.

Von den vielen anderen Baracken ist nur noch der rechteckige befestigte Untergrund erkennbar. Auf dem Geviert einer früheren Baracke breitet sich ein niedriger Gedenksteinwald aus. Auf vielen grob behauenen Stelen, nicht allen, sind die Namen der KZs eingemeißelt. 

Nach jüdischem Brauch erinnern kleine aufgelegte Steine an die Toten. 

Es war ein schöner, nicht zu heißer Sommertag. Während des Gangs durch Buchenwald zogen dunkle Wolken auf. In der Ferne gewitterte es schon. Es war, als ob sich an diesem Flecken Erde der Himmel seiner Heiterkeit schämte und sich in Trauer hüllte. Nur ein paar Jugendliche, vermutlich auf Klassenfahrt, focht nichts an. Sie lachten und gackerten, als hätten sie nichts gesehen, nichts gelernt, nichts begriffen. Auf dem Weg zur Autobahn brach der Regen los, schüttete schier endlos sein trübes Grau vom Himmel. Nach einer Stunde ein strahlender Doppelregenbogen. 
 

28.7.2003
Und täglich grü... kräht der Hahn ... Lyrik und Hähne von Regina Berlinghof @ 21:02 

Ich war wieder mal ein Schussel und habe das Gedicht "Rache am Hahn" nicht korrekt zitiert. Es ist nicht aus Hans Bethges "Asiatischem Liebestempel" (dazu verführte mich wohl der Text des Gedichtes), sondern aus der "Armenischen Nachtigall" - die Nachdichtung eines Verses von Nahabed Kutschak, dem berühmtesten fahrenden Sänger Armeniens, wohl aus dem 16. Jahrhundert.

27.7.2003
Evangelische Christen beim katholischen Abendmahl II von Regina Berlinghof @ 17:42 

Fatale Gutmütigkeiten
Die Kirche wird gedankenlos modernisiert.
zum Artikel von Klaus Berger am 26.7.03 in der FAZ

Man stelle sich vor, der auferstandene Jesus hätte Berlin besucht und sich auf dem ökumenischen Kirchentag umgesehen. Ob er an dem gemeinsamen Abendmahl der katholischen und evangelischen Christen teilgenommen hätte, das Pfarrer Hasenhüttl zelebrierte? Oder hätte er lieber eine streng katholisch oder evangelisch ausgerichtete Zeremonie gewählt? Und welche Kirche hätte er dann bevorzugt? Die Antwort erübrigt sich:
Da Jesus zu seinen Lebzeiten keine Berührungsängste zeigte und sich mit Huren, Zöllnern und Heiden an einen Tisch setzte, wäre es ihm vermutlich völlig egal, ob er mit evangelischen oder katholischen Christen das Mahl teilte. Und gegen die Teilnahme von Muslimen, Juden oder von anderen Religionsangehörigen, selbst von Atheisten, würde er sicherlich auch nichts einwenden. 
Von solch interreligiösem Mischmasch und der Aufweichung der Kirchenkonturen will Professor Berger aus Heidelberg nichts wissen. Er fragt nicht nach Jesus, er fordert die Katholiken zur "Bindung an die Geschichte oder die Universalkirche, [zur] Verantwortung vor der weltgeschichtlichen Größe der Kirche" auf. 
Sehr kirchliche Gedanken, nur: was hat das mit Jesus zu tun?
Berger verlangt eine neue Spiritualität, lehnt aber Hasenhüttls "apersonale Gottesschau ohne geschichtliches Fundament" kategorisch ab. Hat Jesus je von Geschichte geredet? Und wenn Jesus von Gott als "Abba, lieber Vater" gesprochen hat, so war dies ein Ausdruck von Liebe und nicht von Dogmatik. Neu ist eine apersonale Sicht jedenfalls nicht. Viele Mystiker, angefangen vom Buddhismus, Taoismus, auch Sufismus reden von nichts anderem. Der christliche Meister Eckehart ebenso: "Gott muß entwerden, damit die Gottheit (im Menschen) geboren werden kann". Hier wäre ein Neuansatz für die Kirchen, die das Christentum auch für Atheisten, Nichtgläubige und Nichtmehrgläubige attraktiv machen könnte. 
Professor Berger zieht es vor, die altbekannten dogmatischen Positionen zu verteidigen. "Dazu gehören etwas Hochmut des Glaubens" und sich "selbstbewußt als Elite" zu begreifen.
Besser hätte es ein intelligenter Vertreter der etablierten Religion zu Lebzeiten Jesu auch nicht formulieren können. Verteidigten nicht die Pharisäer und Priester der damaligen Zeit ihr hochkomplexes und intelligentes Religionsgebäude gegen einen dahergelaufenen Wanderprediger, der ihr ganzes System ins Wanken bzw. Auflösen zu bringen drohte? Jesus sprach nicht von Elite und Hochmut, sondern von "selig sind die Demütigen" und "selig sind, die geistig arm sind." 
Dazu will Professor Berger offensichtlich nicht gehören und will auch seine Kirche vor zuviel Demut bewahren. Nur - was hat das mit Spiritualität und Jesus zu tun?

23.7.2003
Lyrik und Hähneschreie von Regina Berlinghof @ 13:07 

Die kleine Stadt, in der ich wohne, scheint sich wieder auf ihre dörflichen Wurzeln zu besinnen. Jedenfalls kräht seit einigen Monaten ein Hahn in der Nachbarschaft. Laut, durchdringend - und nicht nur am Morgen zum Aufwachen. Das Tier verteidigt sein Revier den ganzen Tag. Immer wenn ich ihn höre, muß ich an die "Hahn-Gedichte" denken, die ich in den orientalischen Nachdichtungen Hans Bethges entdeckt habe. In vier Bänden gibt es Gedichte zum störenden Kikeri, vor allem wenn der Hahn den Morgen ankündigt und die heimlich Liebenden auseinanderreißt. Die Reihe geht von Japan über China und Mittelasien bis nach Arabien (letzteres unsicher aus der Erinnerung). Gibt es bei uns eigentlich ähnliche Gedichte? Mir fällt nur Brentanos Märchen von Hinkel, Gockel und Gackeleia ein. Aber nichts zum Hahnengeschrei. Höchstens noch die Bibel - "bevor der Hahn dreimal kräht…".

Hier aber die witzigste Version aus Bethges "Asiatischem Liebestempel": Ich zitiere aus dem Band, ohne daß man hieraus einen Mordaufruf ableiten sollte!

RACHE AM HAHN

Kaum daß wir liebend uns umschlungen hatten,
Da rief der Hahn und kündete den Morgen
Mit seinem unmelodischen Geschrei.
Das Messer diesem Vieh und an den Bratspieß
Und Feuer angelegt, um ihn zu rösten!
Dann wollen wir ihn nehmen und ins Tal
Hinüberwandern, ihn in Stücke teilen
Und ihn verzehren, einsam, du und ich.

Aus seinen weißen Knochen aber wollen
Wir einen kleinen Liebestempel bauen,
Und seine bunten Federn sollen bilden
Des kleinen Liebestempels Kuppeldach...
 

21.7.2003
Gedichte & Schläge von Regina Berlinghof @ 22:58 

Heute nur ein Zitat aus der Lyrikpost von Michael Gratz, Greifswald, der eine Meldung der taz aufgreift/zitiert:

Im Teehaus läuft das Radio. Leise dringt die Melodie eines Gedichtes, das gerade rezitiert wird, zu uns nach draußen. Die Perser haben ein Liebesverhältnis zu ihren Dichtern, und viele kennen die berühmten Verse von Hafis, Chayyam, Saadi und Ferdouzi auswendig. Während alle anderen vom Islam eroberten Völker bald die Sprache und Kultur der Araber annahmen, wurde im Iran über diese Dichter des 11. bis 14. Jahrhunderts - allen voran Ferdouzi - die persische Sprache unter der arabischen Herrschaft lebendig erhalten.
Auch heute noch leben die Perser wie kein anderes Volk mit ihren Gedichten, in denen Ströme von Wein und Blut fließen und ihren Geschichten von "mondgesichtigen" Haremsschönheiten, die sich edlen Prinzen hingeben vor der Kulisse üppiger Paläste, welche von Gesang, Tanz, Ausschweifungen und Liebesgeflüster widerhallen.
Gedichte und Geschichten aus einem Reich, dessen sinnlich-erotischen Eindrücke - nicht zuletzt durch die Vermittlung Goethes, wie durch den Zyklus "West-östlicher Divan" - ebenso unser Bild vom Orient geprägt und ihn zum Inbegriff der Opulenz gemacht haben.

Soweit die Poesie. Jetzt die Schläge:
Für Wein kommt man ins Gefängnis, Lust und Liebe stehen unter Generalverdacht. Im Land der erotischen Träume und Phantasien unserer Dichter und unserer Väter wurde soeben die Filmschauspielerin Gohar Cheirandish zu 74 Peitschenschlägen verurteilt, weil sie bei einem Filmfestival die Stirn eines Regisseurs geküsst hatte.

/ Ludwig Blohm, taz 19.7.

18.7.2003
Evangelische Christen beim katholischen Abendmahl von Regina Berlinghof @ 23:48 

Die katholische Kirche denkt sich Sünden aus, auf die kein normaler Mensch kommen würde. Ihre Phantasie ist grenzenlos, wenn es darum geht, Verfehlungen zu erfinden.
Nun also das Thema Abendmahl mit "Andersgläubigen" (Christen, wohlgemerkt), das kein Priester durchführen darf. Genausowenig, wie ein katholischer Mann eine Evangele heiraten darf oder umgekehrt.
Nun hat der emeritierte Theologe und Pfarrer Hasenhüttl in Trier ein Abendmahl zelebriert, an dem evangelische Christen teilnehmen konnten. Dafür wurde er vom Trierer Bischof Marx (!) mit Suspendierung bestraft: vom Pfarramt und vom Lehramt! Totales Berufsverbot also.
Er hat niemanden umgebracht, niemanden bestohlen, keine Frau, kein Kind vergewaltigt. Nur das "Mahl der Liebe" über die Kirchengrenzen hinaus erweitert...
Jesus speiste ohne Rücksicht auf die Reinheitsgebote seiner Zeit mit Huren, Zöllnern und Heiden. Das Abendmahl mit Ausschlußcharakter mag der Kirche dienen - mit Christentum, Spiritualität und Religion hat die Entscheidung von Bischof Marx nichts zu tun.
Vor einiger Zeit bat der jetzige Papst um Vergebung für die Sünden der katholischen Kirche. In nicht allzu ferner Zeit wird ein anderer Papst um Vergebung bitten für die Sünden der Lieblosigkeit, die die Kirche heute begeht. Ich hoffe, daß Pfarrer Hasenhüttl und Bischof Marx dies noch erleben.

22.6.2003
Eseleien von Regina Berlinghof @ 11:47 

Der Esel ist ein geduldig Tier
Er schreit IAA, "wie wohl ist mir".
Doch haut man ihm den Rücken blau
Streikt er IAU: "Ich mach jetzt blau".

21.6.2003
"Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!" (Luther) von Regina Berlinghof @ 22:19 

Heute, wenigstens zum Sommeranfang, hatte ich endlich Zeit für die Terrasse und die Blumen. Vier Säcke 50 l Blumenerde vom Auto durch die Wohnung auf die Terrasse geschleppt, dazu die Fleißigen Lieschen, die Nelken und Margeriten und in die Balkonkästen gesetzt. Die Hängebegonien an die Hecke gehängt, die Rosen vor dem Pflanzen gewässert - und dann ein neues Apfelbäumchen gesetzt und einen Ginkgo! Äußerst befriedigend. Nur Romane- und Geschichtenschreiben (und einige wenige andere Dinge mehr) sind ähnlich Freude schenkend. Luther, morgen mag das Weltende kommen! Heute gedeihen die Bäumchen und Blumen. Der Apfelbaum trägt sogar schon zwei Äpfel! Nur mein Rücken schmerzt.

18.6.2003
Ach, diese Verknüpfungen ... von Regina Berlinghof @ 18:53 

Da hatte ich das Cover so schön im Eintrag drin, funktionierte auch. Dann wollte ich noch einen Link vom Cover einbauen und hab vergessen, den Link vom Bild auf die Homepageadresse zu setzen...
Bei der nächsten Aktualisierung sollte das Cover wieder drin sein! ;-))
Fortsetzung folgt im Buch: Schrödingers Katharina von Regina Berlinghof @ 13:39 

Preis von 14,-- Euro, 258 Seiten. 
ISBN: 3-935727-08-9

  Da aller guten Dinge 13 sind, mache ich hier mit den Ausschnitten aus meinem neuen Roman Schluß und betreibe endgültig hemmungslose Werbung auf das gerade erschienene Buch. Zu bestellen bei mir , beim Verlag, in allen Buchhandlungen und demnächst auch bei Amazon.de (wenn die Bücherdatenbank das im Computer verarbeitet hat. Es ist zwar schon angekündigt, steht aber noch als "nicht lieferbar" in deren Datenbank, was seit dem 22.5.2003 nicht mehr zutrifft -))).
Disclaimer
In diesem Roman können sich Hunderte von Verlegern wiedererkennen. Dies geschieht mit Absicht. Sollten die geschätzten LeserInnen weitere Exemplare dieser Spezies identifizieren, um so besser. Denn es hat sich in Wirklichkeit alles genau so abgespielt, wie im Roman geschildert. Mit jedem einzelnen. Und sollten sich auch Verlegerinnen beschrieben finden, will ich nicht kleinlich oder gar minderheitenunfreundlich sein. Schließlich bin ich für Emanzipation. Jede Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist beabsichtigt und erwünscht. Denn alles hängt zusammen. Dafür übernimmt die Verfasserin die ganze Verantwortung. Sollte sich ein Verleger nicht wiederfinden, ist das sein Problem, nicht meines. SchriftstellerInnen sind auch nur Menschen. VerlegerInnen vermutlich auch. 



16.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (13) von Regina Berlinghof @ 17:26 

(Katharinas Kladde) 16. Juni, 9.30 Uhr morgens 
Unser Sonnenuntergangausflug hat mehr bewirkt, als ich zu wünschen wagte. Kurz vorm Schlafengehen, als es schon fast dunkel war, sagte er plötzlich, daß er auch draußen schlafen wolle. Es hat mich überrascht und gefreut. Also hat die Natur doch noch einen Draht zu ihm gefunden!
Ich habe sein Bettzeug nach draußen geschleppt, ihm unter dem Baum das Lager gerichtet und ihn dort angekettet. Der Himmel war ganz klar. Ach, diese Sterne. Jeden Abend bedaure ich, daß ich Brillenträgerin bin, nachts nicht einfach die Augen aufschlagen und die Sterne betrachten kann. Wenn ich aufwache, muß ich erst das Etui im Schlafsack finden, die Brille herausfischen und aufsetzen. Ein mühsames Spiel, wenn man hundemüde ist und nur kurz schauen und gleich wieder einschlafen will. Aber die Sterne machen es mir leicht. Wo, wenn nicht in diesen Wüstennächten, ist man dem Universum, dem ganzen Kosmos mit seinen Sternen, Planeten, Kometen und Galaxien so nah? Raum und Zeit pur, so wie sie Jahrmilliarden vor der Existenz des Menschen „Welt“ wurden und bis heute sind. Irgendwann hat ein Stern so viel Materie zu schweren Elementen zusammengebacken, daß er unter ihrem Druck explodierte und sie in einer Supernova ins All schleuderte. Unsere Erde wurde von Sternen gezeugt. Die Atome unseres Körpers wurden in fernen Sternen fusioniert. Irgendwo da draußen ist ihre Heimat. Unsere Heimat, meine Heimat! Wir waren Sterne, strahlten Licht und Energie – und kollabierten. Doch unsere Teilchen, unsere Kinder formten neue Welten. Neue Sterne, neue Planeten. Lebewesen. Wer sagt, daß Sterne nicht leben, daß Materie tot sei? Eine Behauptung, die ebenso wenig beweisbar ist wie einst die Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen. 
Heute morgen war sein Gesicht lebendig, die Augen strahlten. Ich fragte ihn, wie er so im Freien geschlafen hätte, da ging die Klappe wieder herunter, er fragte nur nach dem Zahnputzzeug. Isolde und Tristan mußte ich ihm wieder bringen. Beim Frühstück erkundigte er sich nach dem neuen Roman. Ich sagte ihm nur den Titel. ‘Liebe, Zufall und Quantenphysik’. Da merkte er auf, wollte mehr wissen. Aber ich kann nicht über ungelegte Eier sprechen. Ich will mir den Roman nicht zerreden lassen. Prompt warf er Schrödingers Katze ins Spiel. Ob er sich tatsächlich in Quantenphysik auskennt? Aber er schlug sofort den Bogen von der eingesperrten Katze zu seinem gefesselten Dasein und fragte, von welchem Betrachter es nun abhänge, daß er freikomme. Dann sprachen wir über die Liebe und die großen Liebespaare im besonderen. Über Liebe, die aufs Ganze geht, ihr selbst das Leben unterordnet, was ich für den Sinn des Lebens halte. Er hält die Extremliebenden für verrückt und beweist mir leicht, daß sie alle unglücklich endeten. Wir stritten um die alte Frage: Wollen wir eine lange, dauerhafte und glückliche Liebe oder die intensive, grenzüberschreitende Liebe – die vielleicht nur einen Augenblick, eine Stunde oder wenige Tage dauern kann. Unsere Positionen sind klar. Dann liest er wieder, und ich schreibe.

15.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (12) von Regina Berlinghof @ 15:19

(Katharinas Kladde) 15. Juni, 13.20 Uhr
Es ist so heiß, daß ich kaum denken kann. Am Ende des Talrunds flimmert die Luft. Der Körper ist wie aufgeladen. Erstaunlicherweise macht die Hitze nicht müde. Nur für den Roman ist sie nicht bekömmlich. Also Tagebuch.
Ich weiß nicht, ob unser erstes Gespräch (wenn man es als Gespräch bezeichnen kann) über die Liebe die Erotik zwischen uns ins Spiel gebracht hat. Ich mußte innerlich etwas grinsen, als sein Bettuch heute mit Flecken übersät war. Ich fürchte nur, daß nicht ich die Spielgefährtin seiner Träume war.
[...]
Beim Mittagessen verkündet er, daß er Bewegung braucht. Klar. Vermutlich denkt er dabei aber an einen anderen Bewegungsradius als ich. Er glaubt, wenn ich ihn an der Leine führe, könnte er sich leichter losreißen und flüchten. Wie soll ich mich gegen seine Größe, gegen seine Kraft behaupten? Ein plötzlicher Ruck, er überrumpelt mich, entwindet mir die Pistole - und die Rollen sind vertauscht. Andererseits habe auch ich Lust, etwas durch die Gegend zu streifen. Ich will den kleinen Hügel erkunden, der eine bessere Aussicht für die Sonnenuntergänge bietet. Also stimme ich seinem Vorschlag zu, aber erst für den Abend, wenn es kühler geworden ist. Bis dahin fällt mir schon etwas ein, damit mein "Freigänger" schön bei mir bleibt. Wozu hat man sich als Schriftstellerin in Phantasie geübt!
Er liest wieder in Isolde und Tristan. Mein Gott, warum hast du den Roman nicht bei dir herausgebracht? Ich hätte ganz andere Kritiken und Leser gefunden - und du würdest jetzt nicht gefesselt an einem Baum in der Wüste von Nevada sitzen. Verleger sind merkwürdige Menschen. Sie begeistern sich für die Bücher anderer. Aber wenn du mit einem Manuskript unter dem Arm zu ihnen kommst, reagieren sie mit panischen Fluchtreaktionen. Als könnten sie in den Bergen von Manuskripten ersticken, mit denen schreiblüsterne Autoren sie überhäufen. Manuskript ist natürlich falsch und nur ein Gewohnheitsbegriff. Typoskript sollte ich schreiben. Fein säuberlich vom Laserdrucker ausgebackene Seiten, ebenso fein säuberlich in Schnellheftern, Ringbindern abgelegt oder rückengeklebt gebunden. Oder immer häufiger als Anlage an die Verlage gemailt. Damit die ausdrucken und lesen. So stöhnte kürzlich Juli. Die muß es ja wissen.
Und Nietzsche wußte es auch - aus der anderen Perspektive. Als Schreiber, der keine Leser fand. Der übervolle Baum, dessen Früchte niemand herabschüttelt. Der Ofen, aus dem niemand das frisch gebackene Brot holt. Die Welt ist bevölkert mit unsensiblen Pechmaries, die verständnislos an Schätzen vorbeieilen und sie immer da suchen, wo sie nicht sind. Wie selten die Goldmaries, die nicht nur Baum und Ofen von ihrer Last befreien und sie glücklich machen - sondern sich selbst damit auch!
"Ich habe heute nacht von Ihnen geträumt", sagt er plötzlich. "Sie waren jung und sehr schön. Sie haben mich sehr glücklich angelächelt." Ich muß lachen und bin geschmeichelt - wider besseres Wissen. Er plant seine Flucht wirklich gut. Mit psychologischer Finesse. Er macht mir nicht vor, daß er mich jetzt schön findet. Davon könnte er mich kaum überzeugen. Der "hellsichtige" Blick in die Vergangenheit ist nicht übel. Denn es gab Phasen, da war ich schön und glücklich, sogar selig glücklich. Er schaut mich plötzlich so spitzbübisch verschmitzt an, daß mir ganz schwach wird und ich nicht weiß, was ich antworten soll. Als mir schließlich ein banaler Satz einfällt, stammele ich ihn blöde heraus. Vermutlich bin ich sogar rot geworden. "Erzählen Sie doch Ihren ... Ihren Traum!"
Er grinst noch mehr. Er hätte nicht viel behalten. Wir wären auf einem Jahrmarkt gewesen und zusammen Achterbahn gefahren. Ich hätte dabei wie toll geschrien und ihn strahlend angelacht. Oh Freud! Oh Achterbahn! Ich habe nur dumm bemerkt, daß ich ihn heute abend Achterbahn führen würde - den Hügel hinauf, zum Sonnenuntergang. Er warf mir einen vernichtenden Blick zu, so als ob ich ihm ein Schäferstündchen angeboten hätte.

Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (11) von Regina Berlinghof @ 12:02 

(Ulrichs Tagebuch)6. Tag der Entführung, 15. Juni 
Heute nacht hatte ich einen feuchten Traum. Ich weiß nicht mehr genau, mit wem - aber bestimmt nicht mir ihr! Das ist doch ein Trost. Als sie heute morgen das Bettlaken sah, hat sie die Flecken kommentarlos zur Kenntnis genommen. 
Beim Frühstück habe ich sie noch einmal genauer angeschaut. Unter dem erotischen Aspekt. Ihre Haut ist nicht schlecht. Glatt, zart, ein paar Sommersprossen. Aber ihr Haar läßt sie ungepflegt. Es ist wellig, blond - aber schon ziemlich nachgedunkelt. Frisch gewaschen könnte es ganz attraktiv sein. Länger müßte es sein. Meist versteckt sie es unter einem Hut. Ein grüner Rangerhut, den es in allen Naturparks gibt. Die Frau sollte Berge hochklettern wie Reinhold Messner oder die Antarktis durchqueren. Offensichtlich liebt sie Abenteuer, Gefahr und Risiko. Aber für Normalabenteuer müßte sie vorher kräftig abspecken. Und das will oder kann sie nicht. Ihr Abenteuer bin ich. 
Ich stelle sie mir dünner, schlank und ohne fettige Strähnen vor - so, wie ich sie kennengelernt habe. Eine gute Gedankenübung. Manchmal steigt sogar ein Bild auf, in dem sie jung und hübsch ist. Wirklich schlank, gepflegt. Große, freundliche Augen. Und sie lächelt mich an. Ein Bild zum Verlieben. Idiotisch. Aber so könnte sie wirklich einmal ausgesehen haben. Ihre Lippen sind heute noch voll. Sie hat gute Zähne. Ihre Nase ist gerade, aber nicht spitz. Sie könnte schön sein - auch heute noch. Wieso sieht sie das nicht? Wieso sieht das keiner?
Dumme Frage. Ich habe es ja selbst nicht gesehen. Im Alltag rennt man an den Leuten vorbei und sieht sie nur in ihrem augenblicklichen Zustand. Nimmt diesen als gegeben hin. Und als unabänderlich. 
Hat sie darum das Abenteuer Liebe aufgegeben? Weil kein Mann sie mehr aufregend genug fand? Wie kann ein Mensch, der in einem Roman glühend die Ekstasen der Liebe beschrieben, ja verklärt hat, auf einmal die ureigensten Werte verraten und sie dem Literaturbetrieb zum Fraß vorwerfen? Gott ist tot, sagte Nietzsches Zarathustra und trauerte. Für uns moderne Menschen ist Gott nicht tot, er existiert einfach nicht. Die Liebe ist tot, sagt Katharina Jukulli, und jetzt trauere ich, obwohl ich selbst nie an die Liebe, jedenfalls nicht an diese Liebe geglaubt habe. Wir haben ihre Liebesleidenschaft, ihre Liebespredigt nicht ernstgenommen, wir haben über sie gelacht. Jetzt, wo sie selbst die Liebe in den Orkus wirft, ist es, als ob ein Stern erlösche. Ein Stern, der so fern und außer der Zeit war, daß sein Licht uns nicht mehr erreichte. Wenn nicht einmal mehr eine Gefühlsselige wie sie an die Liebe glaubt - was wird dann aus dieser Welt?
Ich lasse mich verwirren. Sie hat nur von Liebe geredet - aber hat sie wirklich je geliebt? In ihrem Handeln widerlegt sie sich selbst. Bei ihr erkenne ich kein einziges Zeichen von Verliebtheit. Sie glubscht mich nicht sehnsüchtig an. Sie schwirrt nicht um mich herum oder reizt mich irgendwie auf. 

Ich weiß nicht mehr, wie ich diesen Vormittag verbracht habe. Mittags - es gibt die üblichen Sandwiches - beklage ich meine steif gewordenen Muskeln und Beine. Ich kann nicht nur herumliegen und sitzen wie sie. "Wollen Sie die Gegend auskundschaften, um besser fliehen zu können?" Natürlich habe ich dran gedacht, dummes Weib. Aber ich brauche Bewegung, das ist echt.

14.6.2003
Borderline-Gründlichkeit von Regina Berlinghof @ 12:54 

Wieder ist ein sonniger Samstagmorgen angebrochen, und wieder singen die Kreissägen, dröhnen die Bohrer, brüllen die Staubsauger aus allen Fenstern und Balkonen, was das Zeug hält. 
Der neue Nachbar (seit März!): Er sägt und bohrt am Samstag, er sägt und bohrt am Abend. Irgendwann muß er doch die Wohnung kleingekriegt haben. Gibt es noch Raum für neue Löcher, gibt es noch Futter für die Säge? Oder hat er sich schon heimlich nach unten in die Nachbarwohnung vorgearbeitet? Deutsche Gründlichkeit lebt! Oder ein Fall von Borderline?
 

14.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (10) von Regina Berlinghof @ 10:44 

(Ulrichs Tagebuch) 5. Tag der Entführung, 14. Juni 
Diese Stille und Langeweile bringen mich um. Ich begreife nicht, wie sie das aushält. Den ganzen Tag sitzt sie seelenruhig unter dem Baum und schreibt. Sie geht nur zur Vorbereitung der Mahlzeiten nach drinnen. Sie muß Riesenvorräte eingekauft haben. Sie braucht nicht einmal wegzufahren, um Nachschub zu besorgen. Müsli und Salami verderben nicht so schnell. Das Essen hängt mir zum Hals raus. Selbst die Pfannkuchen schmecken nicht mehr. Das Telefon - wenn es hier eins gibt - klingelt nicht. Gestern habe ich sie nach meinem Handy gefragt. "Ich habe es sicher in Verwahrung", sagte sie, "und außerdem habe ich es ausgeschaltet."
Bei ihr habe ich immer noch kein Handy entdeckt. Immer nur der Revolver, mit dem sie mich in Schach hält. Ich kann und mag sie einfach nicht mehr sehen. Ich bin schon nach dem Frühstück wieder in mein Zimmer gegangen. Mein Zimmer! Wie schnell sich Sprache und Denken an die widerwärtigsten Umstände anpassen!
[...]
Wer entführt schon einen Menschen, um Lösegeld zu erpressen - nur um dann stumm an einem Tisch zu sitzen und in eine Kladde zu kritzeln! Sie tut nichts außer schreiben, spricht nicht darüber, redet nicht, zeigt nichts her. Sonst hat sie doch aller Welt ihre Sachen unter die Nase gerieben. Allerdings immer erst, wenn sie fertig waren. Nein, ein paar kleine Ausnahmen gab es. Aber das waren wohl Arbeiten, denen sie selbst keine große Bedeutung beigemessen hat. 
Ich muß ihre Sachen ganz anders lesen als sonst. Keinen Gedanken an literarische Kriterien verschwenden, an Stil, an Leser und Rezensenten. Der Markt spielt sowieso keine Rolle. Ich muß hinter die Psyche der Frau kommen. Ich muß dieses Weib dazu bringen, daß sie mich freiläßt. Aber dazu muß ich wissen, was sie zum Ticken bringt. Im Grunde liegt es ja auf der Hand: Die Frau ist frustriert, weil sie als Schriftstellerin keinen Erfolg hat und schiebt mir die Schuld in die Schuhe. Mir, stellvertretend für alle Verlage und Verleger, für alle Absagen, für alle Kränkungen. Nur gibt es Tausende von frustrierten Möchtegernschriftstellern, die trotzdem nicht auf die Idee kommen, einen Verleger, einen Menschen zu entführen, um in Ruhe ihren nächsten Roman zu schreiben. Die Frau scheint Ruhe wirklich nötig zu haben! Sitzt still und vergnügt unter dem Baum, schreibt in ihre Kladde, ab und zu schaut sie in den Himmel, hört wohl den Vöglein zu und freut sich, daß sie mir eins auswischen kann.
 

13.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (9) von Regina Berlinghof @ 18:37 

(Katharinas Kladde) 13. Juni, 18.00 Uhr
Heute habe ich viel geschrieben. Aber es gefällt mir noch nicht. Irgendwie ist mir die Heldin zu lahm. Sie bekommt zwar einen Wutanfall, als sie entdeckt, daß ihr Mann sie betrügt und seiner Geliebten ausgerechnet denselben blöden Kosenamen 'Butzel' gibt wie ihr, aber dann rennt sie nur noch betäubt durch die Welt, ist zu nichts mehr fähig und ist das arme Opfer. Der nächste Mann, in diesem Fall der junge Mann, ist wie üblich der Held und Retter. Also Frau passiv, Mann aktiv, das alte Schema seit Dornröschen und Schneewittchen. ER löst ihre Blockaden, ER weckt sie wieder zur Liebe auf.
Wieso müssen Frauen immer so lange warten? Ich habe Helmut nach drei Jahren auf den Mond geschossen, als ich merkte, daß er mich als Mutter und Gespielin brauchte, aber nicht als Mensch! Daß ihm seine Arbeitswelt das wichtigste auf der Welt war, daß ich keinen Platz darin hatte und nie haben würde. Und vor allem, daß ihm meine Arbeit, mein Schreiben nichts galten. Er sah mich nur am Computer klimpern und glaubte, mich als Sekretärin oder Schreibkraft nutzen zu können. Was ich schrieb, was ich schreiben wollte, war für ihn nicht existent. Ich hatte noch gehofft, er würde aufwachen und merken, was er verliert. Ich war ihm nicht wichtig genug. Er hat sich so schnell einer anderen zugewandt, daß es meine Einschätzung nur bestätigt hat. Das tat dann wirklich weh. [...]
Vermutlich kann ich mich glücklich schätzen, daß mir der gefesselte Ulrich keine Liebe entgegenbringt. Was der wohl von seinen Frauen erwartet? Gebildete intelligente Männer sind heute alle emanzipiert und wollen emanzipierte Frauen. Das ist die Theorie. In der Praxis denken und handeln sie wie ihre Väter und verlassen sich auf das immer fürsorgliche Tier, die Frau. Wenn sie sich wehrt, gibts Zoff oder eine andere muß her. Kein Wunder, daß aufgeklärte Männer von Emanzipation reden und Thaimädchen lieben. Selbst die Schriftsteller, jedenfalls Houellebecq oder wie er sich schreibt. Was bleibt den europäischen Frauen? Die Thaimänner! Vermutlich sind sie viel bessere Liebhaber als unsere verkopften und überzivilisierten Intellektuellen. Ich brauche ja nur mein Gegenüber anzusehen. Jedes Sandkörnchen, das ihm ins Essen gerät, bereitet ihm Qualen. Ein Prinz auf der Erbse. 
Ich sehe immer noch den Empfang in dieser Villa in Grünwald vor mir, die ihm wohl ein Freund zur Verfügung gestellt hatte. Vorstellung eines frisch entdeckten Dichters. Alles in äußerst gepflegtem und edlem Ambiente. Eine helle Nacht, aber schon Kerzen aufgestellt und angezündet. Er hatte mir sogar eine Einladung zukommen lassen - "damit Sie die richtigen Leute kennenlernen und einen Verleger finden." Dabei hatte ich ihm gerade geschrieben, daß ich gerade einen Vertrag mit einem Verlag abgeschlossen hatte. Unentwegt klingelte es an der Tür, weshalb sie bald offen gelassen wurde. Dann das übliche Zeremoniell: Küßchen links, Küßchen rechts und noch einmal links. Alle miteinander, Männlein und Weiblein, Männlein und Männlein, Weiblein und Weiblein. Eine merkwürdig gedämpfte Atmosphäre, in der kein lautes Wort fiel. Als sollte jemand beerdigt werden. Schwarz gekleidet waren sowieso die meisten. Schwarz ist die Kleidung der Intellektuellen. Die moderne Priesterkaste. Bloß kein ordinäres Bunt oder gar weiße Tennissocken. Schwarz ist die Farbe der kritischen Geister, der Skeptiker, denen kein Gefühls- oder Sinnenrausch ein X für ein U vormachen kann. Vor allem hebt das Schwarz sie von den Farben- und Blumengewändern der lebensfrohen Naiven ab. Wer zu laut lacht, singt oder sich einfach nur freut, paßt nicht dazu. Verneinung und Distanz sind angesagt. Sie demonstrieren Überlegenheit. Das war schon das Spiel des alten Adels. Wer glaubt, daß unsere Gesellschaft demokratisch geworden sei, unterliegt dem Fehlschluß der Gleichsetzung von Staatsverfassung und Gesellschaftsform. Die Grenzen bilden Stil, Wort und Kleidung. Ideologie und politische Überzeugung spielen immer noch eine entscheidende Rolle. 
Ich ging durch die Reihen der Leute, die sich alle kannten, nur ich kannte keinen, und konnte es nicht fassen, daß das alles so feierlich und steif wie eine altmodische Konfirmationsfeier ablief (aus meiner Konfirmationszeit - über heutige kann ich nichts sagen, weil ich die nicht kenne). Am liebsten hätte ich auf den Tisch gehauen und in die Runde gerufen: "Was ist los - können wir uns nicht wie normale Menschen unterhalten?" Aber das wäre das letzte, was sie sein wollen, "Normale Menschen". Sie wollen etwas Besonders sein und vor allem etwas Besonderes darstellen.
 

13.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (8) von Regina Berlinghof @ 10:43 

(Ulrichs Tagebuch) 4. Tag der Entführung, 13. Juni 
Das schlimme ist, sie kocht gut. Sie kann es wirklich. Sie hat nur selten Lust dazu. Vor allem, wenn sie beim Schreiben ist. Ich biete ihr an abzuwaschen. Auch das macht sie allein. Sie hält mich wie Hänsel. Will sie mich mästen?
Der Tag verging in endloser Langeweile. Morgens saß ich mit ihr draußen. Nach dem Mittagessen machte ich drinnen Siesta und schlief lange und ausgiebig. 
Die letzte Nacht brachte überhaupt nichts. Ich war wach, schaute aus dem Fenster und sah, wie der Mond über den Himmel wanderte und die Hügel in sein milchiges Licht tauchte. Ich habe den Schattenbildern zugesehen, die die Akazienblättchen verspielt gegen den Himmel warfen. Einmal flog ein Flugzeug hoch oben. Ich sah nur seine Blinklichter. Hören konnte man es nicht. Derweil lag sie draußen und schlief. Ab und zu schnarchte sie sogar ein bißchen. Daß sie keine Angst hat! 
Wieso kommen keine Nachbarn vorbei, um Guten Tag zu sagen, wie es gute amerikanische Sitte ist? Und wo bleiben die kreisenden Hubschrauber? Suchen die mich überhaupt nicht? Ist die Polizei vielleicht gar nicht eingeschaltet? Vermißt mich denn niemand? Manchmal könnte ich schreien und mit dem Kopf gegen die Wand laufen.
 

12.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (7) von Regina Berlinghof @ 13:12 

(Ulrichs Tagebuch) 3. Tag der Entführung, 12. Juni 
Als ich am Morgen aufwache, ist es schon hell. Von der Frau höre ich nichts. Als ich mich im Bett aufsetze und durch das offene Fenster blicke, das sie merkwürdigerweise nicht verhängt hat, sehe ich sie draußen beim Baum im Schneidersitz hocken und frühstücken. Ich mache mich bemerkbar. Sie kommt, klopft sogar und holt mich hinaus zum Frühstück. "Sie trinken Kaffee, nicht wahr?" Sie hat Kaffee gekocht, trinkt aber selber Tee. Sie bietet mir ein weichgekochtes Ei an, dazu das weiche amerikanische Brot und Müsli, außerdem Rosinen und Mandeln. Verhungern werden wir nicht. 
Während wir so frühstücken, erscheint sie mir fast normal. Es muß doch eine Möglichkeit geben, ihre Vernunft zu erreichen. "Sie sind doch eine nette, vernünftige Frau", leite ich meine Rede ein, "wenn Sie mich jetzt zurückbringen, sage ich niemandem etwas. Wir haben einfach zusammen einen Ausflug gemacht. Wir kennen uns aus Deutschland, haben uns hier zufällig getroffen und sind ein paar Tage ausgebüxt. Ins Liebesnest der Wüste." Sie grinst mich an. "Die Presse weiß doch längst von der Entführung", sagt sie, "aber 'Liebesnest' gefällt mir. Sie mir auch!" O Gott, mir wird heiß und kalt. Dieses Weib hat mich im Visier! Sie ist so attraktiv wie diese Stahlkette: so kalt, so hart und so durchtrieben. Und zu fett ist sie auch. 
"Ich werde Ihnen helfen. Ich werde sagen, daß alles ein Witz war. Ein Werbegag für den Film. Ich werde dafür sorgen, daß man Sie strafrechtlich nicht belangt."
Ihr Blick sagt mir, daß sie mir kein Wort glaubt. "Ich brauche Geld, um meinen neuen Roman zu schreiben."
Ich muß ihr Vertrauen finden. Ich versuche die weiche Tour und appelliere an die Schriftstellerin, die ihr Werk liebt. Über die Kinder gewinnst du die Frau. Das gilt für Mütter und Künstler gleichermaßen. "Ihr neuer Roman. Erzählen Sie doch davon. Ich muß gestehen, daß ich das Exposé nicht mehr im Kopf habe." (Ich habe es nach ihrem unmöglichen Anschreiben nicht einmal durchflogen.)
"Sie hätten es vor einem Jahr lesen sollen. Wenn ich jetzt damit beginne, zerrede ich nur den Stoff. Wenn ich schreibe, spreche ich nicht mehr darüber." Sie hat also angefangen. "Aber Ihr Isolderoman ist doch gut aufgenommen worden! Es hat gute Kritiken gegeben und ich erinnere mich an sehr positive Leserreaktionen." Das letztere reine Augenblickserfindung. 
"Tatsächlich?" Sie schaut mich prüfend an. "Es gab schon Leser, und die meisten waren sogar begeistert. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Literaturszene und vor allem die Kritiker mit Liebe nicht viel anfangen können. Nur von Sex und Gewalt kriegen sie nie genug. Und damit bediene ich sie jetzt. Sie sind nur der Anfang." 
Sie verschwindet im Haus und kommt mit vier Stühlen zurück. Zwei für jeden. Jeweils einen zum Hochlegen der Beine. Dann schleppt sie einen Tisch heraus, auch die Bücher aus meinem Zimmer - ihre Romane und Stories. Hätte ich mir denken können. Nein, bevor ich die lese, schreibe ich mein Tagebuch weiter. 
Was für ein Bild! Entführerin und Entführter sitzen in der Wüste gemeinsam am Tisch und schreiben! Wenn das je publik wird, mache ich mich total lächerlich!
Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Ich weiß nur, daß ich diese gräßliche Frau dazu bringen muß, daß sie mit mir redet, mir vertraut, mich freiläßt.
 

11.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (6) von Regina Berlinghof @ 18:55 

(aus Katharinas Kladde) 11. Juni – nach dem Frühstück
Das T-Shirt, das ich für ihn gekauft habe, ist zu klein. Es spannt über seiner Brust und rutscht immer wieder über den Hosenbund. Zwei, drei Zentimeter bloße Haut schauen heraus. Er muß ins Bräunungsstudio gehen oder viel Sport treiben. Hätte ich gar nicht gedacht. Ein bißchen Speck ist auch dabei. Sonst aber ist er gut gebaut. Er hat die Angewohnheit, die Haare langsam aus dem Gesicht zurückzustreifen, wenn er sich beobachtet glaubt. Als gäbe es ihm Zeit, nachzudenken. Oder sein Gegenüber zu taxieren.
[...]
Wie kann man über glückliche Liebe schreiben, wenn man selbst unglücklich verliebt ist? Das Objekt meiner Sehnsucht zum Greifen nah – aber nicht zu fassen. So muß es dem Tantalos ergangen sein. Ihm zur Strafe. Und mir?
Er ist ein schöner Mann, das kann ich getrost schreiben. Mehr noch: ein attraktiver Mann. Die Frauen laufen ihm sicher scharenweise nach. Er hat schöne, regelmäßige Gesichtszüge, geschwungene, volle Lippen. Der Blick ist warm, intelligent. Ein gut gebauter Körper. Morgens und abends, wenn er sich umzieht, sticht er mir in die Augen. Der ganze Mann wirkt selbstbewußt, männlich.
Er hadert mit mir, argumentiert – aber er jammert nicht. Das gefällt mir. 

11. Juni, abends
Ich glaube, erst als er die Ranch sah, begriff er, daß es mir ernst war. Sein Gesicht fiel wie Asche zusammen, als ich ihn aus dem Wohnmobil holte. Vermutlich hat er nicht damit gerechnet, daß frau organisieren kann. Dabei haben Frauen von jeher nichts anderes getan als organisieren – meistens nur für den Mann! Den Haushalt, die Kindererziehung, das gesellschaftliche Parkett gebohnert für seine Karriere. Erst wenn frau für sich etwas tut, merken sie überrascht auf und sind ganz verwundert, noch dazu, wenn es klappt. Wenn man FÜR sie arbeitet, HAT es zu klappen. Dann ist es selbstverständliche Erwartung. 
Junge, ich habe es geschafft, einen Roman zu schreiben – auch das ist Organisation von Zeit, Gedanken, Gefühlen und Phantasie. Dazu noch meine Brötchen verdient. Warum soll ich also keine Entführung bewerkstelligen können? 
Ich habe mir schon gedacht, daß er kein Freiluftheld ist, und habe dem verwöhnten Bürgersöhnchen das größte Zimmer im Haus gerichtet. Mir reicht der Schlafsack draußen. Und der Sternenhimmel. Es ist auch ganz gut, wenn er nicht allzu nahe bei mir schläft. Dann bleibt Raum für mich selbst. 
Es wird schon dunkel. Ich will die Batterien der Taschenlampen nicht verschwenden und lege mich schlafen. Die nächsten Tage habe ich alle Zeit zum Schreiben.

11.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (5) von Regina Berlinghof @ 10:14 

(Ulrichs Tagebuch) 2. Tag der Entführung, 11. Juni 
Ich muß tatsächlich eingeschlafen sein. Sie hat mich geweckt, als es schon hell war. Ziemlich frisch draußen. Sie hat schon Toilette gemacht. Sie sah einigermaßen gewaschen aus und trug frische Sachen. Sie hat sogar Seife, Handtücher, Zahnbürste und Zahnpasta für mich besorgt. Und ein Deo, aber kein Rasierzeug. Sie teilt mir das Wasser aus der Plastikflasche zu. Eine Hand läßt sie mir frei - sie steht mit gezücktem Revolver daneben. Den Revolver in der einen Hand und die Wasserflasche in der anderen. Sie trägt eine Brille. Wenn ich sie mit dem Zahnputzwasser anspucke, beschlägt es die Brille, und sie kann nichts mehr sehen. Das wäre eine Chance. Aber die bringt es fertig und schießt wirklich. So spucke ich brav in den Sand. Ich bin ein Feigling und hänge am Leben. Bienen schwirren plötzlich um uns und setzen sich auf die nassen Sandflecken. 
"Ein toller Sonnenaufgang", ihre Stimme klingt so munter und wach wie die einer nervenden Lehrerin, die ihren Schülern in der ersten Stunde kein Ausschlafen gönnt. "Sie haben was verpaßt!"
Ich könnte sie umbringen. "Ich habe schon ganz andere Sachen verpaßt!" Ich will schreien, aber es kommt nur ein heiseres Räuspern heraus. "Gestern hatte ich einen Termin mit einem Hollywoodagenten. Und der ist geplatzt! Wegen Ihrer Schnapsidee! Wissen Sie eigentlich, was Sie tun? Und was Ihnen dafür blüht?" "Na klar", sagt sie, "entweder Millionen oder Knast - oder beides."
Mit so jemandem kann man nicht argumentieren. Ich will allein sein, vielleicht finde ich eine Möglichkeit zu fliehen. "Ich brauche Toilettenpapier." Sie sucht nicht lange und hält mir eine Rolle hin. Als ich losgehe, folgt sie mir, die Pistole in der Hand. "Ich habe heute nacht die Fahrspuren verwischt", erklärt sie mir. "Wenn Sie fortlaufen, schieße ich Sie nieder. Und falls Sie entwischen, würden Sie sich verirren. Die Mojave ist riesig."
O Gott. Das weiß ich selbst. Ich bin mal durchgefahren. Auf dem Weg von L.A. nach Las Vegas. Zwischendurch ein Abstecher über Nebenstraßen. Das hat mir gereicht. Nur Joshuas, Sagebrush und anderes Gestrüpp. Und jede Menge Steine und Felsen. Sie kann sich dafür begeistern. Es ist mir rätselhaft, was Leute an der Wüste finden. Nun, damals dachte ich, das wäre nicht mein Problem. Ich finde Menschen und Bücher interessanter. Und noch einiges anderes. Sollen die Wüstenverrückten unter sich bleiben. Nun hocke ich neben einer Stachelyucca, entleere meinen Darm, und dieses Weib schaut zu. Ich bin erstaunt, daß ich unter diesen Umständen überhaupt kann. Die anale Phase scheint bei mir problemlos verlaufen zu sein. 
Zu meinen Füßen krabbeln ein paar Ameisen, und dann kommen schon wieder die Bienen angeflogen. Sie setzen sich in den Sand. Mich ignorieren sie völlig. Was interessiert Bienen auch ein Verleger in den Mittvierzigern aus München! 
"Tut mir leid, daß ich Sie wieder aufs Bett fesseln muß", das widerwärtige Weib deutet auf ihren Revolver und führt mich zurück zum Auto. "Ab morgen werden Sie es besser haben." Ich habe alles andere als Lust auf ein Gespräch. Aber Verrückte soll man in ihrem Wahn nicht allein lassen. Man muß mit ihnen reden, ihnen zeigen, daß man sie ernst nimmt. Dann werden sie zugänglicher. Also frage ich: "Warum morgen? Was wird morgen sein?" "Ich habe ein Haus gemietet. Mitten in der Wüste, fernab von Telefon, Häusern und Menschen. Da kann ich Sie freier herumlaufen lassen. Hier ist mir das zu gefährlich." Sie redet von mir wie von einem Hund, bei dem man überlegen muß, ob man ihn an der Leine oder frei herumlaufen lassen kann. 
Die Fahrt im Auto ist schrecklich. Heiß, zugig. Ich immer im Ungewissen, was sie mit mir vorhat. Um mein Leben brauche ich wohl nicht zu fürchten. Sie will mir nicht schaden - das beteuert sie immer wieder. Sie braucht nur mein Geld. Aber was ist, wenn sie einen Unfall verursacht oder wenn ihr etwas passiert, während sie mich in der Wüste versteckt hält? 
Anfangs geht es wieder hopsend und knirschend über Steine und Sand. Irgendwann kommen wir zurück auf rauhen Asphalt. Die Frau ist so selbstsicher, daß sie mehrfach anhält, mir zu trinken und zu essen gibt und mich mein Geschäft verrichten läßt. Aber weil ich während des Fahrens auf dem Bett liege, kann ich nicht erkennen, in welche Richtung es geht. Sie hat die Fenster verhängt, und wenn wir halten, dann ist sie so klug, nicht vor einem Straßenschild zu parken. Ich sehe immer nur Felsen, Steine und spärlichen Pflanzenwuchs. Vielleicht fährt sie sogar die ganze Zeit im Kreis, nur um mich in die Irre zu führen. 
Am Abend rumpelt sie wieder eine Schotterpiste entlang. 
Das Haus klebt vor einer Felswand. Es befindet sich am Ende einer Schlucht, durch die wir gekommen sind. Das Tal ist nicht sehr groß. Hier hat in früheren Zeiten wohl irgend jemand eine Ranch betrieben. Das Haus ist noch einigermaßen in Schuß, im Umfeld kann man Zaunreste erkennen, weiter entfernt eine Scheune.
 

10.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (4) von Regina Berlinghof @ 17:35

Katharinas Kladde
"Sie war nicht liebenswürdig, wenn sie liebte."
Johann Wolfgang von Goethe: 
Wahlverwandtschaften
10. Juni, abends
Ich habe es geschafft! Ich habe ihn für die Nacht ins Wohnmobil gesperrt. Wir sind in der Mojavewüste auf halbem Weg zur Ranch. Wie leicht es gegangen ist! Ich hatte bis zum Schluß geschwankt und mich gefragt, ob ich es wirklich tun soll. Und dann folgte er brav dem Anruf, beugte sich zu mir, als ich ihn um Hilfe bat und ließ sich die KO-Tropfen unter die Nase halten. Der Rest war ein Kinderspiel. Mein Gott, ich tauge tatsächlich zur Verbrecherin! Ich bin eine Kidnapperin! Drei Wochen habe ich Zeit. Bis dahin muß ich ihn aus dem System schwitzen - dann habe ich endlich Zeit und Muße für den neuen Roman. 
Er denkt natürlich, ich wollte an sein Geld. Oh, nein mein Lieber. Dein Geld brauche ich nicht. Aber um schreiben zu können, brauche ich einen freien Kopf, und den habe ich nicht mehr, seitdem wir uns über den Weg gelaufen sind. 
Wie eine Idiotin denke ich nur noch an ihn. Dabei ist er mit einer anderen liiert. Und ich breche nicht in eine Ehe oder Partnerschaft ein. Er muß schon selbst wissen, wen und was er will. Im übrigen ist er an mir überhaupt nicht interessiert. Ich bin ihm nicht attraktiv genug. Das hat er mir deutlich zu verstehen gegeben. 
Er hat es einfach. Ich bin vermutlich eine von den vielen Frauen, die nach ihm schmachten. Ihn kümmert's nicht, er lebt sein Leben. Nur ich bin völlig blockiert. Und warum? Weil alle Sinne sagen, das ist der Mann für dich. Das ist der Mann deines Lebens! Und ich kann ihnen nichts entgegensetzen. Vernunft schon gar nicht. Was haben Vernunft und Verstand mit Liebe zu tun? Ich weiß nicht einmal, ob es wirklich Liebe ist oder dumme, alberne, mädchenhafte Schwärmerei. Ich dachte, ich wäre aus diesem Alter heraus. Warum schwärmen Mädchen? Weil sie das Objekt ihrer Sehnsucht nie wirklich kennenlernen. Schwärmen heißt Lieben aus der Ferne. Es gibt keinen Realitätstest. Nirgendwo einen kleinen Zusammenstoß mit weniger liebenswerten Eigenschaften. Nirgendwo Gespräche, die ins Leere laufen, und frau erkennt, daß sie mit dem Typen keinen Gedanken, kein Gefühl teilen kann. Daß für ihn völlig banale Dinge wichtig sind (und umgekehrt). Nur ein paar Tage Tisch und Bett gemeinsam - und die Gefühle können sich klären. 
Nein, es war und ist keine Schwärmerei. Jemand, der schwärmt, findet sein Idol in allem gut und toll. Ein blindes Idealisieren ohne Sinn und Verstand. Das ist nicht mein Fall. Ich weiß nicht, ob er gut, toll oder phantastisch ist - ich hatte immer nur auf eine Chance gehofft, es herausfinden zu können.
 
 

10.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (3) von Regina Berlinghof @ 01:04 

Ulrichs Tagebuch:
1. Tag der Entführung, 10. Juni 
Dieses Weib ist wirklich verrückt. Und ich bin ein Idiot. Aber wer rechnet denn mit sowas! Nach mehr als einem Jahr schlägt sie tatsächlich zu. Noch dazu in Amerika! Ich denke, sie hat kein Geld! Ich habe mich wie ein Trottel auf die Straße locken lassen. Was dann passiert ist, weiß ich nicht. Sie muß mich betäubt haben. Ich bin in einem fahrenden Campingwagen aufgewacht - auf einem Bett, die Hände links und rechts mit Handschellen gefesselt und der rechte Fuß auch. Wieso dürfen normale Bürger Handschellen kaufen? Sie hat mich nur angegrinst und gesagt, daß sie der Verkäuferin andeutete, daß sie und ihr Freund besondere Spiele liebten. Ein irres Gefühl, auf dem Bett zu liegen, gefesselt zu sein, nicht zu wissen, wohin es geht. Die Sonne scheint, aber sie hat zum Glück die Klimaanlage eingestellt. Es zieht. Sie muß auf einem Freeway fahren. Es gibt keine Stops, und die Fahrbahn scheint glatt asphaltiert zu sein. Hat denn niemand mein Verschwinden bemerkt? Wie hat sie mich in diesen Wagen bekommen?
Ganz einfach, erklärt sie mir am Abend. Sie hat mich mit einem Spray betäubt - und dann mit großem Theater um Hilfe geschrien. Ihr husband sei plötzlich zusammengebrochen. Ein Schwächeanfall! Die Passanten halfen ihr noch, mich ins Auto zu tragen und aufs Bett zu legen! Sie ließ sich die Adresse vom nächsten Krankenhaus geben. Und dann raste sie mit mir im Wohnwagenabteil los. In die Wüste. Die liebt sie ja so sehr. Fast so sehr wie mich, wie sie beteuert und mich dabei ansieht, daß sich mir alle Haare sträuben. Nein, ich bin nicht das Kaninchen, das sich von der Schlange hypnotisieren läßt. Aber sie hat so etwas Gewisses im Blick, eine solche Selbstverständlichkeit, wie es nur Verrückte, Besessene oder Genies fertigbringen. Ich weiß noch nicht, zu welcher Kategorie sie gehört. Vermutlich zählt sie sich zu den Genies. Eine Entführung, um einen Roman zu schreiben! Reiner Größenwahnsinn!

Die Fahrgeräusche werden lauter. Der Straßenbelag ist offensichtlich rauher. Ganz selten höre ich ein anderes Auto überholen oder entgegenkommen. Nur noch das gleichförmige Brummen der Räder und des Motors vorne. Sie muß den Freeway verlassen haben. Plötzlich knirschen die Räder, das Auto fängt an zu schaukeln. Sie muß auf eine Schotterpiste abgebogen sein. Mein Gott, wohin bringt mich diese Irrsinnige! Hat sie einen Komplizen, der irgendwo wartet? Mein Handy! Es muß noch in der Jackettasche stecken. Aber da komme ich nicht heran. Die einzige Hoffnung, daß es möglichst lange funktioniert, damit man seine Position orten kann.
Endlos geht das Geknirsche und Geschaukel. Als es schon fast dunkel ist, hält sie an. Sie kommt zum ersten Mal in das Wohnabteil zu mir. Sie schnallt den anderen Fuß fest, dann macht sie mir die eine Hand kurz frei und fesselt sie mit der anderen hinter meinem Rücken zusammen. Ich darf aufstehen. Sie hält mir einen Revolver vor den Bauch. 
Hätte ich den Helden spielen sollen, um herauszufinden, ob er geladen war? Ich habe es nicht getan. Ich habe alles gemacht, was sie wollte. Ich dachte, die ist zu allem fähig. Sie hat mich rausgelassen. Unter den Füßen nur Steine und Sand. Ein paar Hügel und Büsche ringsum, etwas weiter weg zwei, drei Joshua-Bäume. Ihre Stachelarme heben sich wie Hilferufe schwarz gegen den dunklen Himmel. Die ersten Sterne glimmen auf. Kein Haus, keine Straße weit und breit. Die hat mich mitten in die Pampa gebracht.

7.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina (2) von Regina Berlinghof @ 10:35 

Eine Unverschämtheit sondergleichen! Ein total verrücktes Weib! Oder soll das wirklich eine Erpressung sein? In die Wüste will sie! Bisher sind nur Verrückte oder religiöse Fanatiker daraus zurückgekommen, was dasselbe ist. Und der Stil des Briefes! Grell, laut - grob und stümperhaft. Manche Leute glauben, wenn sie schreiben, könnten sie sich alles erlauben. Natürlich können sie es. Aber gut geschrieben muß es sein. Gut geschrieben, Mädchen! Nicht nur klappern! Die Worte müssen wehen, fliegen, tanzen! Deine kriechen bleischwer am Boden entlang. "Und lege Ihnen das Exposé sowie eine Textprobe bei", reines Bürodeutsch. Forget it! Mach deine Entführung, hol dir deine Millionen und genieße die Sonne! Aber laß das Schreiben! 
Deinen Brief hättest du ganz anders anfangen müssen. Leicht, schwerelos muß er daherkommen. Leicht wie der Duft einer frischen Erdbeere. So hättest du anfangen müssen:

"Sehr geehrter Herr Kirdorf,
ich habe lange über Ihre Worte nachgedacht und schließlich Ihren Rat beherzigt. Ich habe meinen Roman "Isolde und Tristan" komplett umgeschrieben und ihn in die Neuzeit versetzt. Eine Liebe von heute, die sich gegen den Willen der Betroffenen entfaltet und in einem Fanal von Angst und Gewalt untergeht. Mit Isolde stirbt die Liebe den Kältetod. Ich habe den Roman einige Male durchgearbeitet, die Zahl der Adjektive gelichtet und Wiederholungen gestrichen.
Ich freue mich auf eine Besprechung der näheren Einzelheiten mit Ihnen oder einer/m Ihrer MitarbeiterInnen.
Mit freundlichen Grüßen,
Katharina Jukulli"

Mädchen, ich bin Verleger und kein Krösus. Mit Höflichkeit kommst du weiter als mit dummen Drohungen und Forderungen. Ich lasse Tanja die Absage schreiben. Eine 08/15 Absage: "Leider paßt Ihr Roman nicht in unser Programm." 

11. Juni 2001 (Vereinigten Nachrichtendienste)
"Münchner Verleger in Kalifornien verschwunden"
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist der Münchner Verleger Ulrich Kirdorf vor zwei Tagen in Los Angeles spurlos verschwunden. Nach einem Anruf gegen zwei Uhr mittags verließ er das Hotel mit unbekanntem Ziel. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Ein Gewaltverbrechen ist nicht auszuschließen. Die Polizei geht allen Hinweisen nach. Die lokalen Behörden sind in ständigem Kontakt mit dem FBI und dem deutschen Konsulat in Los Angeles."

























5.6.2003
Fortsetzung folgt: Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt (1) von Regina Berlinghof @ 20:34 

"Do it again, Cathy"
oder
Wenn ein Verleger einer Autorin den Rat gibt, den eingesandten Roman noch einmal zu schreiben, könnte er sich unversehens als Hauptfigur darin wiederfinden
Als Verleger bekommt man ja einiges auf den Tisch. Doch dieser Brief ist schlicht eine Zumutung. Lesen Sie selbst:

München, 5. April ...
"Sehr geehrter Herr Kirdorf,
ich möchte Ihnen gerne meinen neuen Roman "Liebe, Zufall und Quantenphysik" vorstellen und lege Ihnen das Exposé sowie eine Textprobe bei. Ich erinnere mich, daß Sie auf der Buchmesse einmal sagten, daß Sie meine Sachen sehr gerne lesen. Aber leider haben Sie bisher keines meiner Manuskripte angenommen. So mußte mein Roman "Isolde und Tristan" in einem kleinen Verlag erscheinen, wo er lange nicht die Resonanz in der Öffentlichkeit und bei den Kritikern fand, die er verdient hätte, wenn er in Ihrem renommierten Haus erschienen wäre. 
Kurz: Ich stehe vor dem Problem, daß ich mit meinem neuen Roman anfangen kann und will, aber entweder nicht die nötige Zeit oder genug Geld habe, um ihn zu schreiben. Bei "Isolde und Tristan" hatte ich noch einen gut bezahlten Halbtagsjob als Lehrerin, den ich aber verloren habe. Inzwischen arbeite ich als Selbständige, verdiene recht gut - nur finde ich dabei nicht die Muße, um mich auf den neuen Roman zu konzentrieren. Ein ziemlich frustrierender Zustand. Ich habe lange überlegt, wie ich dem abhelfen könnte, und kam auf folgende Lösung: Ein Schriftsteller braucht ja nicht viel - einen Tisch, Papier und Schreibmaschine oder noch besser: einen Computer bzw. ein Notebook. Alles andere habe ich im Kopf. Wo fände ich also Ruhe, drei Mahlzeiten am Tag und ein sicheres Dach über dem Haupt, um meiner eigentlichen Berufung nachgehen zu können? Im Gefängnis! Eine Gefängniszelle würde völlig reichen. Das einzige Problem wäre, wie hineinkommen? Ich möchte schließlich niemanden umbringen, berauben oder sonstwie schädigen. Aber auch hierfür gibt es eine Lösung: eine Entführung. Damit könnte ich sogar zwei oder drei Fliegen mit einer Klappe (haha - meine Klappe kann sehr laut sein!) schlagen: 
Klappt die Entführung eines Millionärs oder Milliardärs (das ist natürlich Voraussetzung), könnte ich vom Lösegeld bzw. den Zinserträgen leben und der Menschheit hundertfältig zurückgeben, was ich erpreßt habe. Das wäre nicht nur eine Lösung im Sinne Robin Hoods, sondern sogar eine Lösung ohne Gefängnis. Dann würde ich mich in irgendeinem warmen Billigland niederlassen und in der Wüste, die ich sehr liebe, den neuen Roman schreiben. 
Dem Entführungsopfer würde ich natürlich kein Haar krümmen. Ich würde ihm schon klarmachen, daß ich nicht an sein Leben will. Ich möchte ihm alle unnötigen Ängste ersparen. Es wird ihm an nichts fehlen - die Bewegungsfreiheit ausgenommen. Geht die Entführung schief, lande ich zwar im Kittchen, komme aber dort endlich zum Schreiben. Wenn das Motiv zur Entführung bekannt wird, werden die Medien schon dafür sorgen, daß der Roman ein Bestseller wird. Damit wäre außerdem meine Zukunft nach dem Absitzen der Strafe gesichert. Und von den Bestsellereinkünften, die ja auch dem Verlag zugute kämen, könnten Sie die Autoren finanziell unterstützen, an denen Ihnen liegt. Leider gehöre ich nicht zu diesem erlauchten Kreis. Ich weiß, ich schreibe etwas zu naiv und hölzern für Ihren Geschmack. Sie mögen mehr den modern-spielerischen, intellektuellen Ton. Meine Schreibe entspricht nicht ihren literarischen Vorstellungen. Schade! Trotzdem muß dieser Roman geschrieben werden. Egal, ob Sie ihn gut finden oder nicht. Es wäre mir freilich am liebsten, mein Exposé und die Textprobe würden Sie überzeugen. Im andern Fall muß ich Sie bitten, mein Projekt direkt zu finanzieren. Mit Euro 1.000,- netto monatlich würde ich auskommen. Hiermit appelliere ich an Ihre Menschenfreundlichkeit, die ich kennenlernen durfte. Immerhin hatten Sie mir Ihre Absage mit einem individuell und freundlich gehaltenen Brief begründet. 
Nun aber zum Projekt selbst. Es soll wieder ein großer Roman werden. Große Gefühle, Liebesleidenschaft - und Quantenphysik. Ich verarbeite darin eigene Erlebnisse, auf die ich teilweise schon bei "Isolde und Tristan " zurückgegriffen habe. Der Prolog: Einstein, Goethe und Schopenhauer in der Quantenhölle ist fertig. Ich füge ihn ebenfalls als Anlage bei. 
Ich hoffe auf eine gute und gedeihliche Zusammenarbeit und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Katharina Jukulli."

2.6.2003
Mainzer Minipressenmesse - Hitze und Gewitter von Regina Berlinghof @ 00:16 

Zurück von der Mainzer Minipressenmesse - der Messe der Handpressen und Kleinverlage.
Es war eine Schwitzgemeinschaft in den beiden Zelten am Rheinufer. Aussteller und Besucher stöhnten am Rande der Erschöpfung. Fächer, echte Schönheiten oder provisorisch gefaltete, waren ab dem zweiten Tag groß in Mode. Nur gestern gab es eine donnernde Dusche mit Abkühlung am Nachmittag. Ansonsten Fast-Sauna-Verhältnisse ohne Sprung ins kalte Wasser. 
Die Atmosphäre wie immer leger, offen, freundlich. Abgesehen von heute schienen mir die Besucher matter und kaufunwilliger. Alle Aussteller, mit denen ich gesprochen habe, klagten. Lag's am Wetter oder am Wirtschaftsklima? Dabei geht man zu dieser Messe ohnehin mehr wegen der Kontakte und Gespräche als wegen der großen Gewinne.
Mein Gegenüber war Seishi Katto, ein Zeichner aus Japan. Als wir gestern beim Gewitterschutt zum tröpfelnden Zeltdach hinaufschauten und hofften, es bleibe wenigstens über den Büchertischen wasserdicht, machte er diese Zeichnung und schenkte sie mir:

26.5.2003
An den Tag verraten - Frankfurts neuer Tristan (Premierenbericht vom 25.5.03) von Regina Berlinghof @ 01:05 

Eine schwarz umrahmte Guckkastenbühne auf hohem Podest öffnet sich zu einem strahlend weißen Schiffsdeck, vorne die Reling. Auf einer Bank hockt Isolde trüb und gekränkt. In unerreichbarer Ferne Tristan am Schiffsbug. Die Matrosen lugen hinter drei Türen hervor, stellen Brangäne gern ein Bein, um ihr und ihrer Herrin zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Zwei starke Frauen. Leider kommen die Spitzentöne der Isolde (Frances Ginzer) etwas gequält und sehr kurz. In mittlerer Lage fühlt sich ihre Stimme, die leicht zur Schärfe neigt, viel wohler. Isolde brütet vor sich hin, Tristan brütet vor sich hin. Kurwenal und Brangäne im Kostüm der 50-er Jahr mit Gesundheitstretern sind dagegen Ausbunde an Lebendigkeit. Apropos Kostüme: auch Isolde steckt im mittlerweile etablierten Frankfurter Häßlichlook. "Putzfrauenklamotten" höre ich in der Pause eine treffende Beschreibung. Vermutlich hat deshalb Tristan überhaupt keine Lust, Isolde zu besuchen und anzusehen. Auch als es zur Liebesoffenbarung zwischen beiden kommt, sitzen die mit abgewandten Gesichtern auf dem Bänkchen. Schließlich greift Isolde ihm ans Jackett und zieht ihn zu sich. Sich angucken oder gar küssen tun die beiden nicht.
Das bleibt auch im 2. Akt so, der sich im weißen Schleiflackzimmer Markes und Isoldes fortsetzt - das Licht bleibt stets gleißend hell. Totaler Sieg des Tages über die Nacht. Lämpchen und Birnen glühen. Die Leuchte, die als Zeichen für Tristan gelöscht werden soll, ist das Nachttischlämpchen, das Isolde an langer Schnur mit sich herumträgt und dabei Brangäne singend auffordert, das Licht auszulöschen. Dabei könnte sie leicht die Nachttischlampe selbst ausknipsen. Zuvor hat sich Marke ebenso ungereimt mit allen Mannen im Schlafzimmer! von seiner neuen Gattin zu einer Jagdpartie verabschiedet. Die Mannen steigen durchs Fenster hinaus, wo man sie Wache schieben sieht, nur Isolde in ihrem Liebeswahn nicht. Auch Brangäne scheint Tomaten auf den Augen zu haben, denn sie singt immer nur vom Hörnerschall, den sie noch hören kann. Diese Jagdgesellschaft hat anderes im Sinn, als Wild zu jagen. 
Immerhin läßt Isolde irgendwann die Jalousien herunter, was ihr aber nicht sonderlich hilft. Sie wartet auf Tristan und führt sich wie ein Schulmädchen vor dem ersten Date auf: sie balanciert auf imaginären Linien, sortiert die Blumen neu und liebkost die Flasche mit dem Liebestrank. Ab und zu wälzt sie sich auf dem großen Bett. Mehr fällt ihr vor einem Stelldichein mit dem Geliebten nicht ein. Dabei hat doch der Regisseur Christoph Nel eigens eine szenische Beraterin beigezogen, die von Haus aus Psychotherapeutin ist. Während Wagners Musik in Liebesstürmen schwelgt, die projizierten Übertitel mit Liebe, Tod und dem Einssein mit der Welt und dem Weltatem dahinrasen, sehen Regisseur und die psychologische Szenenberaterin darin intrauterine Regressionsphantasien. An diese Liebe glauben sie nicht. Die Nacht hat bei ihnen keine Chance. Ebensowenig Erotik, nicht einmal Sex. Entsprechend blöd stapfen Tristan und Isolde im Schlafzimmer umher, streuen weiße Lilien aufs Bett und auf den Boden, kuscheln einmal kurz. Außerdem gespenstert Brangäne ständig durch das Zimmer, anstatt draußen aufzupassen und ihre betörenden Warnrufe ertönen zu lassen. Wunderbar gesungen von Louise Winter. Schließlich platzt Melot in die Runde und macht dem Ringelpietz des Liebespaares ein Ende und führt die beiden König Marke vor. Der vermutet viel mehr action in seinem Schlafzimmer als geschehen ist und klagt ergreifend seinen Schmerz (Gregory Frank). Schlimm, daß es dem ehebrecherischen Liebespaar erst jetzt vor dem König einfällt, sich heftig zu küssen. Was würde Freud wohl dazu sagen????
Dem Regisseur und seiner szenischen Beraterin liegen kaputte Typen viel mehr, weshalb der dritte Akt mit dem todkranken Tristan der gelungenste der Inszenierung ist (abgesehen von Isoldes Biederstkostüm, in das man die Arme gesteckt hat - man hat ihr ja nicht einmal einen Spiegel in dem weißen Schleiflackschlafzimmer gegönnt!). - Tristans Heimatburg Kareol ist ganz in schwarz gehalten, schwarze Wände, schwarze heruntergekommene Lesersessel und eine Couch mit Essensresten zugemüllt. Durch die Decke regnet es herein. Männerwirtschaft. Tristan hängt mit Decken zugemutzelt in einem Sessel und singt seine Wahnsinnpartien mit einer unglaublichen Intensität. John Treleavens Stimme ist nicht immer schön, und sein von der Regie versautes Spiel im 1. und 2. Akt vergißt man besser. Aber im dritten Akt ist er wahrhaft der leidende Tristan - mit ganz wenigen Mitteln, gefesselt an diesen Sessel. Begleitet von einem spielerisch und stimmlich großartigen Kurwenal (Gerd Grochowski).
Paolo Carignani rettete Wagners Musikdrama, leider zu oft ließ er das Orchester in voller Lautstärke gegen die Sänger anbranden. Kein Wunder, daß junge Wagnersänger bald ihre Stimme verschrien haben und im Mezzoforte und Piano keine runden Töne mehr zustande bringen. 
Verdienter großer Beifall für Sänger und Dirigent, viele Bravos. Ebenso verdient viele Buhs für die Inszenierung Christoph Nels.

24.5.2003
Literatur und Städte - Jerusalem die Schöne III von Regina Berlinghof @ 12:58 

Es hat noch einen Grund gegeben, weshalb wir wieder nach Jeruschalajim zurückgekehrt sind. Diese Stadt, die vom Streit der verschiedenen Parteien so zerrissen ist, braucht vielleicht Menschen, die nicht nur Unterschiede, sondern mehr das Gemeinsame, das Verbindende sehen. Darf man die Stadt den Hetzern und Kämpfern überlassen, denen es nur um die Macht oder die richtige Religion und nicht um den Frieden unter den Menschen geht?
Wie ich diese zerrissene, zerstrittene Stadt und seine zerstrittenen, verfeindeten Menschen liebe - mehr fast als mein heimatliches Sela und die Menschen dort. Die Sehnsucht meiner Mutter hat in mir tiefere Wurzeln geschlagen, als ich es je für möglich gehalten habe. Rav Jeschua hat versucht, die Menschen durch sein Lehren zum wahren Frieden zu bringen. Schoschana und ich werden versuchen, den Frieden, der in uns ist, zum Wachsen und Blühen zu bringen.
aus: Mirjam. Maria Magdalena und Jesus. Letztes Kapitel. Es spricht Yoram, der Erzähler der Rahmenhandlung

22.5.2003
Aller guten Dinge sind drei - auch in der Literatur! von Regina Berlinghof @ 17:07 

Die Spedition war pünktlicher als vereinbart: Als ich nach Hause kam, stapelten sich schon die Kartons vor der Wohnungstür. 
"Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt" hat heute das literarische Licht der Welt erblickt. Mein drittes Buch, der zweite Roman. Es ist nicht mehr ganz so aufregend wie beim allerersten Mal, aber die Vorfreude hat sich seit gestern unaufhaltsam ausgebreitet, als die Druckerei faxte, daß die Bücher unterwegs seien. 
Nun muß ich ein bißchen klappern: "Alle reden von Pisa, nur nicht von Quantenphysik - 
und Frauen schon gar nicht!". Also ein hoffnungsloses Unterfangen: Liebe, Literatur und Quantenphysik?
Mehr später! - Die glückliche Autorin

20.5.2003
Literatur und Städte - Jerusalem die Schöne II von Regina Berlinghof @ 14:41 

Ich hatte kaum einen Blick für die Umgebung, nahm nur verschwommen die silbergrün schimmernden alten Olivenbäume wahr. Dann verschlug es mir den Atem. Ich war nach langem Steigen ein Stück ebenen Weges gelaufen. Plötzlich öffnete sich vor mir jäh ein Abgrund. Ich stand auf der Spitze eines Berges, der steil nach drei Seiten abfiel. Links und rechts vor mir - als hätte die Hand des Herrn eine tiefe Furche gezogen und die ausgehobene Erde an den Seiten aufgetürmt - erstreckten sich zwei hohe Bergkämme und säumten das Tal vor mir, als schmückten sie eine Prachtstraße. Auf dem Berg zu meiner Linken sah ich die heilige Stadt, eingefaßt von gewaltigen Mauern. Und oben auf der Kuppe, fast zum Greifen nah, so schien es mir, glänzte strahlend das goldene Dach des Tempels. Ja, dieses schimmernd weiße Marmorgebäude mit seiner Strahlenkrone aus Gold war kein irdisches, kein Menschenhaus! Es war das Heiligtum des Herrn, Beit HaMikdasch. Ich sah hinüber zu der Heiligen Stadt, und es war, als hätte sich der Himmel geöffnet und mir einen Blick in sein Innerstes erlaubt. Ich wußte, der Verbrecher und Mörder Herodes hatte die Heilige Stadt und das Heiligtum des Herrn so glanzvoll erneuert. Er war der Schlächter der Letzten der Chaschmona'im, der rechtmäßigen Herrscher Jehudas. Wie er es von den Römern gelernt hatte, hatte Herodes gemordet, sein Ränkespiel getrieben, Steuern erpreßt und unerhörte Macht und nie gesehenen Reichtum angehäuft. Aber der Herr wählte seine Knechte, wie es ihm gefiel, und nicht, wie es die Menschen für richtig hielten. Und der Herr hatte den Mörder, Schänder und Heiden Herodes gewählt und seine Hand geführt, um sein heiliges Haus verschönern und in seiner Herrlichkeit weithin leuchten zu lassen! Unten im Tal, zwischen Tempelberg links und dem dicht mit Olivenbäumen bepflanzten Berg auf der rechten Seite, hatte sich ein kleiner Fluß sein Bett gegraben - der Kidron, dessen Lauf mich auf die Straße nach Jericho führen würde. Aber mein Blick hing fest an der hocherbauten Stadt, an dem golden leuchtenden Heiligtum, das den Himmel zu berühren schien. Erst als die Mittagssonne so heftig niederbrannte, daß Mund und Augen trocken wurden, riß ich mich aus der Verzauberung und setzte den Weg fort. Ich stieg den steilen Abhang hinab und war in zwei Stunden in Beit Hinei.
aus Mirjam. Maria Magdalena und Jesus - diesmal ist Mirjam (Maria Magdalena) die Erzählerin. Beit Hinei ist Bethanien. Der goldene Tempel des Herodes muß ähnlich beeindruckend gewesen sein wie heute an derselben Stelle die goldene Kuppel des Felsendoms - und der Blick auf den Felsendom links und den Ölberg rechts ist einfach hinreißend. Ich glaube, heute heißt der Platz "Berg des Rats" - ich habe nicht nachgecheckt, und meine Erinnerung ist einige Jahrzehnte alt!

18.5.2003
Literatur und Städte - Jerusalem I - Unerwiderte Liebe von Regina Berlinghof @ 11:04

Hella's Klage: "während mein Buch über Bremen noch nichts gilt im eigenen Lande."
Ach diese unerwiderten Lieben...

Wenn es danach ginge, daß Literaten für die Liebe zu einer Stadt belohnt werden müßten, dann hätte ich seit 1995 ein Dauerwohnrecht in Jerusalem! - Hört, Ihr Israelis und Palästinenser, wie ich Eure Stadt liebe:

"Mutter beschrieb mir die heilige Stadt Jeruschalajim, die sie nur ein einziges Mal in ihrem Leben gesehen hatte, als sie auf ihrer Brautfahrt, von Norden her kommend, nach Sela gezogen war. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schön Jeruschalajim ist. Es liegt hoch oben auf den Bergen. Der Tempel, die Burgen und Häuser ragen in den Himmel, als wollten sie sich dem Herrn entgegenstrecken. Nicht so wie hier in Sela, das sich ins Tal duckt und versteckt. Hier ist alles eng und dunkel zusammengedrückt - aus dunklem, roten Fels gebaut. In Jeruschalajim strahlen die Häuser aus lichtem Stein. Alles ist frei und luftig. Mitten in der Stadt kannst du weit ins Land sehen - hier fängt sich der Blick zwischen engen Schluchten und hohen Felswänden. Die Häuser und Höhlen von Sela kleben an der Erde, an dem Fels - und die Herzen der Menschen auch. In Jeruschalajim spürst du die Nähe des Herrn - alles ist so weit und offen und der Himmel ist nahe. Und von überall siehst du das goldene, strahlende Haus des Herrn. Jeruschalajim wird ewig bestehen - aber Sela ist verdammt zur Wüste, wie es der Prophet geweissagt hat!"
Mirjam. Maria Magdalena und Jesus, 1. Kapitel ("Jericho")
(mit Sela ist das nabatäische Petra gemeint, aus dem der Erzähler Yoram stammt)
 

11.5.2003
Das Böse für die Literatur von Regina Berlinghof @ 12:12 

"Ja", schreie ich - so habe ich es jedenfalls in Erinnerung, "es ist absolut krankhaft und idiotisch, mich hier einzusperren! Haben Sie mich nun entführt und wollen Lösegeld oder wollen Sie mich hier festhalten, mit mir sterben oder mich einfach an Langeweile und Hitze eingehen lassen?"
Ich ernte einen stummen Blick.
"Haben Sie je bedacht, daß Sie mich nicht nur meiner Freiheit berauben, sondern auch meinen Verlag ruinieren? Wie sollen denn die Geschäfte ohne mich weiterlaufen? Wissen Sie eigentlich, was alles daran hängt und was Sie kaputtmachen? Sie können mich doch nicht ewig hier festhalten und warten lassen!"
Sie lacht plötzlich sehr bitter. "Wissen Sie denn, wie es ist, wenn ein Autor auf die Zusage eines Verlages wartet? Wie man in der Luft zappelt, bis einer geruht zu antworten? Nachdem man Jahre in die Arbeit gesteckt und auf vieles verzichtet hat? Auch da wird über eine Existenz entschieden! - Aber ich habe Sie nicht entführt, um sie im Warten zu üben oder um mich zu rächen, auch wenn es verblüffende Parallelen gibt."
"Und weshalb haben Sie mich entführt? Wollen Sie mir es nicht endlich sagen?"
"Um meinen neuen Roman in Ruhe schreiben zu können. Ich brauche das Geld. Übrigens wird der Roman nicht viel von Liebe handeln. Sondern von Sex und Crime. Das ist es doch, was ankommt, oder? Ich habe meine Lektion begriffen. Liebe zählt nicht. Macht und Gewalt sind alles. Sei freundlich zu den Leuten, und sie nehmen dich nicht ernst. Tritt ihnen vors Schienbein, und auf einmal respektieren sie dich. Handke beschimpfte das Publikum, und sie lagen ihm zu Füßen. Rainald Götz schnitt sich vor laufender Kamera die Stirn auf. Das Blut tropfte auf sein Manuskript, während er las. Das gefiel der Jury in Klagenfurt. Damit beeindruckt man die Leute. Ich entführe einen Verleger. Das wird der Hit! Ich biete Ihnen an, den Roman in Ihrem Verlag herauszubringen. Das wird Sie für alle finanziellen Nachteile entschädigen." 
Im Grunde hat sie Recht. Sie kann schreiben, was sie will. Die Leute werden es kaufen, weil sie einen Verleger - mich! - entführt hat. Verbrechen und Leidenschaft, was will der Leser mehr! "Soll das ein Angebot sein?" "Ein Deal - warum nicht?"
Ich denke an Schmander und den Zinstermin. Ich denke an Bill und an Hollywood. Nein, auf so etwas lasse ich mich nicht ein. 
"Sie haben wirklich eine abgebrühte Phantasie", stelle ich fest. "Das hätte ich Ihnen nie zugetraut!" 
"Sag ich doch. Ich bin freundlich zu Ihnen, und Sie halten mich für doof. So läuft es bei uns. Ich habe beschlossen, nicht mehr so freundlich zu sein. Ich heule jetzt mit den Wölfen. Nein, ich mache mich zur Oberwölfin und übertöne alle. Anders wird man doch nicht beachtet." 

aus meinem neuen Roman: "Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt" - erscheint Juni 2003 - diese Textstelle als Kommentar zu Jens Jessens Glosse in der ZEIT, Zitat des Schlusses:

"Es war verständlich, aber strategisch falsch, daß Heidenreich aus Letzterem (Nick McDonnells "Zwölf") nicht die wüstesten Szenen vorgelesen haben wollte. Denn das Wüste, gerade das, bei dem sich der Magen umdreht und das Gewissen rebelliert, ist das Privileg der Literatur geblieben, weil es in den gesellschaftlich kontrollierten elektronischen Medien, zuvörderst dem Fernsehen, auf absehbare Zeit nicht zu finden sein wird. Das Böse, nicht das Gute, ist die wahre Zukunft der Belletristik."
Jens Jessen zu Elke Heidenreichs Büchershow, DIE ZEIT, 8. Mai 2003
 

18.4.2003
Offene Antwort an Hans Magnus Enzensberger - Die Freude bleibt gedämpft von Regina Berlinghof @ 21:34 

Man stelle sich ein abgelegenes Dorf im 19. Jahrhundert vor, wenige Familien. Ein Mann schlägt und drangsaliert seine Frau, vergewaltigt seine Kinder, die Knechte und Mägde. Sie laufen zu seinem Nachbarn, dem reichsten und stärksten Bauern im Ort und bitten ihn um Hilfe. Einige finden Unterschlupf und Arbeit bei ihm. Aber da der Reiche und der gewalttätige Nachbar in Geschäftsdingen gut zusammenarbeiten, unternimmt der Reiche nichts. Er läßt die Mißhandlungen, die Vergewaltigungen ungehindert zu.
Erst als ihn der üble Nachbar bei einem Geschäft betrügt, geht der Reiche gegen ihn vor. Wegen des Betruges kann er ihn offiziell nicht belangen - es war illegaler Schmuggel. Dafür fällt ihm ein, daß er den Nachbarn wegen der Gewalttaten gegen seine Familie und die Bediensteten packen. könnte. Er spielt sich als Retter und Befreier auf. 
Der Jubel der Familie über die Befreiung von dem Quäler ist groß. Es gibt auch ein gewisses Dankgefühl gegenüber dem Reichen. Aber ihm als Retter und Befreier und Helden zuzujubeln? 
Ein Held, der sich aus purem Eigennutz zur Tat aufgeschwungen hat?

Jeder, der nur einen Bruchteil von den Schandtaten des Saddam Hussein weiß, wird mit den Irakern froh sein und jubeln, daß der Gewaltherrscher endlich gestürzt wurde. 
Der Jubel für die Befreier fällt dagegen gedämpfter aus: weil der Bushregierung die edlen Motive wie Befreiung, Recht und Demokratie erst eingefallen sind, als ihnen Saddam im Weg war. Als sie sich die irakischen Ölfelder sichern wollten. Die Schandtaten des Saddam - am schlimmsten die Giftbomben gegen die Kurden - waren schon 1991 bekannt. Der damalige US-Präsident, Vater des heutigen Präsidenten, stachelte die Schiiten und Kurden zu Aufständen an - und ließ sie im Stich, als Saddam sich noch als zu stark für sie erwies. Seine Soldaten blieben außen vor und sahen der Niederschlagung des Aufstandes zu, so wie sie jetzt auf Befehl des Sohnes tatenlos der Zerstörung der staatlichen Infrastruktur und den Plünderungen der Krankenhäuser und des Nationalmuseums der zugesehen haben. Die Freude, der Dank, mit Verlaub Herr Enzensberger, halten sich in Grenzen!
 

12.4.2003
Borderline - Nach dem Krieg im Irak oder: Es gibt auch gute Nachrichten von Regina Berlinghof @ 16:46 

1. gute Nachricht: 
Selbstverständlich haben die Amerikaner den Irak nur wegen der Unterdrückung des irakischen Volkes und nicht wegen des irakischen Öls befreit. Sie haben das ganze Land befreit: sogar die Krankenhäuser, die Geschäfte und die Privathäuser. Nur die Ölfelder sind nicht befreit. Dort haben sie Wachen aufgestellt.

2. gute Nachricht:
Heute und morgen finden überall Demonstrationen gegen den Krieg in Tschetschenien statt. Millionen Friedenskämpfer fordern von dem russischen Präsidenten Putin: Stoppt den Krieg! Freiheit für Tschetschenien!

3. gute Nachricht:
Der russische Präsident Putin hat die Einstellung aller Kampfhandlungen in Tschetschenien verkündet. Russische Soldaten helfen beim Aufbau der befreiten Republik Tschetschenien.

4. gute Nachricht:
Die Palästinenser haben bekanntgegeben, daß sie ab sofort alle Terroraktionen und Selbstmordaktionen einstellen wollen.

5. gute Nachricht:
Die israelische Regierung hat den Rückzug aus allen besetzten Siedlungen bekanntgegeben. Die Siedler werden aufgefordert, entweder in den Kernstaat Israel zurückzukehren oder loyale jüdische Bürger im neuen Staat Palästina zu werden.

6. gute Nachricht:
Die Abgeordneten des Bundestags, der Länderparlamente und Stadtverordnetenversammlungen haben das Renteneintrittsalter für Abgeordnete auf 65 Jahre heraufgesetzt und selbständige Rentenansprüche erst ab einer achtjährigen Amtszeit bewilligt.

10.4.2003 
 Der besetzte Panzer im besetzten Baghdad (Nachtrag zu gestern) von Regina Berlinghof @ 15:26 
Gestern nachmittag konnte ich live die Bilder vom Sturz der Saddam-Statue verfolgen. Zunächst waren es nur ein paar Jugendliche, die unter dem Beifall und den Kameras der Presse versuchten, die Statue zu erklettern. Der Sockel war zu hoch. Sie schleppten von irgendwoher Leitern herbei, stiegen hinauf. Es gelang ihnen auch, ein riesiges, dickes Seil um Kopf und Hals der Statue herumzuwerfen. Aber das Seil war zu kurz – ganz zu schweigen, von den viel zu schwachen menschlichen Kräften, um die Statue herunterzureißen. Schließlich rollte knatternd der Panzer heran. Ich glaubte, er würde den Stahl-Saddam einfach herunterschießen. Aber es war ein Bergungspanzer der Pioniere, kein Kampfpanzer mit Kanonenrohr. Er fuhr langsam auf den Sockel zu, als wollte er den Sockel einfach einrammen, wie dieser Panzer, der die Türen eines Palastes eindrückte. Aber er blieb vor dem Sockel stehen. 
Dann geschah das Erstaunliche: die Menschen kletterten auf den Panzer. Sie hatten keinerlei Angst. Weder die Iraker vor dem Panzer und den bewaffneten Amerikanern, noch die Amerikaner vor den Irakern und eventuellen Selbstmordattentätern. Der Panzer verschwand völlig unter einer wimmelnden Menschenmenge. Hier besetzte ein amerikanischer Panzer die Innenstadt von Baghdad – die Baghdadis besetzten den Panzer, und alles blieb friedlich! 
Es war dieses Bild des von Menschentrauben besetzten Panzers, das mich mehr verwunderte und berührte als die Bilder, die in den Medien später immer wieder gezeigt wurden: der nachfolgende hochsymbolische Sturz der Statue und die Bedeckung von Saddams Gesicht mit der amerikanischen Fahne, das Schwenken der irakischen Fahne, das Tanzen auf dem zerschlagenen Torso.

30.3.2003 
 Krieg auf allen Kanälen von Regina Berlinghof @ 21:09 
Im Moment absurde Parallelaktion: Echtkrieg auf allen Kanälen und Independence Day in Pro Sieben. Der Film lief gerade an, als ich zum ersten Mal in den USA war. Die Freunde, die ich besuchte, wollten mich unbedingt ins Kino mitschleppen. Ich war gerade aus der Wüste zurückgekehrt und fuhr lieber an den Stadtrand von Hemet (kleiner Ort in Calif) und schaute mir den Sonnenuntergang an. 

26.3.2003 
 Brot und Spiele von Regina Berlinghof @ 23:19 
Die Römer hatten ihr Vergnügen bei Brot und Spielen. Gladiatoren, die gegen wilde Tiere kämpften und im Zweikampf sich gegenseitig abschlachteten. Es befriedigte die martialische Sensationsgier der Massen. 
Wir brauchen keine Spiele in den Arenen. Wir sind per TV online bei den Kriegszügen dabei, hören live die Einschläge der Bomben und Raketen, wir sehen die Verwundeten und Leichen auf dem Bildschirm. Was will Sensationsgier mehr!

25.3.2003 
 Nachrichten von eingebetteten Journalisten von Regina Berlinghof @ 21:05 
Von eingebetteten Objekten zu eingebetteten Journalisten:
Windows definiert eingebettete Objekte(OLE) so: Daten (Objekte), die in einer Quelldatei enthalten sind und in eine Zieldatei eingefügt werden. Sobald das Objekt eingebettet ist, wird es zum Bestandteil der Zieldatei.
Die Definition von JLE ist also: Journalisten, in die Army eingebettet werden. Sobald die Journalisten eingebettet sind, werden sie zum Bestandteil der Army. 

22.3.2003 
 Terror, shock and awe von Regina Berlinghof @ 21:49 
Was ist Terror? Schrecken. Terroristen sind Leute, die anderen Furcht und Schrecken einjagen wollen. In diesem Sinne die Aktion der Bushregierung im Irak: Shock and Awe. Schock und Schrecken. Awe: auch so eine Umschreibung wie Kollateralschaden. Viktor Klemperer (LTI) läßt grüßen.

20.3.2003 
 Krieg - heute und vor 30 Jahren von Regina Berlinghof @ 21:05 
Gegen 19.00 Uhr. Baghdad in der Abenddämmerung. Lifebilder auf allen Kanälen. Lichtblitze, Abwehrfeuer gegen die US-Raketen. Und ich sitze bequem im Sessel und schaue wie im Kino zu. Diesmal gibt es viele Kameras in Baghdad. Die Bilder sind besser, schärfer. Nicht nur helle Blitze und Leuchtspuren auf einem grünlich leuchtenden Bildschirm. Man sieht die Stadt, sieht die Gebäude, sieht die Straße - die Raketen blitzen wie Feuerwerk zu Silvester. 
Die Kinolifeschaltung im Fernsehen rückt uns den Krieg in der Ferne ganz nah. 
1973 habe ich den Krieg "echt" erlebt. Ende September kam ich nach Jerusalem, um dort meine halbjährige Wahlpflichtstation als Jurareferendarin bei einem Rechtsanwaltsbüro abzuleisten. Ich hatte mich mitten in der Altstadt im Hospiz der Lutheraner einquartiert, das ich von früher kannte. Dort gibt es von der Höhe den besten Blick über die Altstadt zum nahen Felsendom und seine goldene Kuppel. 
An Jom Kippur wollte ich wie viele andere Touristen zur Klagemauer ziehen und die Gebetszeremonien und -tänze der orthodoxen Juden (Rabbinerschulen) ansehen. Es war noch heiß. Mittags legte ich mich hin, hielt Siesta. Plötzlich das Heulen einer Sirene - was einmal eine Sirene war. Der Ton dünn, rostig, brach bald ab. Das war's. 
Irgendwann kamen Leute und erzählten von Krieg. Die Ägypter hätten die Grenze überschritten. Keiner wußte genaues. Ich hatte ein kleines Taschenradio dabei. Mein Hebräisch war noch nicht gut genug für die Nachrichten. Irgendwann kam schwach BBC herein. Ja, es sollte Krieg geben. Ringsum, in Jerusalem, war alles friedlich. Wir glaubten es nicht, zogen zur Klagemauer. Überall Soldaten. Die Schüler der Yeshives waren schon versammelt, sangen. Soldaten ließen uns nicht auf den Platz. Sie schickten uns nach Hause. Auch die frommen Beter. Erst da fing ich an, den Krieg für Wahrheit zu halten. Am Abend wurde es dem letzten klar: überall Verdunkelung. Kein Licht, keine Laternenlichter. Keine Reklameleuchten. Ich dachte nur an meine Eltern, die sich in Deutschland fürchterliche Sorgen um mich machen würden. Ich versuchte, sie anzurufen. Alle Ämter natürlich geschlossen. Es war ja auch Feiertag. Am nächsten Tag kam ich nach langem Warten durch. 
Meine Eltern wußten mehr über den Frontverlauf als ich. Sie sahen die Bilder und Karten im Fernsehen. Ich hatte nur mit schlechtestem Empfang die BBC-Nachrichten und den israelischen Englischsender. Die Zeitungen - alle Ausgaben am nächsten Tag gekauft - beruhigten. Israel schlug die arabischen Invasoren überall zurück. Ich hatte volles Zutrauen zum israelischen Militär. Fünf Tage später beschrieben die Zeitungen genauer, von welchen Positionen sie die Araber zurückgeschlagen hatten. Auf diese Weise erfuhr ich, wie weit die Invasoren schon gekommen waren. Und all die Nachrichten in den Tagen davor Lüge und Beruhigung der Bevölkerung. 
Ich war mitten im Krieg und bekam kaum etwas davon mit. Nur die gedrückte und gespannte Atmosphäre überall. Das Warten auf die vollen Stunden mit den Nachrichten. Später auch in Hebräisch. "Ve sehu sof haChadaschot". Der Satz, der das Ende der Nachrichten ankündigte, klingt mir immer noch in den Ohren. 

20.3.2003 
Noch ein Krieg: Kleinverlage gegen rabiate Preiserhöhungen der Frankfurter Buchmesse von Regina Berlinghof @ 15:12 
Antwort auf das gestrige Schreiben und den Offenen Brief von Karl-Klaus Rabe, Geschäftsführer der Lamuv Verlag GmbH und der GVA Gemeinsame Verlagsauslieferung Göttingen GmbH. Der offene Brief ist bei www.buchmarkt.de abgedruckt.
Sehr geehrter Herr Rabe,
vielen Dank für Ihre Mail und die Zusendung der Erklärung, die ich Ihnen unterzeichnet zurücksende und faxe. Ich habe am Dienstag die Buchmesseunterlagen erhalten. Meine erste Reaktion nach dem Ausrechnen der Standgebühr für 2003: Das ist keine Preiserhöhung, das ist Wucher!
Am selben Tag las ich die Glosse der FAZ über Ihren offenen Brief. Ich wollte Ihnen sowieso schon schreiben und Ihnen meine Unterstützung anbieten. Für mich (mit kleinstem Stand) beträgt die Erhöhung 35 % (von überwiesenen Euro 917,- incl. MwSt. im Jahr 2002 auf Euro 1.238,- dieses Jahr - also auf rund 2500,- DM - das ist die Kleinauflage eines Buchtitels. Der angebotene Preisnachlass von 3% bei Frühbuchung bzw. 5% bei 3-Jahresbuchung ist dagegen geradezu lächerlich. 
Absurderweise hatte ich noch am Wochenende einen empörten Leserbrief an die großen Frankfurter Zeitungen in Sachen Standortverlegung aufgesetzt, in dem ich an die desinteressierten Frankfurter Politiker und habgierigen Hoteliers appellierte: wenn sie schon keinen Sinn fürs Buch und Lesen hätten und nur an ihren Profit dächten, dann sollten sie doch wenigstens an die alte Bauernweisheit denken: Man soll die Kuh nicht schlachten, die man melken will.
Diesen Gedanken möchte ich nun Herrn Neumann nahelegen. Auch wenn Kleinverlage bislang "subventionierte" Standpreise erhalten haben, sind es doch die kleinen Verlage aus dem In- und Ausland, die den Buchmessebesuch so interessant machen. Die Bücher der Großverlage stapeln sich ohnehin in allen Buchhandlungen. Aber die Vielfalt der jährlichen Buchproduktion findet man nur einmal im Jahr auf einem Platz: auf der Frankfurter Buchmesse! Wo sonst haben Leser die Auswahl unter vielen Büchern, die man entdecken, anfassen und durchstöbern kann, ohne sie blind bei Amazon bestellen zu müssen! Leider betreibt Herr Naumann die Politik, die er den Hoteliers vorwirft: reine Orientierung am Geschäft, am Profit. Nur noch Lizenzen zählen, nicht mehr die Leser und Messebesucher, nicht mehr die Verlage, die aus Idealismus und um der Texte und Inhalte willen Bücher produzieren.
Seit meinem 13. Lebensjahr, das sind mehr als 40 Jahre, ist der Gang zur Frankfurter Buchmesse in meinem Kalender so fest verankert wie die gesetzlichen Feiertage. Seit 1999 bin ich als Verlegerin und Ausstellerin dabei. Jetzt habe ich Angst, daß die Buchmesse ihren eigensten Kern aufgibt: Bücher, Leser und Verlage. Ich habe Angst, daß die Buchmesse ihre Seele verliert.
Wir kleinen Verlage sollten uns die Preispolitik der Messeleitung nicht gefallen lassen. Ich bin mit meinem Verlag bei allen Gegenaktionen dabei: von Boykott bis Gegenbuchmesse.
Mit herzlichen Grüßen und großem Dank für Ihre Initiative,
Regina Berlinghof
 

17.3.2003 
 Keine Grenzen für den Krieg von Regina Berlinghof @ 22:01 
Wozu über Borderline und Borderlinefälle schreiben, wenn die ganze Welt zum Borderlinefall wird? Die Regierung Bush zettelt einen Krieg an, um Freiheit und Demokratie in den Nahen Osten zu bringen und wirft zuhause selbst die elementarsten Menschenrechte in den Wind: Verhaftungen ohne richterliche Kontrolle, Bespitzelung von Bürgern und und und.
Das alte Europa ist nicht viel klüger. Jetzt bringen es Schröder und Chirac fertig, gegen die verbündeten Amerikaner eine "Friedenskoalition" mit Präsident Putin zu errichten, der seit Jahren gegen die tschetschenischen Sezessionisten und Zivilisten Krieg führt, der die heimische Presse und jede Kritik unterdrückt - kurz, der der KGB-Mann und faschistoide Politiker ist, der er schon immer war. 
Der Krieg steht vor der Tür - die Iraker werden ihn ausbaden. Die Tschetschenen werden seit Jahren von den Russen abgeschlachtet, ohne daß sich die Welt groß drum kümmert. Die UN-Resolutionen sind nicht das Papier wert, auf dem sie stehen: wer die Macht hat, schert sich einen Deut um Entschlüsse und Verträge.
Eine Entgrenzung ins Negative, ins Feindselige, Mörderische. Bleibt nur die schwache Hoffnung, daß der Krieg so kurz und schmerzlos wie möglich wird. 

5.3.2003 
 Ein Gang entlang semantischer Borderlines oder Künstler in der Rechtschreibprüfung von Regina Berlinghof @ 22:57
Welcher Künstler verbirgt sich hinter Roulette, Rotlicht, Rotgelb - Wer hinter solchen Exotica wie Vientiane, Valentin, Venetien und den Vandalen, aber auch hinter Gags und Gigolo? Natürlich Karl Schmitt-Rottluff und Vincent van Gogh! Zumindest sind das die Ersatzbegriffe, die das Rechtschreibprogramm von Pagemaker anstelle der unbekannten Künstlernamen bietet.
Und welche im Literaturbetrieb tätigen Männer verstecken sich hinter Rohwolle, Erwählt, Realwert und wer hinter Olsten, Holstein, Lausten, Leisten, Listen? (Rowohlt und Ullstein).
Und während Pagemaker Asket, Alaskas, Lausekerl, Loskäufe, Loskäme für einen Teil-Doppelnamen vorschlägt, macht Microsoft Word ganze Sache: Laser-Schüler oder Laster-Schüler! Ach Else! 
 
 

23.2.2003
Borderline-Bankkredite von Regina Berlinghof @ 19:44 

Sonntags-FAZ heute: Die Banken schreien nach staatlicher Hilfe. Zu viele faule Kredite, die sie nicht mehr verkraften können. Eine bad-bank, eine sog. Auffangbank soll gegründet werden. Staatliche Garantien werden gefordert.
Ein Treffen auf höchster Ebene fand statt: "Von der Regierung kamen Kanzler Gerhard Schröder, Finanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Sie trafen die Crème der deutschen Finanzwirtschaft: die Bosse von Allianz und Deutsche Bank, von Münchener Rück, Hypo-Vereinsbank und Dresdner Bank, von West-LB, DZ-Bank und KfW."
Ausgerechnet Josef Ackermann, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank (unter Anklage wegen dubioser Zahlungen bei der Übernahme von Mannesmann stehend), machte den Vorschlag, die "faulen Kredite" auszugliedern und in eine Auffanggesellschaft zu überführen - mit Staatshaftung.

Es ist schon eine ungeheure Unverschämtheit, was die Herren Bankvorstände fordern. Als ginge es nur um Kredite von schwächelnden Wirtschaftsunternehmen. Vor wenigen Jahren kaufte sich die Deutsche Bank massiv in den USA ein und leistete sich eine Abfindungszahlung an vier High-Manager von schlappen 350 Millionen Dollar!
Wenn man an die Summen denkt, die sich die Mannesmann-Manager - mit Zustimmung der Kreditbank (ebenfalls Deutsche Bank) - haben zahlen lassen, dann ist die neue Forderung natürlich ein hübsches Spiel. Die Herren haben ihre eigenen Taschen vollgestopft - für ihre Mißwirtschaft soll der Staat geradestehen, d.h. der gemeine Steuerzahler, dem gerade die Nettobezüge gekürzt wurden und der um seinen Job bangen darf (ohne Millionenabfindung bis ans Lebensende!).
Schröder und Co. fällt dazu leider immer noch nichts ein. Die Regierung sieht tatenlos zu, wie sich eine neue Raubritterklasse etabliert und auf Kosten der Gemeinschaft absahnt. Es muß endlich eine Gesetzesinitiative in Gang gebracht werden, die Manager für Fehlwirtschaft haften läßt. Jeder, der mit seinem Auto einen Unfall baut, muß für die Folgen geradestehen. Dafür gibt es die Haftpflichtversicherung. Genau eine solche Haftpflicht und ein analoges Versicherungssystem muß es für Führungskräfte geben, die nicht als selbsthaftende Firmenunternehmer im alten Stil mit ihrem Vermögen geradestehen. Diese Leute treffen Entscheidungen in Millionen/Milliardenhöhe, ohne selbst die Konsequenzen tragen zu müssen. Das widerspricht Sinn und Gehalt des gesamten Privat- und Firmenrechts. Wer entscheidet, muß Verantwortung tragen - auch finanziell!
Diese Leute verdienen genug Geld, um die Prämienzahlungen leisten zu können. Und wenn Abfindungen ausbezahlt werden, sollten sie für fünf Jahre stillgelegt werden - als Haftungsreserve für Fehlentscheidungen. Wenn die Entscheidungen gut waren, sollen gute Manager ruhig belohnt werden. Aber die Absahner müssen endlich zur Kasse gebeten werden - mit steigenden Prämien. Wie nach Autounfällen!
Vielleicht war das ja auch nur eine Faschingsmeldung. Da gehörte sie hin.

20.2.2003
Jesus auf der Borderline von Regina Berlinghof @ 10:05 

Jeschua wurde ins Verhör gerufen und vor den Sitz des Pontius Pilatus gebracht, der der Vernehmung der Schüler durch seinen Ankläger schweigend gefolgt war. Pontius Pilatus maß Jeschua mit einem langen Blick. Ich mußte innerlich lachen. Glaubte er etwa, Jeschua Angst einjagen zu können? Nein, er merkte wohl selbst, daß in den schmutzigen, zerfetzten Lumpen ein Mann steckte, den man nicht einschüchtern konnte. Respektvoll und fast freundlich stellte er seine Fragen. 
"Also du bist der Mann, von dem man sagt, er sei der König der Juden, der gekommen ist, um das Joch Roms abzuschütteln und den Menschen Frieden und Gerechtigkeit zu bringen?" 
"Ich weiß nicht, was man von mir sagt - aber ich habe versucht, die Menschen zu Liebe und Frieden zu führen." 
"Und zu Gerechtigkeit und Freiheit ..." 
"Ja. Wenn man liebt und den inneren Frieden gefunden hat, so ist man auch frei von aller Angst. Und man bringt es nicht mehr fertig, ungerecht zu sein."
"Wenn du den Menschen Freiheit und Gerechtigkeit bringen willst, so heißt das doch, daß in diesem Lande Gerechtigkeit und Frieden fehlen. Du willst also sagen, daß Rom seine Untertanen unterdrückt und ungerecht behandelt!" 
"Wer herrschen will, muß unterdrücken. Ob Rom oder sonst ein Herrscher." 
Erregtes Murmeln und Geflüster brandete auf. In den Schrecken, so etwas dem römischen Statthalter direkt ins Gesicht zu sagen, mischte sich Bewunderung und verstohlener Beifall. Dann wurde es wieder still. In atemloser Spannung wartete man darauf, was Jeschua dem Statthalter und Vertreter des allmächtigen Caesar in Rom als nächstes entgegenschleudern würde. 
"Du willst also die Römer aus dem Land werfen und dich zum König der Juden ausrufen lassen?" 
"Nein. Wozu? Es bliebe alles beim alten. Nur die Spitze würde ausgetauscht. Ob die Herrscher David, Schlomo, Herodes oder Tiberius heißen - für die Menschen bedeuten sie Angst, Sorge und Ungerechtigkeit." 
Ein Aufstöhnen ging durch den Saal. Wie konnte er die großen Könige des Herrn, David und Schlomo, in einem Atemzug mit den Schlächtern und Ungeheuern Herodes und Tiberius nennen? Die römischen Beamten und Soldaten grinsten zufrieden. 
"Dann willst du dich nicht zum König der Juden salben lassen?" 
Pontius Pilatus´ Stimme war schneidend geworden. 
"Nein." 
Die Stille, die diesem Wort folgte, war die Stille tiefster Enttäuschung. Dann eine Stimme aus dem Hintergrund: 
"Der will ja nur seine Haut retten! Feigling! Verräter!" 
"Ruhe!" Der römische Ankläger donnerte seinen Befehl in den Raum. Nur eine einzelne Stimme hatte sich gegen Jeschua erhoben. Aber die Stimmung hatte sich schlagartig verändert: Statt Bewunderung und Mitgefühl herrschte plötzlich nur noch gespanntes Abwarten - ungläubig noch, aber kälter, voller Mißtrauen, auf der haarfeinen Scheidelinie zwischen für und gegen ihn. 

aus: Regina Berlinghof: Mirjam. Maria und Magdalena, (c) 1995-2003 
 

7.2.2003

      Borderline - Jesus zu: Gott in der europäischen Verfassung von Regina Berlinghof @ 22:49

    Klar, daß der Papst und alle konservativen Christen "die von Jesus Christus gestiftete Kirche als formgebenden Faktor zur Identität des Kontinents" sehen und Gott in der Verfassung verankern wollen. Nur: wo bleiben dann die europäischen Agnostiker, die europäischen Buddhisten, Hinduisten und die Anhänger anderer Glaubensüberzeugungen?

    Fragen wir doch Jesus, was er dazu meint: (ich zitiere aus meinem neuen Roman "Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt"):

    'Ich seufzte, und dann schrie Ulrich auf. Sein braungebranntes Gesicht war gespenstisch grau geworden wie die Mondmesas in Utah vor der Capitol Reef Landschaft.
    "Was siehst du?", flüsterte ich. "Jesus!", er schluckte. "Ein Jude mit Schläfenlocken, ganz abgerissen, um nicht zu sagen, zerlumpt. Sein Kleid muß mal weiß gewesen sein. Und die Streifen schwarz."
    Vor mir saß ebenfalls ein bärtiger Jude in biblischer Tracht, aber sauber und gepflegt. Ja, er machte sogar einen eleganten Eindruck. Seine Augen sprühten Feuer und verrieten wache Intelligenz. Er musterte mich eine Weile, dann sagte er in einem nachsichtig und freundlich klingenden Ton: "Paulus".
    Im gleichen Augenblick hatte ich den Zerlumpten vor mir. Seine braunen Augen blickten weich, liebend. Er schien unglaublich verletzlich, aber voller Kraft. Eine Kraft, die keinen Gedanken an das äußere Erscheinungsbild verliert. "Das war mein Fehler", seufzte er. "Sie nehmen Leute und ihre Ideen nur ernst, wenn sie proper daherkommen. Und über meine zerstrittene Schülerschar haben sie nur gelacht. Scha'ul kam mir gerade recht. Er konnte organisieren. Wenn er nur nicht so übertrieben hätte!"
    "Wieso," fiel ihm Paulus ins Wort und strich sich über den Kinnbart, "Ordnung und Disziplin müssen sein. Nur mit Ordnung und Disziplin kann man etwas aufbauen! Mit klaren Rangordnungen. Und mit Gehorsam der Untergebenen! Der Mensch ist schwach. Aber Ordnung und ein starker Glaube machen ihn stark!"
    "Ich wollte die Leute nicht stark machen sondern liebend!" Der Zerlumpte lächelte mich hilflos an. "Sie haben mich zum Herrn, zum allmächtigen "Dominus" gemacht, der über allen steht. Was für ein Blödsinn! Ihr eigener Glaube hat ihnen geholfen! Modern nennt man so etwas Placeboeffekt. […]"
    Ulrich erholte sich allmählich. Für ausgemachte Atheisten und Areligiöse muß es wirklich ein Schock sein, wenn längst Totgesagte unvermittelt und höchst lebendig vor ihnen stehen. 
    "Ohne Schrift hätte uns der Wind zerstreut wie Sandkörner. Die Menschen brauchen klare Vorstellungen und klare Anweisungen. Und Frauen sowieso. Nur so haben wir ein Weltreich aufbauen können, die Heilige Kirche."
    Paulus schaute mich an, und versuchte, mich mit seinem harten, bohrenden Blick niederzuzwingen und mir zu zeigen, wer Herr im Hause war. Hier in der Wüste wirkte dies nur lächerlich. 
    "Ich wollte keine Kirche", sagte der Lumpenjesus. "Und heilig ist sowieso alles. Klar, die Kirchen sind herrliche Bauten, und die Messen, die sie darin singen, wunderbar. Aber um welchen Preis? Wieviel Selbstquälerei, wieviel Quälerei anderer war und ist damit verbunden? Und wieviel Heuchelei, wieviel Raub und Erpressung von den Armen? Das hatten wir doch alles schon einmal! Mich haben sie zum Gott und Götzen gemacht, zu einem Popanz, dem nichts besseres einfällt, als Gericht zu halten über die Bösen und die Guten. Idioten!"
    Ulrich hörte hingerissen zu. Ich auch. Als Paulus wieder zum Vorschein kam, war er sichtlich verärgert.
    "Ich habe ihm mein ganzes Leben geopfert, ich habe seine Lehre zum Erfolg geführt - und nun soll alles nichts gewesen sein? Christliche Liebe, christliche Mitmenschlichkeit, christliche Kultur?"
    "Liebe, Mitmenschlichkeit und Kultur tun es auch." Jesus, der Zerlumpte, lächelte uns an. "Und Frauen ganz besonders. Ah, ich wünschte, ich könnte noch einmal bei Mirjam liegen, ihren Leib liebkosen und mit ihr eins werden. Das hat dem guten Scha'ul ein bißchen gefehlt, fürchte ich. Das konnte ich ihm nicht geben. Das konnte er nur mit einer Frau erfahren."
    Paulus' zorniges Gesicht war rot angeschwollen. "Wie kannst du, - ausgerechnet du, o Herr, dem Fleisch, dem lumpigen und vergänglichen Fleisch so viel Bedeutung beimessen! Es ist der ewige Geist, der uns geschaffen hat und zu dem wir eingehen werden!"
    "Und warum hat sich dann der ewige Geist so unendlich viel Mühe gegeben, das Fleisch zu erschaffen, o Scha'ul, der sich Paulus nennt? Erst wenn das Wort Fleisch geworden ist und sich im Fleisch ganz erkennt, erkennt der Geist sich selbst!" 
    Paulus schnob verächtlich, dann war die Doppelerscheinung verschwunden. 
    "Ich glaub es nicht", japste Ulrich. 
    "Du sollst ja auch gar nichts 'glauben'", betonte ich und mußte dabei grinsen. "Nun versuch mal, deinen Freunden zu erzählen, was du eben erlebt hast. Hörst du nicht schon die Türen der Klapsmühle knarren?"'
 

5.2.2003
Borderline Wirtschaft und Tussi Sargnagel von Regina Berlinghof @ 00:28 

Tussi, sind Sie für "Outsourcing" in der Wirtschaft?
Selbstverständlich. Was für ein Gewinn, wenn die richtigen Leute an die freie Luft gesetzt werden: die Aufsichtsräte, Vorstände und Manager! Dann kann man ihnen nach freier Wahl den einen oder anderen Auftrag geben, sofern sie Sachverstand vorweisen. - Und welche Kostenersparnis, weil keine horrenden Abfindungen mehr anfallen! Außerdem werden demokratische Strukturen endlich auch in den Betrieben verankert: Wenn die Belegschaft ihren Vorstand und die Aufsichtsräte von Fall zu Fall wählen und abwählen kann!
 
 
 

5.2.2003
Borderline - im Beziehungsalltag von Regina Berlinghof @ 00:09 

Morgens um neun 
denk ich an Dich
morgens um neun
bleib ich im Bett
morgens um neun
erstickst du mich.

P.S. Info an alle, die in Wiesbaden wohnen: am Donnerstag, 6.2.2003, 22.00 Uhr bin ich bei Radio Rheinwelle (92,5) zu Gast. In der Sendung Litera & Beat unterhält sich Ulrich Degwitz mit mir. - Ich lese aus meinem Roman "Mirjam", dem Geschichtenband "Wüste, Liebe und Computer" und aus dem neuen Roman "Schrödingers Katharina oder Liebe am anderen Ende der Welt", der in diesem Juni herauskommen wird.
 

19.1.2003
Tussi Sargnagel und die Rechtsstaat lichkeit der USA beim Jugendschutz von Regina Berlinghof @ 21:18 

Tussi, sind die USA rechtsstaatlich? 
Selbstverständlich. Sie haben das Recht, den Ausschank von Alkohol an Jugendliche zu verbieten, und gegen jugendliche Straftäter das Erwachensenstrafrecht heranzuziehen, um die Todesstrafe zu ermöglichen (siehe John Malvo).
 



19.1.2003
MRRs schwachsinnige Urteile über den "Mann ohne Eigenschaften" von Regina Berlinghof @ 21:14 

Heute mittag beim Literaturfoyer in 3Sat. Es ging um Robert Musil und seinen "Mann ohne Eigenschaften". Als Gäste u.a. Karl Corino (der Musilbiograph) und MRR, der vom Scheitern Musils schwadronierte und von Musils poesieloser Schreibe und schlecht "dargestellter" Liebesgeschichte zwischen Ulrich und Agathe. Für MRR ist der Mann ohne Eigenschaft schon deshalb ein "gescheitertes Werk", weil es Fragment, Torso geblieben ist. Auf Schuberts Achte angewendet, dürfte die eigentlich nicht mehr gespielt werden. Und viele andere Musikwerke ebensowenig. Glücklicherweise las Corino eine wunderbare Passage aus dem Roman, der durch seine Sprache MRRs unqualifizierte Urteile vom Tisch fegte. Das Publikum applaudierte begeistert. Wie man die Liebesgeschichte des Geschwisterpaares als schlecht geschrieben abtun kann, bleibt MRRs Geheimnis. Es ist eine der spannendsten Liebesgeschichten, die ich kenne, feinfühlig, empfindsam entwickelt, subtil beschrieben. Daß MRR den "Möglichkeitssinn", dem zentralen Thema im Roman, überhaupt nicht erwähnte, wurde glücklicherweise von den anderen Mitdiskutanten moniert. 
 

11.1.2003
Blendung -- eine Trouvaille zum Faschismus in den Köpfen von Wissenschaftlern von Regina Berlinghof @ 14:57 

"To Adolf Hitler
The Personification of Goodwill and
the Master of Well-timed Action"

Eine Widmung, gefunden in "The Manyosu" vol.5, (klassische japanische Gedichtsammlung) translated and annotated by Dr. J.L. Pierson, jr., Formerly Professor of Japanese in the University of Utrecht), erschienen 1938 in Leiden bei Brill.

Ich bin gerade dabei, das Nachwort zur Neuauflage von Hans Bethges "Japanischer Frühling" (bereits 1911 erschienen) vorzubereiten und bin dabei auf diese Ausgabe gestoßen. 
 

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